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Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_21/2025 vom 12. Mai 2025
1. Einleitung und Verfahrensgegenstand
Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (1. Zivilrechtliche Abteilung) mit der Geschäftsnummer 4A_21/2025 vom 12. Mai 2025 betrifft einen arbeitsrechtlichen Streit zwischen einer intergouvernementalen Organisation (A._, Beschwerdeführerin) und ihrem ehemaligen Mitarbeiter (B._, Beschwerdegegner). Gegenstand des Verfahrens war die Rechtmässigkeit einer fristlosen Kündigung sowie Ansprüche aus einer zuvor getroffenen Vereinbarung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und eine Entschädigung für ungerechtfertigte fristlose Kündigung. Die Organisation A.__ hatte im Jahr 2015 formell auf ihre Gerichts- und Vollstreckungsimmunität für arbeitsrechtliche Streitigkeiten verzichtet.
2. Sachverhalt
Der Beschwerdegegner B.__ war seit dem 1. April 2011 für die Beschwerdeführerin, eine intergouvernementale Organisation mit Sitz in Genf, tätig. Anfangs als Verwaltungsangestellter, stieg er später zum Direktor für Verwaltung und Finanzen auf. Die Parteien schlossen mehrere aufeinanderfolgende Arbeitsverträge. Sein letzter Vertrag vom 25. Juni 2019 sah ein monatliches Gehalt von CHF 13'280 vor.
Im Oktober 2020 kam es zu Umstrukturierungen und Führungswechseln innerhalb der Organisation. Am 12. Oktober 2020 unterzeichneten A._ (vertreten durch den damaligen interimistischen Generalsekretär C._) und B._ ein Dokument mit dem Titel "Decision of End of Service", das die Beendigung des Arbeitsverhältnisses per 15. November 2020 vorsah, wobei der letzte Arbeitstag des Mitarbeiters aufgrund von Ferienguthaben bereits der 15. Oktober 2020 sein sollte. Das Dokument sah eine Zahlung von über CHF 90'000 an B._ vor und wurde von den Vorinstanzen als Aufhebungsvereinbarung qualifiziert.
Am 13. Oktober 2020 wurde C._ als interimistischer Generalsekretär abgesetzt und D._ ernannt. Am 14. Oktober 2020 wurde E.__ zur Generalsekretärin gewählt.
Während dieser turbulenten Tage, am 13. Oktober 2020, verliess B._ eine Sitzung des Exekutivrats und erschien in den folgenden Tagen nicht mehr zur Arbeit. Er legte ein ärztliches Zeugnis vor, das ihm eine totale Arbeitsunfähigkeit vom 13. bis 19. Oktober 2020 bescheinigte. Am Abend des 13. Oktober 2020 versiegelte die Organisation das Büro von B._ und entzog ihm die Informatikzugänge. B._ übermittelte sein ärztliches Zeugnis und die Vereinbarung vom 12. Oktober 2020 über eine Assistentin (F._) an den neuen interimistischen Generalsekretär D.__, der das Zeugnis gemäss Zeugenaussage zerriss.
Am 16. Oktober 2020 (Poststempel 19. Oktober 2020) sprach A._ (vertreten durch D._) gegenüber B._ die fristlose Kündigung aus. Als Grund wurde die ungerechtfertigte Stellenaufgabe während der Sitzungen vom 12. bis 14. Oktober 2020 geltend gemacht. B._ bestritt die Kündigung und forderte die Einhaltung der Vereinbarung vom 12. Oktober 2020.
3. Vorinstanzliche Entscheidungen
Nach erfolgloser Schlichtung klagte B._ beim Genfer Arbeitsgericht auf Zahlung von insgesamt CHF 166'030.10. A._ beantragte Klageabweisung und erhob Widerklage. Das Arbeitsgericht verurteilte A._ zur Zahlung von CHF 97'587.10 brutto und CHF 2'315.10 netto gestützt auf die Vereinbarung vom 12. Oktober 2020 (qualifiziert als Aufhebungsvereinbarung). Zudem sprach es B._ eine Entschädigung für ungerechtfertigte fristlose Kündigung von CHF 79'680 netto (entsprechend 6 Monatslöhnen) zu. Die Widerklage wurde abgewiesen.
Die Chambre des prud'hommes der Cour de justice des Kantons Genf wies den Appellantinnenentscheid der A.__ mit Urteil vom 12. November 2024 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
4. Rügen der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht
Die Beschwerdeführerin (A.__) rügte vor Bundesgericht im Wesentlichen drei Punkte:
a) Verletzung von Art. 337d OR durch Verneinung einer Stellenaufgabe.
b) Verletzung von Art. 337 OR durch die Annahme, die fristlose Kündigung sei ungerechtfertigt.
c) Verletzung von Art. 337c Abs. 3 OR durch Zusprechung einer unverhältnismässig hohen Entschädigung für ungerechtfertigte fristlose Kündigung.
Die Zulässigkeit der Beschwerde im Allgemeinen wurde vom Bundesgericht bejaht (insbesondere Wertgrenze Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Eine vom Beschwerdegegner vorgebrachte Rüge betreffend die interne Kompetenz der Beschwerdeführerin, das Verfahren weiterzuführen, sowie die Gültigkeit der Vollmacht des Anwalts, liess das Bundesgericht offen, da die Beschwerde ohnehin unbegründet sei.
5. Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht prüft Rechtsfragen von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG), ist aber an die Begründung der Parteien gebunden (Art. 42 BGG). Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz bindet das Bundesgericht grundsätzlich (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, sie wurden willkürlich (Art. 9 BV) oder unter Verletzung anderer Rechte (Art. 95 BGG) festgestellt (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung muss detailliert gerügt werden (Art. 106 Abs. 2 BGG).
5.1. Stellenaufgabe (Art. 337d OR)
- Rechtliche Grundlage: Eine Stellenaufgabe nach Art. 337d OR liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz abrupt und ohne wichtigen Grund verlässt. Dies setzt eine bewusste, absichtliche und definitive Weigerung voraus, die Arbeit anzutreten oder fortzusetzen. Bei schlüssigem Verhalten ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber dieses Verhalten nach Treu und Glauben als definitive Arbeitsverweigerung verstehen durfte. Bei zweideutigem Verhalten muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Arbeitsaufnahme auffordern. Die Beweislast für die Stellenaufgabe trägt der Arbeitgeber.
- Vorinstanzliche Würdigung: Die Vorinstanz stellte fest, dass die Abwesenheit des Beschwerdegegners ab dem 13. Oktober 2020 durch seine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (ärztliches Zeugnis) gerechtfertigt war. Die Organisation wurde über die Abwesenheit informiert, auch wenn die Übermittlung des Zeugnisses über eine Assistentin erfolgte, was der Praxis entsprach. Der neue interimistische Generalsekretär D.__ erhielt das Zeugnis und zerriss es. Die Organisation forderte den Beschwerdegegner weder auf, die Arbeit wieder aufzunehmen, noch verlangte sie Erklärungen für seine Abwesenheit. Stattdessen versiegelte sie sein Büro und entzog ihm die Zugänge.
- Entscheid des Bundesgerichts: Die Beschwerdeführerin trug vor Bundesgericht eine rein appellatorische Kritik vor, vermischte Sachverhalt und Recht und stützte sich auf eigene, von den vorinstanzlichen abweichende Sachverhaltsfeststellungen. Dies ist unzulässig. Das Bundesgericht hält fest, dass die vorinstanzliche Feststellung, die Abwesenheit sei durch Krankheit gerechtfertigt gewesen, nicht willkürlich ist. Angesichts der Umstände (ärztliches Zeugnis, Kenntnis des Arbeitgebers, Versiegelung des Büros, Entzug der Zugänge, keine Mahnung zur Arbeitsaufnahme) konnte die Beschwerdeführerin das Verhalten des Beschwerdegegners nicht nach Treu und Glauben als bewusste, absichtliche und definitive Arbeitsverweigerung verstehen. Die Rüge der Verletzung von Art. 337d OR ist unbegründet bzw. unzulässig.
5.2. Ungerechtfertigte fristlose Kündigung (Art. 337 OR)
- Rechtliche Grundlage: Art. 337 OR erlaubt die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund. Wichtige Gründe sind Umstände, die nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Die fristlose Kündigung ist eine Ausnahme und restriktiv anzuwenden. Nur ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten rechtfertigt sie. Die Feststellung des Kündigungsgrundes ist eine Sachfrage, während die Beurteilung, ob dieser Grund wichtig im Sinne von Art. 337 OR ist, eine Rechtsfrage darstellt.
- Vorinstanzliche Würdigung: Die Vorinstanz stellte fest, dass die Abwesenheit des Beschwerdegegners gerechtfertigt war. Zudem sollte das Arbeitsverhältnis gemäss der Vereinbarung vom 12. Oktober 2020 ohnehin bald enden (Arbeitspflicht bis 15. Oktober 2020, Vertragsende 15. November 2020). Die Vorinstanz gelangte zur Überzeugung, dass der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Kündigungsgrund (Stellenaufgabe) lediglich ein Vorwand war. Der wahre Grund für die fristlose Kündigung sei vielmehr der Wunsch des neuen interimistischen Generalsekretärs D._ gewesen, Mitarbeiter zu entfernen, die seinen Vorgänger C._ unterstützt hatten und ihm nicht genehm waren. Diesen wahren Grund hielt die Vorinstanz nicht für wichtig im Sinne von Art. 337 OR.
- Entscheid des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bestätigt, dass die Bestimmung des Kündigungsgrundes eine Sachfrage ist, die nur auf Willkür hin geprüft wird. Die Beschwerdeführerin rügte bzw. belegte nicht, dass die vorinstanzliche Feststellung, der Kündigungsgrund sei ein Vorwand gewesen und der wahre Grund liege in der politischen Motivation des neuen Generalsekretärs, willkürlich sei. Da der vom Arbeitgeber vorgebrachte Kündigungsgrund somit als nicht zutreffend erachtet wurde und der wahre Grund keine wichtigen Gründe darstellt, konnte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht zum Schluss kommen, dass die fristlose Kündigung ungerechtfertigt war.
5.3. Höhe der Entschädigung (Art. 337c Abs. 3 OR)
- Rechtliche Grundlage: Bei ungerechtfertigter fristloser Kündigung kann der Richter dem Arbeitnehmer eine Entschädigung zusprechen, deren Höhe er nach freiem Ermessen festsetzt, maximal jedoch sechs Monatslöhne. Diese Entschädigung hat sowohl reparatorischen als auch pönalen Charakter. Bei der Bemessung sind alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Schwere des Verschuldens des Arbeitgebers, die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers, die Art und Weise der Kündigung, die Dauer des Arbeitsverhältnisses, das Alter, die soziale Lage und die wirtschaftlichen Auswirkungen. Das Bundesgericht überprüft Ermessensentscheide der Vorinstanz nur zurückhaltend und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz ohne Grund von den Regeln der Rechtsprechung abweicht, irrelevante Tatsachen berücksichtigt oder relevante ignoriert, oder wenn das Ergebnis offensichtlich ungerecht oder stossend unbillig ist.
- Vorinstanzliche Würdigung: Die Vorinstanz setzte die Entschädigung auf CHF 79'680 fest, was sechs Monatslöhnen des Beschwerdegegners entspricht. Sie begründete dies mit der objektiven Schwere des Arbeitgeberverschuldens: Der vorgeschobene Kündigungsgrund war ein Vorwand; der neue Generalsekretär D.__ handelte aus politischen Motiven, um einen vermeintlichen Gegner zu entfernen, obwohl er wusste, dass der Mitarbeiter krankgeschrieben war (was das Zerreissen des Zeugnisses belegt). Die Organisation versiegelte das Büro und entzog die Zugänge, obwohl das Arbeitsverhältnis kurz vor der ordentlichen Beendigung stand. Der Mitarbeiter war fast 10 Jahre im Dienst und hatte stets zufriedenstellend gearbeitet. Es gab keine vorherige Abmahnung oder Aufforderung zur Rückkehr.
- Entscheid des Bundesgerichts: Das Bundesgericht stellt fest, dass die Vorinstanz bei der Bemessung der Entschädigung alle wichtigen Umstände berücksichtigt hat und keine irrelevanten Elemente einbezog. Die vorinstanzliche Begründung des Arbeitgeberverschuldens (Vorwand, politische Motivation, Zerreissen des Zeugnisses, Versiegelung des Büros etc.) ist nachvollziehbar. Die Beschwerdeführerin beschränkte sich auch hier auf appellatorische Kritik und legte ihre eigene Sicht der Dinge dar, ohne jedoch darzulegen, dass die vorinstanzliche Entscheidung zu einem offensichtlich ungerechten oder stossend unbilligen Ergebnis geführt hätte. Die zugesprochene Entschädigung liegt im gesetzlichen Rahmen (max. 6 Monatslöhne), stützt sich auf relevante Kriterien und stellt keinen Ermessensmissbrauch dar. Eine Verletzung von Art. 337c Abs. 3 OR liegt nicht vor.
6. Ergebnis
Das Bundesgericht weist die Beschwerde, soweit darauf einzutreten war, ab. Die Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten und muss den Beschwerdegegner entschädigen.
7. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Die wesentlichen Punkte des Urteils sind:
- Das Bundesgericht bestätigte, dass keine Stellenaufgabe des Arbeitnehmers vorlag, da seine Abwesenheit durch Arbeitsunfähigkeit gerechtfertigt war und der Arbeitgeber sein Verhalten nach Treu und Glauben nicht als definitive Arbeitsverweigerung verstehen konnte, insbesondere da er das ärztliche Zeugnis erhalten hatte und keine Mahnung erfolgte.
- Die fristlose Kündigung wurde als ungerechtfertigt erachtet. Das Bundesgericht stützte sich dabei auf die vorinstanzliche Feststellung, dass der als Grund angegebene Stellenverlass nur ein Vorwand war und die Kündigung in Wirklichkeit auf dem Wunsch der neuen Führung basierte, missliebige Mitarbeiter zu entfernen. Dieser wahre Kündigungsgrund stellt keinen wichtigen Grund im Sinne von Art. 337 OR dar.
- Die Höhe der zugesprochenen Entschädigung für ungerechtfertigte fristlose Kündigung (6 Monatslöhne) wurde als nicht unverhältmässig bestätigt. Die Vorinstanz hatte ihr Ermessen korrekt ausgeübt und dabei das schwerwiegende Verschulden des Arbeitgebers (insbesondere die Vorwandkündigung aus politischen Motiven und das Verhalten nach Bekanntwerden der Krankheit) angemessen berücksichtigt.
Das Urteil bekräftigt die hohen Anforderungen an die fristlose Kündigung und die limitierte Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Sachverhaltsfeststellungen und Ermessensentscheiden der Vorinstanzen, sofern keine Willkür vorliegt. Es unterstreicht zudem, dass ein vorgeschobener Kündigungsgrund die Entlassung als ungerechtfertigt qualifiziert, selbst wenn möglicherweise andere, nicht ins Feld geführte Gründe vorliegen könnten.