Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_696/2024 vom 13. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts 8C_696/2024 vom 13. Mai 2025:

Bundesgericht, Urteil 8C_696/2024 vom 13. Mai 2025

Einleitung: Das Urteil des Bundesgerichts (IV. Öffentlich-rechtliche Abteilung) vom 13. Mai 2025, Geschäftsnummer 8C_696/2024, betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Bereich der Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV/IV. Streitig ist die Berechnung des EL-Anspruchs der Beschwerdeführerin, insbesondere die Berücksichtigung einer Forderung ihres Ehemanns als Vermögensverzicht (dessaisissement de fortune).

Sachverhalt: Die 1944 geborene Beschwerdeführerin A.A. und ihr 1942 geborener Ehemann B.A. beziehen AHV-Renten. Seit August 2018 lebt A.A. in einem Alters- und Pflegeheim (APH). Ab September 2018 richtete die kantonale AHV-Ausgleichskasse Waadt (Intimierte) den Ehegatten EL aus. In der Berechnung wurde eine Forderung von CHF 121'266 des Ehemanns gegenüber einer in den USA wohnhaften Person (C.__) als Vermögen berücksichtigt. Dieses Darlehen wurde am 5. Oktober 2005 gewährt, mit Gerichtsstand Schweiz und Anwendung schweizerischen Rechts. Bis September 2018 waren keine Rückzahlungen erfolgt.

Nach mehreren EL-Verfügungen erliess die Kasse am 20. Januar 2023 neue Verfügungen, in denen sie anstelle des Darlehens einen Vermögensverzicht berücksichtigte, was ab 2025 zu einem jährlichen Abzug von CHF 10'000 führte. Die Beschwerdeführerin erhob Einsprache, mit der Begründung, das Darlehen sei als unfreiwilliger Vermögensverlust zu betrachten, da ihr Ehemann erfolglos versucht habe, die Schuld einzutreiben. Mit Einspracheentscheiden vom 18. August 2023 gab die Kasse der Einsprache teilweise statt. Der jährliche Abzug von CHF 10'000 für den Vermögensverzicht sollte nun ab dem 1. Januar 2024 erfolgen. Zudem wurde das Vermögen per 1. Februar 2023 aktualisiert und die EL-Beträge neu festgelegt. Dabei wurde ein Reinvermögen von CHF 63'618 berücksichtigt (Bankkonten, Wertpapiere, der Vermögensverzicht aus dem Darlehen, abzüglich Schulden gegenüber dem APH und dem Freibetrag für Ehepaare von CHF 60'000).

Vorinstanz (Kantonales Sozialversicherungsgericht Waadt): Das kantonale Sozialversicherungsgericht Waadt hiess die Beschwerde der A.A. mit Urteil vom 18. Oktober 2024 nur sehr teilweise gut. Es wendete das alte ELG (aELG) an, da dieses für die Beschwerdeführerin günstiger sei (Übergangsbestimmung der ELG-Revision). Das Gericht bestätigte im Wesentlichen die Berechnung der Kasse, nahm aber eine Korrektur bezüglich der Höhe der Schulden gegenüber dem APH vor. Gestützt auf die eingereichten Belege berücksichtigte es per 1. Februar 2023 höhere APH-Schulden (CHF 20'105.45 anstelle von CHF 13'032). Dies führte zu einem geringfügig höheren EL-Anspruch von CHF 4'094 pro Monat ab 1. Februar 2023.

Das kantonale Gericht stützte sich für die Behandlung des Darlehens auf Art. 9 Abs. 3 aELG. Diese Bestimmung gilt für Ehepaare, bei denen ein oder beide Ehegatten dauerhaft oder für längere Zeit wegen Pflegebedürftigkeit in einem Heim oder Spital leben. In solchen Fällen werden die EL für jeden Ehegatten getrennt berechnet, wobei das Vermögen des Ehepaares hälftig aufgeteilt wird. Das Gericht befand, dass es nicht entscheidend sei, dass die Beschwerdeführerin nicht Vertragspartei des Darlehensvertrags war. Es stellte fest, dass trotz der Bemühungen des Ehemanns zwischen 2006 und 2009 sowie 2012 keine Rückzahlung erfolgt sei. Allerdings hätte gerichtliche Schritte unternommen werden können, um die Forderung einzutreiben oder die Verjährung zu unterbrechen. Das Gericht wertete eine E-Mail der Schuldnerin vom August 2012 als Schuldanerkennung im Sinne von Art. 135 OR, wodurch die Verjährung unterbrochen wurde und eine neue Frist bis August 2022 lief. Da bis zur Verjährung keine Massnahmen zur Beitreibung oder Verjährungsunterbrechung getroffen wurden, sei die Forderung bis zu diesem Zeitpunkt eintreibbar gewesen. Erst ab dem Zeitpunkt, als die Ehegatten explizit auf die Rückzahlung verzichteten (Dezember 2022), habe ein Vermögensverzicht vorgelegen. Die Kasse habe das Darlehen daher ab 1. Dezember 2022/1. Januar 2023 zu Recht als Vermögensverzicht qualifiziert. Der Betrag sei zunächst voll zu berücksichtigen und erst ab 2024 jährlich um CHF 10'000 zu reduzieren (gemäss Art. 17a Abs. 1 ELV a.F.).

Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht: Die Beschwerdeführerin verlangte vor Bundesgericht eine Reform des kantonalen Urteils dahingehend, dass ihr ab 1. Januar 2023 EL in Höhe von CHF 4'961 zugesprochen werden. Eventualiter beantragte sie die Aufhebung des kantonalen Urteils und Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung. Sie beantragte zudem unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen des Bundesgerichts:

  1. Zulässigkeit: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerde frist- und formgerecht eingereicht wurde und gegen ein letztinstanzliches kantonales Urteil in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit gerichtet ist, mithin zulässig ist.

  2. Überprüfungsumfang: Das Bundesgericht prüft die Rechtsanwendung von Amtes wegen, ist aber durch die Rügen der Beschwerdeführerin beschränkt, ausser bei offensichtlichen Rechtsfehlern. Es legt den Sachverhalt zugrunde, wie er von der Vorinstanz festgestellt wurde, es sei denn, dieser wurde offensichtlich unrichtig oder rechtswidrig festgestellt.

  3. Anwendbares Recht: Das Bundesgericht bestätigte die Anwendung des alten ELG (aELG) durch die Vorinstanz, da dies für die Beschwerdeführerin günstiger war. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet.

  4. Berechnung der EL und Vermögensverzicht:

    • Die EL entsprechen dem Anteil der anerkannten Ausgaben, der die anrechenbaren Einnahmen übersteigt (Art. 9 Abs. 1 aELG).
    • Zu den Einnahmen zählt u.a. ein Zehntel des Reinvermögens, soweit es bei Ehepaaren CHF 60'000 übersteigt (Art. 11 Abs. 1 lit. c aELG).
    • Ein Vermögensverzicht liegt vor, wenn auf Einkommens- oder Vermögensbestandteile ohne rechtliche Pflicht oder gleichwertige Gegenleistung verzichtet wird (ständige Rechtsprechung). Der Verzicht wird im EL-Berechnung für maximal 10 Jahre berücksichtigt, wobei der Betrag jährlich um CHF 10'000 reduziert wird (Art. 17a Abs. 1 und 2 ELV a.F.).
  5. Hauptstreitpunkt: Vermögensverzicht durch Nicht-Einfordern des Darlehens:

    • Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung von Bundesrecht und eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts, indem die Vorinstanz einen Vermögensverzicht annahm. Sie machte geltend, die Forderung sei uneinbringlich gewesen und weder sie noch ihr Ehemann seien dafür verantwortlich. Ihr Ehemann habe Versuche unternommen, die Schuld einzutreiben.
    • Das Bundesgericht wies dieses Argument zurück. Es hielt fest, dass die Behauptungen der Beschwerdeführerin bezüglich der vergangenen Eintreibungsversuche unerheblich seien, was die Verjährung im August 2022 betreffe. Die Beschwerdeführerin habe nicht dargelegt, dass ihr Ehemann die nötigen Schritte unternommen hätte, um die Verjährung vor diesem Zeitpunkt zu unterbrechen. Im Gegenteil, sie habe behauptet, die Forderung sei ohnehin seit mehreren Jahren uneinbringlich gewesen und eine Klage in der Schweiz wäre unnötig gewesen.
    • Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass die E-Mail der Schuldnerin vom August 2012 als Schuldanerkennung gemäss Art. 135 OR zu werten sei, die die Verjährung unterbrach und eine neue zehnjährige Frist bis August 2022 in Gang setzte.
    • Da bis zum Eintritt der Verjährung (August 2022) keine weiteren Schritte zur Eintreibung oder Unterbrechung unternommen wurden, obwohl die Forderung bis dahin eintreibbar war, konnte die Forderung bis zu diesem Zeitpunkt als Vermögen berücksichtigt werden. Der spätere Verzicht auf weitere Schritte oder die tatsächliche Verjährung führte zur Qualifizierung als Vermögensverzicht. Die Berücksichtigung ab Dezember 2022/Januar 2023 war korrekt.
    • Das Bundesgericht verneinte auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Vorinstanz durfte die beantragten Zeugeneinvernahmen (Ehemann, Sohn) im Rahmen einer antizipierten Beweiswürdigung ablehnen, da die vagen Behauptungen der Beschwerdeführerin über die Uneinbringlichkeit der Forderung durch diese Zeugenaussagen voraussichtlich nicht entscheidend hätten belegt werden können.
  6. Anwendung von Art. 9 Abs. 3 aELG (Ehepaare mit einem Partner im Heim):

    • Die Beschwerdeführerin argumentierte subsidiär, es hätte eine getrennte Berechnung für jeden Ehegatten gemäss den allgemeinen Regeln für getrennt lebende Ehegatten (Art. 4 Abs. 2 aELG) erfolgen müssen, da sie seit 2018 dauerhaft im Heim lebe und eine Rückkehr ausgeschlossen sei. Die Anwendung von Art. 9 Abs. 3 aELG sei eine Ausnahme, da ihr ein Darlehen als Vermögen angerechnet werde, dessen Gläubigerin sie nicht sei, was ihre EL reduziere und ihre APH-Schulden erhöhe.
    • Das Bundesgericht wies auch dieses Argument zurück. Es stellte klar, dass Ehepaare, bei denen ein Ehegatte aus Pflegebedürftigkeit dauerhaft im Heim lebt, EL-rechtlich nicht als freiwillig getrennt lebend gelten. Für diese spezielle Situation gelte Art. 9 Abs. 3 aELG als lex specialis. Gemäss dieser Bestimmung wird das Gesamtvermögen des Ehepaares für die EL-Berechnung hälftig aufgeteilt und jedem Ehegatten zugerechnet, unabhängig davon, wem die Vermögenswerte ursprünglich gehörten oder wie sie entstanden sind (z.B. durch ein Darlehen des Ehemanns). Die Anrechnung der Hälfte des (später als Vermögensverzicht qualifizierten) Darlehens auf das Vermögen der Beschwerdeführerin entsprach somit dem Gesetz.
  7. Parteientschädigung (Dépens) im kantonalen Verfahren:

    • Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung von Art. 61 lit. g ATSG, da die Vorinstanz ihr trotz teilweiser Gutheissung ihrer Beschwerde keine Parteientschädigung zugesprochen hatte.
    • Das Bundesgericht hielt fest, dass die Vorinstanz ohne Bundesrechtsverletzung eine Parteientschädigung ablehnen konnte. Die Beschwerdeführerin hatte nur sehr teilweise Obsiegen, und dies auch noch aus einem Grund (Höhe der APH-Schulden), den sie in ihrer kantonalen Beschwerde gar nicht gerügt hatte. Ihre eigenen Argumente wurden zurückgewiesen.
  8. Schlussfolgerung: Das Bundesgericht wies die Beschwerde als unbegründet ab. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt. Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wurde gutgeheissen, da die Voraussetzungen erfüllt waren. Ihre Rechtsvertreterin wurde als amtliche Anwältin bestellt und erhielt eine Entschädigung aus der Gerichtskasse.

Zusammenfassende wesentliche Punkte:

  • Das Bundesgericht wendete das alte ELG (aELG) an, da es für die Beschwerdeführerin günstiger war.
  • Eine Forderung des Ehemanns, die bis zum Eintritt der Verjährung nicht energisch genug eingefordert wurde, wird EL-rechtlich als Vermögensverzicht behandelt.
  • Eine E-Mail der Schuldnerin, die eine Rückzahlungsabsicht bekundete, wurde als Schuldanerkennung gemäss Art. 135 OR gewertet, die die Verjährung unterbrach und eine neue Frist in Gang setzte.
  • Für Ehepaare, bei denen ein Ehegatte aus Pflegebedürftigkeit im Heim lebt, gilt Art. 9 Abs. 3 aELG als Spezialbestimmung. Gemäss dieser Norm wird das Gesamtvermögen des Paares EL-rechtlich hälftig aufgeteilt und angerechnet, unabhängig davon, wem die Vermögenswerte zuzuordnen sind.
  • Die hälftige Anrechnung des (als Vermögensverzicht qualifizierten) Darlehens auf das Vermögen der Beschwerdeführerin war gesetzeskonform, obwohl sie nicht Gläubigerin der Forderung war.
  • Die Vorinstanz durfte die beantragten Zeugeneinvernahmen ablehnen und die Kosten im kantonalen Verfahren verweigern, da die Beschwerdeführerin nur minimal und aus einem nicht geltend gemachten Grund obsiegte.
  • Die Beschwerde wurde vollumfänglich abgewiesen.