Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_276/2024 vom 22. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 9C_276/2024 des Schweizerischen Bundesgerichts:

Einleitung und Streitgegenstand

Das Urteil des Bundesgerichts 9C_276/2024 vom 22. Mai 2025 betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) nach dem Krankenversicherungsgesetz (KVG). Die Beschwerdeführerin, Association A._ (ein Verein, der Ausbildungen und Dienstleistungen im Bereich Betreuung für gesundes Altern anbietet), forderte von der Beschwerdegegnerin, ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG, die Übernahme von Kosten für im Jahr 2022 erbrachte (Spitex-) Leistungen zugunsten einer Patientin (B._). Die ÖKK hatte die Zahlung für diese Leistungen verweigert. Nachdem ein Betreibungs- und Schlichtungsverfahren erfolglos geblieben war, klagte die Association A.__ vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden als Schiedsgericht nach Art. 89 KVG. Das Schiedsgericht wies die Klage ab, soweit darauf eingetreten wurde. Die Beschwerdeführerin focht dieses Urteil vor dem Bundesgericht an.

Massgebende gesetzliche Bestimmungen

Der Fall dreht sich um die Voraussetzungen für die Kostenübernahme von Leistungen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause (Spitex) durch die OKP. Massgebend sind dabei insbesondere: * Art. 25 KVG: Definiert die von der OKP übernommenen Leistungen, einschliesslich Massnahmen bei Hausbesuchen durch Personen, die auf Anordnung oder im ärztlichen Auftrag Leistungen erbringen (Abs. 2 lit. a Ziff. 3). * Art. 25a KVG: Regelt den Beitrag der OKP an Pflegeleistungen aufgrund ärztlicher Anordnung und ausgewiesenem Pflegebedarf. Der Bundesrat bezeichnet die Leistungen, regelt die Bedarfsermittlung und legt die Beiträge fest. Die Pflegeleistungen müssen in notwendiger Qualität, effizient und kostengünstig erbracht werden (Abs. 1, 3, 4). * Art. 33 lit. b KVV: Ermächtigt das Eidgenössische Departement des Innern (EDI), die Einzelheiten der Leistungen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause festzulegen. * Art. 7 ff. KLV: Konkretisiert die Leistungen gemäss Art. 25a KVG und Art. 33 lit. b KVV. Art. 7 Abs. 1 lit. a KLV bestimmt, dass Leistungen auf Grundlage der Bedarfsabklärung und ärztlicher Anordnung/Auftrag von Pflegefachfrauen/-männern (Art. 49 KVV) übernommen werden. Art. 7 Abs. 2 KLV nennt die Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination (lit. a), Untersuchung und Behandlung (lit. b) sowie der Grundpflege (lit. c). Zu Letzteren gehören u.a. Hilfe bei Mund- und Körperpflege, An-/Auskleiden, Essen/Trinken. Für nicht-diplomiertes Personal sind diese Leistungen nur unter Anleitung und Aufsicht von Pflegefachpersonen vergütungsfähig. * Art. 51 KVV: Listet die Voraussetzungen für die Zulassung von Organisationen zur Krankenpflege und Hilfe zu Hause auf. Dazu gehört u.a., dass sie über das erforderliche Fachpersonal verfügen, das eine dem Tätigkeitsbereich entsprechende Ausbildung hat (lit. c). * Art. 8 ZGB: Regelt die allgemeine Beweislast.

Argumente der Beschwerdeführerin und Beurteilung durch das Bundesgericht

Die Beschwerdeführerin rügte im Wesentlichen drei Punkte:

  1. Umfang der Klage und Schlichtungsverfahren:

    • Argument: Das Schiedsgericht habe zu Unrecht die Klage auf den Betrag beschränkt, der bereits Gegenstand des vorgängigen Schlichtungsverfahrens war (Fr. 17'833.90 für Jan-Aug 2022), und sei auf spätere Forderungen (Sept-Dez 2022) nicht eingetreten. Dies verletze Art. 89 Abs. 5 KVG, der ein einfaches und rasches Verfahren vorschreibe, da sie nun für die späteren Monate ein neues, aussichtsloses Schlichtungsverfahren führen müsse.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht verweist auf seine ständige Rechtsprechung (bereits unter dem KUVG, BGE 103 V 145 E. 2 bestätigt), wonach das Schiedsgericht nur über diejenigen Forderungen urteilen darf, die bereits im Schlichtungsverfahren Streitgegenstand waren. Die Vorschrift eines Schlichtungsverfahrens steht dem Erfordernis eines einfachen und raschen Verfahrens gemäss Art. 89 Abs. 5 KVG nicht entgegen (Urteil 9C_979/2008 E. 4.3 f.). Die Beschränkung des Klageumfangs durch die Vorinstanz war daher rechtmässig. -> Rüge unbegründet.
  2. Verletzung des rechtlichen Gehörs und Anwendung kantonalen Rechts (Art. 29 VOzKPG/GR):

    • Argument: Das Schiedsgericht sei nicht auf ihr Vorbringen eingegangen, dass Art. 29 der kantonalen Verordnung zum Krankenpflegegesetz Graubünden (VOzKPG/GR), welcher für pflegende Angehörige ein SRK-Zertifikat verlangt, bundesrechtswidrig sei und die Kompetenzordnung verletze. Die Anforderung eines Pflegehelferkurses gehe über die bundesrechtlichen Vorgaben (Art. 51 lit. c KVV, ausreichendes Anlernen genügt) hinaus.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht prüft die Gehörsrüge vorab. Es stellt fest, dass die Vorinstanz Art. 29 VOzKPG/GR gar nicht angewendet hat. Das Schiedsgericht hielt ausdrücklich fest, dass für den relevanten Zeitraum ein gewisses Anlernen für die Grundpflegeleistungen ausreichend gewesen sei, und liess offen, ob Art. 29 VOzKPG/GR grundsätzlich bundesrechtswidrig sei. Da die kantonale Bestimmung nicht angewendet wurde, kann das Schiedsgericht durch deren Anwendung kein Bundesrecht verletzt haben. Die Frage der abstrakten Normenkonformität von Art. 29 VOzKPG/GR ist zudem keine Aufgabe eines Schiedsgerichts nach eidgenössischem Sozialversicherungsrecht, sondern gegebenenfalls Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle oder eines anderen Verfahrens (Urteil 9C_479/2013 E. 2, 4). Da die Vorinstanz die strittige Norm nicht anwendete, liegt auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, indem sie deren (Nicht-)Anwendung nicht weiter begründete. -> Rüge unbegründet.
  3. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Qualifikation des Personals, Anleitung und Aufsicht):

    • Argument: Die Vorinstanz habe willkürlich bzw. offensichtlich unrichtig festgestellt, dass die eingesetzten pflegenden Personen (insb. C._ und D._) nicht ausreichend qualifiziert seien und dass die Beschwerdeführerin ihren Pflichten zur Anleitung, Aufsicht und Kontrolle nicht nachgekommen sei. Die Schlussfolgerung aus angeblich ungenügender Dokumentation, dass die Anleitung und Aufsicht selbst ungenügend sei, verletze zudem Art. 51 lit. c KVV, welcher keine Dokumentationspflicht vorschreibe.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht legt seinem Urteil grundsätzlich den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Rüge offensichtlicher Unrichtigkeit oder Willkür muss detailliert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG, strenges Rügeprinzip).
      • Qualifikation C.__: Das Schiedsgericht hielt fest, dass der Ausbildungsnachweis von C._ nicht unterzeichnet war und nicht ersichtlich sei, ob ein Pflegehelferkurs abgeschlossen wurde oder ein ausreichendes Anlernen durch qualifiziertes Personal stattfand. Die Beschwerdeführerin greift diese konkrete Begründung nicht substanziiert an, sondern erhebt nur pauschal Willkürvorwürfe. Die blosse Behauptung, Unterlagen indizierten ein Anlernen, reicht nicht aus. Mangels substanziierter Rüge ist die vorinstanzliche Feststellung, C._ sei nicht ausreichend ausgebildet/angelernt gewesen, für das Bundesgericht verbindlich. -> Rüge unbegründet.
      • Qualifikation D.__: Die Vorinstanz stellte fest, D._ habe zwar einen SRK-Kurs absolviert, werde aber in der Pflegedokumentation nicht namentlich erwähnt, sondern nur als "Tochter/Familie". Da die Patientin gemäss Feststellungen mehrere Töchter hatte, sei nicht erwiesen, dass D.__ die Leistungen erbrachte. Die Beschwerdeführerin behauptet, nur D._ habe die Pflege übernommen. Diese blosse Behauptung ohne Nachweis, dass die Feststellung der Vorinstanz über mehrere Töchter oder die mangelnde namentliche Nennung willkürlich sei, genügt nicht. -> Rüge unbegründet.
      • Anleitung und Aufsicht: Das Bundesgericht bestätigt die vorinstanzliche Prämisse, dass eine Spitex-Organisation ein Weisungs- und Kontrollverhältnis zu ihrem Personal unterhalten muss, um die qualitative Leistungserbringung zu gewährleisten (Art. 51 KVV, Art. 58g KVV, Art. 36a KVG). Es trifft zu, dass Art. 51 lit. c KVV keine explizite Dokumentationspflicht für Anleitung und Aufsicht enthält. Die Vorinstanz schloss jedoch nicht allein aus der Dokumentation auf deren Mangelhaftigkeit, sondern stellte generell fest, dass in den vorgelegten Unterlagen keine konkreten Angaben zur Anleitung und Aufsicht zu finden waren und diese mangels Nachweises als dürftig und unzureichend zu betrachten seien, insbesondere da das Personal teilweise in Ausbildung war. Die Beschwerdeführerin hat weder im vorinstanzlichen Verfahren noch vor Bundesgericht substanziiert dargelegt, wie sie die Anleitung und Aufsicht konkret umgesetzt hat (z.B. Inhalt, Regelmässigkeit). Die allgemeine Behauptung von monatlichen Besuchen mit Evaluation reicht nicht aus, um die Feststellung der Vorinstanz zu widerlegen, dass der Nachweis für eine ausreichende Anleitung und Aufsicht fehlt. Das Bundesgericht betont, dass die Beweislast (Art. 8 ZGB) für das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen (d.h. qualifiziertes Personal oder Anlernen/Aufsicht durch solches) beim Leistungserbringer (Beschwerdeführerin) liegt. Da dieser Nachweis nicht erbracht wurde, verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie die Vergütungspflicht der OKP verneint. -> Rüge unbegründet.

Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass das Schiedsgericht weder das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt, noch den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt oder sonstiges Bundesrecht verletzt hat. Die Beschwerde wird vollumfänglich abgewiesen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht wies die Beschwerde der Association A.__ gegen die ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG bezüglich der Kostenübernahme für Spitexleistungen ab. Wesentliche Punkte des Urteils sind:

  1. Umfang der Schiedsgerichts Zuständigkeit: Das Schiedsgericht darf nur über Forderungen urteilen, die bereits Gegenstand des vorgängigen Schlichtungsverfahrens waren. Dies steht dem Erfordernis eines einfachen und raschen Verfahrens nach Art. 89 Abs. 5 KVG nicht entgegen.
  2. Anwendung kantonalen Rechts: Das Schiedsgericht hat die strittige kantonale Norm (Art. 29 VOzKPG/GR betreffend SRK-Zertifikat) nicht angewendet. Eine Rüge der Bundesrechtswidrigkeit dieser Norm ist daher im Rahmen dieses Verfahrens gegen das Urteil des Schiedsgerichts unbehelflich, da die Norm der Beschwerdeführerin nicht zum Nachteil gereichte. Die abstrakte Normenkonformität kantonalen Rechts ist nicht Aufgabe des Schiedsgerichts.
  3. Qualifikation des Personals sowie Anleitung und Aufsicht: Die Vergütung von Pflegeleistungen durch die OKP setzt qualifiziertes Personal voraus, wobei auch angelerntes Personal unter ausreichender Anleitung und Aufsicht von qualifizierten Fachpersonen zulässig ist. Die Beweislast dafür, dass die eingesetzten Personen qualifiziert waren oder ausreichend angeleitet und beaufsichtigt wurden, liegt beim Leistungserbringer. Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Feststellung, dass die Beschwerdeführerin diesen Nachweis nicht erbringen konnte, und wies die Rügen willkürlicher Sachverhaltsfeststellung mangels substanziierter Begründung zurück.

Da die Voraussetzungen für die Leistungspflicht der OKP (insbesondere bzgl. Personalqualifikation bzw. Anleitung/Aufsicht) als nicht erfüllt erachtet wurden, wurde die Klage auf Kostenübernahme abgewiesen.