Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 9C_655/2024 vom 9. Mai 2025:
1. Einführung und Gegenstand des Verfahrens
Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (Aktenzeichen 9C_655/2024) befasst sich mit der Frage des steuerrechtlichen Wohnsitzes eines Ehepaars (A.A._ und B.A._) und der daraus resultierenden Besteuerungsform für die Steuerperioden 2015 und 2016 (Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich sowie direkte Bundessteuer). Streitig war, ob die Eheleute gemeinsam oder getrennt zu besteuern seien. Das Kantonale Steueramt Zürich hatte Nachsteuern und Bussen (gegen den Ehemann) auferlegt, basierend auf der Annahme, der Ehemann habe seinen Wohnsitz in der Schweiz behalten, obwohl er einen Wegzug ins Fürstentum Liechtenstein und eine Trennung geltend machte. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hatte diese Verfügungen bestätigt. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2024 legten die Eheleute Beschwerde beim Bundesgericht ein.
2. Sachverhalt (massgebende Punkte)
- Die Eheleute waren verheiratet und hatten drei minderjährige Kinder. Sie bewohnten eine Liegenschaft des Ehemannes in U.__/ZH.
- Für die Steuererklärungen 2015 und 2016 gab der Ehemann an, seit 1. Februar 2015 getrennt von seiner Ehefrau zu leben und seine neue Wohnadresse sei in V.__, Fürstentum Liechtenstein.
- Die Eheleute wurden zunächst für die Jahre 2015 und 2016 getrennt eingeschätzt/veranlagt (A.a und A.b). Diese Entscheide erwuchsen in Rechtskraft.
- Im Jahr 2023 leitete das Steueramt Zürich ein Nachsteuerverfahren ein, da der Verdacht bestand, die behauptete Trennung und der Wegzug des Ehemannes nach Liechtenstein entsprächen nicht den tatsächlichen Verhältnissen (A.c).
- Nach Abklärungen kam das Steueramt zum Schluss, dass der Ehemann seinen Wohnsitz nicht nach Liechtenstein verlegt habe und die Eheleute für 2015 und 2016 gemeinsam zu besteuern seien. Entsprechend wurden Nachsteuern und Bussen (gegen den Ehemann) auferlegt (A.d).
- Einsprachen der Eheleute wurden abgewiesen (A.e).
- Das Verwaltungsgericht Zürich bestätigte die Nachsteuern und Bussen und wies die Rekurse/Beschwerden der Eheleute ab (B).
- Das Bundesgericht hatte im Rahmen des Verfahrens bereits im November 2024 ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen und aufschiebende Wirkung abgewiesen (C.b). Ferner wurde der Ehemann im separaten Bussenverfahren vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen (C.b), was jedoch das Nachsteuerverfahren selbst unberührt lässt.
3. Rechtliche Argumente und Begründung des Gerichts
Das Bundesgericht prüfte in erster Linie die Frage des steuerrechtlichen Wohnsitzes des Ehemannes für die relevanten Steuerperioden 2015 und 2016. Die Klärung des Wohnsitzes ist entscheidend für die Frage der persönlichen Steuerpflicht in der Schweiz und die Anwendbarkeit der gemeinsamen oder getrennten Besteuerung von Ehegatten.
3.1. Steuerrechtlicher Wohnsitz (Direkte Bundessteuer und Staats-/Gemeindesteuern)
- Rechtliche Grundlagen: Das Gericht rekurriert auf Art. 3 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) sowie Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG). Diese Bestimmungen verweisen auf den zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff gemäss Art. 23 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB), auch wenn sie nicht direkt darauf verweisen (E. 4.1.1). Art. 3 Abs. 2 StHG ist harmonisiertes kantonales Steuerrecht, weshalb der Wohnsitzbegriff für die Staats- und Gemeindesteuern (§ 3 Abs. 2 StG/ZH) identisch ist und gleich wie Bundesrecht geprüft wird (E. 2.1, E. 5).
- Bestimmung des Wohnsitzes: Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung (grundlegend BGE 97 II 1, neuere Bestätigungen in BGE 150 II 244, 148 II 285 etc.) bestimmt sich der Wohnsitz nicht nach dem inneren Willen der Person ("Absicht dauernden Verbleibens"), sondern objektiv nach der Gesamtheit der für Dritte erkennbaren Tatsachen, in denen sich diese Absicht manifestiert. Der steuerrechtliche Wohnsitz befindet sich dort, wo sich im Lichte dieser Tatsachen der "Mittelpunkt der Lebensinteressen" (Lebensmittelpunkt) der betroffenen Person befindet (E. 4.1.2).
- Mehrere Kontakte: Hat eine Person Kontakte zu mehreren Orten, liegt der Wohnsitz dort, wo die stärkeren Beziehungen bestehen (E. 4.1.3). Ein Wohnsitz kann nicht an mehreren Orten gleichzeitig bestehen (E. 4.1.3). Für eine Wohnsitzverlegung ins Ausland ist es nicht ausreichend, die Verbindungen zum bisherigen Wohnsitz zu lösen; die Person muss überwiegende Beziehungen zum neuen Ort etabliert haben, die wichtiger erscheinen als jene zum alten Wohnsitz (BGE 150 II 244 E. 5.6.5; E. 4.1.3).
- Würdigung der Fakten durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig oder rechtsverletzend ist (E. 2.2). Gestützt auf die bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts (E. 4.2.1) prüfte das Bundesgericht, wo der Lebensmittelpunkt des Ehemannes lag:
- Fakten zugunsten Verbleib in U.__/ZH: Die drei minderjährigen Kinder wohnten weiterhin im elterlichen Wohnhaus in U._/ZH, das dem Ehemann gehörte. Nach seinen eigenen Angaben übernachtete er häufig in U._/ZH und konnte die Kinder dort sehen, wann immer er wollte. Seine damalige Partnerin wohnte in der Schweiz. Seine selbständige Erwerbstätigkeit übte er über ein Büro in W._/ZH aus (nur 15 Autominuten von U._/ZH entfernt). Mehrere seiner Gesellschaften hatten Sitz an dieser Büroadresse.
- Fakten zugunsten V.__/LI: Er erwarb im März 2015 eine 3½-Zimmer-Eigentumswohnung in V._/LI. Er bewohnte diese alleine. Für die Kinder standen dort lediglich behelfsmässige Übernachtungsmöglichkeiten (Auszugssofas/Klappbetten) zur Verfügung. Er pflegte in V._/LI lose kollegiale Kontakte zu Nachbarn. Die von ihm als Zeugen für seinen Aufenthalt in Liechtenstein vorgeschlagenen Personen wohnen in der Schweiz. Die Entfernung von V._/LI zu seinem Büro in W._/ZH beträgt 80 Autominuten.
- Schlussfolgerung zum Wohnsitz: Das Bundesgericht schloss sich der Vorinstanz an und kam zum Ergebnis, dass die familiären Beziehungen (Kinder) und der Arbeitsort (Büro in W._/ZH und dessen Nähe zu U._/ZH) stark darauf hindeuteten, dass der Ehemann seinen Lebensmittelpunkt in den Jahren 2015 und 2016 weiterhin in U._/ZH hatte. Die Kontakte und die Wohnung in V._/LI waren im Vergleich dazu weniger gewichtig. Da die notwendigen überwiegenden Beziehungen zum neuen Ort (Liechtenstein) nicht etabliert waren, war die Annahme des Steuerwohnsitzes in U.__/ZH durch die Vorinstanz bundesrechtlich nicht zu beanstanden (E. 4.2.2).
- Folge für die Besteuerungsform: Da der Ehemann seinen Steuerwohnsitz in der Schweiz behalten hat, waren die Eheleute – unabhängig von der Frage einer tatsächlichen Trennung – weiterhin gemeinsam zu besteuern gemäss Art. 9 Abs. 1 DBG und den analogen kantonalen Bestimmungen (E. 4.3). Auf die weiteren, kumulativ erforderlichen Voraussetzungen für eine getrennte Besteuerung bei getrennt lebenden Ehegatten, die nur bei separaten Wohnsitzen relevant werden, musste das Gericht nicht mehr eingehen (E. 4.3).
3.2. Rechtliches Gehör und Beweiswürdigung
- Die Beschwerdeführer rügten eine willkürliche Beweiswürdigung und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), weil die Vorinstanz von ihnen beantragte Zeugen (insbesondere die Ehefrau und die damalige Partnerin des Ehemannes) nicht einvernommen habe, sondern die Beweise willkürlich antizipiert gewürdigt habe (E. 3).
- Das Bundesgericht stellte klar, dass das Recht auf rechtliches Gehör keinen Anspruch auf Abnahme aller angebotenen Beweise begründet. Eine Behörde darf auf weitere Beweiserhebungen verzichten, wenn sie sich ihre Meinung aufgrund der bereits erhobenen Beweise bilden konnte und ohne Willkür annehmen darf, dass weitere Beweise ihre Überzeugung nicht erschüttern (antizipierte Beweiswürdigung, E. 3.1 unter Verweis auf BGE 147 IV 534 E. 2.5.1).
- Die Vorinstanz hatte ihren Verzicht auf weitere Zeugeneinvernahmen schlüssig begründet: Angesichts der gewichtigen Beziehungen des Ehemannes zu U.__/ZH (Kinder, Arbeitsort, Wohnort der damaligen Partnerin) und der Tatsache, dass die vorgeschlagenen Zeugen alle in der Schweiz wohnten, sei nicht einsichtig, inwiefern sie über die effektive Anwesenheit des Ehemannes in Liechtenstein Zeugnis ablegen könnten (E. 3.2).
- Das Bundesgericht befand, dass diese Begründung nicht willkürlich sei. Die Vorinstanz konnte sich aus den Akten ein ausreichendes Bild machen. Daher liege durch die willkürfreie antizipierte Beweiswürdigung keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (E. 3.3).
3.3. Feststellungsantrag
Ein Antrag der Beschwerdeführer, es sei festzustellen, dass die Voraussetzungen für die getrennte Ehepaarbesteuerung vorgelegen hätten, wurde vom Bundesgericht nicht behandelt, da ein solches Feststellungsinteresse fehle. Das angestrebte Ziel (individuelle Besteuerung, keine Nachsteuern) könne mit den Leistungs- bzw. Gestaltungsanträgen (Aufhebung des Urteils, Gutheissung der Einsprachen) erreicht werden (Subsidiarität von Feststellungsbegehren, E. 1.2 unter Verweis auf BGE 137 II 199 E. 6.5).
4. Ergebnis
Das Bundesgericht wies die Beschwerde sowohl betreffend die direkte Bundessteuer als auch betreffend die Staats- und Gemeindesteuern ab, soweit darauf eingetreten wurde (E. 1, E. 6). Die Eheleute unterlagen somit für die Steuerperioden 2015 und 2016 der gemeinsamen Besteuerung in der Schweiz. Die Auferlegung der Nachsteuern und die zugrundeliegende Annahme des steuerrechtlichen Wohnsitzes des Ehemannes in der Schweiz wurde bestätigt.
5. Wesentliche Punkte in Kürze
- Streitpunkt: Steuerrechtlicher Wohnsitz des Ehemannes (Schweiz vs. Liechtenstein) und daraus folgende Besteuerungsform (gemeinsam vs. getrennt) für 2015/2016.
- Rechtsgrundlage: Steuerrechtlicher Wohnsitz ist der Lebensmittelpunkt, bestimmt nach objektiven, für Dritte erkennbaren Tatsachen; bei Kontakten zu mehreren Orten ist der Ort der stärkeren Beziehungen entscheidend (Art. 3 Abs. 2 DBG/StHG i.V.m. ZGB).
- Gerichtliche Feststellung: Gestützt auf die festgestellten Fakten (insb. Wohnort der Kinder, des Ehemannes, Arbeitsort des Ehemannes, Häufigkeit der Aufenthalte) befand das Bundesgericht, dass der Lebensmittelpunkt und damit der steuerrechtliche Wohnsitz des Ehemannes in den Jahren 2015 und 2016 in U.__/ZH verblieb.
- Folge: Da der Ehemann in der Schweiz steuerpflichtig blieb, waren die Eheleute ungeachtet einer allfälligen faktischen Trennung gemeinsam zu besteuern.
- Rechtliches Gehör: Kein Verstoss, da die Vorinstanz die Nichtabnahme weiterer Zeugen im Rahmen einer antizipierten Beweiswürdigung willkürfrei begründen konnte.
- Urteil: Die Beschwerde wurde abgewiesen; die Nachsteuern aufgrund gemeinsamer Besteuerung sind rechtens.