Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_526/2024 vom 28. April 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_526/2024 vom 28. April 2025:

1. Einleitung

Das Urteil des Bundesgerichts (BGer) 4A_526/2024 vom 28. April 2025 befasst sich mit einem handelsrechtlichen Streitfall zwischen einer US-amerikanischen Gesellschaft (Aa._, Inc., Beschwerdeführerin) und einer deutschen GmbH (Ba._ GmbH, Beschwerdegegnerin) bezüglich der Lieferung von Zink-Luft-Hörgerätebatterien. Kern der Auseinandersetzung sind die Auslegung einer Exklusivitätsklausel und einer Bestimmung über pauschalisierten Schadenersatz (Liquidated Damages) in einem Vertrag nach Schweizer Recht (Amendment 1 zum Amended & Restated Master Supply Agreement - ARMSA), sowie die Frage des erforderlichen Schadensnachweises im Kontext einer solchen Pauschalierung.

2. Sachverhalt und Prozessgeschichte

Die Parteien waren im Hörgerätebatteriengeschäft tätig. 2015 verkaufte die Beschwerdeführerin (damals noch mit eigener Produktion) ihre A._-spezifischen Anlagen an die Beschwerdegegnerin und schloss mit ihr ein ARMSA über die Lieferung von Batterien. Im Dezember 2018, im Vorfeld einer Akquisition des Batteriengeschäfts von C._ Holdings, Inc. durch die Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin (A._ Holding), passten die Parteien den Vertrag an (Amendment 1). Dieses Amendment enthielt unter anderem die Vereinbarung der Anwendung von Schweizer Recht und die hier relevanten Bestimmungen in Section 1.h ("Designation as Exclusive Supplier") und Section 1.j/1.i ("Liquidated Damages"). Bis Juni 2020 bezog die Beschwerdeführerin ihren gesamten Bedarf von der Beschwerdegegnerin, stellte dies aber ab November 2020 ein, um den Bedarf über die neu akquirierten C._-Gesellschaften zu decken.

Die Beschwerdegegnerin klagte daraufhin vor dem Handelsgericht Zürich und machte geltend, die Beschwerdeführerin habe mit dem Bezugsstopp gegen die Exklusivitätsklausel (Section 1.h) verstossen. Sie verlangte den vertraglich vereinbarten pauschalisierten Schadenersatz (Liquidated Damages) gemäss Section 1.j und 1.i.

Das Handelsgericht hiess die Klage teilweise gut. Es legte Amendment 1 nach dem Vertrauensprinzip aus und kam zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin nicht berechtigt gewesen sei, Batterien von nahestehenden Gesellschaften (den C.__-Gesellschaften) zu beziehen, da dies gegen die exklusive Lieferbeziehung mit der Beschwerdegegnerin verstosse. Diese Vertragsverletzung sei gegeben. Das Handelsgericht entschied weiter, dass der Beschwerdegegnerin ein Schaden entstanden sei, auch wenn dessen Vorhandensein nicht im Einzelnen nachgewiesen sei. Die Beschwerdeführerin sei daher zur Zahlung des pauschalisierten Schadenersatzes verpflichtet.

Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.

3. Wesentliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht befasste sich im Wesentlichen mit zwei Hauptfragen: (1) Ob eine Vertragsverletzung der Exklusivitätsklausel vorliegt, und (2) Ob und inwieweit die Beschwerdegegnerin das Vorliegen eines Schadens nachweisen musste.

3.1. Vertragsverletzung (Exklusivitätsklausel - Section 1.h)

Die Beschwerdeführerin rügte, die Vorinstanz sei zu Unrecht von einer Vertragsverletzung ausgegangen. Das BGer prüfte die vorinstanzliche Vertragsauslegung.

  • Sachverhaltsrügen: Zunächst wies das BGer die Sachverhaltsrügen der Beschwerdeführerin als unzulässig zurück (E. 3.2). Es hielt fest, dass die Beschwerdeführerin die strengen Anforderungen an Sachverhaltsrügen (Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht erfüllt habe. Sie versuche, den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt unzulässig zu ergänzen oder einer willkürlichen Beweiswürdigung zu rügen, ohne dies hinreichend zu substanziieren. Insbesondere sei die vorinstanzliche Feststellung, dass keine fixen Bestellmengen vereinbart wurden (nicht keine Mindestbestellmengen schlechthin), zulässig. Die Frage der Eigenproduktion sei irrelevant, da die akquirierten Gesellschaften (C._) von der Muttergesellschaft (A._ Holding) und nicht von der Beschwerdeführerin selbst übernommen wurden; der Bezug von dort stelle daher keine Eigenproduktion dar. Auch die Rügen zum Abhängigkeitsverhältnis und zum unverkäuflichen Lagerbestand wurden als unzulässige Sachverhaltsergänzungen abgewiesen.

  • Objektivierte Vertragsauslegung (Vertrauensprinzip): Das BGer bestätigte im Grundsatz die vorinstanzliche Auslegung der Exklusivitätsklausel (Section 1.h) nach dem Vertrauensprinzip (E. 3.3).

    • Es stimmte der Vorinstanz zu, dass der Wortlaut ("exclusive Supplier") allein nicht eindeutig kläre, ob der Bezug von Hörgerätebatterien von den C.__-Gesellschaften verboten sei.
    • Es folgte der Vorinstanz hinsichtlich des Vertragszwecks. Die Parteien hätten ein fein austariertes wechselseitiges Kooperationsmodell angestrebt, bei dem die Beschwerdeführerin ihre Produktion einstellte und die Beschwerdegegnerin spezielle Anlagen kaufte und nutzen musste. Ein Bezugsstopp und die Deckung des Bedarfs über akquirierte Gesellschaften störe dieses Austauschverhältnis erheblich und sei nach Treu und Glauben nicht vereinbar mit dem Zweck.
    • Zur Interessenlage bekräftigte das BGer, dass die Abwesenheit fixer Mindestbestellmengen nicht bedeute, dass die Beschwerdeführerin den Bezug jederzeit dauerhaft einstellen dürfe. Ein solcher Bezugsstopp komme einem vorzeitigen Ausstieg gleich und führe zu einer unzulässigen einseitigen Interessenverschiebung. Die Verlängerung der Vertragslaufzeit im Amendment 1 spreche ebenfalls gegen die Argumentation der Beschwerdeführerin.
    • Zur Vorgeschichte und den Begleitumständen bestätigte das BGer die vorinstanzliche Würdigung, wonach die Akquisition bekannt war, aber die Parteien die Zusammenarbeit dennoch fortsetzen und durch die Exklusivitätsklausel und den pauschalisierten Schadenersatz absichern wollten.
    • Das BGer räumte zwar eine methodische Unsauberkeit der Vorinstanz ein, die bei der objektivierten Auslegung (Vertrauensprinzip) auch nachträgliches Parteiverhalten berücksichtigt hatte (E. 3.3.3, E. 3.3.4). Solches Verhalten ist für die objektivierte Auslegung grundsätzlich irrelevant und nur für die subjektive Auslegung relevant, um auf einen tatsächlichen Willen zu schliessen. Das BGer kam jedoch zum Schluss, dass dieser Mangel am Ergebnis nichts ändere. Die übrige objektivierte Auslegung (Wortlaut, Zweck, Interessenlage, Vorgeschichte) sei überzeugend und trage das Ergebnis (Verstoss gegen Exklusivität durch Bezug von C.__-Gesellschaften).
    • Das BGer hielt fest, dass die Beschwerdeführerin den Bezug bei den C.__-Gesellschaften nicht als Eigenproduktion qualifizieren könne, da die Übernahme durch die Muttergesellschaft erfolgte.
  • Schlussfolgerung zur Vertragsverletzung: Das BGer bestätigte die vorinstanzliche Feststellung, dass die Beschwerdeführerin gegen Section 1.h verstossen hat, indem sie Hörgerätebatterien von den C.__-Gesellschaften bezog, anstatt diese von der Beschwerdegegnerin zu beziehen.

3.2. Schadensnachweis im Kontext pauschalisierten Schadenersatzes

Die Beschwerdeführerin rügte, die Vorinstanz sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Schaden vorliege bzw. die Beschwerdegegnerin vom Schadensnachweis entbunden sei.

  • Rechtliche Grundlagen (E. 4.3.1): Das BGer führte aus, dass das Schweizer Recht den pauschalisierten Schadenersatz ("Liquidated Damages") anerkennt. Er dient dazu, dem Gläubiger den Nachweis des Schadens umfangs zu erleichtern oder ihn ganz davon zu entbinden. Im Gegensatz zur Konventionalstrafe setzt er aber dem Grundsatz nach das Vorliegen eines Schadens voraus. Kontrovers sei die Frage, ob die Pauschalierung auch vom Nachweis des Schadens eintritts entbinde. Das BGer stellte die verschiedenen Lehrmeinungen dar (keine Entbindung; Beweislastumkehr für Eintritt; Behauptungslast, aber Befreiung vom Nachweis). Das BGer hielt fest, dass die Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit die Beweis- und Behauptungslast frei regeln können. Entbinden sie den Gläubiger vom Nachweis des Schadens, muss dem Schuldner die Möglichkeit offenstehen, den Nachweis zu erbringen, dass kein Schaden vorliegt (andernfalls wäre es eine Konventionalstrafe). Der genaue Umfang der Beweiserleichterung richte sich nach der konkreten Vereinbarung.

  • Auslegung der spezifischen LD-Klausel (Section 1.j/1.i) (E. 4.3.2 f.): Das BGer analysierte die vorliegende Vereinbarung detailliert. Es hob hervor, dass die Klausel explizit festhält, dass die Parteien eine Kompensation und keine Strafe beabsichtigten ("compensation, and not a penalty"). Entscheidend sei aber die Formulierung, dass der Schaden "impossible or very difficult to accurately estimate" sei und die Pauschale eine "reasonable estimate of the anticipated or actual harm that might arise" darstelle.

    • Das BGer interpretierte diese Formulierung dahingehend, dass die Parteien die Beschwerdegegnerin nicht nur vom Nachweis der Schadens höhe, sondern auch vom Nachweis des Schadens eintritts entbinden wollten. Die Pauschale sei als Entschädigung für einen geschätzten oder erwarteten Schaden konzipiert.
    • Das BGer befand, dass es widersinnig wäre, die Beweislast für die Höhe stark zu erleichtern (oder ganz wegzunehmen), aber für den Eintritt ein volles Beweismass zu verlangen, gerade wenn die Parteien die Schwierigkeit der Schadensschätzung explizit anerkennen und gerade deshalb die Pauschale vereinbaren.
    • Die Vereinbarung sei so zu verstehen, dass die Beschwerdegegnerin vom Nachweis bzw. der Behauptung des Schadens entbunden sei, es der Beschwerdeführerin aber offenstehe, den Nachweis zu erbringen, dass kein Schaden vorliege.
  • Anwendung auf den Fall (E. 4.3.4): Da das BGer die Vertragsverletzung bestätigte (E. 3) und feststellte, dass das vertraglich vorgesehene Eskalationsverfahren durchlaufen wurde (verbindliche vorinstanzliche Feststellung), seien die Voraussetzungen für die Leistung des pauschalisierten Schadenersatzes erfüllt. Es sei irrelevant, ob die Beschwerdegegnerin einen Schaden hinreichend behauptet oder nachgewiesen habe. Die Beschwerdeführerin wäre nur dann von der Zahlung befreit gewesen, wenn sie nachgewiesen hätte, dass der Beschwerdegegnerin kein Schaden entstanden ist. Dies habe die Beschwerdeführerin aber nicht getan.

  • Schlussfolgerung zum Schaden: Das BGer bestätigte, dass die Beschwerdeführerin zur Zahlung des pauschalisierten Schadenersatzes verpflichtet ist, da die vertraglichen Voraussetzungen erfüllt sind und die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen hat, dass kein Schaden entstanden ist. Die Rügen der Beschwerdeführerin bezüglich fehlenden Schadensnachweises und angeblichen Weiterverkaufsmöglichkeiten der Batterien wurden somit als unbegründet abgewiesen.

3.3. Berechnung der Pauschale und Missverhältnis

Das BGer wies die Rügen der Beschwerdeführerin bezüglich der Berechnung der Pauschale (Berechnung der 12-Monatsperiode) als unzulässig bzw. unbegründet zurück (E. 5). Die Beschwerdeführerin habe nicht hinreichend dargelegt, inwiefern die vorinstanzliche Auslegung der Klausel (Section 1.i) falsch sei und woraus sich ihre alternative Auslegung ergeben solle.

Schliesslich wies das BGer auch die Behauptung der Beschwerdeführerin, der effektive Schaden sei Null und die Pauschale somit krass unverhältnismässig, als unsubstanziiert zurück (E. 6). Diese Behauptungen hätten keine Grundlage im vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt und seien im Verfahren vor dem BGer nicht zulässig vorgebracht worden (keine Aktenhinweise, dass dies vorinstanzlich substanziiert und mit Beweismitteln untermauert wurde).

4. Ergebnis und Kosten

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde. Die Beschwerdeführerin wurde kostenpflichtig und zur Zahlung einer Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerin verpflichtet.

5. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Feststellung, dass die Beschwerdeführerin durch den Bezug von Hörgerätebatterien von den nach der Akquisition durch die Konzernmutter erworbenen Gesellschaften gegen die im Amendment 1 vereinbarte Exklusivitätsklausel (Section 1.h) verstossen hat. Die vorinstanzliche objektivierte Vertragsauslegung nach dem Vertrauensprinzip wurde, mit Ausnahme eines irrelevanten methodischen Fehlers, bestätigt.
  • Das BGer befasste sich vertieft mit der Natur des vereinbarten pauschalisierten Schadenersatzes (Liquidated Damages) gemäss Section 1.j/1.i. Es stellte klar, dass eine solche Pauschale grundsätzlich das Vorliegen eines Schadens voraussetzt, die Parteien aber im Rahmen der Vertragsfreiheit den Umfang der Beweiserleichterung regeln können.
  • Aufgrund des Wortlauts der spezifischen Klausel, insbesondere der Nennung von "anticipated or actual harm" und der anerkannten Schwierigkeit der Schadensschätzung, interpretierte das BGer die Vereinbarung so, dass sie die Beschwerdegegnerin sowohl vom Nachweis der Schadens höhe als auch vom Nachweis des Schadens eintritts entband.
  • Die Beschwerdeführerin konnte die Zahlung der Pauschale nur vermeiden, indem sie nachwies, dass kein Schaden entstanden ist. Diesen Nachweis hat sie jedoch nicht erbracht.
  • Da die Vertragsverletzung feststeht und die Voraussetzungen der LD-Klausel gemäss ihrer Auslegung erfüllt sind, ist die Beschwerdeführerin zur Zahlung des pauschalisierten Schadenersatzes verpflichtet, unabhängig davon, ob die Beschwerdegegnerin einen Schaden im Detail nachgewiesen hat.
  • Rügen bezüglich der Berechnung der Pauschale und eines angeblichen krassen Missverhältnisses zwischen Pauschale und effektivem Schaden wurden vom BGer aus formellen (mangelnde Substanziierung, fehlende Sachverhaltsgrundlage) bzw. materiellen Gründen zurückgewiesen.

Das Urteil verdeutlicht die rechtliche Einordnung des pauschalisierten Schadenersatzes im Schweizer Recht und wie die Auslegung der spezifischen Vertragsklausel massgeblich den Umfang der Beweiserleichterung für den Geschädigten bestimmt. Es bestätigt, dass eine gut formulierte LD-Klausel den Nachweis des Schadenseintritts entbehrlich machen kann, sofern dem Schuldner die Möglichkeit verbleibt, die Abwesenheit eines Schadens zu beweisen.