Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_604/2024 vom 19. Mai 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 19. Mai 2025 (1C_604/2024) detailliert zusammen:

Gegenstand des Urteils:

Das Urteil betrifft die Beschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, welches Verfügungen des Schweizerischen Bundesrats bestätigte. Diese Verfügungen ordneten die administrative Sperrung von Vermögenswerten zweier Gesellschaften (A._ Limited und B._ Limited) in der Schweiz an. Die Sperrung erfolgte im Hinblick auf eine mögliche Einziehung dieser Vermögenswerte gemäss Art. 4 des Bundesgesetzes über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG), falls eine Rechtshilfe mit dem Herkunftsstaat (Ukraine) scheitert.

Sachverhalt und Hintergrund:

Nach der Absetzung des ukrainischen Präsidenten Viktor Yanukovich im Februar 2014 erliess der Bundesrat eine Verordnung über Massnahmen gegen gewisse Personen aus der Ukraine (aUkraine-Verordnung), die administrative Sperrungen von Vermögenswerten vorsah. Davon betroffen waren auch Personen aus dem Umfeld Yanukovichs, einschliesslich des ehemaligen Premierministers C.C._ und dessen Sohn D.C._.

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft ersuchte ab 2015 die Schweiz um Rechtshilfe, da sie gegen D.C._ wegen ungesetzlicher Bereicherung, Bestechung und Geldwäscherei ermittelte. Die Vorwürfe bezogen sich auf den mutmasslichen Erhalt von Vermögensvorteilen im Zusammenhang mit der Ernennung von E.E._ zum Ersten Stellvertretenden Premierminister, die über komplexe Aktientransaktionen abgewickelt worden sein sollen. Das Bundesamt für Justiz (BJ) entsprach den Rechtshilfeersuchen und sperrte unter anderem Konten, an denen D.C.__ wirtschaftlich berechtigt war, einschliesslich derjenigen der Beschwerdeführerinnen. Die Sperren sollten bis zu einem vollstreckbaren Einziehungsentscheid der Ukraine bestehen bleiben.

Parallel führte die Bundesanwaltschaft ein eigenes Strafverfahren gegen D.C.__ wegen Geldwäscherei, das ebenfalls zu Kontensperren führte, jedoch 2018 eingestellt wurde, da die Ukraine bereits ermittelte (Grundsatz ne bis in idem im internationalen Strafrecht).

Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Jahr später, am 15. Februar 2023, verfügte der Bundesrat die administrative Sperrung der Vermögenswerte der Beschwerdeführerinnen gemäss Art. 4 SRVG. Die Begründung war im Wesentlichen, dass die ukrainischen Untersuchungsbehörden spätestens seit Beginn des Krieges aufgrund der dortigen Verhältnisse nicht mehr in der Lage seien, die Strafuntersuchungen effektiv durchzuführen und die Anforderungen an Rechtshilfeverfahren zu erfüllen. Nach Erlass dieser SRVG-Sperren hob das BJ die rechtshilfeweise angeordneten Kontosperren auf.

Die Beschwerdeführerinnen erhoben Beschwerde gegen die SRVG-Sperrverfügungen beim Bundesverwaltungsgericht, welches die Beschwerden abwies. Gegen diesen Entscheid gelangten die Beschwerdeführerinnen an das Bundesgericht.

Massgebende Rechtsgrundlage (Art. 4 SRVG):

Art. 4 SRVG ermöglicht dem Bundesrat die Sperrung von Vermögenswerten ausländischer politisch exponierter Personen (PEP) oder ihnen nahestehender Personen im Hinblick auf eine mögliche Einziehung, falls die internationale Rechtshilfe scheitert. Die Sperrung ist kumulativ an folgende Voraussetzungen geknüpft: 1. Die Vermögenswerte wurden zuvor im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens auf Ersuchen des Herkunftsstaates sichergestellt (Art. 4 Abs. 2 lit. a SRVG). 2. Der Herkunftsstaat kann die Anforderungen an ein Rechtshilfeverfahren wegen des völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs oder der mangelnden Verfügbarkeit seines Justizsystems nicht erfüllen ("Versagen staatlicher Strukturen"; Art. 4 Abs. 2 lit. b SRVG). 3. Die Wahrung der Schweizer Interessen erfordert die Sperrung (Art. 4 Abs. 2 lit. c SRVG).

Das Gericht hebt hervor, dass Art. 4 SRVG (im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 lit. c SRVG) nicht verlangt, dass die gesperrten Vermögenswerte wahrscheinlich deliktischen Ursprungs sind. Diese materielle Frage ist Gegenstand des nachfolgenden Einziehungsverfahrens nach Art. 14 ff. SRVG.

Das SRVG wurde eingeführt, um mit Fällen von mutmasslichen Potentatengeldern umgehen zu können, bei denen die Rechtshilfe aufgrund versagender staatlicher Strukturen ("failing" oder "failed states") im Herkunftsland scheitert und die Gelder andernfalls freigegeben werden müssten (Botschaft SRVG, BBl 2014 S. 5302). Die Bedingung des "Versagens staatlicher Strukturen" bezieht sich dabei nicht auf eine allgemeine politische oder wirtschaftliche Bewertung, sondern auf die konkrete Unfähigkeit des ersuchenden Staates, im Zusammenhang mit einem bestimmten Rechtshilfeverfahren die Anforderungen des schweizerischen Rechtshilfegesetzes (IRSG) zu erfüllen (Botschaft SRVG, S. 5305 f.).

Rügen der Beschwerdeführerinnen und Argumente des Bundesgerichts:

  1. Verletzung der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV):

    • Rüge: Der Bundesrat habe die Sperrung nur pauschal begründet und sich nicht konkret zum ukrainischen Verfahren geäussert. Dies sei ein Mangel, der nicht geheilt werden könne.
    • Gerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht stellt fest, dass die ursprüngliche Begründung in den Bundesratsverfügungen zwar sehr kurz und wenig konkret war. Sie wurde jedoch im Laufe des Verfahrens vor Bundesverwaltungsgericht durch das prozessierende EFD detailliert ergänzt. Das EFD reichte Berichte der Schweizer Botschaft, des Basel Institute on Governance und eine Auskunft der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft ein, die spezifische Probleme des ukrainischen Justizsystems und des konkreten Falls C.__ darlegten. Den Beschwerdeführerinnen wurde Einsicht gewährt und sie konnten sich dazu umfassend äussern. Das Bundesgericht urteilt, dass die Begründung im Rechtsmittelverfahren hinreichend konkretisiert und ein allfälliger Mangel damit geheilt wurde, da die ursprüngliche Begründung nicht vollständig fehlte. Der Vorwurf, die Bundesbehörden hätten sich jahrelang nicht informiert, wird anhand der vom BJ eingereichten Korrespondenz mit der Ukraine widerlegt.
  2. Versagen staatlicher Strukturen (Art. 4 Abs. 2 lit. b SRVG):

    • Rüge der Beschwerdeführerinnen: Die Ukraine sei kein gescheiterter Staat. Die auf Korruption spezialisierten Behörden (NABU, SAPO, HACC) funktionierten auch während des Krieges effizient. Die Verzögerung sei auf spezifische Beweisschwierigkeiten (Zeugen im Ausland) oder das Fehlen einer strafbaren Handlung zurückzuführen, nicht auf ein systemisches Versagen. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz sei offensichtlich unrichtig (nur ein Zuständigkeitswechsel, kein Dokumentenverlust, keine erhebliche Beeinträchtigung durch den Weggang des Staatsanwalts).
    • Gerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht stützt sich auf die eingeholten Berichte und Auskünfte, die es im Urteil detailliert zusammenfasst:
      • Der Bericht der Schweizer Botschaft dokumentiert die historischen und fortwährenden Probleme des ukrainischen Justizsystems bei der Bekämpfung der Korruption, einschliesslich Machtkämpfen, Angriffen auf Anti-Korruptionsinstitutionen, Dysfunktionalitäten und mangelnden Fortschritten bei der Verfolgung von Spitzenpolitikern, schon vor dem Krieg.
      • Der Bericht des Basel Institute on Governance und die Auskunft der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft beleuchten die spezifischen Schwierigkeiten im Fall C.__ und die Auswirkungen des Krieges:
        • Häufige (formelle oder informelle) Zuständigkeitswechsel und interne Streitigkeiten, die schon vor 2019 die Ermittlungen beeinträchtigten.
        • Erheblicher administrativer Aufwand und Zeitverlust beim Transfer der umfangreichen Akten (über 150 Ordner) nach dem formellen Zuständigkeitswechsel Ende 2019.
        • Verlust eines Teils der Akten und Beweismittel im Jahr 2020 (bestätigt durch Basel Institute und BJ), was aufwändige Wiederbeschaffung erforderte.
        • Auswirkungen des Krieges ab Februar 2022: Erschwerung der Arbeit der Behörden durch Zerstörungen, Stromausfälle etc. Akuter Personalmangel in öffentlichen Institutionen (auch wenn NABU/SAPO-Mitarbeiter von der Mobilisierung ausgenommen sind, erschwert dies die Rekrutierung qualifizierten Personals, und erfahrene Staatsanwälte traten freiwillig in den Militärdienst ein), was zu Überlastung führt. Prioritätenverschiebung zu Kriegsverbrechen und Einziehung russischer Vermögenswerte.
        • Schwierigkeiten bei der Befragung wichtiger Zeugen, die sich im Ausland aufhalten, insbesondere in Russland (was seit 2022 ausgeschlossen ist). Die Generalstaatsanwaltschaft nannte dies als einen Hauptgrund für die Sistierung des Verfahrens 2019.
        • Hohes Risiko der Verjährung des Verfahrens am 2. Juni 2025, da angesichts der genannten Verzögerungen und der Dauer gerichtlicher Verfahren in der Ukraine ein Abschluss nicht mehr realistisch erscheint.
      • Das Bundesgericht würdigt die von den Beschwerdeführerinnen vorgelegten Nachweise über die allgemeine Effizienz der Anti-Korruptionsbehörden und neuere Erfolge (z.B. Einziehung Yanukovich-Vermögen). Es betont jedoch, dass es im SRVG-Kontext um die Funktionsfähigkeit des Justizsystems im konkreten Fall geht.
      • Das Gericht hält fest, dass die festgestellten Sachverhaltsdetails (wie der Verlust von Dokumenten oder die Auswirkungen des Zuständigkeitswechsels und Personalmangels) im Lichte der Berichte plausibel sind und die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig ist.
      • Die Abwesenheit von Zeugen im Ausland allein wäre zwar kein Hinweis auf ein systemisches Versagen. Im vorliegenden Fall sei das Scheitern der Strafverfolgung jedoch auf eine Kumulation von Faktoren zurückzuführen, darunter die historische Instabilität des Justizsystems bei der Verfolgung von Spitzenpolitikern, die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem umfangreichen Aktenmaterial und dessen Transfer/Verlust, der Einfluss des Krieges auf personelle Ressourcen und Prioritäten sowie die Zeugenproblematik.
      • Diese kumulativen Faktoren rechtfertigen nach Auffassung des Bundesgerichts die Annahme, dass die Ukraine im konkreten Fall die Anforderungen an ein Rechtshilfeverfahren aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit oder Dysfunktionalität ihres Justizsystems nicht mehr erfüllen kann und mit einem Einziehungsurteil vor Verjährungseintritt nicht mehr gerechnet werden kann. Dies genügt, um die Voraussetzung von Art. 4 Abs. 2 lit. b SRVG zu bejahen.
  3. Verhältnismässigkeit (Art. 36 BV):

    • Rüge: Die über zehnjährige Sperrung sei unverhältnismässig, insbesondere da kein Zusammenhang mit Straftaten geprüft worden sei und das SRVG eine weitere Sperrung von bis zu zehn Jahren ermöglichen könne.
    • Gerichtliche Prüfung: Das Gericht erkennt an, dass die lange Dauer der Sperrung (über 10 Jahre) als einer der Umstände des Einzelfalls bei der Verhältnismässigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist. Es betont jedoch, dass die Sperrung nach Art. 4 SRVG eine vorläufige Massnahme ist, deren Zweck darin besteht, ein nachfolgendes Einziehungsverfahren überhaupt erst zu ermöglichen. In diesem Einziehungsverfahren wird dann die Rechtmässigkeit des Erwerbs der Vermögenswerte materiell geprüft. Gerade um den Beschwerdeführerinnen nach so langer Zeit endlich die Möglichkeit zu geben, sich zu dieser materiellen Frage zu äussern, sei die SRVG-Sperrung verhältnismässig, da sie die Voraussetzung für dieses Verfahren schafft. Das Einziehungsverfahren sei alsbald einzuleiten. Die Verwirkungsfrist von 10 Jahren gemäss Art. 6 Abs. 2 SRVG stelle lediglich eine äusserste Grenze dar, nicht die Regeldauer der Sperrung.
  4. Ne bis in idem (Art. 14 Abs. 7 Pakt II) und Beschwerderecht (Art. 13 EMRK):

    • Rüge: Durch den Systemwechsel vom Straf-/Rechtshilfeverfahren zum administrativen SRVG-Verfahren werde ihnen die Möglichkeit genommen, ne bis in idem geltend zu machen.
    • Gerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht weist diese Rüge zurück. Das Verfahren zur administrativen Sperrung gemäss Art. 4 SRVG und das nachfolgende gerichtliche Einziehungsverfahren genügen den Anforderungen von Art. 6 und 13 EMRK und bieten den Beschwerdeführerinnen die Möglichkeit, sämtliche Rügen gegen die Rechtmässigkeit der Sperrung und der Konfiskation vorzubringen. Sie hätten ne bis in idem denn auch bereits vor Bundesverwaltungsgericht gerügt (welches diesbezüglich die Anwendbarkeit im SRVG-Verfahren verneinte). Darin sei keine Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts erkennbar.

Schlussfolgerung des Bundesgerichts:

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Voraussetzungen für die administrative Sperrung gemäss Art. 4 SRVG erfüllt sind. Insbesondere sei davon auszugehen, dass die ukrainischen Justizstrukturen im konkreten Fall, aufgrund der kumulierten Schwierigkeiten (historische Instabilität, Zuständigkeitswechsel, Aktenverlust, Auswirkungen des Krieges, Zeugenproblematik und drohende Verjährung), nicht mehr in der Lage sind, das Strafverfahren erfolgreich zum Abschluss zu bringen und ein Rechtshilfeverfahren zu ermöglichen, das zu einem Einziehungsurteil führt. Die Sperrung sei verhältnismässig, um das nachfolgende Einziehungsverfahren zu ermöglichen, in welchem die materielle Frage der illegalen Herkunft der Vermögenswerte geprüft wird. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die administrative Sperrung von Vermögenswerten gemäss Art. 4 SRVG im Zusammenhang mit mutmasslichen Korruptionsgeldern aus der Ukraine. Es bejahte, dass die Voraussetzung des "Versagens staatlicher Strukturen" im Herkunftsstaat (Art. 4 Abs. 2 lit. b SRVG) im konkreten Fall erfüllt ist. Dies wird nicht als allgemeine Einschätzung der Ukraine verstanden, sondern bezieht sich auf die Fähigkeit, das spezifische, vorliegende Strafverfahren aufgrund einer Kumulation von Faktoren (historische Dysfunktionalitäten, Zuständigkeitswechsel, Aktenverlust, kriegsbedingte Belastung von Behörden, Zeugenprobleme, drohende Verjährung) effektiv und rechtzeitig abzuschliessen. Die Sperrung dient dazu, das nachfolgende gerichtliche Einziehungsverfahren in der Schweiz zu ermöglichen, in dem die Rechtmässigkeit des Vermögenserwerbs geprüft wird. Eine Prüfung der illegalen Herkunft ist im Rahmen der Art. 4 SRVG-Sperrung nicht erforderlich. Die lange Dauer der Sperrung wird anerkannt, aber als verhältnismässig beurteilt, da sie die Voraussetzung für das materielle Einziehungsverfahren schafft, welches alsbald einzuleiten ist.