Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichts-Urteils 2C_341/2023:
Gegenstand und Parteien
Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (II. öffentlich-rechtliche Abteilung) vom 30. April 2025 (Verfahren 2C_341/2023) befasste sich mit einer Beschwerde von Greenpeace Schweiz gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Streitgegenstand war die Erweiterung der Bewilligung für das Inverkehrbringen des Pflanzenschutzmittels B._ der A._ AG, welches den Wirkstoff Tefluthrin enthält. Greenpeace Schweiz, als beschwerdeberechtigte Organisation im Bereich des Natur- und Heimatschutzes (Art. 12 Abs. 1 lit. b NHG i.V.m. Ziff. 23 VBO), focht die vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW, nun BLV) erteilte Erweiterung der Bewilligung an.
Vorgeschichte und Ausgangslage
Die A._ AG beantragte 2015 die Erweiterung der bereits bestehenden Bewilligung für das Pflanzenschutzmittel B._. Das BLW erliess am 4. Juni 2020 eine Verfügung, mit der es die Bewilligung teilweise erweiterte (u.a. für Anwendungen in Chicorée, Getreide, Mais) und die bestehende Bewilligung für Futter- und Zuckerrüben anpasste, jeweils unter bestimmten Auflagen. Greenpeace Schweiz erhob Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer), beantragte die Aufhebung der Bewilligungserweiterung und machte geltend, der Wirkstoff Tefluthrin sei als POP-, PBT- und vPvB-Stoff einzustufen und hätte nicht zugelassen werden dürfen. Ferner rügte Greenpeace, die Umwelteinwirkungen, insbesondere auf geschützte Tiere, Nutz- und Nichtzielarthropoden sowie Wasserlebewesen, seien unzureichend geprüft worden.
Das BVGer wies die Beschwerde am 1. Mai 2023 ab, soweit es darauf eintrat. Es argumentierte im Wesentlichen, das Verfahren der Wirkstoffgenehmigung sei vom Verfahren der Produktbewilligung getrennt. Bei der Erweiterung der Produktbewilligung müsse die Zulassungsstelle nicht erneut überprüfen, ob die Wirkstoffe die Genehmigungskriterien erfüllten, solange sie genehmigt seien (was für Tefluthrin der Fall war, da es in Anhang 1 PSMV aufgeführt ist). Das BVGer kam zum Schluss, die umweltrechtlichen Vorgaben stünden der Erweiterung der Bewilligung nicht entgegen und die verordnungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt.
Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
Das Bundesgericht befasste sich mit den von Greenpeace Schweiz erhobenen Rügen, namentlich betreffend die Trennung von Wirkstoffgenehmigung und Produktbewilligung, die Nichtberücksichtigung von Drainagen als Eintragspfad sowie die Beurteilung der Auswirkungen auf Nutz- und Nichtzielarthropoden.
-
Verhältnis von Wirkstoffgenehmigung und Produktbewilligung (Erwägung 5):
- Greenpeace machte geltend, die Genehmigung des Wirkstoffs Tefluthrin sei unrechtmässig erfolgt und hätte im Rahmen des vorliegenden Verfahrens akzessorisch überprüft werden müssen. Zudem habe der Schweizerische Fischereiverband ein Verfahren zur Überprüfung dieses Wirkstoffs und des Produkts B.__ angestossen, was präjudiziell sei.
- Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Verfahren zur Genehmigung eines Wirkstoffs (geregelt in Art. 4 ff. PSMV) und zur Bewilligung eines konkreten Pflanzenschutzmittels, das einen bereits genehmigten Wirkstoff enthält (geregelt in Art. 14 ff. PSMV), grundsätzlich getrennt sind. Ein Pflanzenschutzmittel wird gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. a PSMV nur bewilligt, wenn seine Wirkstoffe genehmigt sind. Die Auflistung in Anhang 1 PSMV gilt als Genehmigung.
- Im Verfahren der Produktbewilligung oder dessen Erweiterung ist keine erneute ex officio Überprüfung der Wirkstoffgenehmigung vorgesehen, solange der Wirkstoff in Anhang 1 PSMV gelistet ist. Eine Überprüfung der Wirkstoffgenehmigung erfolgt nach Art. 8 PSMV und kann zum Widerruf durch Streichung aus Anhang 1 PSMV führen (eine Verordnungsänderung). Auch eine gezielte Überprüfung aller Produkte mit einem Wirkstoff (Art. 29a PSMV) ist ein separates Verfahren.
- Das BGer befand daher, dass die von Greenpeace gerügte unterlassene (akzessorische) Überprüfung der Wirkstoffgenehmigung im vorliegenden Verfahren nicht geschuldet war. Ebenso sei die vom Schweizerischen Fischereiverband beantragte Überprüfung nicht präjudiziell für die Bewilligungserweiterung des konkreten Produkts B.__ im vorliegenden Verfahren. Die Sachverhaltsrügen von Greenpeace bezüglich dieses Punktes (angeblich wider besseren Wissens erfolgte Feststellung der Behörde, kein laufendes präjudizielles Verfahren betreffend Tefluthrin) seien mangels Entscheidrelevanz irrelevant.
- Die von Greenpeace im Zusammenhang mit diesem Punkt eingereichten neuen Dokumente (u.a. Gesuche des Fischereiverbands) wurden als unechte oder echte Noven im bundesgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt.
-
Nichtberücksichtigung von Drainagen als Eintragspfad ins Oberflächenwasser (Erwägung 6):
- Greenpeace rügte, die Vorinstanz habe zu Unrecht akzeptiert, dass die Zulassungsstelle den Eintrag des Pflanzenschutzmittels über Drainagen bei der Beurteilung der Wasserbelastung nicht berücksichtigt habe, obwohl Ziff. 9BI-2.5.1.3 Abs. 3 lit. d Ziff. 4 Anhang 9 PSMV dies vorsehe. Die Begründung der Behörden (fehlendes validiertes Berechnungsmodell, ungenügender Wissensstand) sei unhaltbar und verletze das Vorsorgeprinzip (Art. 1 Abs. 2 USG) sowie den Grundsatz der ganzheitlichen Betrachtung (Art. 8 USG).
- Das Bundesgericht prüfte diese Rüge anhand der massgebenden Verordnungsbestimmungen (Art. 4 Abs. 5 lit. e Ziff. 1 PSMV, Art. 17 Abs. 1 lit. e PSMV, Ziff. 9BI-2.5.1.3 Anhang 9 PSMV).
- Ziff. 9BI-2.5.1.3 Abs. 1 Satz 1 Anhang 9 PSMV verlangt als ersten Schritt die Beurteilung, ob das Pflanzenschutzmittel unter den vorgeschlagenen Bedingungen in das Oberflächenwasser gelangen kann. Das BGer stellte fest, dass die Vorinstanz zwar festhielt, der Wirkstoff sei immobil gebunden, aber gleichzeitig zugestand, dass ein Eintrag über den oberflächlichen Abtrag von Feinboden bei Starkniederschlag nicht ausgeschlossen werden könne (was auch von der Beschwerdegegnerin eingeräumt wurde). Zusammen mit dem Hinweis von Greenpeace auf die weite Verbreitung von Drainagen und der unbestrittenen Tatsache, dass Drainagen ein wichtiger Eintragspfad sein können, kam das BGer zum Schluss, dass die Möglichkeit eines Eintrags ins Oberflächenwasser unter den vorgeschlagenen Anwendungsbedingungen konkret besteht. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung, wonach diese Möglichkeit offensichtlich ausgeschlossen werden könne, erweise sich als offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG.
- Besteht diese Möglichkeit, ist gemäss Ziff. 9BI-2.5.1.3 Abs. 1 Satz 2 Anhang 9 PSMV zwingend mit Hilfe eines geeigneten und anerkannten Berechnungsmodells die vorhersehbare Konzentration des Wirkstoffs im Oberflächenwasser zu bewerten. Diese Bestimmung räumt kein Ermessen ein, ob eine solche Bewertung vorzunehmen ist. Sie ist vorgeschrieben, sobald die Möglichkeit eines Eintrags besteht, und dies im Lichte des Vorsorgeprinzips (Art. 1 Abs. 2 USG) und der ganzheitlichen Betrachtung (Art. 8 USG).
- Die Begründung der Behörden und der Vorinstanz, die Bewertung sei mangels eines in der Schweiz validierten Berechnungsmodells nicht vorgenommen worden, wurde vom BGer als rechtswidrig erachtet. Zwar besteht technisches Ermessen bei der Art der Bewertung (z.B. welches Modell), aber nicht bei der Pflicht zur Bewertung selbst.
- Das BGer kam zum Schluss, dass hier eine Verletzung von Ziff. 9BI-2.5.1.3 Anhang 9 PSMV vorliegt und die Vorinstanz die unterbliebene Bewertung zu Unrecht als rechtmässig einstufte.
-
Auswirkungen auf Nichtzielarthropoden und die "Erholungsthese" (Erwägung 7):
- Greenpeace beanstandete, dass die Behörden die Tötung von mehr als 30 % der Nutzarthropoden (die den Schwellenwert gemäss Ziff. 9CI-2.5.2.4 Anhang 9 PSMV überschreitet) als annehmbar erachteten, basierend auf der "Erholungsthese" (Populationen erholen sich innert eines Jahres aus unbehandelten Flächen). Greenpeace rügte, diese These stütze sich auf EU/SETAC-Leitlinien, die keine ausreichende gesetzliche Grundlage darstellten und gegen den Grundsatz der Gesetzmässigkeit verstossen würden. Inhaltlich verletze die Anwendung dieser These das Vorsorgeprinzip, die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen, den Schutz vor überhöhtem Chemikalieneinsatz und den Artenschutz, da sie weitreichende biotische Senken schaffe.
- Gesetzmässigkeit (Erwägung 7.3): Das BGer prüfte zunächst die rechtliche Zulässigkeit der Berücksichtigung von EU/SETAC-Leitlinien durch die Behörden. Es bestätigte unter Verweis auf frühere Urteile (2C_1034/2022), dass Bestimmungen der PSMV, die einen Anerkennungsmechanismus vorsehen (wie Art. 72 Abs. 2 PSMV und Art. 24 Abs. 2bis PSMV), dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit standhalten. Die beanstandeten Leitliniendokumente (EU-Leitlinie zur terrestrischen Ökotoxikologie, SETAC-Leitlinie) seien als "technische Dokumente und andere Leitlinien" im Sinne von Art. 72 Abs. 2 PSMV zulässig. Sie konkretisieren die wissenschaftlichen Methoden zur Risikobeurteilung und seien mit innerstaatlichen Verwaltungsverordnungen vergleichbar, von denen Gerichte nicht ohne triftigen Grund abweichen. Ihre Berücksichtigung verletzt den Grundsatz der Gesetzmässigkeit nicht.
- Inhaltliche Beurteilung der "Erholungsthese" (Erwägung 7.4): Ziff. 9CI-2.5.2.4 Anhang 9 PSMV erlaubt trotz Überschreitung des 30%-Schwellenwerts eine Bewilligung, wenn eine geeignete Risikoabschätzung den praktischen Beweis erbringt, dass keine unannehmbaren Auswirkungen eintreten. Die Leitliniendokumente sehen die "Erholungsthese" vor: Negative Auswirkungen sind akzeptabel, wenn sich Populationen (z.B. durch Wiederbesiedlung aus unbehandelten Flächen) spätestens innert eines Jahres erholen. Die EFSA Conclusion zum Wirkstoff Tefluthrin zeige (unbestritten festgestellt vom BVGer), dass bei den relevanten Aufwandmengen keine Effekte länger als ein Jahr anhalten würden.
- Das BGer befand, dass die Zugrundelegung der "Erholungsthese" als Methode zur Risikoabschätzung grundsätzlich zulässig ist, da sie einen praktischen Beweis im Sinne der Verordnungsbestimmung (Ziff. 9CI-2.5.2.4 Anhang 9 PSMV) darstellen kann und die gerichtliche Zurückhaltung in Fachfragen geboten ist. Auch die Übernahme der EFSA-Beurteilung gemäss Art. 24 Abs. 2bis PSMV sei methodisch nicht zu beanstanden.
- Allerdings stellte das BGer fest, dass die "Erholungsthese" inhärent voraussetzt, dass unbehandelte Flächen angrenzen und gross genug sind, um eine Wiederansiedlung zu ermöglichen. Auch zeitliche Abstände zwischen den Anwendungen sind relevant. Die blosse Übernahme der These garantiere in der Praxis nicht, dass die Wiederansiedlung tatsächlich erfolgen kann. Die Begründung der Vorinstanz und die Auflagen der Bewilligung zeigen nicht auf, wie räumlich und zeitlich sichergestellt wird, dass eine Wiederansiedlung nach der Anwendung gelingt. Insbesondere die räumlichen Grössenverhältnisse behandelter und unbehandelter Flächen sowie die zeitlichen Abstände der Behandlungen müssen im Rahmen der "Erholungsthese" konkretisiert werden, um eine vollständige und ganzflächige Wiederansiedlung zu gewährleisten und die Schaffung von "biologischen Senken" (wie von Greenpeace kritisiert) zu vermeiden.
- Das BGer kam zum Schluss, dass die Vorinstanz die Vorgaben von Ziff. 9CI-2.5.2.4 Anhang 9 PSMV nur unzureichend umgesetzt hat, indem sie die räumlichen und zeitlichen Aspekte der "Erholungsthese" nicht konkretisierte.
Schlussfolgerung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht kam zum Ergebnis, dass die Beschwerde von Greenpeace Schweiz bezüglich der mangelnden Berücksichtigung des Drainageeintrags und der ungenügenden Anwendung der "Erholungsthese" bei der Beurteilung der Auswirkungen auf Nichtzielarthropoden begründet ist. Es hebt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf und weist die Angelegenheit zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zurück (welches per 1. Januar 2022 die Zuständigkeit vom BLW übernommen hat). Das BLV muss nun insbesondere die Auswirkungen des Pflanzenschutzmittels unter Berücksichtigung des Drainageeintrags bewerten und die Anwendung der "Erholungsthese" für Nichtzielarthropoden präzise räumlich und zeitlich konkretisieren, um sicherzustellen, dass tatsächlich keine unannehmbaren Auswirkungen eintreten. Die Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens werden ebenfalls zur Neubeurteilung an das BVGer zurückgewiesen. Die Gerichtskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens werden der Beschwerdegegnerin (A.__ AG) auferlegt, und diese muss Greenpeace Schweiz eine Parteientschädigung zahlen.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Das Bundesgericht bestätigt die grundsätzliche rechtliche Trennung zwischen der Genehmigung eines Wirkstoffs (hier Tefluthrin) und der Bewilligung eines konkreten Pflanzenschutzmittels, das diesen Wirkstoff enthält. Eine akzessorische Überprüfung der Wirkstoffgenehmigung im Rahmen der Produktbewilligung ist nicht vorgesehen.
- Das Gericht erachtet die unterbliebene Bewertung des Eintrags des Pflanzenschutzmittels ins Oberflächenwasser über Drainagen als rechtswidrig. Sobald die Möglichkeit eines Eintrags besteht, ist eine Bewertung nach Ziff. 9BI-2.5.1.3 Anhang 9 PSMV zwingend geschuldet, unabhängig davon, ob ein in der Schweiz validiertes Berechnungsmodell vorhanden ist. Dies ergibt sich aus dem Vorsorgeprinzip und der ganzheitlichen Betrachtung.
- Das Gericht bestätigt die Zulässigkeit der Berücksichtigung von EU/SETAC-Leitlinien als technische Dokumente bei der Risikobeurteilung von Nichtzielarthropoden gemäss PSMV (Art. 72 Abs. 2 PSMV).
- Die "Erholungsthese" (Populationserholung innert eines Jahres) kann grundsätzlich als "praktischer Beweis" für annehmbare Auswirkungen auf Nichtzielarthropoden dienen (Ziff. 9CI-2.5.2.4 Anhang 9 PSMV).
- Die Anwendung der "Erholungsthese" durch die Behörden war jedoch unzureichend, da die räumlichen (Grössenverhältnisse behandelter/unbehandelter Flächen) und zeitlichen Aspekte (Abstände der Behandlungen) nicht konkretisiert wurden, um sicherzustellen, dass eine tatsächliche Wiederansiedlung und vollständige Erholung der Populationen möglich ist.
- Die Angelegenheit wird zur vertieften Prüfung dieser Punkte an das BLV zurückgewiesen.