Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_137/2025 vom 19. Mai 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne, hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts (2C_137/2025 vom 19. Mai 2025):

Bundesgerichtsurteil 2C_137/2025 vom 19. Mai 2025

Gegenstand: Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung zum Familiennachzug und Wegweisung

Parteien: * Beschwerdeführerin: A.__ (brasilianische Staatsangehörige) * Vorinstanz: Kantonsgericht des Kantons Waadt (Cour de droit administratif et public) * Weitere beteiligte Behörde: Service de la population du canton de Vaud (kantonales Amt)

Sachverhalt: Die Beschwerdeführerin, eine brasilianische Staatsangehörige, hat drei minderjährige Kinder aus einer früheren Beziehung in Brasilien. Sie reiste spätestens im Oktober 2019 in die Schweiz ein. Nach ihrer Heirat mit einem Schweizer Staatsangehörigen im Oktober 2022 erhielt sie eine Aufenthaltsbewilligung (autorisation de séjour) gestützt auf Familiennachzug (Art. 42 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über Ausländer und Integration, AIG). Im Februar 2024 stellte sie einen Antrag auf eine Aufenthaltsbewilligung zum Familiennachzug für ihre Tochter C. (geb. 2008), die einige Wochen zuvor ohne Visum in die Schweiz eingereist war. Das kantonale Amt verweigerte den Antrag und ordnete die Wegweisung an, da der Antrag ausserhalb der gesetzlichen Fristen gestellt worden sei und keine schwerwiegenden familiären Gründe für einen verspäteten Nachzug vorlägen. Das Kantonsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Beschwerdeführerin focht den kantonsgerichtlichen Entscheid beim Bundesgericht an.

Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts:

  1. Zulässigkeit der Beschwerde (Consid. 1):

    • Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der Beschwerden. Die Beschwerdeführerin reichte sowohl eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. Bundesgerichtsgesetz, BGG) als auch eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) ein.
    • Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist nur gegen Entscheide zulässig, die nicht mit der ordentlichen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden können (Art. 113 BGG a contrario).
    • Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG unzulässig gegen Entscheide im Ausländerrecht, die eine Bewilligung betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch (droit) gewähren.
    • Nach gefestigter Rechtsprechung reicht es jedoch aus, dass ein potenzieller Anspruch auf die Bewilligung besteht, der durch eine haltbare Begründung gestützt wird, um die Ausschlussbestimmung des Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG zu umgehen und die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu eröffnen. Ob der Anspruch tatsächlich besteht, ist eine Frage der materiellen Prüfung (ATF 147 I 89 E. 1.1.1; 139 I 330 E. 1.1).
    • Nach schweizerischem internem Recht (Art. 43 AIG) hat ein minderjähriges Kind Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung (oder Niederlassungsbewilligung), wenn ein Elternteil eine Niederlassungsbewilligung besitzt. Besitzt der Elternteil, wie im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin, lediglich eine Aufenthaltsbewilligung, so gewährt Art. 44 AIG keinen Anspruch auf Familiennachzug im Sinne des internen Rechts; die Erteilung liegt im Ermessen der Behörden, unter Einhaltung minimaler Bedingungen (ATF 139 I 330 E. 1.2; 137 I 284 E. 1.2).
    • Auch wenn das interne Recht keinen Anspruch gewährt, kann Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz für minderjährige ausländische Kinder gewähren, insbesondere wenn der Elternteil über ein gesichertes Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügt (ATF 146 I 185 E. 6.1; 137 I 284 E. 2.6).
    • Die Beschwerdeführerin verfügt aufgrund ihrer Ehe mit einem Schweizer über ein Recht auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 42 AIG und somit über ein gesichertes Anwesenheitsrecht. Ihre Tochter C. ist mit 17 Jahren noch minderjährig.
    • Unter diesen Umständen können sich Mutter und Tochter plausibel auf einen potenziellen Anspruch auf Zusammenleben in der Schweiz berufen, der sich aus ihrem Recht auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK ableitet. Die Frage, ob der Anspruch tatsächlich besteht, ist eine Frage der materiellen Prüfung.
    • Folglich ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (gestützt auf Art. 8 EMRK), und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
  2. Sachliche Prüfung (Consid. 3):

    • Das Bundesgericht prüft die Rügen der Beschwerdeführerin, der Entscheid der Vorinstanz verletze Art. 8 EMRK, Art. 13 Abs. 1 BV, Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) sowie das Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 96 AIG).
    • Allgemeine Grundsätze (Consid. 3.1-3.2): Art. 8 EMRK und Art. 13 BV gewähren grundsätzlich keinen Anspruch auf Einreise oder Aufenthalt in einem Staat. Sie können aber angerufen werden, wenn eine ausländerrechtliche Massnahme unverhältnismässig in das Familienleben eingreift und unter diesem Blickwinkel allenfalls einen Anspruch auf Verbleib oder Niederlassung begründet (ATF 140 I 145 E. 3.1). Eine ausländische Person mit gesichertem Anwesenheitsrecht kann grundsätzlich einen Anspruch auf Familiennachzug nach Art. 8 EMRK für ihre minderjährigen Kinder geltend machen (ATF 146 I 185 E. 6.1).
    • Bedingungen des Familiennachzugs nach internem Recht (Consid. 3.2, 3.4): Wenn der nachziehende Elternteil (hier die Beschwerdeführerin) nur eine Aufenthaltsbewilligung und keine Niederlassungsbewilligung hat, hängt der Familiennachzug der Kinder nach Art. 8 EMRK davon ab, dass die Anforderungen des internen Rechts gemäss Art. 44 und 47 AIG erfüllt sind und kein Erlöschensgrund nach Art. 51 AIG vorliegt (ATF 137 I 284 E. 1.3, 2.6).
    • Fristen für Familiennachzug (Consid. 3.4): Art. 47 Abs. 1 AIG sieht eine Frist von fünf Jahren für den Familiennachzug von Kindern vor. Für Kinder, die das 12. Altersjahr vollendet haben, beträgt die Frist jedoch nur 12 Monate (vgl. auch Art. 73 Abs. 1 Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Ausübung einer Erwerbstätigkeit, OASA). Bei Familienangehörigen von Ausländern beginnt die Frist mit Erteilung der Aufenthaltsbewilligung oder Niederlassungsbewilligung an den nachziehenden Elternteil oder mit Begründung des Familienverhältnisses (Art. 47 Abs. 3 lit. b AIG).
    • Anwendung der Frist im konkreten Fall (Consid. 3.6): Die Beschwerdeführerin erhielt ihre Aufenthaltsbewilligung am 11. November 2022. Der Antrag für ihre Tochter C. wurde am 12. Februar 2024 gestellt, etwa 15 Monate später. Da C. über 12 Jahre alt war, ist der Antrag ausserhalb der ordentlichen 12-Monatsfrist gemäss Art. 47 Abs. 1 AIG erfolgt. Dies ist unbestritten.
    • Verspäteter Familiennachzug – Schwerwiegende familiäre Gründe (Consid. 3.4-3.6): Ist die Frist abgelaufen, ist der verspätete Familiennachzug nur aus schwerwiegenden familiären Gründen (raisons familiales majeures) gemäss Art. 47 Abs. 4 AIG zulässig. Solche Gründe sind zurückhaltend anzunehmen und müssen über den blossen Wunsch nach Zusammenleben hinausgehen (ATF 146 I 185 E. 7.1.1). Gemäss Art. 75 OASA können solche Gründe vorliegen, wenn das Wohl des Kindes nur durch Familiennachzug in der Schweiz gewährleistet werden kann, z.B. wenn die Betreuung im Herkunftsland nicht mehr gesichert ist (Tod/Krankheit der Betreuungsperson) (vgl. E. 3.5 mit Verweis auf weitere Urteile). Es sind stets alternative Lösungen im Herkunftsland zu prüfen, da diese in der Regel besser für das Kindeswohl sind, besonders für Jugendliche, die entwurzelt würden.
    • Beurteilung der schweren familiären Gründe im Fall C. (Consid. 3.6): C. hat bis letztes Jahr in Brasilien gelebt, auch nachdem ihre Mutter 2019 die Schweiz verlassen hatte. Sie blieb mit ihren Brüdern in Brasilien unter der Obhut ihres Vaters, der diese Aufgabe erfüllen konnte. Das Bundesgericht sieht keine schwerwiegenden familiären Gründe oder wesentlichen Umstandsänderungen im Ausland, die den verspäteten Nachzug rechtfertigen würden. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass die Betreuung der 17-jährigen C. – die laut Entscheid der Vorinstanz noch auf die Unterstützung ihrer Grossmutter in Brasilien zählen kann – in ihrem Herkunftsland nicht mehr gewährleistet sei.
    • Das Bundesgericht weist das Argument zurück, der Umstand, dass für den jüngeren Bruder (gerade 12 Jahre alt) der Familiennachzug allenfalls noch innerhalb seiner Frist möglich wäre, begründe schwere familiäre Gründe für C. Dieser Umstand beweise nicht das Gegenteil und begründe keinen schweren familiären Grund. Vielmehr sollte in Ermangelung eines Nachzugsantrags für den jüngeren Bruder eine Trennung der Geschwister (durch Nachzug von C.) vermieden werden.
    • Verhältnismässigkeit, Art. 8 EMRK, Art. 3 KRK (Consid. 3.7): Die Verweigerung der Bewilligung führt nach Ansicht des Bundesgerichts nicht zu einem unverhältnismässigen Eingriff in das Familienleben nach Art. 8 EMRK / Art. 13 BV und berücksichtigt das Kindeswohl (Art. 3 KRK) ausreichend. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Verweigerung verfolge kein überwiegendes öffentliches Interesse, da die Fristen der Integration dienten und ihre Tochter bereits gut integriert sei (Sprache, Schule, soziales Netz).
    • Das Bundesgericht widerspricht: Weder Art. 8 EMRK noch Art. 3 KRK verbieten die Einwanderungsbegrenzung oder gewähren ein Recht auf Aufenthalt, nur weil kein überwiegendes Interesse gegen den Aufenthalt vorläge. Die politischen Ziele der Einwanderungsbegrenzung, auch durch Fristen, stellen ein legitimes öffentliches Interesse gemäss Art. 8 Abs. 2 EMRK dar (vgl. E. 3.4).
    • Zudem relativiert das Bundesgericht die angebliche gute Integration der Tochter. Diese sei mit einer illegalen Einreise in die Schweiz verbunden und resultiere aus einem Verhalten, das darauf abzielte, die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen (mettre les autorités devant le fait accompli). Solches Verhalten dürfe nicht begünstigt werden; Strenge sei geboten, um diejenigen Ausländer nicht zu benachteiligen, die das gesetzliche Verfahren einhalten und den Ausgang ihrer Gesuche im Ausland abwarten, wie von Art. 17 Abs. 1 AIG vorgeschrieben.
  3. Schlussfolgerung des Gerichts (Consid. 3.8, 4):

    • Das Kantonsgericht hat weder Bundesrecht noch Art. 8 EMRK oder Art. 3 KRK verletzt, indem es den Familiennachzug für die Tochter verweigerte.
    • Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.
    • Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig erklärt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Ein Anspruch auf Familiennachzug gemäss Art. 8 EMRK für Kinder eines Elternteils mit Aufenthaltsbewilligung (nicht Niederlassungsbewilligung) setzt die Einhaltung der Fristen des internen Rechts (Art. 47 AIG) voraus.
  • Für Kinder über 12 Jahren beträgt die Frist für den Familiennachzug 12 Monate ab Erteilung der Bewilligung an den Elternteil.
  • Ein verspäteter Familiennachzug nach Ablauf der Frist ist nur bei Vorliegen schwerwiegender familiärer Gründe zulässig. Solche Gründe werden restriktiv ausgelegt und liegen nur vor, wenn das Wohl des Kindes einzig durch den Nachzug in die Schweiz gesichert werden kann, z.B. wenn die Betreuung im Herkunftsland nicht mehr gewährleistet ist. Alternative Lösungen im Herkunftsland sind vorrangig zu prüfen.
  • Im vorliegenden Fall lagen keine schwerwiegenden familiären Gründe vor, da die Betreuung der Tochter im Herkunftsland durch den Vater und die Grossmutter weiterhin möglich war.
  • Der Wunsch, Geschwister nicht zu trennen, stellt allein keinen schweren familiären Grund für einen verspäteten Nachzug dar.
  • Die behauptete Integration des Kindes in der Schweiz wird relativiert, wenn sie auf einer illegalen Einreise basiert und darauf abzielt, die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Solches Verhalten darf nicht belohnt werden.
  • Die Verweigerung des Nachzugs aufgrund der Nichteinhaltung der Fristen und des Fehlens schwerwiegender familiärer Gründe verstösst nicht unverhältnismässig gegen das Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK, Art. 13 BV) oder das Kindeswohl (Art. 3 KRK).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab und erklärt die subsidiäre Verfassungsbeschwerde für unzulässig.