Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_46/2024 vom 19. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts:

Bundesgerichtsurteil 1C_46/2024 vom 19. Mai 2025 betreffend Baubewilligung

1. Parteien und Gegenstand des Verfahrens

Beschwerdeführende im Verfahren vor Bundesgericht sind A._ und die B._ SA (zukünftige Erwerberin des Grundstücks und Bauherrin), vertreten durch ihren Rechtsvertreter. Gegenparteien (Intimierte) sind C._ (Nachbar) und die Stiftung Helvetia Nostra, vertreten durch ihren Rechtsvertreter. Weitere Beteiligte waren die Gemeinde Ormont-Dessus (die die ursprüngliche Bewilligung erteilt hatte und das Bauvorhaben unterstützt) sowie der Grundstückseigentümer D._.

Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung der Aufhebung einer von der Gemeinde Ormont-Dessus erteilten Baubewilligung durch das kantonale Verwaltungsgericht (Cour de droit administratif et public – CDAP) des Kantons Waadt.

2. Sachverhalt

Das streitgegenständliche Grundstück Nr. 5060 in Ormont-Dessus liegt in der kommunalen "Zone de chalets". Die Gemeinde Ormont-Dessus zählt zu jenen Gemeinden mit über 20 % Zweitwohnungen, was der Bundesgesetzgebung über Zweitwohnungen (LRS) untersteht. Die Bauherrschaft beantragte eine Bewilligung für ein Einfamilienchalet mit Innenpool, zwei Tiefgaragenplätzen und einem Aussenparkplatz. Gegen das Projekt erhoben der Nachbar und Helvetia Nostra Einsprache. Die Gemeinde erteilte die Bewilligung am 15. Juli 2022 unter der Auflage, im Grundbuch eine Anmerkung "Résidence principale" (Hauptwohnsitz) für die vorgesehene Hauptnutzfläche einzutragen (gestützt auf Art. 7 Abs. 1 lit. a LRS).

Gegen diesen Beschluss reichten C.__ und Helvetia Nostra Beschwerde beim CDAP des Kantons Waadt ein. Das CDAP hiess die Beschwerde gut und annullierte die Baubewilligung der Gemeinde. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Anwendung der gemeindlichen Definition des Begriffs "Chalet" (insbesondere gemäss Art. 15 Abs. 2 und Art. 67 des Règlement communal sur le plan d'extension et la police des constructions, RPE) durch die Gemeinde unhaltbar (insoutenable) sei. Eine weitere Rüge betreffend die Einhaltung der Vorschriften zur unterirdischen Lage eines Geschosses (Art. 57 Abs. 3 RPE) liess das CDAP offen, da die vorliegenden Akten keine abschliessende Prüfung erlaubten.

Die Bauherrschaft focht das Urteil des CDAP beim Bundesgericht an.

3. Massgebende rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hatte primär zu prüfen, ob das kantonale Verwaltungsgericht bei der Aufhebung der kommunalen Baubewilligung die Autonomie der Gemeinde Ormont-Dessus verletzt und/oder kommunales Recht willkürlich angewendet hat.

  • Überprüfungsbefugnis der kantonalen Beschwerdeinstanz im Verhältnis zur Gemeindeautonomie (Erw. 2.1, 2.2): Das Bundesgericht hält fest, dass die Gemeinden im Kanton Waadt, namentlich bei der Festlegung der Nutzungsplanung und Anwendung des Baurechts, über eine garantierte Autonomie verfügen (Art. 50 Abs. 1 BV, Art. 139 Abs. 1 lit. d KV/VD). Das Bundesgericht prüft die Verletzung der Gemeindeautonomie und die Anwendung von kantonalem Verfassungsrecht frei. Andere Regeln des kantonalen oder kommunalen Rechts werden nur unter dem eingeschränkten Blickwinkel der Willkür überprüft (Art. 95 BGG). Es prüft frei, ob die kantonale Instanz den Ermessensspielraum der Gemeinde respektiert hat. Bei der Auslegung ihrer Baupolizeivorschriften und der Beurteilung lokaler Gegebenheiten (wie der architektonischen Integration) geniesst die Gemeinde einen besonderen Beurteilungsspielraum (Art. 2 Abs. 3 RPG). Die kantonale Beschwerdeinstanz muss die kommunale Beurteilung zurückhaltend überprüfen. Sie darf nicht einfach eine vertretbare gemeindliche Beurteilung durch ihre eigene ersetzen. Die kantonale Instanz muss jedoch eingreifen, wenn die gemeindliche Beurteilung gegen übergeordnetes Recht, gegen Verfassungsprinzipien (Gleichbehandlung, Verhältnismässigkeit) verstösst oder objektiv unhaltbar und damit willkürlich ist.

  • Auslegung der kommunalen Vorschriften betreffend den "Chalet"-Typus (Erw. 2.3, 2.6): Die massgebenden Bestimmungen im kommunalen RPE sind:

    • Art. 43 RPE (für alle Zonen): Bauten müssen sich stilistisch und charakterlich in die Umgebung einfügen.
    • Art. 15 RPE (Chaletzone): Nur "Constructions genre chalet, telles que définies à l'art. 67" sind zulässig, ausschliesslich nach ihrem äusseren architektonischen Aspekt.
    • Art. 67 RPE (Definition "genre chalet"): Bauten sind aus Holz oder mit Holz verkleidet. An jeder Fassade ist Holz das dominante, aber nicht das einzige Bekleidungsmaterial. Hauptfassaden sind typischerweise mit horizontalen Brettern ausgeführt. Die Gemeinde und die Beschwerdeführer argumentierten, Art. 67 RPE beziehe sich ausschliesslich auf die Bekleidungsmaterialien der "vollen" Fassadenelemente, unabhängig von der Grösse der "leeren" Flächen (Öffnungen). Holz sei gemäss dieser Interpretation dominant, da die verbleibenden Wandteile mit Holz verkleidet seien.
  • Beurteilung des Projekts durch das Bundesgericht in Anlehnung an die Vorinstanz (Erw. 2.4, 2.6): Das Bundesgericht stützt sich auf die detaillierten Feststellungen der CDAP, die auch eine lokale Augenscheinnahme durchgeführt hatte. Das CDAP (mit Beisitzern aus dem Bereich Architektur) stellte fest, dass die Nachbarschaft homogen aus klassischen Chalets mit typischen Merkmalen (Satteldächer, eher kleine Fenster, Holzverkleidung) besteht. Das geplante Projekt weist zwar einige dieser Merkmale auf, weicht aber bei den Öffnungen erheblich ab. Die Südfassade des Projekts (16 m breit) weist auf vier sichtbaren Ebenen (inkl. Untergeschoss -01) mehrheitlich verglaste Flächen im Verhältnis zu den geschlossenen Wandteilen auf. Allein auf den drei Geschossen oberhalb des Terrains beträgt die durchschnittliche Breite der Glasflächen über die Hälfte der Fassadenbreite. Diese visuelle Dominanz der Verglasung wird durch die Höhe der Öffnungen (Fenstertüren, Glasfronten, bis zu 3.66 m hoch), das Fehlen "gewöhnlicher" Fenster und die verglasten Balkonbrüstungen noch verstärkt. Auch im Untergeschoss -01, das den Innenpool beherbergt, befindet sich eine sehr grosse Fensterfront. Das Bundesgericht anerkennt, dass die gemeindliche Auslegung von Art. 67 RPE, die nur auf die Bekleidungsmaterialien abzielt, vernünftig sein kann, solange die Öffnungen nicht übermässig sind und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen vollen und leeren Flächen besteht. Diese Auslegung wird aber sehr fragwürdig, wenn die Glasflächen manifest mehr als die Hälfte einer Hauptfassade ausmachen, wie im vorliegenden Fall. Eine solche Anwendung würde dazu führen, dass "Chalets" mit fast vollständig verglasten Fassaden zugelassen würden, was Art. 67 RPE seines Sinnes entleeren würde. Der Zweck dieser Bestimmung (dominant Holz) ist gerade die Integration in die bestehende, vom CDAP als homogen traditionell befundene Umgebung. Die Glasdominanz an der Südfassade des Projekts stellt eine deutliche Zäsur zur Ästhetik der umliegenden Chalets dar. Unter diesen Umständen durfte das CDAP von der gemeindlichen Beurteilung abweichen, da diese objektiv unhaltbar erschien. Das CDAP hat somit weder die Gemeindeautonomie verletzt noch kommunales Recht willkürlich angewendet.

  • Rüge der Ungleichbehandlung (Erw. 3): Die Beschwerdeführer rügten kurz eine Verletzung der Gleichbehandlung (Art. 8 Abs. 1 BV), indem sie auf zwei andere Gebäude in der Umgebung verwiesen (ein farblich abweichendes graues Chalet und ein älteres, weit entferntes, modernes Gebäude mit mineralischer Fassade). Das Bundesgericht erklärt diese Rüge als unzulässig (mangelnde Substanziierung gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG), da die Beschwerdeführer nicht konkret darlegten, inwiefern diese Fälle mit ihrem vergleichbar seien. Im Übrigen sei die Rüge unbegründet, da das CDAP gerade die Homogenität der unmittelbaren Nachbarschaft hervorgehoben hat. Das graue Chalet weicht nur farblich ab. Das moderne Gebäude ist weit entfernt und stellt einen Einzelfall dar. Das Bundesgericht erinnert daran, dass man grundsätzlich keine Ungleichbehandlung geltend machen kann, wenn das Recht im eigenen Fall korrekt angewendet wurde, auch wenn es in anderen Fällen möglicherweise falsch angewendet wurde.

4. Ergebnis

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte.

5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht bestätigt das Urteil des Waadtländer Verwaltungsgerichts, wonach die Erteilung einer Baubewilligung für ein "Chalet" in Ormont-Dessus rechtswidrig war. Zentraler Punkt ist die Auslegung der gemeindlichen Bauvorschriften zur Definition des "Chalet"-Typus (Art. 15 und 67 RPE). Während die Gemeinde und die Bauherrschaft argumentierten, die Vorschrift verlange lediglich, dass Holz das dominante Bekleidungsmaterial der geschlossenen Fassadenteile sei, folgte das Bundesgericht der Vorinstanz. Es entschied, dass die gemeindliche Auslegung unhaltbar wird, wenn die Verglasung die Fassade dominiert und die geschlossenen Holzflächen stark in den Hintergrund treten lässt. Angesichts der im konkreten Fall festgestellten exzessiven Verglasung (deutlich über die Hälfte der Hauptfassade) und der homogenen traditionellen Architektur in der unmittelbaren Nachbarschaft, verstösst ein solches Projekt gegen den Zweck der Norm, die eine Integration und Holzdominanz verlangt. Die kantonale Instanz durfte daher korrigierend eingreifen, ohne die Gemeindeautonomie zu verletzen. Eine gerügte Ungleichbehandlung wurde vom Bundesgericht mangels Substanziierung und Vergleichbarkeit der Fälle verworfen.