Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_701/2024 vom 6. Mai 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert für Sie zusammen:

Rubrum: Bundesgericht, I. Strafrechtliche Abteilung, Urteil 6B_701/2024 vom 6. Mai 2025.

Parteien: Beschwerdeführer: A.__, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges. Beschwerdegegnerin: Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich.

Gegenstand: Fahrlässige Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 StGB); willkürliche Beweiswürdigung.

Vorinstanz: Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Urteil vom 7. November 2023 (SB230074-O/U/ad).

Sachverhalt (nach Feststellungen der Vorinstanz, die vom Bundesgericht übernommen wurden): Am 11. Juli 2020 fuhr der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug auf die Autobahn A1 in Fahrtrichtung Zürich auf. Anschliessend wechselte er vom Beschleunigungs- auf den Normalstreifen und schliesslich zumindest teilweise auf den ersten (alternativ den zweiten) Überholstreifen. Dabei beachtete er den nachfolgenden Verkehr, insbesondere das Fahrzeug der Geschädigten B.__, nicht ausreichend und näherte sich deren Fahrzeug, das sich ebenfalls auf dem ersten (alternativ auf dem zweiten) Überholstreifen mit ca. 120 km/h befand, von hinten seitlich bis auf ca. 30 cm an. Um eine Kollision zu vermeiden, sah sich die Geschädigte gezwungen, nach links auszuweichen und stark abzubremsen, wodurch sie die Herrschaft über ihr Fahrzeug verlor, mit der linken und dann der rechten Leitplanke kollidierte und ein Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule erlitt. Die Staatsanwaltschaft warf dem Beschwerdeführer fahrlässige Körperverletzung vor (Art. 125 Abs. 1 StGB), begründet durch pflichtwidrige Unvorsichtigkeit beim Einfahren und Spurwechsel auf die Autobahn (mangelnde Rücksichtnahme auf nachfolgenden Verkehr, unzureichender Abstand). Die Reaktion der Geschädigten und die Folgen seien vorhersehbar und vermeidbar gewesen.

Die Vorinstanz bestätigte den Schuldspruch des Bezirksgerichts wegen fahrlässiger Körperverletzung, reduzierte jedoch die Strafe (60 Tagessätze bedingt, ohne Busse).

Rügen des Beschwerdeführers vor Bundesgericht: Der Beschwerdeführer focht den Schuldspruch an und beantragte Freispruch. Er rügte insbesondere: 1. Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 9 und Art. 325 StPO, Art. 29 Abs. 2, 32 Abs. 2 BV, Art. 6 EMRK) wegen Unklarheiten bezüglich Fahrstreifen, Position der Fahrzeuge ("nachfolgend" vs. "von hinten genähert"), Sorgfaltspflichtverletzung und Kausalzusammenhang. 2. Verletzung von "in dubio pro reo" und Willkür bei der Beweiswürdigung (Art. 9 BV) sowie Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), indem die Vorinstanz den Aussagen der Geschädigten und eines Zeugen unhaltbar folgte, obwohl diese ihn nicht identifiziert hätten und der Zeuge möglicherweise das Kennzeichen falsch abgelesen habe. 3. Fehlen eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen seinem Verhalten und dem Unfall, da die Geschädigte durch den Verlust der Fahrzeugbeherrschung die Ursache gesetzt habe. Ihre Reaktion (ruckartiges Lenkmanöver) sei unangemessen gewesen. Er rügte zudem eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da die Vorinstanz seine Argumente zur möglichen Fahrunfähigkeit der Geschädigten nicht berücksichtigt habe. 4. Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Konfrontationsrechts (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK) wegen der Nichtbefragung der Geschädigten in der Berufungsverhandlung.

Erwägungen des Bundesgerichts:

1. Anklagegrundsatz (E. 2): * Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht erläutert den Anklagegrundsatz als Ausfluss von Verfassungs- und EMRK-Rechten (Art. 29 Abs. 2, 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK) sowie als Vorgabe von Art. 9 und 325 StPO. Die Anklage hat eine Umgrenzungs- und Informationsfunktion. Sie muss Ort, Zeit, Art und Folgen der Tat sowie die relevanten Straftatbestände präzise bezeichnen (Art. 325 Abs. 1 lit. f, g StPO). Bei Fahrlässigkeitsdelikten sind die tatsächlichen Umstände der Pflichtwidrigkeit, Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit anzuführen (E. 2.3.1, 2.3.2). Eine Alternativanklage (Art. 325 Abs. 2 StPO) ist zulässig, wenn eindeutige Feststellungen nicht möglich sind, die Alternativen sich aber im Einzelfall nicht widersprechen, sodass die Verteidigung nicht unzulässig erschwert wird (E. 2.3.3). Das Gericht ist an den angeklagten Sachverhalt, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung gebunden (Art. 350 Abs. 1 StPO). * Anwendung im konkreten Fall: * Das Bundesgericht bejaht, dass die Anklageschrift die Anforderungen erfüllt. Sie beschreibe den Kernvorwurf – pflichtwidrig unvorsichtiger Spurwechsel unmittelbar nach Auffahren auf die Autobahn, Annäherung an das Fahrzeug der Geschädigten, dadurch ausgelöstes Ausweichmanöver mit Unfall und Verletzung – genügend präzise in örtlicher, zeitlicher und tatbezogener Hinsicht (E. 2.4.1). * Die Unsicherheiten bezüglich der genauen Fahrstreifen der Beteiligten werden als zulässige Alternativanklage gemäss Art. 325 Abs. 2 StPO gewertet. Das Bestreiten einer Alternative führe hier nicht zur Belastung in der anderen Alternative, weshalb die Verteidigungsrechte nicht verletzt seien (E. 2.4.2). * Die scheinbaren Widersprüche ("nachfolgender" Verkehr vs. "von hinten genähert") seien bei einem dynamischen Geschehen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten erklärbar und stellten, wenn überhaupt, eine unbedeutende Ungenauigkeit dar, die die Verteidigung nicht beeinträchtige (E. 2.4.3). * Die Anklage habe die vorgeworfene Sorgfaltspflichtverletzung (mangelnde Beachtung des Fahrzeugs der Geschädigten beim Spurwechsel, unzureichender Abstand) erkennbar umschrieben. Da Art. 125 StGB (und nicht Art. 90 SVG als Blankettstrafnorm) angeklagt sei, sei die Nennung spezifischer Strassenverkehrsnormen nicht zwingend gewesen. Die erste Instanz habe die relevante rechtliche Subsumtion vorgenommen, worauf die Vorinstanz verweisen durfte (E. 2.4.4). * Der adäquate Kausalzusammenhang sei eine Rechtsfrage und müsse nicht in der Anklageschrift begründet werden (E. 2.4.5). * Fazit zur Rüge: Die Rüge der Verletzung des Anklagegrundsatzes wird abgewiesen (E. 2.4.6).

2. Beweiswürdigung, In dubio pro reo, Rechtliches Gehör (E. 3): * Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht prüft Sachverhaltsfeststellungen nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 2 BGG). Willkür liegt vor, wenn die Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist und der Entscheid auch im Ergebnis willkürlich ist. "In dubio pro reo" hat vor Bundesgericht im Wesentlichen keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung. Das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verlangt, dass die Behörde die Vorbringen prüft und ihren Entscheid begründet, muss sich aber nicht mit allen Vorbringen auseinandersetzen (E. 3.3.2, 3.3.3). * Anwendung im konkreten Fall: * Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wird abgewiesen; die Vorinstanz habe die wesentlichen Argumente des Beschwerdeführers geprüft und begründet (E. 3.4.1). * Die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung/Verletzung von "in dubio pro reo" sei unbegründet, da der Beschwerdeführer keine substanziierte Willkür darlege. Die Vorinstanz habe die Aussagen der Geschädigten und des Zeugen als glaubhaft gewürdigt und ausführlich begründet. * Die Möglichkeit eines Irrtums des Zeugen beim Ablesen des Kennzeichens wird vom Bundesgericht als zu theoretisch und nicht geeignet erachtet, erhebliche Zweifel an der Täterschaft zu begründen. Der Zeuge habe keine Unsicherheiten geäussert, das Kennzeichen kommuniziert, das Fahrzeug verfolgt und dessen Marke/Typ beschrieben. Ein Irrtum sei "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen" (E. 3.4.2). * Die Vorinstanz durfte die Aussagen der Geschädigten und des Zeugen als glaubhaft einstufen und daraus den angeklagten Sachverhalt als erstellt betrachten.

3. Adäquater Kausalzusammenhang (E. 4): * Rechtliche Grundlagen: Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung, natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang sowie Vermeidbarkeit voraus (Art. 12 Abs. 3, 125 Abs. 1 StGB). Natürliche Kausalität ist "conditio sine qua non". Adäquate Kausalität besteht, wenn das Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens geeignet ist, den Erfolg herbeizuführen oder zu begünstigen. Die Adäquanz wird nur durch ganz aussergewöhnliche, schlechthin unvorhersehbare Umstände unterbrochen (Mitverschulden, Mängel etc.), die derart schwer wiegen, dass sie alle anderen Ursachen in den Hintergrund drängen. Adäquanz ist eine Rechtsfrage (E. 4.3.1-4.3.6). * Anwendung im konkreten Fall: * Das Bundesgericht bestätigt die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs durch die Vorinstanz. * Die Vorinstanz habe zu Recht angenommen, dass das plötzliche Herannahen des Fahrzeugs des Beschwerdeführers auf der Überholspur bei hoher Geschwindigkeit dazu führen kann, dass die Geschädigte erschrickt und ein abruptes Lenkmanöver ausführt, was auf nasser Fahrbahn zum Verlust der Fahrzeugbeherrschung und Unfall führt. Dieses Geschehen liege im Bereich des Vorhersehbaren und Üblichen (E. 4.4). * Die vom Beschwerdeführer ins Spiel gebrachte mögliche Fahrunfähigkeit oder ein Mitverschulden der Geschädigten durch ein "unangemessenes" Manöver werde vom Bundesgericht als unsubstanziiert und appellatorisch abgetan. Es gebe keine Hinweise auf eingeschränkte Fahrfähigkeit. Selbst ein – nicht festgestelltes – Mitverschulden der Geschädigten durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs würde das Verhalten des Beschwerdeführers nicht derart in den Hintergrund drängen, dass die Adäquanz entfiele (E. 4.4). * Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs diesbezüglich wird abgewiesen, da die Erstinstanz auf diese Punkte einging und die Vorinstanz darauf verweisen durfte (E. 4.4).

4. Beweisabnahme in Berufung / Konfrontationsrecht (E. 5): * Rechtliche Grundlagen: Der Beweisführungsanspruch (Art. 29 Abs. 2 BV) gewährt kein Recht auf Beweisabnahme, wenn das Gericht aufgrund der Akten bereits überzeugt ist (antizipierte Beweiswürdigung, auf Willkür prüfbar). Das Konfrontationsrecht (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK, Art. 32 Abs. 2 BV) verlangt, dass der Beschuldigte mindestens einmal Gelegenheit hatte, einen Belastungszeugen zu befragen, um die Glaubhaftigkeit zu prüfen. Dies setzt in der Regel die Anwesenheit bei der Einvernahme voraus (E. 5.3.1, 5.3.2). * Anwendung im konkreten Fall: * Die Geschädigte wurde am 25. Februar 2021 von der Staatsanwaltschaft in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines Verteidigers ausführlich befragt. Diese hatten Gelegenheit, Ergänzungsfragen zu stellen. * Das Bundesgericht verneint eine Verletzung des Konfrontationsrechts. Der Beschwerdeführer habe die Geschädigte befragen können. * Dass die Geschädigte eine spezifische Frage der Verteidigung ("wie man einen Unfall bauen könne, um einen Unfall zu vermeiden") nicht beantworten wollte oder konnte, sei irrelevant für die Abklärung des relevanten Sachverhalts und schmälere das Konfrontationsrecht nicht (E. 5.4). * Der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, weshalb von einer erneuten Befragung der Geschädigten neue relevante Erkenntnisse zu erwarten gewesen wären (E. 5.4).

5. Allgemeine Willkürrüge (E. 6): * Der Beschwerdeführer wiederholt unter diesem Punkt seine bisherigen Rügen, ohne sich vertieft mit den Erwägungen der Vorinstanz auseinanderzusetzen. Dies genügt den qualifizierten Begründungsanforderungen (Art. 42 Abs. 2, 106 Abs. 2 BGG) nicht. Auf diese Rüge wird nicht eingetreten.

Gesamtergebnis und Kosten (E. 7): * Die Rügen des Beschwerdeführers erweisen sich als unbegründet. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. * Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt. Der Geschädigten wird keine Parteientschädigung zugesprochen, da ihr im bundesgerichtlichen Verfahren keine Aufwendungen entstanden sind.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung. Es weist die Rügen des Beschwerdeführers auf allen Ebenen zurück. Die Anklageschrift wird als ausreichend präzis und den Anklagegrundsatz wahrend beurteilt, auch wenn sie mit Alternativen arbeitet. Die Beweiswürdigung der Vorinstanz, die auf die Aussagen der Geschädigten und eines Zeugen abstellte, wird als nicht willkürlich erachtet. Insbesondere die Glaubhaftigkeit des Zeugen und die Identifizierung des Fahrzeugs durch das Kennzeichen wurden bestätigt. Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Fahrverhalten des Beschwerdeführers (unnötig nahes Heranfahren/Spurwechsel) und dem Unfall der Geschädigten wird bejaht, da die Reaktion der Geschädigten (erschreckt und abruptes Ausweichen) als vorhersehbare Folge des gefährlichen Manövers gilt und ein allfälliges Mitverschulden die Kausalität nicht unterbricht. Schliesslich wurde das Konfrontationsrecht nicht verletzt, da der Beschwerdeführer die Geschädigte bereits im Vorverfahren befragen konnte und kein Anspruch auf erneute Befragung in der Berufung bestand, wenn keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren. Die Beschwerde wird abgewiesen.