Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 5A_201/2025 vom 3. Juni 2025:
Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 5A_201/2025 vom 3. Juni 2025
Gegenstand: Kosten der Rechtsvertretung in einem Rückführungsverfahren nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ).
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer A._ (Vater) und die Gegenpartei B._ (Mutter) sind die Eltern des 2023 geborenen Kindes C._. Der Vater stellte am 13. September 2024 ein Begehren auf sofortige Rückführung des Kindes nach Italien, gestützt auf das HKÜ.
Die Schutzkammer des Tessiner Appellationsgerichts wies mit Urteil vom 20. Februar 2025 das Rückführungsbegehren des Vaters ab (Dispositivziffer 1). Bezüglich der Kosten wurden keine Verfahrenskosten erhoben und keine Parteikosten zugesprochen (Dispositivziffer 2). Die Gesuche beider Parteien um unentgeltliche Rechtspflege (gratuito patrocinio) wurden gutgeheissen, wobei die Anwaltskosten separat festzusetzen seien (Dispositivziffer 3). Die Kosten des Kindesbeistands sollten ebenfalls separat festgesetzt werden (Dispositivziffer 4).
Der Beschwerdeführer A._ focht mit Beschwerde in Zivilsachen vom 7. März 2025 ausschliesslich Dispositivziffer 3 des kantonalen Urteils beim Bundesgericht an. Er beantragte im Hauptantrag, diese Ziffer dahingehend zu reformieren, dass die Kosten seiner Rechtsvertretung vom Staat getragen werden und die unentgeltliche Rechtspflege der Mutter gutgeheissen wird. Er wollte erreichen, dass die Kostenübernahme durch den Staat direkt auf Art. 26 HKÜ gestützt wird und nicht auf die unentgeltliche Rechtspflege nach nationalem Recht, welche unter Umständen eine Rückerstattungspflicht vorsieht.
Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts:
-
Zulässigkeit der Beschwerde: Das Bundesgericht stellte fest, dass die angefochtene Entscheidung eine Nebenfrage (Kosten der Rechtsvertretung) in einem Rückführungsverfahren gemäss HKÜ betrifft. Da solche Verfahren keine pecuniären Verfahren sind, ist die Beschwerde in Zivilsachen nach Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG zulässig. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen (Art. 75, 76, 90, 100 Abs. 2 lit. c BGG) wurden als erfüllt erachtet. Das Bundesgericht prüft das Bundesrecht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG), wohingegen die Rüge von Grundrechten, kantonalem oder interkantonalem Recht eine qualifizierte Begründung erfordert (Art. 106 Abs. 2 BGG). Der Sachverhalt wird vom Bundesgericht grundsätzlich nicht überprüft (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, er wurde in Verletzung von Recht (Art. 95 BGG) oder offensichtlich unrichtig festgestellt (Art. 105 Abs. 2 BGG).
-
Rüge der Verletzung von Art. 26 Abs. 2 HKÜ und Art. 14 BG-IKid:
- Begründung der Vorinstanz: Das Appellationsgericht stützte sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Entscheiden 5A_296/2009 und 5A_582/2007 und führte aus, dass das Rückführungsverfahren gemäss Art. 26 Abs. 2 HKÜ grundsätzlich kostenfrei sei. Diese Kostenfreiheit erstrecke sich auch auf die Kosten der Rechtsvertretung, jedoch nur dann, wenn die Anwälte von der Behörde bestellt worden seien. Wenn die Parteien hingegen eigene Vertrauensanwälte beauftragen, müssten sie deren Kosten selbst tragen, es sei denn, die Voraussetzungen für die unentgeltliche Rechtspflege nach nationalem Recht seien erfüllt. Da im vorliegenden Fall die Anwälte nicht behördlich bestellt worden seien, habe das Appellationsgericht die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege geprüft und gutgeheissen.
- Argumentation des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer machte geltend, dass die vom Appellationsgericht zitierte Rechtsprechung durch neuere Praxis des Bundesgerichts überholt sei. Gemäss der aktuellen Praxis müssten die Kosten der Rechtsvertretung aufgrund von Art. 26 Abs. 2 HKÜ und Art. 14 BG-IKid stets vom Staat übernommen werden, unabhängig davon, ob die Anwälte amtlich bestellt oder privat mandatiert wurden, und zwar ohne dass die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege geprüft werden müssten. Dies bedeute auch, dass der Staat keine Rückerstattung verlangen könne. Ergänzend rügte er eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung, da seine Anwältin vom Staat (konkret von der schweizerischen Zentralbehörde aus einer Liste von Experten) vermittelt worden sei und somit nicht als reine Vertrauensanwältin gelten könne.
- Prüfung und Schlussfolgerung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht verwies auf Art. 14 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 2007 über die internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (BG-IKid), welcher Art. 26 HKÜ auf die Gerichtsverfahren auf kantonaler und eidgenössischer Ebene anwendbar erklärt. Gemäss Art. 26 Abs. 2 HKÜ ist das Verfahren zur Rückführung eines Kindes kostenfrei, sofern kein beteiligter Staat eine Reserve nach Art. 26 Abs. 3 HKÜ angebracht hat. Weder die Schweiz noch Italien haben eine solche Reserve angebracht.
Das Bundesgericht stellte fest, dass die Kostenfreiheit gemäss Art. 26 Abs. 2 HKÜ und Art. 14 BG-IKid nach der aktuellen und geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichts (es zitierte die Entscheide 5A_725/2024, 5A_846/2024 und 5A_997/2018) nicht nur die Gerichts- und Verfahrenskosten umfasst, sondern auch die Kosten der anwaltlichen Vertretung der Parteien. Das Bundesgericht stellte klar, dass dies unabhängig davon gilt, ob die Anwälte von der Behörde bestellt oder von den Parteien privat als Vertrauensanwälte gewählt wurden. Die frühere Unterscheidung der Vorinstanz zwischen amtlich bestellten und privaten Anwälten entspreche nicht mehr der aktuellen Praxis.
Daher war die Auffassung des Appellationsgerichts, die Kosten der Rechtsvertretung seien nur bei amtlich bestellten Anwälten vom Staat zu tragen oder ansonsten gemäss den Regeln der unentgeltlichen Rechtspflege zu beurteilen, unzutreffend und verletzte Art. 14 BG-IKid und Art. 26 Abs. 2 HKÜ.
Angesichts dieser Rechtslage, wonach die Kostenfreiheit in jedem Fall gilt, erachtete das Bundesgericht die subsidiäre Rüge des Beschwerdeführers bezüglich der Vermittlung seiner Anwältin durch die Zentralbehörde als unerheblich.
-
Entscheid des Bundesgerichts:
- Der Beschwerde des Vaters wurde stattgegeben.
- Dispositivziffer 3 des angefochtenen Urteils wurde aufgehoben und neu gefasst. Die Kosten der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers A._ werden vom Staat des Kantons Tessin getragen. Die Regelung bezüglich der unentgeltlichen Rechtspflege der Gegenpartei B._ (Gutheissung des Gesuchs) bleibt bestehen, da diese das Urteil nicht angefochten hatte.
- Gemäss Art. 14 BG-IKid und Art. 26 Abs. 2 HKÜ werden im bundesgerichtlichen Verfahren keine Gerichtskosten erhoben.
- Die Anwältinnen der Parteien und der Beistand des Kindes erhalten eine Entschädigung aus der Kasse des Bundesgerichts für das Verfahren vor Bundesgericht. Das Gesuch der Gegenpartei um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wurde damit gegenstandslos.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht hob das Urteil der Vorinstanz in Bezug auf die Kosten der Rechtsvertretung auf und stellte klar, dass in Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen die Kosten der anwaltlichen Vertretung beider Parteien gemäss Art. 26 Abs. 2 HKÜ und Art. 14 BG-IKid vom Staat zu tragen sind. Dies gilt unabhängig davon, ob der Anwalt amtlich bestellt oder von der Partei privat mandatiert wurde, und ohne dass die Voraussetzungen der nationalen unentgeltlichen Rechtspflege geprüft oder angewendet werden müssen. Die frühere Rechtsprechung, welche eine Unterscheidung zwischen amtlich bestellten und privaten Anwälten traf, wurde ausdrücklich als nicht mehr der geltenden Praxis entsprechend bezeichnet. Der Staat hat die Anwaltskosten des Beschwerdeführers zu übernehmen.