Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_162/2025 vom 5. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen, wie gewünscht.

Bundesgerichtsurteil 7B_162/2025 vom 5. Juni 2025 (Gegenstand: Ablehnung / Ricusazione)

1. Einleitung

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts befasst sich mit einem Ablehnungsgesuch (Ricusazione) gegen eine Staatsanwältin im Rahmen eines Strafverfahrens. Der Beschwerdeführer A.__ beantragte die Ablehnung der Staatsanwältin Chiara Borelli, da er der Ansicht war, deren Verhalten und Äusserungen im Rahmen einer Einvernahme liessen auf Befangenheit schliessen. Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob die von der kantonalen Vorinstanz vorgenommene Würdigung dieser Umstände bundesrechtskonform ist und ob ein objektiver Anschein der Befangenheit vorliegt, der eine Ablehnung rechtfertigen würde.

2. Sachverhalt (Relevante Teile)

Gegen den Beschwerdeführer A.__ und weitere Personen läuft ein Strafverfahren wegen Vermögensdelikten, geführt von Staatsanwältin Chiara Borelli (B.a). Im Rahmen dieses Verfahrens wurde für den 20. November 2024 eine Konfrontationseinvernahme zwischen dem Beschwerdeführer und einem weiteren Beschuldigten angesetzt, gefolgt von einer Befragung des Beschwerdeführers (A.d). Zuvor hatte der Beschwerdeführer an mehreren Tagen, zuletzt am 19. November 2024, Akteneinsicht genommen (A.e).

Während der Einvernahme am 20. November 2024 erklärte der Beschwerdeführer, dass er gemäss ärztlichem Rat aufgrund seines psychischen Gesundheitszustands nicht in der Lage sei, der Einvernahme standzuhalten und daher von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache, solange er nicht alle Akten eingesehen habe (A.f). Durch seinen Verteidiger wurde ein ärztliches Attest vom 18. November 2024 vorgelegt, das attestierte, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines "derzeit beeinträchtigten psychischen Gesundheitszustands" nicht in der Lage sei, einer Einvernahme standzuhalten, da er nicht in der Lage sei, seine Interessen "in lucida Weise" geltend zu machen (A.g).

Die Staatsanwältin nahm dies zur Kenntnis und merkte im Protokoll an, dass der Beschwerdeführer in den vorangegangenen Tagen problemlos Akteneinsicht nehmen konnte, und es "erscheine seltsam", dass ausgerechnet am Tag der Schlussvernehmung die Gesundheit beeinträchtigt sei. Daraufhin wurden nur Fragen an den anderen Beschuldigten gestellt (A.f).

Unmittelbar am Tag nach der Einvernahme (21. November 2024) stellte der Beschwerdeführer persönlich ein Ablehnungsgesuch gegen die Staatsanwältin (B.a). Dieses Gesuch stützte sich auf angebliche mündliche Äusserungen der Staatsanwältin während der Einvernahme vom 20. November 2024, die nicht protokolliert wurden. Konkret soll die Staatsanwältin nach Kenntnisnahme des ärztlichen Attests gesagt haben: 1. "Wenn dies die neue Taktik ist, werden Sie bald von mir hören" ("se questa è la nuova tattica avrete presto mie notizie"). 2. Das Attest als "wertloses Papier" ("carta straccia") bezeichnet haben. 3. Dem Beschwerdeführer gesagt haben, er müsse sich "schämen" ("vergognarsi").

Diese Äusserungen sollen nach Ansicht des Beschwerdeführers eine voreingenommene Haltung der Staatsanwältin ihm gegenüber gezeigt und den Anschein zukünftiger Parteilichkeit begründet haben (B.a).

Die Staatsanwältin räumte in ihrer Stellungnahme (vom 22. November 2024, zitiert im kantonalen Entscheid) ein, das Attest als "wertloses Papier" bezeichnet zu haben. Sie schloss nicht aus, die Vorlage des Attests als "neue Verteidigungstaktik" kommentiert zu haben, erinnerte sich aber nicht, "beschämend" gesagt zu haben. Sie schloss jedoch aus, die Formulierung "Sie werden bald von mir hören" verwendet zu haben (B.d, Erw. 5.1.2). Der Beschwerdeführer legte Erklärungen anderer anwesender Anwälte vor, die seine Darstellung der Äusserungen bestätigten (B.d, Erw. 5.1.3).

Nachdem die Staatsanwältin ein psychiatrisches Gutachten zur Klärung der Vernehmungsfähigkeit des Beschwerdeführers in Auftrag gegeben hatte (B.c), wies die kantonale Vorinstanz (Strafbeschwerdegericht) das Ablehnungsgesuch ab (B.d). Sie liess offen, ob die streitigen Äusserungen tatsächlich getätigt wurden, da sie auch im Falle ihrer Verwendung die Ablehnung nicht rechtfertigen würden (B.d, Erw. 5.1.4).

3. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüft zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde, die als Beschwerde in Strafsachen gegen eine Zwischenverfügung betreffend ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich zulässig ist (Erw. 1).

3.1. Überprüfung der Sachverhaltsfeststellung (Erw. 3)

Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung, weil die Vorinstanz nicht abschliessend geklärt habe, welche Äusserungen die Staatsanwältin tatsächlich gemacht hat (Erw. 3.1). Das Bundesgericht hält fest, dass die Vorinstanz die Frage offenlassen konnte, da sie den Fall materiell beurteilte, indem sie prüfte, ob die behaupteten Äusserungen – unter der Annahme, sie seien gefallen – eine Befangenheit begründen würden. Ein Mangel bei der Sachverhaltsfeststellung ist nur relevant, wenn er für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Da die Vorinstanz die angebliche Äusserungen als gegeben betrachtete, um ihre rechtliche Wirkung zu prüfen, ist die unterlassene abschliessende Klärung nicht entscheiderheblich (Erw. 3.2).

Der Beschwerdeführer argumentiert weiter, die Äusserungen, insbesondere die Formulierung "wenn dies die neue Taktik ist, werden Sie bald von mir hören", seien eine Reaktion auf sein Aussageverweigerungsrecht und nicht primär auf die Vorlage des Attests gewesen. Er bezeichnet dies als "Drohungen" ("propositi ritorsivi"). Das Bundesgericht weist dies als unzulässige appellatorische Kritik des festgestellten Sachverhalts zurück (Erw. 2.1, 2.2, 3.2). Die Vorinstanz habe willkürfrei annehmen dürfen, dass die Vorlage des ärztlichen Attests – das den Beschwerdeführer für einvernahmeunfähig erklärte, obwohl er zuvor an mehreren Tagen Akteneinsicht genommen hatte – die Staatsanwältin zur Verwendung der streitigen Worte veranlasste. Dies werde auch durch die Erklärungen der vom Beschwerdeführer selbst beigezogenen Anwälte gestützt, die die Äusserungen zeitlich nach der Kenntnisnahme des Attests verorteten (Erw. 3.2). Das Motiv für die Vorlage des Attests sei zudem irrelevant, wenn aus ihm klar hervorging, dass der Beschwerdeführer gemäss Arzt nicht einvernommen werden konnte.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Staatsanwältin habe die Aussage "Sie werden bald von mir hören" absichtlich geleugnet und damit relevante Fakten verschwiegen, qualifiziert das Bundesgericht ebenfalls als unzulässige appellatorische Argumentation, die auf einer subjektiven Befürchtung basiert (Erw. 3.2).

3.2. Prüfung des Ablehnungsgesuchs (Erw. 4)

Das Bundesgericht legt die relevanten rechtlichen Grundlagen dar: Art. 56 lit. f StPO, Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleisten das Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter (bzw. hier Staatsanwalt im Vorverfahren gemäss Art. 205 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 56 StPO). Entscheidend ist, ob objektiv begründete Umstände vorliegen, die geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken und einen Misstrauen zu rechtfertigen. Es genügt der objektive Anschein der Voreingenommenheit; die subjektive Empfindung der Partei ist nicht ausschlaggebend (Erw. 4.2). Äusserungen eines Magistraten sind objektiv und im Kontext zu interpretieren (Erw. 4.2). Der Anschein der Parteilichkeit entsteht namentlich, wenn Äusserungen direkt mit dem konkreten Strafverfahren zusammenhängen und den Eindruck erwecken, der Magistrat habe sich bereits endgültig über den Ausgang des Verfahrens oder zentrale Punkte festgelegt (Erw. 4.2).

Das Bundesgericht schliesst sich der Würdigung der Vorinstanz an, dass die angeblich getätigten Äusserungen, selbst wenn sie verwendet wurden, nicht ausreichen, um einen objektiven Anschein der Befangenheit zu begründen (Erw. 4.3.1, 4.3.2). Es sei verständlich, dass die Staatsanwältin in der konkreten Situation, in der der Beschwerdeführer nach mehreren Tagen Akteneinsicht am Tag der geplanten (finalen) Einvernahme ein ärztliches Attest vorlegte, das seine Vernehmungsunfähigkeit attestierte, überrascht und verärgert war. Dieses Verhalten des Beschwerdeführers konnte als bewusstes Hindernis ("Taktik") zur Durchführung einer geplanten Untersuchungshandlung verstanden werden (Erw. 4.3.2).

Die Vorinstanz habe zu Recht erwogen, dass die Ausdrücke "wertloses Papier" und die Aufforderung, sich zu "schämen", sowie die Formulierung "wenn dies die neue Taktik ist, werden Sie bald von mir hören", weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit geeignet seien, einen Anschein von Parteilichkeit zu begründen (Erw. 4.3.2). Zwar hätte die Staatsanwältin ihren Ärger anders formulieren können. Die Äusserungen beschränkten sich aber darauf, das Vorgehen des Beschwerdeführers als (prozedurale) "Taktik" zu bezeichnen, die die Untersuchung blockiere (Erw. 4.3.2). Die "Drohung", man werde "bald von [ihr] hören", sei im Kontext als Ankündigung weiterer Verfahrensschritte (hier der Anordnung eines Gutachtens zur Klärung der Vernehmungsfähigkeit) zu verstehen, was angesichts des Attests und der Umstände nicht willkürlich war (Erw. 4.3.2, 4.3.3).

Das Bundesgericht vergleicht die Situation mit Beispielen aus der Rechtsprechung, bei denen eine Befangenheit bejaht wurde (z.B. Bezeichnung eines Beschuldigten als "menteur patenté", vorzeitige Qualifizierung als "Betrüger", pauschale Feststellung der Rückfälligkeit oder grob unsachliche Missbilligung von Beweisanträgen). Es stellt fest, dass die im vorliegenden Fall behaupteten Äusserungen nicht die gleiche Schwere aufweisen und nicht darauf schliessen lassen, dass die Staatsanwältin persönlich gegen den Beschwerdeführer voreingenommen ist oder den Ausgang des Verfahrens bereits endgültig festgelegt hat (Erw. 4.3.2). Die vom Beschwerdeführer zitierte EMRK-Rechtsprechung (Otegi Mondragon gegen Spanien) sei zudem nicht vergleichbar, da es dort um Meinungsfreiheit im politischen Kontext ging (Erw. 4.3.2).

Auch wenn die Äusserungen beim Beschwerdeführer subjektive Besorgnis ausgelöst haben mögen, sind sie objektiv betrachtet im spezifischen Kontext der Verfahrenssituation nicht von ausreichender Schwere, um einen Anschein der Parteilichkeit zu erwecken (Erw. 4.3.4).

4. Ergebnis

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht und kein Konventionsrecht verletzt hat, indem sie das Ablehnungsgesuch abwies (Erw. 4.3.4). Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann (Erw. 5). Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Erw. 5 i.V.m. Art. 66 Abs. 1 BGG).

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Gegenstand: Ablehnungsgesuch gegen eine Staatsanwältin aufgrund angeblicher Äusserungen im Rahmen einer Einvernahme.
  • Behauptete Äusserungen: Die Staatsanwältin soll das ärztliche Attest des Beschwerdeführers als "wertloses Papier" bezeichnet, ihm gesagt haben, er solle sich "schämen", und im Zusammenhang mit seinem Vorgehen geäussert haben: "Wenn dies die neue Taktik ist, werden Sie bald von mir hören".
  • Kontext der Äusserungen: Die Äusserungen fielen nach Vorlage eines ärztlichen Attests am Tag einer geplanten Einvernahme, das den Beschwerdeführer für einvernahmeunfähig erklärte, obwohl er kurz zuvor an mehreren Tagen Akteneinsicht genommen hatte.
  • Entscheidung der Vorinstanz: Die Vorinstanz wies das Gesuch ab, ohne abschliessend zu klären, ob die Äusserungen tatsächlich fielen, da sie auch im Falle ihrer Verwendung keine Ablehnung rechtfertigen würden. Sie wertete die Äusserungen im Kontext der Überraschung und des Unmuts über die Verfahrenstaktik.
  • Entscheidung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bestätigt den Entscheid der Vorinstanz. Es hält fest, dass die unterlassene abschliessende Klärung der Sachverhaltsfrage nicht willkürlich ist, da die Vorinstanz die behaupteten Äusserungen als gegeben voraussetzte und deren rechtliche Wirkung prüfte. Die vom Beschwerdeführer vorgenommene abweichende Interpretation des Kontexts wird als unzulässige appellatorische Kritik zurückgewiesen.
  • Rechtliche Würdigung: Das Bundesgericht prüft das Gesuch anhand der Kriterien für den objektiven Anschein der Befangenheit (Art. 56 lit. f StPO, Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Es kommt zum Schluss, dass die angeblich getätigten Äusserungen, selbst wenn sie verwendet wurden, im spezifischen Kontext der prozeduralen Situation (späte Vorlage eines Attests, das Vernehmungsunfähigkeit bescheinigt, nach Akteneinsicht) nicht die erforderliche Schwere aufweisen, um objektiv den Anschein persönlicher Voreingenommenheit oder einer bereits getroffenen Festlegung über den Verfahrensausgang zu erwecken. Sie seien eher als Reaktion auf ein als hinderlich empfundenes prozedurales Vorgehen zu verstehen. Die Ankündigung "Sie werden bald von mir hören" sei als Ankündigung weiterer Schritte (hier Gutachten) im Verfahrenskontext zu deuten.
  • Ergebnis: Die Beschwerde wird abgewiesen. Die Kosten werden dem Beschwerdeführer auferlegt.