Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_441/2025 vom 19. Juni 2025

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Absolut. Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 7B_441/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 19. Juni 2025:

Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_441/2025 vom 19. Juni 2025

1. Gegenstand und Verfahrensverlauf

Das Bundesgericht hatte über einen Rekurs (recte: Beschwerde) gegen einen Entscheid der Rechtsmittelinstanz in Strafsachen des Kantons Neuenburg zu befinden. Streitgegenstand war die Rechtmässigkeit der Fortsetzung einer therapeutischen institutionellen Massnahme (Massnahmenvollzug nach Art. 59 des Schweizerischen Strafgesetzbuches, StGB) als Ersatzmassnahme zur Sicherheitshaft (mesure de substitution à la détention pour des motifs de sûreté), welche während eines hängigen gerichtlichen Verfahrens über die Verlängerung der Massnahme angeordnet wurde (Art. 364b Abs. 2 i.V.m. Art. 237 StPO).

Der Beschwerdeführer, ein Schweizer Bürger mit einer langen Vorstrafenliste (u.a. wegen Sexualdelikten an Kindern, versuchter schwerer Körperverletzung, Drohungen), war ursprünglich im Jahr 2006 verwahrt worden (gemäss altem bzw. neuem Art. 64 StGB). Diese Massnahme wurde 2016 in eine therapeutische institutionelle Massnahme (Art. 59 StGB) umgewandelt. Die Vollzugshistorie war von erheblichen Schwierigkeiten geprägt, da der Beschwerdeführer sich Therapieangeboten weitgehend verweigerte und sich isolierte. Eine psychiatrische Expertise aus dem Jahr 2021 diagnostizierte eine gemischte Persönlichkeitsstörung sowie eine schwere, chronische schizotypische Störung und attestierte ein global erhöhtes Rückfallrisiko ohne enges soziales und therapeutisches Umfeld. Die Expertise schlug eine schrittweise Öffnung zu einem nicht-vollzuglichen Umfeld mit spezialisierter Begleitung vor.

Die Massnahme wurde 2021 und zuletzt am 13. März 2023 jeweils um zwei Jahre verlängert, letztmals bis zum 22. März 2025. Das zuständige Kriminalgericht des Regionalgerichts Montagnes et du Val-de-Ruz stellte am 17. März 2025, kurz vor Ablauf der Massnahme, ein Gesuch an das Zwangsmassnahmengericht auf Aufrechterhaltung der Haft bzw. Anordnung von Sicherheitshaft gemäss Art. 364b StPO für drei Monate, da aus organisatorischen Gründen ein Entscheid über die weitere Verlängerung der Massnahme (Art. 59 Abs. 4 StGB) nicht fristgerecht vor Ablauf der zweijährigen Verlängerung ergehen konnte.

Das Zwangsmassnahmengericht ordnete am 19. März 2025 die Fortsetzung der therapeutischen Massnahme als Ersatzmassnahme zur Sicherheitshaft für drei Monate, d.h. bis zum 17. Juni 2025, an. Die kantonale Rechtsmittelinstanz bestätigte diesen Entscheid am 11. April 2025.

Dagegen reichte der Beschwerdeführer am 14. Mai 2025 Beschwerde beim Bundesgericht ein. Er beantragte im Wesentlichen die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Freiheitsentziehung gemäss Art. 5 EMRK und deren herabwürdigenden Charakters gemäss Art. 3 EMRK sowie seine sofortige Freilassung.

2. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde. Der angefochtene Entscheid betrifft eine Ersatzmassnahme zur Sicherheitshaft während eines hängigen Verfahrens betreffend die Verlängerung einer therapeutischen Massnahme und stellt einen Zwischenentscheid dar, der nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG ist grundsätzlich offen.

2.1. Das aktuelle Rechtschutzinteresse (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG)

Das Bundesgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer ein aktuelles und praktisches Rechtschutzinteresse an der Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Entscheids haben muss. Dieses Interesse muss sowohl im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung als auch im Zeitpunkt der Urteilsfällung bestehen.

Während des laufenden Verfahrens vor dem Bundesgericht, am 7. Mai 2025, fällte das Kriminalgericht des Regionalgerichts einen neuen Entscheid betreffend die Verlängerung der Massnahme nach Art. 59 Abs. 4 StGB und verlängerte diese um weitere drei Jahre, d.h. bis zum 22. März 2028. Dieser Entscheid und die damit verbundenen Sachverhalte stellen neue Beweismittel vor Bundesgericht dar (Art. 99 Abs. 1 BGG), die für die Beurteilung der Zulässigkeit relevant sind.

Das Bundesgericht erwog, dass mit dem Entscheid des Kriminalgerichts vom 7. Mai 2025 das Verfahren beendet wurde, das zur Anordnung der Ersatzmassnahme durch das Zwangsmassnahmengericht (und Bestätigung durch die kantonale Rechtsmittelinstanz) geführt hatte. Dieses Verfahren hatte einzig den Zweck, die Modalitäten des Vollzugs während der hängigen richterlichen Entscheidung über die Massnahmenverlängerung (Art. 59 Abs. 4 StGB) aufrechtzuerhalten.

Seit dem Entscheid vom 7. Mai 2025 untersteht der Beschwerdeführer somit nicht mehr dem Haftregime, das Gegenstand seiner Beschwerde an das Bundesgericht ist. Die Frage, ob damit ein aktuelles Interesse entfallen ist, liess das Bundesgericht jedoch offen.

2.2. Fehlender Hafttitel seit dem 7. Mai 2025

Das Bundesgericht stellte fest, dass das Kriminalgericht in seinem Entscheid vom 7. Mai 2025 zwar die Massnahme verlängerte und ausführte, dieser Verlängerungsentscheid genüge als Hafttitel. Das Gericht ordnete jedoch in diesem Entscheid nicht die Fortsetzung der Ersatzmassnahme zur Sicherheitshaft an, die für den Fall einer Beschwerde gegen den Verlängerungsentscheid notwendig gewesen wäre, um den Vollzug während des Rechtsmittelverfahrens aufrechtzuerhalten (Art. 231 Abs. 1 i.V.m. Art. 364b Abs. 4 StPO).

Der Beschwerdeführer hat gegen den Verlängerungsentscheid vom 7. Mai 2025 Berufung eingelegt. Die Berufung hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung (Art. 402 StPO), zumindest hinsichtlich der angefochtenen Punkte (hier die Verlängerung der Massnahme, da die sofortige Freilassung beantragt wurde). Folglich ist der Verlängerungsentscheid vom 7. Mai 2025 noch nicht vollstreckbar.

Da das Kriminalgericht es unterliess, in seinem Entscheid vom 7. Mai 2025 die Fortsetzung der Sicherheitshaft bzw. der Ersatzmassnahme zur Sicherheitshaft für die Dauer des Berufungsverfahrens anzuordnen, stützt sich die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers seit diesem Datum nicht mehr auf einen gültigen Hafttitel.

Das Bundesgericht stellte fest: Die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers ist seit dem 7. Mai 2025 widerrechtlich (illicite) wegen des Fehlens eines gültigen Hafttitels.

2.3. Konsequenzen der festgestellten Widerrechtlichkeit

Das Fehlen eines Hafttitels führt nicht zwingend zur sofortigen Freilassung. Eine solche Widerrechtlichkeit kann andere rechtliche Folgen haben, insbesondere Entschädigungsansprüche gemäss Art. 429 ff. StPO (Art. 431 StPO) je nach Schwere der Widerrechtlichkeit.

Das Bundesgericht betonte, dass es nicht seine Aufgabe sei, in erster Instanz und ohne weitere Sachverhaltsabklärung über die Angemessenheit der aktuell vollzogenen Massnahme (seit dem 7. Mai 2025) oder die konkreten Folgen des fehlenden Hafttitels zu entscheiden.

Die Sache muss vielmehr an die kantonale Berufungsinstanz (Appellationsbehörde) verwiesen werden, welche nunmehr für die Prüfung der Sicherheitshaft zuständig ist (Art. 388 Abs. 1, 399 Abs. 2 StPO). Diese Behörde hat von Amtes wegen und in kürzester Frist über die Haftfrage zu entscheiden (Art. 232 ff. i.V.m. Art. 364b Abs. 4 StPO) sowie über die Folgen des festgestellten Fehlens eines Hafttitels.

2.4. Unzulässigkeit der weiteren Rügen (Art. 3 und 5 EMRK im Übrigen)

Der Beschwerdeführer hatte in seiner Beschwerde an das Bundesgericht auch die allgemeine Widerrechtlichkeit seiner Freiheitsentziehung gemäss Art. 5 Abs. 1 EMRK (neben dem spezifischen Mangel des Hafttitels seit dem 7. Mai) sowie den herabwürdigenden Charakter seiner Haft gemäss Art. 3 EMRK gerügt und die Feststellung dieser Verletzungen beantragt.

Das Bundesgericht trat auf diese weitergehenden Rügen nicht ein. Es begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer ähnliche Rügen bereits vor dem Kriminalgericht (im Verfahren, das zum Entscheid vom 7. Mai 2025 führte) geltend gemacht hatte und dort darüber entschieden wurde. Vor allem aber hat der Beschwerdeführer diese Rügen erneut in seiner Berufung gegen den Entscheid vom 7. Mai 2025 vorgebracht. Die kantonale Berufungsinstanz wird sich somit erneut und voraussichtlich relativ rasch (wegen der gebotenen Beschleunigung in Haftfragen) mit diesen Fragen befassen müssen.

Folglich fehlt dem Beschwerdeführer in Bezug auf diese weitergehenden Rügen an das Bundesgericht ein aktuelles und praktisches Rechtschutzinteresse (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Eventuelle rechtliche Nachteile aus dem angefochtenen Entscheid (der Ersatzmassnahme bis zum 17. Juni 2025) betreffend diese allgemeinen Fragen könnten in der Berufung gegen den Hauptentscheid vom 7. Mai 2025 behoben werden. Überdies seien diese Rügen, die im Wesentlichen den gesamten Massnahmenvollzug seit 2006 betreffen, ohnehin nicht sinnvoll im Rahmen der Beschwerde gegen eine nur wenige Wochen dauernde Ersatzmassnahme zur Sicherheitshaft zu prüfen.

3. Ergebnis

Die Beschwerde wurde gutgeheissen, soweit sie nicht unzulässig war. Das Bundesgericht stellte die Widerrechtlichkeit der Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers seit dem 7. Mai 2025 wegen des Fehlens eines gültigen Hafttitels fest.

Die Sache wurde an die kantonale Berufungsinstanz des Kantons Neuenburg (Cour pénale du Tribunal cantonal, wie aus der Mitteilung im Dispositiv hervorgeht) zurückgewiesen. Diese Instanz hat nunmehr von Amtes wegen und mit Priorität die Frage der Sicherheitshaft für die Dauer des Berufungsverfahrens zu prüfen (Art. 232 ff. i.V.m. Art. 364b Abs. 4 StPO) und über die Konsequenzen des vom Bundesgericht festgestellten fehlenden Hafttitels seit dem 7. Mai 2025 zu befinden.

Die weitergehenden Rügen betreffend die generelle Widerrechtlichkeit der Haft (Art. 5 Abs. 1 EMRK) und den herabwürdigenden Charakter (Art. 3 EMRK) wurden als unzulässig erklärt, da der Beschwerdeführer mangels aktuellen Rechtschutzinteresses in dieser spezifischen Verfahrenskonstellation nicht zur Geltendmachung berechtigt war.

Da der Beschwerdeführer mit anwaltlicher Vertretung obsiegte, wurde ihm eine Parteientschädigung zugesprochen. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Das Bundesgericht hatte über eine Ersatzmassnahme zur Sicherheitshaft während eines Verfahrens zur Verlängerung einer therapeutischen Massnahme zu entscheiden.
  • Entscheidend wurde ein neues Urteil des Kriminalgerichts vom 7. Mai 2025, das die Massnahme verlängerte, welches aber während des Bundesgerichtsverfahrens erging.
  • Das Bundesgericht stellte fest, dass dieses neue Urteil die Grundlage für die bisherige Ersatzmassnahme beendete.
  • Da das Kriminalgericht im Urteil vom 7. Mai 2025 trotz hängiger Berufung (mit aufschiebender Wirkung) keine Haft (Sicherheitshaft gemäss Art. 231 Abs. 1 i.V.m. Art. 364b Abs. 4 StPO) für die Dauer des Berufungsverfahrens anordnete, fehlt der Freiheitsentziehung seit dem 7. Mai 2025 ein gültiger Hafttitel.
  • Die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers ist seit dem 7. Mai 2025 widerrechtlich.
  • Das Bundesgericht ordnet keine sofortige Freilassung an, sondern weist die Sache an die kantonale Berufungsinstanz zurück.
  • Die Berufungsinstanz muss nun von Amtes wegen und dringend über die Notwendigkeit der Sicherheitshaft während des Berufungsverfahrens entscheiden und die Folgen des fehlenden Hafttitels seit dem 7. Mai 2025 prüfen.
  • Weitergehende Rügen des Beschwerdeführers betreffend die allgemeine Rechtswidrigkeit der Haft (Art. 5 EMRK) und herabwürdigende Behandlung (Art. 3 EMRK) wurden in diesem Verfahren als unzulässig erklärt, da hierfür kein aktuelles Rechtschutzinteresse vorlag, da diese Rügen im Hauptverfahren (Berufung gegen den Massnahmenverlängerungsentscheid) geprüft werden.