Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_546/2024 vom 20. Mai 2025:
Einleitung
Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (Aktenzeichen 4A_546/2024 vom 20. Mai 2025) betrifft eine zivilrechtliche Beschwerde gegen einen Schiedsentscheid des Tribunal Arbitral du Sport (TAS) vom 9. September 2024. Der TAS-Entscheid bestätigte eine Disziplinarstrafe der Union Internationale de Biathlon (IBU) gegen einen ehemaligen russischen Biathleten (den Beschwerdeführer) wegen eines Verstosses gegen die Anti-Doping-Bestimmungen. Der Kern des Falls drehte sich um die Verwendung von Daten aus dem Laboratory Information Management System (LIMS) des Moskauer Labors als Beweis für den Dopingverstoss.
Sachverhalt (kurz zusammengefasst)
Der Beschwerdeführer, ein ehemaliger russischer Spitzenbiathlet, wurde von der IBU aufgrund von Daten aus dem LIMS 2015 des Moskauer Labors angeklagt. Diese Daten deuteten auf die Anwesenheit einer verbotenen Substanz (Oxandrolon) in einer von ihm am 27. August 2013 abgegebenen Urinprobe hin. Die IBU-Disziplinarkommission befand ihn für schuldig, suspendierte ihn für zwei Jahre und annullierte seine Ergebnisse ab dem 27. August 2013. Der Biathlet legte gegen diesen Entscheid beim TAS Berufung ein.
Der TAS bestätigte den IBU-Entscheid. Er befand, dass die LIMS 2015-Daten betreffend die strittige Probe authentisch seien, während die LIMS 2019-Daten manipuliert worden seien, um das positive Testergebnis zu verschleiern. Gestützt auf die Analyse der LIMS-Daten und der Expertengutachten kam der TAS zum Schluss, dass die Beweise im Kontext des organisierten Dopingprogramms in Russland zeigten, dass der Athlet eine verbotene Substanz verwendet hatte.
Massgebende rechtliche Grundlagen und Prüfungsrahmen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht prüft Beschwerden gegen internationale Schiedssprüche nach den Bestimmungen des 12. Kapitels des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; Art. 176 ff. IPRG). Der Prüfungsrahmen ist dabei stark eingeschränkt. Eine Anfechtung ist nur aus den abschliessend in Art. 190 Abs. 2 IPRG aufgezählten Gründen möglich. Das Bundesgericht ist gemäss Art. 77 Abs. 3 LTF an die Rügepflicht gebunden (sog. Rügeprinzip), d.h., der Beschwerdeführer muss präzise darlegen, welcher der Anfechtungsgründe geltend gemacht wird und inwiefern der angefochtene Schiedsentscheid diesen verletzt. Appellatorische Kritik, bei der versucht wird, den Sachverhalt neu zu würdigen oder die Argumentation der Gegenpartei zu wiederholen, ist unzulässig.
Ein zentraler Punkt ist, dass das Bundesgericht grundsätzlich an den Sachverhalt gebunden ist, wie er vom Schiedsgericht festgestellt wurde (Art. 105 Abs. 1 LTF analog i.V.m. Art. 77 Abs. 2 LTF, der die Anwendung von Art. 105 Abs. 2 LTF ausschliesst). Eine Berichtigung oder Ergänzung des Sachverhalts durch das Bundesgericht ist nur in sehr engen Ausnahmefällen möglich, insbesondere wenn ein zulässiger Rügegrund (z.B. Verletzung des rechtlichen Gehörs oder Verstoss gegen den Ordre public) gerade auf eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung abzielt.
Angriffspunkte des Beschwerdeführers und deren Würdigung durch das Bundesgericht
Der Beschwerdeführer machte im Wesentlichen zwei Rügen geltend: Verletzung des rechtlichen Gehörs und Verstoss gegen den Ordre public, einschliesslich der Verletzung der Unschuldsvermutung und des Grundsatzes in dubio pro reo.
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Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG)
- Argument des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte, der TAS habe sein rechtliches Gehör verletzt, indem er nicht berücksichtigt habe, dass ein grosser Prozentsatz der im LIMS als auffällig markierten Proben bei erneuter Analyse negativ ausgefallen sei. Dies zeige die generelle Unzuverlässigkeit der LIMS-Daten. Zudem habe das Schiedsgericht seine detaillierten Einwände gegen die methodische Richtigkeit der ursprünglichen Analyse seiner Probe im Moskauer Labor ignoriert.
- Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht weist diese Rüge zurück. Es hält fest, dass die Rüge des rechtlichen Gehörs nicht dazu dienen darf, die Beweiswürdigung des Schiedsgerichts anzugreifen. Genau dies versuche der Beschwerdeführer aber. Das Gericht stellt fest, dass der TAS das vom Beschwerdeführer hervorgehobene Dokument (Schreiben der IBU vom 24. August 2021 zu den Re-Analysen) sehr wohl berücksichtigt habe (siehe Referenzierung in den Randnummern 59 und 60 des TAS-Entscheids). Der TAS habe zudem die Zuverlässigkeit der LIMS-Daten und die Qualität der Analysen des Moskauer Labors ausführlich über mehr als zehn Seiten geprüft. Am Ende dieser Prüfung sei der TAS zum Schluss gelangt, dass die Daten zur strittigen Probe authentisch und verlässlich seien und im Kontext des organisierten Dopingsystems auf die Verwendung einer verbotenen Substanz hindeuteten. Das Schiedsgericht sei nicht verpflichtet gewesen, auf jedes Detail der Argumentation des Beschwerdeführers einzugehen. Das Bundesgericht schliesst, dass der TAS die vom Beschwerdeführer als entscheidend bezeichneten Elemente implizit zurückgewiesen hat. Die Rüge wird somit als unbegründet (bzw. unzulässig, soweit sie sich als verkappte Beweiskritik entpuppt) abgewiesen.
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Verstoss gegen den Ordre public (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG) / Vermutung der Unschuld / in dubio pro reo
- Argument des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer machte geltend, der Entscheid verstosse gegen den materiellen Ordre public, insbesondere gegen die Vermutung der Unschuld und den Grundsatz in dubio pro reo, wie sie auch in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert seien. Er stützte sich auf die seiner Meinung nach unzuverlässigen Beweise (LIMS-Daten), die im Zweifel zu seinen Gunsten hätten ausgelegt werden müssen. Er argumentierte zudem, dass er sich direkt auf die EMRK-Garantien berufen können müsste und das Bundesgericht eine volle Kognition bezüglich EMRK-Verletzungen haben sollte, wobei er auf den (damals noch nicht definitiven) EGMR-Entscheid im Fall Semenya gegen die Schweiz verwies.
- Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht verneint auch diese Rüge.
- Ordre public: Ein Verstoss gegen den materiellen Ordre public liegt nur vor, wenn der Schiedsentscheid im Ergebnis fundamentale Rechtsgrundsätze in einem Masse verletzt, dass er mit der massgebenden Rechtsordnung und dem Wertesystem nicht mehr vereinbar ist. Eine blosse Fehlbeurteilung von Beweisen, eine offensichtlich falsche Sachverhaltsfeststellung oder eine klare Rechtsverletzung genügen nicht für einen Ordre-public-Verstoss.
- Direkte EMRK-Anrufung: Das Bundesgericht bestätigt seine ständige Rechtsprechung, wonach die EMRK nicht direkt im Rahmen einer Beschwerde gegen einen internationalen Schiedsentscheid angerufen werden kann. EMRK-Grundsätze können allenfalls zur Konkretisierung der Anfechtungsgründe nach Art. 190 Abs. 2 IPRG herangezogen werden, müssen aber als Verletzung dieser IPRG-Bestimmungen gerügt werden.
- Vermutung der Unschuld / in dubio pro reo in Sportdisziplinarverfahren: Das Bundesgericht bekräftigt seine gefestigte Rechtsprechung, wonach die Vermutung der Unschuld und der Grundsatz in dubio pro reo, wie sie in der EMRK garantiert werden, nicht automatisch oder nicht in derselben Strenge in Disziplinarverfahren privatrechtlicher Sportverbände anwendbar sind (unter Verweis auf mehrere frühere Urteile, einschliesslich des kurz zuvor ergangenen Urteils 4A_474/2024 vom 6. Februar 2025). Im Gegensatz zu staatlichen Straf- oder Disziplinarverfahren, in denen der Staat über weitreichende Untersuchungs- und Zwangsbefugnisse verfügt, könnten private Organisationen wie Sportverbände den Kampf gegen Doping kaum effektiv führen, wenn dieselben strengen Beweisgrundsätze gälten.
- Semenya-Entscheid des EGMR: Das Bundesgericht weist den Verweis des Beschwerdeführers auf den Semenya-Entscheid zurück, da dieser zum Zeitpunkt des Urteils noch nicht definitiv war (hängig vor der Grossen Kammer des EGMR). Daher bleibt die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach die EMRK nicht direkt angerufen werden kann und in dubio pro reo in Sportdisziplinarverfahren nicht anwendbar ist, massgebend (unter Verweis auf die jüngsten Urteile 4A_488/2023 vom 23. Januar 2024 und 4A_474/2024).
- Anwendung auf den Fall: Der Beschwerdeführer kritisierte unter dem Deckmantel des Ordre public erneut unzulässigerweise die Beweiswürdigung des TAS hinsichtlich der Zuverlässigkeit der LIMS-Daten. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass das Ergebnis des TAS-Entscheids, der auf einer vom Schiedsgericht als zuverlässig beurteilten Beweislage im Kontext eines organisierten Dopingsystems beruht, nicht gegen den Schweizerischen Ordre public verstösst, d.h. nicht im Widerspruch zu den wesentlichen und weithin anerkannten Werten steht, die der schweizerischen Rechtsordnung zugrunde liegen sollten.
- Die Rüge des Verstosses gegen den Ordre public wird ebenfalls abgewiesen.
Schlussfolgerung des Bundesgerichts
Da keine der vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen zulässig oder begründet war, wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit sie zulässig war. Die Kosten des Verfahrens wurden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
- Das Bundesgericht prüft internationale Schiedssprüche nur sehr zurückhaltend und basierend auf einem abschliessenden Katalog von Rügegründen (Art. 190 Abs. 2 IPRG). Eine neue Würdigung des Sachverhalts oder der Beweise ist grundsätzlich ausgeschlossen.
- Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wurde abgewiesen, weil sie in Wirklichkeit eine unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung des Schiedsgerichts darstellte. Das Bundesgericht befand, dass der TAS die relevanten Punkte des Beschwerdeführers geprüft und implizit zurückgewiesen hatte.
- Die Rüge des Verstosses gegen den Ordre public, insbesondere wegen Verletzung der Vermutung der Unschuld und des Grundsatzes in dubio pro reo, wurde ebenfalls abgewiesen. Das Bundesgericht bekräftigte seine ständige Rechtsprechung, wonach diese Grundsätze in Disziplinarverfahren privater Sportverbände nicht (oder nicht in derselben Strenge wie in staatlichen Verfahren) anwendbar sind. Der Verweis auf den noch nicht definitiven EGMR-Entscheid Semenya änderte nichts an dieser Rechtsprechung.
- Das Bundesgericht befand, dass das Ergebnis des Schiedsentscheids, welches auf der vom TAS vorgenommenen Beweiswürdigung beruhte (Feststellung der Authentizität der LIMS-Daten im Kontext des organisierten Dopings), nicht im Widerspruch zum Schweizerischen Ordre public stand.