Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_183/2025 vom 12. Juni 2025

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Absolut. Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 8C_183/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 12. Juni 2025:

Zusammenfassung des Urteils 8C_183/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts

Gericht: Schweizerisches Bundesgericht, IV. Öffentlich-rechtliche Abteilung Datum: 12. Juni 2025 Geschäftsnummer: 8C_183/2025 Gegenstand: Arbeitslosenversicherung (negativer Kompetenzkonflikt) Parteien: A.__ (Beschwerdeführerin) gegen Caisse de chômage OCS (Beschwerdegegnerin) Angefochtene Entscheide: Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg vom 19. Dezember 2024 und Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 26. Februar 2025 (beide Nichteintreten mangels örtlicher Zuständigkeit)

I. Sachverhalt und Prozessgeschichte

Der Fall betrifft eine versicherte Person, A.__, gegen die eine Arbeitslosenkasse (Caisse de chômage OCS, Sion) eine Einstellung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung für 31 Tage verfügte, da sie die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet habe. Die Versicherte, die ihren Hauptwohnsitz im Kanton Wallis hat, erhob Opposition gegen diese Verfügung. Die Arbeitslosenkasse bestätigte die Einstellung mit Oppositionsentscheid vom 4. November 2024. Dieser Entscheid wurde der Versicherten an ihren Nebenwohnsitz im Kanton Freiburg zugestellt.

Die Versicherte erhob Beschwerde gegen den Oppositionsentscheid beim Kantonsgericht Freiburg. Dieses erklärte sich mit Entscheid vom 19. Dezember 2024 örtlich unzuständig (ratione loci), trat auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Akten an das Kantonsgericht Wallis. Das Kantonsgericht Wallis erklärte sich seinerseits mit Entscheid vom 26. Februar 2025 ebenfalls örtlich unzuständig und trat ebenfalls nicht auf die Beschwerde ein.

Angesichts dieses "negativen Kompetenzkonflikts", bei dem sich zwei Gerichte für unzuständig erklären, gelangte die Versicherte mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragte, das Bundesgericht möge das zuständige kantonale Gericht bezeichnen, das über ihre Beschwerde gegen den Oppositionsentscheid der Arbeitslosenkasse zu befinden habe. Das Kantonsgericht Wallis verzichtete auf eine Stellungnahme, während das Kantonsgericht Freiburg die Gutheissung der Beschwerde und die Rückweisung des Falls an sich selbst beantragte.

II. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hatte in dieser Konstellation zu prüfen, welches der beiden kantonalen Gerichte (Freiburg oder Wallis) für die Behandlung der Beschwerde der Versicherten gegen den Oppositionsentscheid der Arbeitslosenkasse örtlich zuständig ist.

  1. Prüfungsumfang bei negativem Kompetenzkonflikt: Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts, wo das zweite angegangene Gericht (hier: Wallis) ebenfalls Nichteintreten erklärt und die Zuständigkeit verneint, das Bundesgericht im Rahmen der gegen diesen zweiten Entscheid gerichteten Beschwerde die Zuständigkeit beider kantonalen Gerichte frei prüfen muss. Der Nichteintretensentscheid des ersten Gerichts (hier: Freiburg) erwächst in einer solchen Situation nicht in Rechtskraft, da andernfalls kein zuständiges Gericht mehr existierte. Dies ist eine ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts (Verweis auf BGE 143 V 363 E. 2; 135 V 153 E. 1.2 u.a.).

  2. Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit in der Arbeitslosenversicherung:

    • Allgemeine Regel (LPGA): Grundsätzlich bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit der Sozialversicherungsgerichte gemäss Art. 58 Abs. 1 ATSG nach dem Wohnsitz des Versicherten (oder einer anderen Partei) im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung.
    • Spezialregelung (AVIG/AVIV): Art. 100 Abs. 3 AVIG ermächtigt den Bundesrat, für die Arbeitslosenversicherung besondere Zuständigkeitsregeln zu erlassen, die von Art. 58 ATSG abweichen. Der Bundesrat hat von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht und Art. 128 AVIV erlassen.
    • Art. 128 i.V.m. Art. 119 AVIV: Gemäss Art. 128 Abs. 1 AVIV bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit des kantonalen Versicherungsgerichts bei Beschwerden gegen Entscheide von Arbeitslosenkassen nach den Kriterien von Art. 119 AVIV.
    • Massgebendes Kriterium (Art. 119 Abs. 1 lit. a AVIV): Art. 119 Abs. 1 lit. a AVIV legt fest, dass die örtliche Zuständigkeit der kantonalen Behörde (d.h. des kantonalen Gerichts, vgl. Art. 128 Abs. 1 AVIV) sich nach dem Ort richtet, wo sich die versicherte Person der obligatorischen Kontrolle für die Arbeitslosenentschädigung unterstellt (sog. Kontrollort).
    • Massgebender Zeitpunkt (Art. 119 Abs. 2 AVIV): Massgebend für die Bestimmung des Zuständigkeitsorts gemäss Art. 119 AVIV ist der Zeitpunkt, in dem der verwaltungsrechtliche Entscheid (hier: der Oppositionsentscheid der Arbeitslosenkasse) gefällt wird.
    • Hilfskriterium (Art. 119 Abs. 1 lit. e AVIV): Erst wenn sich die versicherte Person zum Zeitpunkt des Entscheids keiner Kontrolle mehr unterstellt, ist stattdessen der Wohnsitz der versicherten Person massgebend (Art. 119 Abs. 1 lit. e AVIV).
  3. Anwendung der Regeln auf den vorliegenden Fall: Das Bundesgericht stützte sich auf die unbestrittenen kantonalen Feststellungen zum Sachverhalt:

    • Die Versicherte hat ihren Hauptwohnsitz im Kanton Wallis.
    • Sie hat seit dem 1. Januar 2024 einen Nebenwohnsitz im Kanton Freiburg.
    • Wichtig ist die Feststellung, dass die Versicherte seit Februar 2024 beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Murten im Kanton Freiburg kontrolliert wurde. Sie hielt sich während der Woche hauptsächlich im Kanton Freiburg auf und suchte dort Arbeit.
    • Der massgebende Oppositionsentscheid der Arbeitslosenkasse datiert vom 4. November 2024.
    • Zum Zeitpunkt dieses Entscheids (4. November 2024) unterstellte sich die Versicherte der obligatorischen Kontrolle beim RAV Murten im Kanton Freiburg.

    Folglich ist gemäss Art. 119 Abs. 1 lit. a AVIV in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 AVIV das kantonale Versicherungsgericht jenes Kantons zuständig, in dem die Kontrolle stattfindet. Im vorliegenden Fall war dies das Kantonsgericht Freiburg, da sich die Kontrolle beim RAV Murten (Freiburg) vollzog.

  4. Ergebnis der Zuständigkeitsprüfung: Aufgrund dieser Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregeln der Arbeitslosenversicherung gelangte das Bundesgericht zum Schluss, dass das Kantonsgericht Freiburg örtlich zuständig ist. Daher musste der Nichteintretensentscheid des Kantonsgerichts Freiburg vom 19. Dezember 2024 aufgehoben und die Sache zur materiellen Behandlung der Beschwerde an dieses Gericht zurückgewiesen werden. Der Nichteintretensentscheid des Kantonsgerichts Wallis war insofern korrekt, als dieses Gericht gemäss der Spezialregelung der AVIV nicht zuständig war.

III. Kosten und Entschädigung

Die Beschwerdeführerin obsiegte in der Kompetenzfrage, da das Bundesgericht ein zuständiges Gericht bestimmte und die Sache an dieses zurückwies. In negativen Kompetenzkonflikten, die durch Fehlentscheide kantonaler Instanzen verursacht werden, werden in der Regel keine Gerichtskosten erhoben. Dies gilt sowohl für die Beschwerdeführerin (Art. 66 Abs. 4 BGG) als auch für die beteiligten kantonalen Gerichte (Art. 66 Abs. 4 BGG) und die Beschwerdegegnerin (Arbeitslosenkasse), deren ursprünglicher Entscheid nicht materiell geprüft wurde.

Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts in solchen Fällen ist die Parteientschädigung vom Kanton zu tragen, dessen Gericht einen fehlerhaften Zuständigkeitsentscheid erlassen und dadurch den Konflikt verursacht hat. Da das Kantonsgericht Freiburg zu Unrecht seine Zuständigkeit verneint hat, ist der Kanton Freiburg zur Leistung der Parteientschädigung an die Beschwerdeführerin zu verpflichten (Verweis auf BGE 145 V 247 E. 6 u.a.).

IV. Tenor (Entscheid des Bundesgerichts)

  1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg vom 19. Dezember 2024 wird aufgehoben. Die Sache wird an das Kantonsgericht Freiburg zurückgewiesen, damit es auf die Beschwerde vom 4. Dezember 2024 gegen den Oppositionsentscheid der Caisse de chômage OCS vom 4. November 2024 eintrete und materiell darüber befinde.
  2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
  3. Der Staat Freiburg hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von CHF 3'000 für das bundesgerichtliche Verfahren zu bezahlen.

V. Wesentliche Punkte (Zusammenfassung)

  • Das Urteil löst einen negativen Kompetenzkonflikt zwischen zwei kantonalen Gerichten in einem Fall der Arbeitslosenversicherung.
  • Die örtliche Zuständigkeit in der Arbeitslosenversicherung richtet sich primär nach dem Ort der obligatorischen Kontrolle des Versicherten beim RAV (Art. 119 Abs. 1 lit. a AVIV), nicht zwingend nach dem Wohnsitz (Art. 58 Abs. 1 ATSG ist durch Spezialrecht verdrängt).
  • Massgebender Zeitpunkt für die Bestimmung des Kontrollorts ist der Erlass des angefochtenen verwaltungsrechtlichen Entscheids (Oppositionsentscheid).
  • Im vorliegenden Fall war die Versicherte zum massgebenden Zeitpunkt beim RAV im Kanton Freiburg kontrolliert, weshalb das Kantonsgericht Freiburg zuständig ist.
  • Der Nichteintretensentscheid des Kantonsgerichts Freiburg wird aufgehoben und die Sache zur materiellen Beurteilung an dieses Gericht zurückgewiesen.
  • Der Staat Freiburg wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu zahlen, da der Kompetenzkonflikt durch den fehlerhaften Zuständigkeitsentscheid des Freiburger Gerichts verursacht wurde.