Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_463/2024 vom 24. März 2025:
Bundesgericht, Urteil 6B_463/2024 vom 24. März 2025
Gegenstand: Revision (Korruption fremder Amtsträger), Willkür
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Der Beschwerdeführer, A._, wurde mit Urteil der Chambre pénale d'appel et de révision (CPAR) des Kantons Genf vom 28. März 2023 der Korruption fremder Amtsträger (Art. 322septies StGB) schuldig gesprochen. Die Verurteilung erfolgte im Zusammenhang mit der Beeinflussung der Vergabe von Bergbaurechten in V._, wobei A._ zugesagt und schliesslich 8,5 Millionen USD an die Ehefrau des Präsidenten D._ zahlte. Er wurde zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt (18 Monate unbedingt) und zu einer Ersatzforderung zugunsten des Kantons Genf von 50 Millionen CHF. Gegen dieses Urteil waren Berufungen an das Bundesgericht hängig (die am selben Tag wie das vorliegende Urteil entschieden wurden).
Am 12. April 2024 beantragte A._ bei der CPAR die Revision des Urteils vom 28. März 2023. Zur Begründung reichte er eine Entscheidung des Obersten Gerichts von W._ vom 30. August 2022, E-Mail-Verkehr und einen Affidavit (eidesstattliche Erklärung) des Journalisten G._ vom 2. April 2024 ein. In diesem Affidavit erklärte G._ im Wesentlichen, dass er ein Zeugenabkommen für I._ gesehen habe, wonach dieser im Gegenzug für sein Zeugnis in W._ und X._ weder in W._ noch in der Schweiz verfolgt werde. Zudem habe der Schweizer Staatsanwalt K._ seinen w.__er Amtskollegen zugesichert, dass I._ in der Schweiz nicht angeklagt (inculpé) werde, wenn er vollumfänglich kooperiere. Diese Zusage sei später durch die Gewährung eines Sauf-conduit (freie Durchreise/Geleitschein) für seine Einvernahme in X.__ bekräftigt worden.
Die CPAR erklärte den Revisionsantrag mit Urteil vom 3. Mai 2024 gemäss Art. 412 Abs. 2 StPO für unzulässig (irrecevable). Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde an das Bundesgericht.
Erwägungen des Bundesgerichts:
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Grundlagen der Revision und Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht rekapituliert die Voraussetzungen für eine Revision gemäss Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO: Es müssen Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die der Vorinstanz unbekannt waren und geeignet sind, einen Freispruch oder eine wesentlich mildere oder strengere Verurteilung zu bewirken.
- Die Tatsachen oder Beweismittel müssen neu (unbekannt im Zeitpunkt des Urteils) und ernsthaft/erheblich (geeignet, die tatsächlichen Feststellungen zu erschüttern, und eine günstigere Entscheidung wahrscheinlich machen) sein.
- Die Frage, ob die Vorinstanz die Begriffe "neu" und "ernsthaft" richtig ausgelegt hat, ist eine Rechtsfrage. Die Frage, ob eine Tatsache oder ein Beweismittel tatsächlich unbekannt war oder ob es die festgestellten Tatsachen zu ändern geeignet ist (Beweiswürdigung), wird vom Bundesgericht nur auf Willkür geprüft (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür liegt vor, wenn der Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis.
- Das Revisionsverfahren (Reszindensverfahren) gliedert sich in zwei Phasen: eine summarische Zulässigkeitsprüfung (Art. 412 Abs. 1 und 2 StPO) und eine vertiefte Prüfung der Revisionsgründe (Art. 412 Abs. 3 und 4, Art. 413 StPO). Die Vorinstanz kann die Zulässigkeit bereits summarisch verneinen, wenn der Antrag offensichtlich unzulässig, unbegründet, bereits abgewiesen wurde oder offensichtlich unplausibel oder unbegründet erscheint (was aus prozessökonomischen Gründen gerechtfertigt ist).
- Ein Revisionsantrag kann missbräuchlich sein, wenn er sich auf Tatsachen stützt, die bereits bekannt waren, aber im ursprünglichen Verfahren nicht vorgebracht wurden, ohne dass dafür eine detailliert begründete Rechtfertigung vorgelegt wird. Eine Revision darf nicht dazu dienen, ordentliche Rechtsmittel zu umgehen oder Verfahrensfehler zu heilen. Rechtsmissbrauch wird aber restriktiv angenommen.
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Beweismittel Nr. 1: Entscheidung des Obersten Gerichts W.__:
- Die Vorinstanz hatte diese Entscheidung als nicht neu erachtet, da sie im Zeitpunkt des Berufungsurteils bereits existierte und deren Inhalt in der Berufungsverhandlung 2022 erörtert worden war. Sie qualifizierte den Antrag, soweit er sich darauf stützte, als missbräuchlich.
- Der Beschwerdeführer beruft sich auf Rechtsprechung, wonach ein ursprünglich als nicht ernsthaft eingestuftes Beweismittel in einem späteren Revisionsantrag, der neue Beweismittel umfasst, kumulativ berücksichtigt werden kann. Er argumentiert, dass die Vorinstanz die Produktion dieser Entscheidung in der Berufungsverhandlung abgelehnt habe mit der Begründung, sie würde ihre Meinung ohnehin nicht ändern.
- Das Bundesgericht weist dieses Argument zurück. Die vom Beschwerdeführer zitierte Rechtsprechung betrifft Fälle, in denen das Beweismittel unbekannt war, aber in einem früheren Revisionsantrag als nicht ernsthaft eingestuft wurde. Im vorliegenden Fall stellte die Vorinstanz fest – vom Bundesgericht willkürfrei übernommen –, dass das Beweismittel dem Beschwerdeführer bereits im Berufungsverfahren bekannt war und dessen Inhalt erörtert wurde. Wenn der Beschwerdeführer mit der Weigerung der Vorinstanz, die Entscheidung zuzulassen oder mit deren Interpretation, nicht einverstanden war, hätte er diesen Entscheid im Rahmen der ordentlichen Berufung anfechten müssen. Die nachträgliche Geltendmachung dieses bekannten Beweismittels im Revisionsverfahren ist gemäss Bundesgericht zu Recht als missbräuchlich qualifiziert worden.
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Beweismittel Nr. 2: Affidavit des Journalisten G.__:
- Die Vorinstanz anerkannte das Affidavit als neu, erachtete es aber als nicht ernsthaft/erheblich. Sie stellte fest, dass der Journalist ein Dokument gesehen habe, von dem er keine Kopie besitze, und dass sich das Affidavit auf die Ausstellung eines Sauf-conduit für I._ beziehe. Dies sei im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz (Art. 12 ERLKG / Art. 204 StPO) und sei der Vorinstanz, einschliesslich des Status von I._ als "Kronzeuge" (Vereinbarung zwischen I.__ und den w.__er Behörden) und der Ausstellung des Sauf-conduit durch den Genfer Staatsanwalt, bereits im Berufungsverfahren bekannt gewesen. Das Affidavit enthalte keine neuen oder erheblichen Elemente. Daher sei der Revisionsantrag, soweit er sich auf das Affidavit stütze, offensichtlich unbegründet und gemäss Art. 412 Abs. 2 StPO unzulässig.
- Der Beschwerdeführer rügt Willkür bei der Auslegung des Affidavits. Der klare Text spreche von einer Zusage, I.__ nicht zu verfolgen oder anzuklagen, nicht nur von einem Sauf-conduit. Die Formulierung "aussi" (auch) im E-Mail des Journalisten zeige, dass die Zusage der Nicht-Anklage zusätzlich zum Sauf-conduit erfolgt sei.
- Das Bundesgericht analysiert das Affidavit und die Funktion eines Sauf-conduit (Art. 12 ERLKG, Art. 204 StPO: Schutz vor Verfolgung/Verhaftung für frühere Taten während der Anwesenheit zwecks Zeugnisses). Das Affidavit beschreibt, dass zunächst der Schweizer Staatsanwalt seinen w._er Kollegen zusicherte, I._ nicht anzuklagen, wenn er in der Schweiz zeuge; danach schloss die w._er Behörde eine Vereinbarung mit I._, wonach er weder in W.__ noch in der Schweiz verfolgt werde; schliesslich bekräftigte der Genfer Staatsanwalt diese Zusage durch die Ausstellung eines Sauf-conduit. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass aus dem Affidavit keine illegale Immunitätsvereinbarung im Schweizer Rechtssinne abgeleitet werden kann. Die Interpretation der Vorinstanz, wonach sich das Zeugnis des Journalisten auf die Ausstellung eines Sauf-conduit beziehe und eine illegale Immunitätsvereinbarung ausschliesse, ist nach Ansicht des Bundesgerichts nicht willkürlich.
- Der Beschwerdeführer argumentiert weiter, das Affidavit müsse im Zusammenhang mit der gesamten Beweislage gesehen werden und die Ungewissheiten über die genaue Tragweite des Affidavits dürften in diesem frühen Stadium nicht zur Abweisung führen. Die fehlende Anklage gegen I.__ sei ein Indiz für eine illegale Vereinbarung.
- Das Bundesgericht erwidert, dass die Interpretation der Vorinstanz (Bezug zum Sauf-conduit) nicht willkürlich sei. Daher konnte sie ohne Willkür und ohne eine umfassende Prüfung annehmen, dass das Affidavit – das keine neuen oder erheblichen Elemente enthielt, da der Status als Kronzeuge und das Sauf-conduit bereits bekannt waren – die Beweiswürdigung nicht beeinflussen könne. Die fehlende Anklage gegen I.__ sei keine Folge einer illegalen Vereinbarung, sondern eine Konsequenz des rechtmässig ausgestellten Sauf-conduit gemäss Art. 12 ERLKG.
- Zudem – und dies ist ein weiterer zentraler Punkt – müsste die angebliche Unverwertbarkeit der Aussagen von I._ geeignet sein, einen Freispruch oder eine wesentlich mildere Strafe zu bewirken. Das Bundesgericht verweist auf das ursprüngliche Urteil der CPAR, in dem festgestellt wurde, dass I._ kein entscheidender oder zentraler Belastungszeuge war, dessen Aussagen im Wesentlichen durch andere Aktenstücke bestätigt wurden und nur eine einzige Transaktion betrafen. Die Argumentation des Beschwerdeführers, dass die Aussagen von I.__ einen Einfluss auf die Beweiswürdigung hätten, sei ungenügend und detaillierter Begründung entbehrend, weshalb sie unzulässig sei (irrecevable).
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Verfahrensrechte (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 EMRK) im Revisionsverfahren:
- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), weil die Vorinstanz seine Anträge auf Einvernahme des Journalisten abgelehnt und sich auf eine reine Textanalyse des Affidavits beschränkt habe.
- Das Bundesgericht stellt klar, dass Art. 6 EMRK auf ausserordentliche Verfahren wie das Revisionsverfahren – zumindest in der Reszindensphase (Prüfung der Zulässigkeit und der Revisionsgründe) – nicht anwendbar ist. Dies stützt sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesgerichts. Die Garantien des fairen Verfahrens gelten grundsätzlich erst im Reszissorium, d.h. bei der materiellen Neubeurteilung nach Aufhebung des früheren Urteils. Da sich die Rüge auf die Reszindensphase bezieht, ist Art. 6 EMRK nicht verletzt.
- Das Recht auf Beweisführung gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst das Recht, erhebliche und entscheidwesentliche Beweise beizubringen und deren Abnahme zu verlangen. Die Behörde kann jedoch auf weitere Beweiserhebungen verzichten, wenn sie aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung (antizipierte Beweiswürdigung) ohne Willkür zur Überzeugung gelangt, dass die beantragten Beweise ihr Sachurteil nicht ändern würden.
- Im vorliegenden Fall war die antizipierte Beweiswürdigung der Vorinstanz, wonach die Einvernahme des Journalisten – der nur ein Dokument gesehen, aber keine Kopie besessen habe – die Existenz einer illegalen Vereinbarung nicht zu belegen geeignet sei, nicht willkürlich. Zudem, wie bereits dargelegt (siehe E. 3.4), sei nicht ersichtlich und vom Beschwerdeführer nicht substanziiert dargelegt, dass selbst eine Unverwertbarkeit der Aussagen von I._ zu einer wesentlich günstigeren Entscheidung für ihn führen würde, da I._ kein zentraler Zeuge war. Daher liegt auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
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Fazit:
- Der Beschwerdeführer vermochte nicht darzulegen, dass die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die vorgebrachten Elemente als nicht neu und ernsthaft/erheblich genug erachtete, um die tatsächlichen Feststellungen zu erschüttern.
- Die Vorinstanz konnte die Revisionsgesuch des Beschwerdeführers gemäss Art. 412 Abs. 2 StPO ohne Verletzung von Bundesrecht als unzulässig erklären.
Entscheidung:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Wesentliche Punkte in Kürze:
- Das Bundesgericht hat das Revisionsgesuch des Beschwerdeführers gegen seine Verurteilung wegen Korruption fremder Amtsträger abgewiesen.
- Es bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, das Gesuch für unzulässig (gemäss Art. 412 Abs. 2 StPO) zu erklären.
- Die Entscheidung des Obersten Gerichts von W.__ wurde als nicht neu qualifiziert, da ihr Inhalt im ursprünglichen Berufungsverfahren bekannt und erörtert wurde. Die spätere Geltendmachung im Revisionsverfahren wurde als missbräuchlich erachtet.
- Das Affidavit des Journalisten G.__ wurde zwar als neu, aber als nicht ernsthaft/erheblich eingestuft, da die Interpretation der Vorinstanz, dass es sich auf die rechtmässige Ausstellung eines Sauf-conduit und nicht auf eine illegale Immunitätsvereinbarung beziehe, nicht willkürlich war.
- Zudem wurde festgestellt, dass I.__ kein entscheidender Zeuge war und eine allfällige Unverwertbarkeit seiner Aussagen nicht nachweislich zu einem wesentlich günstigeren Ergebnis für den Beschwerdeführer führen würde.
- Die Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK finden in der Reszindensphase des Revisionsverfahrens keine Anwendung.
- Die Weigerung, den Journalisten einzuvernehmen, verletzte das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) nicht, da die antizipierte Beweiswürdigung nicht willkürlich war und das Beweismittel nicht als entscheidwesentlich für das Ergebnis erachtet wurde.