Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_510/2024 vom 17. Juni 2025

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Gerne fasse ich das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (8C_510/2024 vom 17. Juni 2025) detailliert zusammen.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (8C_510/2024 vom 17. Juni 2025)

I. Parteien und Gegenstand

  • Beschwerdeführerin: A._ (geb. 1957, Wirtschaftswissenschaftlerin, ehemalige Spezialistin bei der B._)
  • Beschwerdegegner: Office cantonal AI du Valais (IV-Stelle Wallis)
  • Gegenstand: Invalidenversicherung (IV); Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, berufliche Massnahmen sowie die Auszahlung eines an den Arbeitgeber rückerstatteten Betrages von CHF 75'909.-.

II. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte

Die 1957 geborene Beschwerdeführerin, welche seit 2008 als Spezialistin für ihren Arbeitgeber (den Bund) tätig war, beantragte am 18. Februar 2015 Leistungen der Invalidenversicherung. Die IV-Stelle veranlasste ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. C.__, ergänzt durch eine neuropsychologische Beurteilung.

Am 14. Oktober 2020 sprach die IV-Stelle der Beschwerdeführerin eine Invalidenrente für verschiedene Zeiträume zwischen dem 1. August 2015 und dem 30. September 2019 zu (gestaffelt von ganzer Rente bis Viertelrente). Gleichzeitig wurde ein Betrag von CHF 75'909.-, der den Rentenleistungen für den Zeitraum vom 1. August 2015 bis 30. Juni 2019 entsprach, direkt an den Arbeitgeber rückvergütet, da dieser in dieser Zeit weiterhin Lohnzahlungen geleistet hatte. Berufliche Massnahmen wurden mit separatem Entscheid vom 23. Oktober 2020 abgelehnt.

Die Beschwerdeführerin focht diese Entscheide vor dem Kantonsgericht Wallis an. Im Verlauf des Verfahrens beantragte sie zusätzlich die Auszahlung des an den Arbeitgeber überwiesenen Betrags von CHF 75'909.- an sie selbst. Das Kantonsgericht wies die Beschwerden mit Urteil vom 9. August 2023 ab. Dagegen gelangte die Beschwerdeführerin ans Bundesgericht, welches das kantonale Urteil mit Urteil 8C_539/2023 vom 29. Februar 2024 aufhob und zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung an die Vorinstanz zurückwies. Nach erneuter Verhandlung wies das Kantonsgericht die Beschwerden am 31. Juli 2024 erneut ab. Gegen dieses Urteil reichte die Beschwerdeführerin die vorliegende Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht ein.

III. Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin beantragte hauptsächlich, ihr sei ab dem 1. August 2015 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen und die IV-Stelle sei zu verpflichten, ihr den Betrag von CHF 75'909.-, welcher fälschlicherweise an den Arbeitgeber ausbezahlt worden sei, zuzüglich 5% Zinsen zu vergüten. Eventualiter verlangte sie die Aufhebung und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz oder an die IV-Stelle.

IV. Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüft die Anwendung des Bundesrechts frei, ist aber an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden, es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden (willkürlich) oder beruhe auf einer Rechtsverletzung und die Behebung des Mangels sei für den Ausgang des Verfahrens entscheidend (Art. 97 Abs. 1 BGG). Appellatorische Sachverhaltsrügen sind unzulässig. Die anwendbaren Bestimmungen sind jene in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung (BGE 144 V 210 E. 4.3.1).

A. Medizinische Begutachtung und Arbeitsfähigkeit

  1. Haltung der Vorinstanz: Das Kantonsgericht stützte sich auf das psychiatrische Gutachten von Dr. C.__, dem es volle Beweiskraft (probatorische Kraft) zubilligte. Gestützt darauf ging es von einer Restarbeitsfähigkeit von 80% in einer adaptierten Tätigkeit aus.
  2. Rügen der Beschwerdeführerin: Die Beschwerdeführerin rügte die Beweiskraft des Gutachtens als willkürlich festgestellt.
    • Sie machte geltend, die Einschätzung von Dr. C._ sei inkonsistent mit dem neuropsychologischen Gutachten von D._/E._, welches schwere Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen ergeben habe. Der Arbeitsmediziner des Arbeitgebers, Dr. F._, habe aufgrund der effektiven Leistung sogar nur eine Arbeitsfähigkeit von 20% attestiert. Ein Rehabilitationsspezialist hätte beigezogen werden müssen.
    • Weiter beanstandete sie, das Gutachten weise Widersprüche auf (z.B. betreffend psychiatrische Familienanamnese oder das Ausmass von Schlafstörungen).
  3. Würdigung des Bundesgerichts:
    • Das Bundesgericht wies die Rügen zur Inkonsistenz mit dem neuropsychologischen Gutachten zurück. Es hielt fest, die Beschwerdeführerin versuche lediglich, ihre eigene Einschätzung an die Stelle der Expertise zu setzen. Die Rüge, Dr. F.__ sei nicht berücksichtigt worden, sei unzulässig, da die entsprechenden Fakten im kantonalen Urteil nicht festgestellt wurden und die Beschwerdeführerin keine Ausnahmen nach Art. 105 Abs. 2 BGG dargelegt habe. Die Notwendigkeit eines Rehabilitationsgutachtens sei bereits vom Kantonsgericht behandelt worden.
    • Betreffend die angeblichen Widersprüche befand das Bundesgericht, die Beschwerdeführerin lege nicht konkret dar, wie diese angeblichen Widersprüche die Schlussfolgerungen des Gutachtens oder den Ausgang des Verfahrens beeinflusst hätten.
    • Fazit: Das Bundesgericht bestätigte die probatorische Kraft des Gutachtens von Dr. C.__ und damit die Feststellung der 80%-Arbeitsfähigkeit.

B. Berufliche Massnahmen (Reintegration)

  1. Haltung der Vorinstanz: Obwohl die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Renteneinstellung über 55 Jahre alt war (was gemäss Rechtsprechung grundsätzlich eine Erwartung an Eigenleistungen zur Reintegration ausschliesst), hielt das Kantonsgericht eine Ausnahme für gerechtfertigt. Begründet wurde dies mit der hohen Ausbildung (Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaften) und der langen Berufserfahrung der Beschwerdeführerin. Es sei ihr zuzumuten, selbst eine angepasste Tätigkeit zu suchen. Der Hausarzt Dr. G.__ hatte ebenfalls die Sinnlosigkeit von Rehabilitationsmassnahmen aufgrund von Alter und Ausbildung der Beschwerdeführerin bestätigt. Zudem seien die sozialen Kontakte der Versicherten schon vor den Gesundheitsproblemen eingeschränkt gewesen. Die Beschwerdeführerin sei überdies seit 1. Juni 2019 frühpensioniert.
  2. Rügen der Beschwerdeführerin: Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung von Art. 17 Abs. 1 IVG. Sie gehöre aufgrund ihres Alters zur Kategorie der Versicherten, von denen man grundsätzlich keine Eigenanstrengungen zur Reintegration erwarten könne. Ihre Teilinvalidität und das eingeschränkte soziale Netz würden dies bekräftigen. Die Meinung des Hausarztes sei nur ein Element, und sie sei zu einer Frühpensionierung gezwungen worden.
  3. Würdigung des Bundesgerichts:
    • Das Bundesgericht stellte klar, dass die Vorinstanz den Grundsatz der Unerwartbarkeit von Eigenleistungen bei Versicherten über 55 Jahren anerkannt habe.
    • Schlüsselargument: Das Kantonsgericht habe jedoch gestützt auf die Rechtsprechung (BGE 145 V 209 E. 5; Urteil 8C_39/2012 vom 24. April 2012 E. 5.2) eine Ausnahme angenommen. Diese Ausnahme sei aufgrund der besonders umfassenden Ausbildung und Berufserfahrung der Beschwerdeführerin gerechtfertigt gewesen. Die Beschwerdeführerin habe die Qualifikation ihrer Ausbildung und Erfahrung nicht bestritten. Die Feststellung, dass ihre sozialen Kontakte bereits vor den Gesundheitsproblemen eingeschränkt waren, sei für das Bundesgericht verbindlich.
    • Fazit: Die Beschwerdeführerin konnte nicht darlegen, dass eine persönliche Reintegration von ihr nicht verlangt werden konnte. Der Rüge wurde nicht stattgegeben.

C. Rückerstattung der Renten an den Arbeitgeber (Lohnfortzahlung und Überentschädigung)

  1. Haltung der Vorinstanz: Das Kantonsgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin die Rückerstattung des Betrags von CHF 75'909.- an ihren Arbeitgeber zunächst nicht bestritten hatte. Ihr späterer Antrag auf Auszahlung an sie selbst sei zwar eventuell unzulässig gewesen, wurde aber in der Sache behandelt. Die kantonalen Richter hielten fest, dass die Bestimmungen des Bundespersonalrechts (Art. 29 Abs. 1 BPG, Art. 56 Abs. 1 und 2 BPV, Art. 24 Abs. 1 O-BPV) zwar die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei Arbeitsunfähigkeit regelten, aber nicht direkt das Recht des Arbeitgebers auf Rückerstattung der IV-Renten beträfen.
    • Wesentliches Argument der Vorinstanz: Die vom Arbeitgeber geleisteten Lohnzahlungen stellten jedoch Vorschüsse im Sinne von Art. 22 Abs. 2 lit. a LPGA und Art. 85bis Abs. 1 und 2 IVV dar. Diese Bestimmungen seien die gesetzliche Grundlage für den Anspruch des Arbeitgebers auf Rückerstattung dieser Vorschüsse durch Verrechnung mit den IV-Renten. Die Zustimmung der Beschwerdeführerin sei für diese Rückerstattung nicht erforderlich gewesen. Die Zahlung an den Arbeitgeber habe schuldbefreiende Wirkung für die IV-Stelle gehabt. Eine Auszahlung an die Beschwerdeführerin hätte zu einer Überentschädigung geführt, da sie in der gleichen Zeit bereits Lohn erhalten hatte.
  2. Rügen der Beschwerdeführerin: Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung von Art. 85bis Abs. 2 IVV. Weder Vertrag noch Gesetz sähen ein solches Rückerstattungsrecht des Bundes (als Arbeitgeber) ohne ihre Zustimmung vor.
  3. Würdigung des Bundesgerichts:
    • Schlüsselargument: Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gewähre das Bundespersonalrecht dem Arbeitgeber ausdrücklich ein Rückerstattungsrecht und damit ein Verrechnungsrecht (Art. 29 Abs. 3 BPG und Art. 58 Abs. 1 BPV). Das Bundesgericht verwies dabei auf sein Urteil 9C_225/2014 vom 10. Juli 2014 E. 3.2. Die Botschaft zum Bundespersonalgesetz halte zudem fest, dass Art. 29 Abs. 3 BPG gerade dazu diene, unberechtigte Mehrfachbezüge (Überentschädigung) zu verhindern.
    • Die Zustimmung der Beschwerdeführerin, einschliesslich einer Unterschrift auf einem Formular, sei für die Rückerstattung durch die IV-Stelle an den Arbeitgeber nicht erforderlich gewesen (Verweis auf BGE 136 V 381 E. 5.1 und 5.2).
    • Das Bundesgericht präzisierte, dass Art. 22 LPGA zwar die formelle Rechtsgrundlage für Art. 85bis IVV darstelle, aber nicht direkt den Anspruch des Arbeitgebers auf Rückerstattung der IV-Renten begründe (dieser basiere auf dem Bundespersonalrecht).
    • Eine von der Beschwerdeführerin angeführte Konvention vom 25. September 2018 sei irrelevant, da sie den festgestellten Sachverhalt überschreite und zudem vor den IV-Entscheiden vom Oktober 2020 geschlossen wurde.
    • Fazit: Der Bund war somit berechtigt, die Verrechnung seiner Leistungen mit den IV-Renten zu verlangen, und die IV-Stelle hat den Betrag von CHF 75'909.- zu Recht an den ehemaligen Arbeitgeber der Versicherten ausbezahlt.

V. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde vollumfänglich ab. Die Gerichtskosten wurden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Medizinische Begutachtung: Das Bundesgericht bestätigt die probatorische Kraft des psychiatrischen Gutachtens, welches eine 80%ige Arbeitsfähigkeit attestierte. Die Rügen der Beschwerdeführerin gegen das Gutachten wurden als unbegründet oder unzulässig zurückgewiesen.
  2. Berufliche Massnahmen: Obwohl die Beschwerdeführerin über 55 Jahre alt war und damit grundsätzlich keine Eigenleistungen zur Reintegration erwartet werden, sah das Bundesgericht aufgrund ihrer umfassenden Ausbildung und langen Berufserfahrung eine Ausnahme als gerechtfertigt an. Es sei ihr zumutbar gewesen, selbst eine angepasste Tätigkeit zu suchen.
  3. Rückerstattung an den Arbeitgeber: Das Bundesgericht bestätigte, dass die Auszahlung von Invalidenrenten-Nachzahlungen durch die IV-Stelle direkt an den (Bundes-)Arbeitgeber rechtmässig war. Dies basiere auf den expliziten Rückerstattungs- und Verrechnungsrechten im Bundespersonalrecht (Art. 29 Abs. 3 BPG, Art. 58 Abs. 1 BPV). Die Lohnzahlungen des Arbeitgebers an die arbeitsunfähige Beschwerdeführerin stellten Vorschüsse dar, deren Verrechnung die Zustimmung der Versicherten nicht bedurfte und einer Überentschädigung vorbeugte.