Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_192/2025 vom 22. Mai 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 22. Mai 2025, Az. 6B_192/2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts befasst sich mit der Beschwerde in Strafsachen von A.__, einem griechischen Staatsangehörigen, gegen die Anordnung einer Landesverweisung. Dem Beschwerdeführer wurde von der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vorgeworfen, von 2018 bis 2020 insgesamt 612 Gramm Kokaingemisch erworben, davon 480 Gramm verkauft und weitere 100 Gramm zum Verkauf vorbereitet zu haben, sowie Kokain konsumiert zu haben.

Das Kreisgericht Rheintal verurteilte A.__ am 30. November 2022 wegen Verbrechens und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten und einer Busse. Zugleich wurde eine Landesverweisung von fünf Jahren angeordnet. Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte dieses Urteil am 28. November 2024 vollumfänglich, wobei es eine Verletzung des Beschleunigungsgebots feststellte, die jedoch für die Landesverweisung nicht als entscheidend erachtet wurde.

Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil des Kantonsgerichts Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht ein und beantragte einzig, von einer Landesverweisung abzusehen, da seiner Ansicht nach ein "absoluter Härtefall" vorliege.

2. Massgebende Rechtsgrundlagen und bundesgerichtliche Rechtsprechung

Das Bundesgericht legte zunächst die massgebenden rechtlichen Grundlagen für die Landesverweisung und deren Härtefallklausel dar:

  • Obligatorische Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 lit. o StGB): Gemäss dieser Bestimmung sind Ausländer, die wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Abs. 2 BetmG verurteilt wurden, unabhängig von der Strafhöhe, obligatorisch für 5 bis 15 Jahre des Landes zu verweisen. Da der Beschwerdeführer wegen Verbrechens gegen das BetmG im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. c, d und g i.V.m. Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG schuldig gesprochen wurde, sind die Voraussetzungen für eine Landesverweisung grundsätzlich erfüllt.

  • Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB): Das Gericht kann ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer kumulativ (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Diese Klausel dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV) und ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.1).

  • Kriterien zur Härtefallprüfung: Zur kriteriengeleiteten Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB wird auf den Kriterienkatalog des "schwerwiegenden persönlichen Härtefalls" gemäss Art. 31 Abs. 1 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) zurückgegriffen. Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der Integration (persönlich und wirtschaftlich, Sprachkompetenzen, Teilnahme am Wirtschaftsleben, Bildung), familiäre Bindungen in der Schweiz bzw. in der Heimat, die Aufenthaltsdauer, der Gesundheitszustand und die Resozialisierungschancen (BGE 144 IV 332 E. 3.3.2). Ein schwerer persönlicher Härtefall wird angenommen, wenn ein Eingriff von einer gewissen Tragweite in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 13 BV und Art. 8 EMRK vorliegt (BGE 149 IV 231 E. 2.1.1).

  • Schutz des Familienlebens (Art. 8 EMRK): Das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens ist berührt, wenn eine staatliche Massnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt. Zum geschützten Familienkreis gehört in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern (BGE 144 I 266 E. 3.3).

  • Interessenabwägung und Verhältnismässigkeit (Art. 8 Ziff. 2 EMRK): Wird ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht, entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung nach Massgabe der "öffentlichen Interessen an der Landesverweisung". Diese Beurteilung stützt sich auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose. Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel muss sich an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK orientieren. Dabei sind insbesondere Art und Schwere der Straftat, die Dauer des Aufenthalts im Aufnahmestaat, die seit der Tat verstrichene Zeit, das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit und der Umfang der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufnahme- sowie im Heimatstaat zu berücksichtigen (Urteile des EGMR E.V. gegen Schweiz vom 18. Mai 2021, Nr. 77220/16, § 34). Für die Frage der "Notwendigkeit" eines Eingriffs in das Familienleben nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK sind weitere Kriterien massgebend, wie die Staatsangehörigkeit der betroffenen Familienmitglieder, die familiäre Situation des Betroffenen, die Dauer der Ehe, allfällige Kenntnisse des Ehegatten von der Straftat zu Beginn der familiären Bindung, das Alter der Kinder und die Schwierigkeiten im Heimatland (Urteil des EGMR Z. gegen Schweiz vom 22. Dezember 2020, Nr. 6325/15, § 57).

  • "Zweijahresregel": Gemäss der ausländerrechtlichen Rechtsprechung bedarf es bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr ausserordentlicher Umstände, damit das private Interesse des Betroffenen an einem Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung überwiegt. Dies gilt grundsätzlich selbst bei bestehender Ehe mit einer Schweizerin oder einem Schweizer und gemeinsamen Kindern (Urteil 6B_527/2024 vom 20. Februar 2025 E. 6.1.8).

3. Anwendung durch die Vorinstanz

Die Vorinstanz (Kantonsgericht St. Gallen) bejahte einen schweren persönlichen Härtefall beim Beschwerdeführer. Sie stellte fest, dass der 40-jährige Beschwerdeführer griechischer Staatsbürgerschaft in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, hier die obligatorische Schulzeit und eine Lehre absolviert hat und seit über 16 Jahren beim selben Arbeitgeber tätig ist. Obwohl er weder verheiratet ist noch Kinder hat, führt er seit 2023 eine Beziehung mit einer Schweizerin. Diese Umstände begründeten aus Sicht der Vorinstanz einen schweren persönlichen Härtefall.

Bei der anschliessenden Interessenabwägung gewichtete die Vorinstanz jedoch die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung höher als die privaten Bleibeinteressen des Beschwerdeführers. Ihre Argumentation basierte auf folgenden Punkten:

  • Schwere der Tat: Der Beschwerdeführer hat sich einer qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG schuldig gemacht, wobei er den Grenzwert für die Qualifikation um mehr als das Zwanzigfache überschritt und dadurch die öffentliche Sicherheit erheblich gefährdete.
  • Wiederholungstäter und Rückfallgefahr: Der Beschwerdeführer ist bereits zum dritten Mal einschlägig straffällig geworden (Vorstrafen 2006 und 2011 wegen BetmG-Delikten, u.a. Kokainhandel). Er wurde zuvor zweimal zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt und explizit auf die nachteiligen Folgen für sein Aufenthaltsrecht hingewiesen. Die erneute Delinquenz mit einer erheblichen Kokainmenge spricht für eine hohe Rückfallgefahr.
  • Fehlende Einsicht und Prognose: Trotz geregelter Lebensumstände und stabilen Erwerbseinkommens hat der Beschwerdeführer erneut Straftaten begangen. Er zeigte weder Tateinsicht noch Schuldbewusstsein und gab Geldprobleme als Grund an, die angesichts der Verfahrenskosten auch künftig bestehen werden. Die neue Partnerschaft vermag die Rückfallgefahr nicht zu relativieren, da ihn auch stabile Verhältnisse und das Bewusstsein über die Folgen zuvor nicht abgehalten hatten.
  • Öffentliches Interesse: Aus dem Verhalten des Beschwerdeführers resultiert eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, was ein grosses öffentliches Interesse an seiner Wegweisung begründet. Angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von 24 Monaten konnten keine ausserordentlichen Umstände festgestellt werden, die von einer Landesverweisung hätten absehen lassen.
  • Zumutbarkeit der Rückkehr: Dem Beschwerdeführer sei es als griechischem Staatsangehörigen grundsätzlich zumutbar, sich in anderen EU-Staaten niederzulassen, insbesondere im grenznahen Ausland (z.B. Österreich). Dies würde es ihm ermöglichen, die Kontakte zu seinen Familienangehörigen in der Schweiz weiterhin zu pflegen. Auch eine Rückkehr nach Griechenland sei zumutbar, da er Griechisch spricht und dort Verwandte hat. Als junger, gesunder Mann mit Ausbildung und Berufserfahrung habe er Chancen auf eine erfolgreiche Integration im Ausland.
  • FZA-Konformität: Die Landesverweisung stehe auch im Einklang mit dem Freizügigkeitsabkommen (FZA), da von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit weiterer Delikte auszugehen sei und somit eine schwere und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliege.

4. Beurteilung der Beschwerde durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht bestätigte die Argumentation der Vorinstanz vollumfänglich und wies die Beschwerde ab.

  • Es stimmte der Vorinstanz darin zu, dass die Landesverweisung aufgrund der Geburt und des Aufwachsens des Beschwerdeführers in der Schweiz einen schweren persönlichen Härtefall bewirke. Es bestätigte jedoch, dass die grossen öffentlichen Interessen die privaten Bleibeinteressen des Beschwerdeführers klar überwiegen.
  • Familiäre Bindungen: Das Bundesgericht stellte klar, dass die von ihm angeführten Beziehungen zu Eltern, Geschwistern und weiteren Verwandten nicht zur Kernfamilie im Sinne von Art. 8 Ziff. 1 EMRK zählen. Die erst 2023 begonnene Partnerschaft mit einer Schweizerin stelle keinen aussergewöhnlichen Umstand dar, der einen Verzicht auf die Landesverweisung rechtfertigen würde.
  • Persönlichkeitsentwicklung: Das Bundesgericht verwarf die Behauptung einer "positiven Persönlichkeitsentwicklung" und der Annahme, eine "sichere und geordnete Lebenssituation" gebe ihm nun eine Zukunftsperspektive. Es verwies auf die Feststellungen der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer mangelnde Einsicht und kein Schuldbewusstsein gezeigt habe. Seine bereits seit langer Zeit bestehenden stabilen Verhältnisse hätten ihn nicht von der Begehung qualifizierter BetmG-Widerhandlungen abgehalten, weshalb auch die neue Partnerschaft die erhebliche Rückfallgefahr nicht bannen könne.
  • Wirksamkeit der Landesverweisung: Das Bundesgericht wies das Argument des Beschwerdeführers zurück, die Landesverweisung sei unverhältnismässig, da er aufgrund des Schengen-Raums faktisch leicht ins grenznahe Ausland ziehen und möglicherweise sogar illegal wiedereinreisen könnte. Es hielt fest, dass es in der Natur des Schengen-Raums liege, dass eine (illegale) Wiedereinreise faktisch möglich sein könne. Dies ändere jedoch nichts an der grundsätzlichen Zweckmässigkeit der Landesverweisung. Eine erneute Einreise während der Dauer der Landesverweisung würde eine Strafbarkeit gemäss Art. 291 Abs. 1 StGB (Widerhandlung gegen das Einreise-, Aufenthalts- und Rückkehrverbot) begründen und somit die öffentliche Sicherheit in der Schweiz gewährleisten, indem der Beschwerdeführer sich während dieser Zeit nicht legal in der Schweiz aufhalten kann.
  • Zumutbarkeit und Härtegrad: Das Bundesgericht befand, dass die Vorinstanz die Möglichkeit der Niederlassung im grenznahen Ausland (z.B. Österreich) bei der Interessenabwägung zu Recht berücksichtigt hat. Auch wenn die Landesverweisung einen schweren Eingriff darstelle, seien die damit verbundenen "sozialen, psychologischen und praktischen Herausforderungen" nicht derart ausgeprägt, dass sie die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung überwögen. Der Kontakt zur Familie und Partnerin könne durch Besuche und moderne Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden. Zudem sei dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Berufsausbildung und -erfahrung sowie seiner Griechischkenntnisse auch eine Wiedereingliederung in Griechenland zumutbar, auch wenn diese mit Schwierigkeiten verbunden wäre.

5. Schlussfolgerung

Die Landesverweisung erweist sich nach Ansicht des Bundesgerichts als verhältnismässig und damit als bundes- und völkerrechtskonform. Der Beschwerdeführer äusserte sich weder zum Freizügigkeitsabkommen noch zur Dauer der Landesverweisung, weshalb dazu keine weiteren Ausführungen notwendig waren. Die Beschwerde wurde abgewiesen und die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt.

Wesentliche Punkte in Kürze:

  • Obligatorische Landesverweisung: Die Verurteilung wegen qualifizierter BetmG-Delikte führt grundsätzlich zur obligatorischen Landesverweisung.
  • Schwerer Härtefall bejaht: Aufgrund der langjährigen Integration des Beschwerdeführers (in der Schweiz geboren und aufgewachsen, Ausbildung, stabiles Arbeitsverhältnis) wurde ein schwerer persönlicher Härtefall anerkannt.
  • Öffentliche Interessen überwiegen: Trotz Härtefall überwiegen die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung aufgrund der dreifachen einschlägigen Rückfälligkeit im Betäubungsmittelbereich, der erheblichen Schwere der Tat (20-fache Überschreitung des Grenzwerts) und der mangelnden Legalprognose (fehlende Einsicht, wiederkehrende finanzielle Probleme, trotz stabiler Lebensumstände und neuer Beziehung erneute Delinquenz).
  • "Zweijahresregel" angewandt: Die verhängte Freiheitsstrafe von 24 Monaten führte zur Annahme, dass nur ausserordentliche Umstände eine Landesverweisung hätten verhindern können, welche hier nicht vorliegen.
  • Zumutbarkeit der Wiedereingliederung: Eine Niederlassung im grenznahen Ausland (EU) oder in Griechenland wurde als zumutbar erachtet, da familiäre Kontakte aufrechterhalten werden können und der Beschwerdeführer über Ausbildung und Berufserfahrung verfügt.
  • Wirksamkeit der Landesverweisung: Die potenzielle faktische Wiedereinreise durch den Schengen-Raum ändert nichts an der rechtlichen Zweckmässigkeit der Landesverweisung, da eine erneute Einreise während der Dauer des Verbots strafbar wäre.