Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_696/2024 vom 12. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Im Folgenden wird das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_696/2024 vom 12. Juni 2025 detailliert zusammengefasst.

Parteien: * Beschwerdeführerin: A.__ SA * Beschwerdegegner: Département du territoire de la République et canton de Genève, Office du patrimoine et des sites

Gegenstand: * Schutz des Kulturerbes (Inventarisierung einer Villa und einer Garage)

Sachverhalt: Die Beschwerdeführerin A.__ SA ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. 2209 in Chêne-Bougeries (GE). Auf dem 5'790 m² grossen Grundstück, das in der fünften Bauzone liegt, befinden sich eine 1905/1906 erbaute Villa (C306), eine 1908 errichtete Garage (C307) und ein 1931 erbautes Chalet (C308). Im Februar 2023 reichte die Beschwerdeführerin ein Gesuch zum Abbruch der Villa ein. Daraufhin beantragte ein Kulturgüterschutzverein im März 2023 die Inventarisierung des Wohngebäudes, da es trotz fortgeschrittenen Verfalls als charakteristisches Beispiel des Heimatstils galt und in einem Villenviertel mit laufenden Schutzverfahren lag. Eine Begehung durch das Amt für Denkmalpflege (IMAH) und das Amt für Denkmäler und Stätten (SMS) bestätigte das architektonische und denkmalpflegerische Interesse der Villa und der Garage, denen im kantonalen Bauinventar (Aktualisierung 2023) ein "aussergewöhnlicher" Wert zugeschrieben wurde. Das Chalet (C308) wurde als von sekundärem Interesse eingestuft. Die Gemeinde Chêne-Bougeries und die kantonale Kommission für Denkmäler, Natur und Stätten (CMNS) sprachen sich für die Inventarisierung der Villa und der Garage aus. Mit Verfügung vom 9. Januar 2024 inventarisierte das zuständige Departement die Villa und die Garage und präzisierte, dass sich "die Auswirkungen dieser Massnahme auf das gesamte Grundstück Nr. 2209 erstrecken". Ein Rekurs der Beschwerdeführerin an die Chambre administrative des Genfer Cour de justice wurde am 29. Oktober 2024 abgewiesen. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.

Erwägungen des Bundesgerichts:

1. Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 i.V.m. Art. 9 BV): Die Beschwerdeführerin rügte eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung. Das Bundesgericht prüft die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur, wenn diese offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder rechtsverletzend erfolgte und die Behebung des Mangels sich auf den Ausgang des Verfahrens auswirken könnte (Art. 97 Abs. 1 LTF). Die Vorinstanz stellte fest, dass die Villa zwar illegal besetzt und stark verwüstet worden war, ihre ursprüngliche Substanz jedoch weitgehend erhalten geblieben und eine Wiederherstellung durch Reparatur- und Sanierungsarbeiten möglich sei. Das Bundesgericht hielt fest, dass diese Feststellungen auf den Berichten des IMAH und der CMNS basierten und nicht willkürlich seien. Die Rügen der Beschwerdeführerin bezögen sich vielmehr auf die Würdigung der Tatsachen im Rahmen der Interessenabwägung. Auch die Beanstandungen bezüglich angeblicher Fehler im IMAH-Bericht, der weiten Verbreitung des Heimatstils in Genf (welche angeblich das öffentliche Interesse schmälere) und der Rechtskonformität des CMNS-Vorbescheids wurden als unbegründet abgewiesen.

2. Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV): Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör, da die Vorinstanz einen Augenschein und die Einvernahme von Zeugen verweigert habe und der angefochtene Entscheid mangelhaft begründet sei. * Antizipierte Beweiswürdigung: Das Bundesgericht führte aus, dass das Recht auf Gehör den Anspruch umfasst, dass Beweisanträgen stattgegeben wird, die relevant und geeignet sind, den Entscheid zu beeinflussen. Dies hindert den Richter jedoch nicht, die Beweisaufnahme abzuschliessen, wenn die bereits erhobenen Beweise ihn überzeugen und eine antizipierte Beweiswürdigung zeigt, dass weitere Beweise seine Überzeugung nicht ändern würden. Die Vorinstanz habe die vorliegenden Dokumente (Fotos, Pläne, Vorbescheide, Berichte) als ausreichend erachtet. Der Zustand der Gebäude sei mittels der vielen Fotos gut erkennbar, die Lage und Ausdehnung des Grundstücks mittels Plänen. Die fehlende Sichtbarkeit von der öffentlichen Strasse sei für die Inventarisierung irrelevant. Da die Vorinstanz ihre Beurteilung auf die Stellungnahmen von Fachleuten stützte, die vor Ort waren, sei die Verweigerung eines eigenen Augenscheins nicht zu beanstanden. Auch die Einvernahme der Architekten der Beschwerdeführerin oder der CMNS-Mitglieder sei nicht zwingend gewesen, da keine neuen, entscheidungsrelevanten Informationen zu erwarten waren. * Begründungspflicht und vermeintlicher Widerspruch: Die Beschwerdeführerin sah einen Widerspruch darin, dass die Inventarisierung die gesamte Parzelle umfasse, das Departement aber in seinen Erwägungen festgehalten habe, dass ein Bauprojekt auf der unbebauten Fläche weiterhin realisierbar sei. Das Bundesgericht erläuterte die kantonalen Bestimmungen: Gemäss Art. 9 Abs. 1 des Genfer Denkmalschutzgesetzes (LPMNS) müssen inventarisierte Gebäude erhalten bleiben und ihre schützenswerten Elemente bewahrt werden. Eine Inventarisierung unterscheidet sich von einer Klassierung (Art. 10 Abs. 1 LPMNS), welche weitergehende Schutzwirkungen hat und Änderungen ohne Bewilligung verbietet (Art. 13 Abs. 1 LPMNS). Die Inventarisierung ist eine blosse Überwachungsmassnahme, während die Klassierung eine eigentliche Schutzmassnahme darstellt. Da hier keine Klassierung erfolgte, sei kein Widerspruch erkennbar. Die Inventarisierung der gesamten Parzelle bedeute nicht, dass keine Bauprojekte auf der unbebauten Fläche mehr möglich seien, sondern dass diese unter den Bedingungen von Art. 9 Abs. 1 LPMNS zu erfolgen hätten, d.h. unter Wahrung der schützenswerten Elemente und allenfalls mit Vorbescheid der CMNS. Die Begründung sei somit ausreichend gewesen, um die Tragweite des Entscheids zu erkennen.

3. Willkürliche Anwendung kantonalen Rechts (Zustandekommen des CMNS-Vorbescheids, Art. 9 BV): Die Beschwerdeführerin rügte, der Vorbescheid der CMNS sei nicht von der zuständigen Person unterzeichnet und ohne Sitzung bzw. Beratung der Behörde erfolgt. Das Bundesgericht erinnerte daran, dass es kantonales Recht nur auf Willkür hin überprüft (Art. 9 BV). Die CMNS erteilt konsultative Vorbescheide (Art. 47 Abs. 1 LPMNS) und kann Aufgaben an Unterkommissionen delegieren (Art. 3 Abs. 1 RPMNS). Es sei nicht zwingend vorgeschrieben, dass der Vorbescheid vom Präsidenten unterzeichnet werden muss oder dass eine Sitzung stattfindet; ein Zirkularverfahren ist möglich (Art. 22a RCof). Der Tätigkeitsbericht der CMNS zeige zudem, dass viele Dossiers ohne formelle Sitzung behandelt werden. Die Vorinstanz habe daher ohne Willkür annehmen dürfen, dass der Vorbescheid rechtskonform zustande gekommen sei.

4. Materielle Prüfung: Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und Verhältnismässigkeit (Art. 36 BV): Die Inventarisierung greift erheblich in die Eigentumsgarantie der Beschwerdeführerin ein, da sie den Abbruch verbietet und zur Erhaltung verpflichtet (Art. 9 Abs. 1 LPMNS). Ein solcher Eingriff muss auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 1-3 BV). * Gesetzliche Grundlage: Die LPMNS (Art. 4, Art. 7 Abs. 1) wird als genügende gesetzliche Grundlage anerkannt und nicht bestritten. * Öffentliches Interesse: Einschränkungen des Eigentums zum Schutz von Denkmälern und Ortsbildern liegen grundsätzlich im öffentlichen Interesse (BGE 135 I 176). Dieses Interesse überwiegt in der Regel das private Interesse an einer finanziell optimalen Nutzung. Es obliegt primär den kantonalen Behörden, schützenswerte Objekte zu definieren. Die Beurteilung muss objektiv, wissenschaftlich und unter Berücksichtigung des kulturellen, historischen, künstlerischen und städtebaulichen Kontexts erfolgen. Schützenswert ist nicht nur das Ästhetische, sondern auch das Epochentypische oder Stilprägende. Das Bundesgericht übt bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit eine gewisse Zurückhaltung, wenn es um reine Ermessensfragen oder lokale Verhältnisse geht, für die kantonale Behörden bessere Kenntnisse haben. * Schutzwürdigkeit der Gebäude und Parzelle: Die Vorinstanz stützte sich auf die Gutachten der CMNS und des IMAH, welche die Villa und die Garage als charakteristische Beispiele des Heimatstils mit bemerkenswerter Substanz, hoher architektonischer Qualität und als selten einstuften. Die Tatsache, dass der Heimatstil in Genf verbreitet ist, schmälert die Schutzwürdigkeit nicht, da nicht die Einzigartigkeit, sondern die Repräsentativität eines Stils entscheidend ist. Der IMAH-Bericht sei detailliert und motiviert gewesen und habe eine "extreme Seltenheit" der Gebäude aufgrund ihrer Spezifika und ihres guten Erhaltungszustands attestiert. Die fehlende Sichtbarkeit von der öffentlichen Strasse ist nach Ansicht des Bundesgerichts unerheblich, da die Gebäude Teil eines schützenswerten, kohärenten Villenviertels der "Belle Époque" in Genf sind. Die Inventarisierung der gesamten Parzelle sei notwendig, um die Villa und die Garage zur Geltung zu bringen. * Verhältnismässigkeit der Massnahme: * Geeignetheit und Erforderlichkeit: Die Inventarisierung ist die mildeste unter den im LPMNS vorgesehenen Schutzmassnahmen (im Gegensatz zur Klassierung). Sie ermöglicht es der Beschwerdeführerin weiterhin, auf der unbebauten Fläche ihres Grundstücks Bauprojekte zu realisieren, unter der Bedingung der Erhaltung der schützenswerten Elemente. Auch das Chalet (C308) ist von der Inventarisierung nicht betroffen. * Verhältnismässigkeit im engeren Sinne (Interessenabwägung): * Wohnraumbedarf: Die Parzelle liegt in der 5. Bauzone (Villen), wo die Bebauungsdichte auf 25-30% der Grundstücksfläche begrenzt ist. Die Inventarisierung verhindert keine Verdichtung innerhalb dieser Grenzen. Der kantonale Verfassungsartikel zum Wohnraumbedarf (Art. 178 Abs. 3 Cst-GE) überwiegt nicht zwingend den Kulturgüterschutz (Art. 217 Abs. 1 Cst-GE), zumal das Genfer Volk auch die Erhaltung des Kulturerbes unterstützt. * Wirtschaftlichkeit und Kosten: Die hohen geschätzten Sanierungskosten (ca. 4,88 Mio. CHF für die Villa, 120 Tsd. CHF für die Garage) wurden von der Vorinstanz als "zumutbar" im Vergleich zu ähnlichen Projekten erachtet. Zudem besteht die Möglichkeit finanzieller Hilfe von bis zu 10% der Renovationskosten (Art. 22 Abs. 1 LPMNS). Der fortgeschrittene Verfall sei zudem eine direkte Folge jahrelanger mangelnder Pflege durch die Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin kann weiterhin Wohnungen in den renovierten Gebäuden schaffen. Eine blosse Minderung der Renditeerwartungen ist kein hinreichender Grund, die Schutzmassnahme zu verhindern, da das öffentliche Interesse an der Denkmalpflege grundsätzlich dem privaten Interesse an optimaler finanzieller Nutzung vorgeht. Behauptungen über entgangene "Hunderttausende von Franken" an Jahreseinnahmen seien nicht substanziiert. * Fazit Verhältnismässigkeit: Die Interessenabwägung der Vorinstanz, die das private Bauinteresse und das öffentliche Interesse an Wohnraum mit dem öffentlichen Interesse am Kulturerbe abwog, war korrekt. Die angefochtene Massnahme ist verhältnismässig.

Ergebnis: Das Bundesgericht weist die Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann, ab. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Gegenstand der Inventarisierung: Eine Villa und eine Garage im Heimatstil sowie die gesamte zugehörige Parzelle in Genf wurden als schützenswert inventarisiert.
  • Sachverhaltsfeststellung: Das Bundesgericht bestätigte die Feststellungen der Vorinstanz, wonach die Gebäude trotz Verfalls schützenswerte Substanz aufweisen und restaurierbar sind, und wies die Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung zurück.
  • Rechtliches Gehör: Eine Verletzung des Rechts auf Gehör (Augenschein, Zeugeneinvernahme) wurde verneint, da die Aktenlage ausreichend war (antizipierte Beweiswürdigung). Es wurde klargestellt, dass die Inventarisierung des Grundstücks Neubauten auf unbebauten Flächen nicht ausschliesst, im Gegensatz zur restriktiveren Klassierung.
  • Willkürliche Anwendung kantonalen Rechts: Das Bundesgericht wies die Rüge bezüglich des Zustandekommens des CMNS-Vorbescheids zurück; die kantonalen Bestimmungen erforderten weder zwingend eine Sitzung noch die Unterschrift des Präsidenten.
  • Öffentliches Interesse: Das öffentliche Interesse am Kulturgüterschutz wurde bejaht, da die Gebäude eine hohe architektonische und historische Bedeutung aufweisen und Teil eines kohärenten, schützenswerten Ensembles sind. Die fehlende Sichtbarkeit von der Strasse war dabei unerheblich.
  • Verhältnismässigkeit: Die Inventarisierung wurde als verhältnismässig erachtet. Sie stellt die mildeste Schutzmassnahme dar, lässt weiterhin Bebauung auf unbebauten Flächen zu und die geschätzten Sanierungskosten wurden als zumutbar beurteilt, auch unter Berücksichtigung staatlicher Unterstützung. Das öffentliche Interesse am Kulturgüterschutz überwiegt im konkreten Fall das private Interesse an einer optimalen finanziellen Nutzung oder an der Schaffung maximalen Wohnraums.