Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_71/2025 vom 12. Juni 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (8C_71/2025 vom 12. Juni 2025)

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts betrifft einen Fall aus dem Bereich der Unfallversicherung und befasst sich primär mit der Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall und den fortbestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Streitgegenstand ist der Anspruch des Beschwerdeführers A.__ auf Leistungen (Taggelder, Heilbehandlung, gegebenenfalls Invalidenrente und Integritätsentschädigung) der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (CNA) über den 10. August 2022 hinaus.

1. Sachverhalt und Verfahrensgang

Der 1998 geborene Beschwerdeführer, A._, stürzte am 20. Januar 2022 bei seiner Tätigkeit als Chauffeur und klemmte sich dabei einen Fuss zwischen Kartons ein, woraufhin er auf den Rücken fiel. Dieser Unfall führte zu Arbeitsunfähigkeit infolge von Schmerzen in der linken Schulter. Die CNA übernahm zunächst den Fall. Gestützt auf die Einschätzung der Kreisärztin Dr. C._, einer Spezialistin für Intensivmedizin und allgemeine Innere Medizin, stellte die CNA mit Entscheid vom 7. August 2023, bestätigt am 25. Oktober 2023, die Taggeld- und Heilkostenleistungen per 10. August 2022 ein. Begründet wurde dies damit, dass die über dieses Datum hinausgehenden Beschwerden keinen Kausalzusammenhang mehr mit dem Unfall aufwiesen.

Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Kantonale Versicherungsgericht des Kantons Wallis mit Urteil vom 17. Dezember 2024 ab und bestätigte damit die Verfügung der CNA. Dagegen gelangte A.__ mit einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.

2. Rechtliche Grundlagen und Prinzipien

Das Bundesgericht rekapituliert die massgebenden rechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Unfallversicherung:

  • Leistungsanspruch: Gemäss Art. 10 Abs. 1 UVG haben Versicherte Anspruch auf die zweckmässige medizinische Behandlung von unfallbedingten Schädigungen. Art. 16 Abs. 1 UVG regelt den Anspruch auf Taggeld bei unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit.
  • Natürlicher Kausalzusammenhang: Ein Anspruch auf unfallversicherungsrechtliche Leistungen setzt einen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Schadenereignis und der Gesundheitsschädigung voraus. Dieser ist gegeben, wenn der Schaden ohne das Unfallereignis überhaupt nicht oder nicht in gleicher Weise eingetreten wäre (BGE 148 V 356 E. 3; 142 V 435 E. 1).
  • Beweisstandard: Die Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs ist eine Tatfrage, die im Sozialversicherungsrecht nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beurteilen ist (BGE 142 V 435 E. 1). Ist ein Kausalzusammenhang lediglich möglich, aber nicht wahrscheinlich, muss ein Leistungsanspruch verneint werden (BGE 129 V 177 E. 3.1).
  • Vorbestandene Leiden (Statu quo ante/sine): Gemäss Art. 36 Abs. 1 UVG werden Leistungen nicht gekürzt, wenn die Gesundheitsschädigung nur teilweise dem Unfall zuzuschreiben ist. Die Leistungspflicht der Unfallversicherung entfällt, wenn ein vorbestehender Krankheitszustand, der sich infolge eines Unfalls verschlimmert hat, wieder den Zustand erreicht, der unmittelbar vor dem Unfall bestand (statu quo ante) oder der sich auch ohne Unfall infolge der natürlichen Entwicklung eingestellt hätte (statu quo sine). Solange dieser Zustand nicht erreicht ist, muss der Unfallversicherer die Behandlung des vorbestehenden Leidens übernehmen, sofern es sich anlässlich des Unfalls manifestiert oder verschlimmert hat (BGE 146 V 51 E. 5.1). Die Beweislast für das Entfallen des Kausalzusammenhangs liegt bei der Partei, die sich auf die Aufhebung des Anspruchs beruft, d.h. in der Regel beim Versicherer (BGE 146 V 51 E. 5.1).
  • Beweiswürdigung und Gleichbehandlung der Beweismittel: Das Prinzip der Waffengleichheit (Art. 6 Abs. 1 EMRK) erfordert, dass der Versicherte die Feststellungen der versicherungsinternen Ärzte mit eigenen Beweismitteln infrage stellen darf. Obwohl behandlungsärztliche Berichte aufgrund des Vertrauensverhältnisses zum Patienten tendenziell parteilich sein können, entbindet dies den Richter nicht von seiner Pflicht zur sorgfältigen Beweiswürdigung (BGE 135 V 465 E. 4.5). Bestehen aufgrund eines motivierten Berichts des Behandlungsarztes oder eines privaten Experten, dem ebenfalls Beweiskraft zukommt, minimale Zweifel an der Zuverlässigkeit und Relevanz der versicherungsinternen Einschätzung, so darf der Fall nicht allein auf der Grundlage einer dieser Meinungen entschieden werden. Vielmehr ist ein unabhängiges Gutachten nach Art. 44 ATSG oder ein gerichtliches Gutachten einzuholen (BGE 135 V 465 E. 4.5 und 4.6).

3. Begründung der Vorinstanz

Das kantonale Gericht stützte sich massgeblich auf die Einschätzung der Kreisärztin Dr. C._. Diese ging davon aus, dass der Beschwerdeführer vor dem Unfall sehr wahrscheinlich an einer subakromial-deltoidalen Bursitis litt, die durch eine Kontusion im Rahmen des Sturzes vom 20. Januar 2022 symptomatisch wurde. Die Ärztin führte aus, dass unfallbedingt keine weiteren Läsionen entstanden seien und eine Kontusion üblicherweise innerhalb von zwei bis drei Monaten heile. Die über den 20. April 2022 hinausgehenden Schmerzen seien daher auf das vorbestehende Überlastungsleiden zurückzuführen. Sie verwies darauf, dass die Akten, insbesondere die bildgebenden Untersuchungen, lediglich eine subakromial-deltoidale Bursitis ergeben hätten. Die Differentialdiagnosen von Dr. D._ (Spezialist für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparats), nämlich eine SLAP-Läsion Typ II und eine mediale Luxation der langen Bizepssehne bei Läsion der medialen Pulley, seien klinisch-radiologisch nicht begründet gewesen. Dr. D.__ habe zudem keine Bilder vom Operationssaal geliefert, um seine Beobachtungen zu untermauern.

Das kantonale Gericht stellte fest, dass die Arthro-MRT der linken Schulter vom 20. April 2022 tatsächlich keine posttraumatischen Läsionen (insbesondere der Rotatorenmanschette oder des Labrums) gezeigt habe, sondern lediglich eine subakromial-deltoidale Bursitis. Auch die Ultraschalluntersuchung vom 17. Februar 2022 und die Röntgenaufnahme vom 25. Januar 2022 bestätigten dies und zeigten keine weiteren Auffälligkeiten. Das Gericht schloss sich der Ansicht von Dr. C._ an, dass die Diagnosen von Dr. D._ nicht durch die radiologischen Berichte bestätigt wurden und dass Dr. D.__, obwohl er die versicherungsrechtliche Problematik kannte, es versäumt hatte, Operationsbilder zur Untermauerung seiner Befunde zu erstellen.

Entscheidend für die Vorinstanz war jedoch, dass Dr. D._ in seinen Berichten lediglich die Möglichkeit – und nicht die Wahrscheinlichkeit – eines natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen den von ihm festgestellten Läsionen und dem Unfall vom 20. Januar 2022 erwähnt hatte. Dies sei gemäss Rechtsprechung für die Annahme eines Kausalzusammenhangs unzureichend. Auch die Meinungen anderer Ärzte, wie Dr. E._ (behandelnder Orthopäde), hätten die Beurteilung der Kreisärztin nicht infrage gestellt, da sie lediglich eine Bursitis festgestellt hatten, die eine Arbeitsunfähigkeit infolge des Unfalls nicht über den 1. Juni 2022 hinaus rechtfertigte. Die CNA habe somit zu Recht die Leistungen per 10. August 2022 eingestellt, wobei dieses Datum für den Beschwerdeführer sogar günstiger sei als die von den Ärzten genannten Daten.

4. Rügen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer rügt eine ungenaue Sachverhaltsfeststellung sowie eine Verletzung von Art. 10 und 16 UVG, Art. 61 lit. c ATSG und seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er macht geltend, angesichts der Einschätzung von Dr. D._ hätte der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und seinen Schulterbeschwerden über den 10. August 2022 hinaus anerkannt werden müssen. Der Meinung dieses spezialisierten Chirurgen, der über langjährige Erfahrung in der Schulterchirurgie verfügt, hätte besondere Beachtung geschenkt werden müssen. Die Vorinstanz hätte zumindest ein unabhängiges Gutachten einholen müssen, um die divergierenden medizinischen Meinungen zu klären, anstatt sich allein auf die umstrittene Meinung von Dr. C._ zu verlassen. Zudem habe Dr. D.__ sich nicht darauf beschränkt, die blosse Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs anzunehmen.

5. Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht bestätigt zunächst, dass Dr. D._ der einzige Arzt war, der neben einer einfachen Kontusion in Verbindung mit einer Bursitis weitere unfallbedingte Läsionen (SLAP-Läsion Typ II und mediale Luxation der langen Bizepssehne bei Läsion der medialen Pulley) angenommen hat. Dr. D._ stützte sich dabei auf seine eigene Lesart der bildgebenden Untersuchungen, insbesondere der Arthro-MRT vom 20. April 2022, sowie auf seine peroperativen Befunde während der Operation vom 24. November 2022.

Das Bundesgericht stellt jedoch fest, dass die radiologischen Spezialisten die von Dr. D._ diagnostizierten Läsionen nicht festgestellt, sondern lediglich eine subakromial-deltoidale Bursitis attestiert hatten. Auch Dr. C._ und der Behandlungsarzt Dr. E.__ hatten lediglich eine Bursitis diagnostiziert, die eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht über den 20. April 2022 bzw. den 1. Juni 2022 hinaus rechtfertigte.

Der entscheidende Punkt für das Bundesgericht ist, dass Dr. D.__ den Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den von ihm festgestellten Läsionen konsequent als lediglich möglich und nicht als wahrscheinlich bezeichnete. Dies zeigt sich in Formulierungen wie "les lésions constatées [pouvaient] être compatibles avec un accident" (die festgestellten Läsionen könnten mit einem Unfall vereinbar sein), "pouvaient être imputables à un accident" (könnten einem Unfall zuzurechnen sein), "ne [pouvait] affirmer avec certitude que ces lésions [étaient] en lien avec l'accident" (konnte nicht mit Sicherheit bestätigen, dass diese Läsionen mit dem Unfall zusammenhingen), und "le lien de causalité [n'était] pas exclu" (der Kausalzusammenhang war nicht ausgeschlossen).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt die blosse Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs nicht für einen Leistungsanspruch in der Unfallversicherung. Folglich war die Meinung von Dr. D._, die zudem diagnostisch isoliert war, nicht geeignet, die Einschätzung von Dr. C._ hinsichtlich des Kausalzusammenhangs über den 10. August 2022 hinaus in Zweifel zu ziehen. Das Bundesgericht verneint daher die Notwendigkeit, ein unabhängiges medizinisches Gutachten einzuholen. Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Art. 61 lit. c ATSG werden als unselbstständig gegenüber dem Hauptanliegen der ungenauen Sachverhaltsfeststellung (Beweiswürdigung) beurteilt und ebenfalls abgewiesen.

6. Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht weist die Beschwerde als unbegründet ab. Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigt die Einstellung der Leistungen der Unfallversicherung. Massgeblich hierfür ist die fehlende überwiegende Wahrscheinlichkeit eines natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen den über den 10. August 2022 hinausgehenden Schulterbeschwerden und dem Unfall vom Januar 2022. Die medizinische Meinung, die einen fortbestehenden Zusammenhang bejahte, wurde als unzureichend erachtet, da sie den Kausalzusammenhang lediglich als "möglich" und nicht als "wahrscheinlich" qualifizierte. Gemäss ständiger Rechtsprechung reicht die blosse Möglichkeit für einen Leistungsanspruch in der Sozialversicherung nicht aus. Das Bundesgericht sah angesichts der isolierten und in ihrer Aussagekraft limitierten medizinischen Meinung des Behandlungsarztes auch keine Notwendigkeit, ein unabhängiges medizinisches Gutachten einzuholen.