Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts (4A_301/2024 vom 24. Juni 2025):
Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_301/2024 vom 24. Juni 2025
1. Parteien und Streitgegenstand
- Rekurrent (Assuré/Kläger): A.__, ein selbstständiger Musiker und Betreiber einer Musikschule.
- Intimierte (Défenderesse/Beklagte): B.__ SA, eine Lebensversicherungsgesellschaft.
- Streitgegenstand: Die materielle Zuständigkeit des Gerichts im Hinblick auf eine Klage auf Rückerstattung von Prämien aus einem Vertrag der gebundenen Vorsorge (Säule 3a). Konkret ging es um die Frage, ob der Zivilrichter oder der Richter der beruflichen Vorsorge gemäss Art. 73 Abs. 1 BVG zuständig ist.
2. Sachverhalt und Prozessgeschichte
2.1. Ausgangssachverhalt
Im Jahr 2001 schloss der Rekurrent A._ bei B._ SA einen Vertrag über eine gebundene Vorsorgepolice (Säule 3a) mit einer Laufzeit von 19 Jahren und einer jährlichen Prämie. Die Police umfasste eine Zusatzversicherung zur Prämienbefreiung bei Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall nach einer Wartefrist von 90 Tagen. Bestimmte Vorerkrankungen (bspw. Schulterverletzung) waren jedoch von der Leistung ausgenommen.
Bei Vertragsabschluss hatte der Rekurrent in einem Gesundheitsfragebogen Fragen zu psychischen Erkrankungen und Drogenkonsum verneint. Tatsächlich litt er jedoch bereits seit 1984 an psychischen Problemen und bezog von 1984 bis 1990 eine Invalidenrente. Kurz vor Abschluss der Versicherung, im Februar 2001, musste er zudem wegen psychischer Störungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Ab dem 1. Mai 2003 bezog der Rekurrent eine ganze Invalidenrente der IV (Invaliditätsgrad 76%). Trotzdem zahlte er weiterhin die Prämien für seine Vorsorgepolice.
Im April 2006 beantragte der Rekurrent, offenbar nach Rücksprache mit seinem Schwager und Versicherungsmakler C.__, die Streichung der Zusatzgarantie zur Prämienbefreiung. Die Versicherungsgesellschaft sandte ihm daraufhin am 26. Juni 2006 einen entsprechenden Nachtrag (Avenant) zur Police zu, der die jährliche Prämie senkte. Der Rekurrent focht diesen Nachtrag nicht an und zahlte die geänderten Prämien über zehn Jahre lang.
Im Februar 2016 informierte der Rekurrent die Versicherungsgesellschaft über seinen IV-Rentenbezug seit 2003. Die Versicherungsgesellschaft lehnte daraufhin Leistungen ab und verwies auf den Nachtrag von 2006 und die Verjährung.
Der Rekurrent machte im April 2016 einen Willensmangel bezüglich des Nachtrags von 2006 geltend und legte ein ärztliches Attest vor, wonach er 2006 aufgrund einer bipolaren Störung eine stark eingeschränkte Urteilsfähigkeit gehabt habe. Die Versicherungsgesellschaft wiederum berief sich im Februar 2021 auf Retizenz (Verletzung der Anzeigepflicht) bei Vertragsabschluss, da der Rekurrent Vorerkrankungen und frühere IV-Renten verschwiegen habe.
2.2. Prozessverlauf
Im April 2017 reichte der Rekurrent eine Klage beim Zivilgericht des Arrondissements Lausanne ein. Er forderte von der Versicherungsgesellschaft (sowie von seinem Schwager und den involvierten Maklergesellschaften) die solidarische Rückerstattung der Prämien, die er vom 1. Mai 2003 bis zum 31. Dezember 2019 gezahlt hatte, im Wesentlichen gestützt auf ungerechtfertigte Bereicherung und Willensmangel.
- Erste Instanz (Tribunal civil de l'arrondissement de Lausanne): Das Gericht erklärte sich für zuständig. Es argumentierte, dass die Klage zwar einen Vorsorgevertrag betreffe, ihr Rechtsgrund jedoch primär im Obligationenrecht (Willensmangel, ungerechtfertigte Bereicherung, Vertrags-/Ausservertragsrecht) liege. Zudem seien auch Mitbeklagte involviert, die nicht unter Art. 73 BVG fielen. Das Gericht hiess die Klage gegen die Versicherungsgesellschaft teilweise gut.
- Zweite Instanz (Cour d'appel civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud): Das Appellationsgericht hiess die Berufung der Versicherungsgesellschaft gut. Es erklärte die Klage gegen die Versicherungsgesellschaft als unzulässig, da sie in die Zuständigkeit der Sozialversicherungsgerichte des Kantons Waadt falle (Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG). Die Klage gegen die Mitbeklagten wurde hingegen als zulässig erklärt. Das Gericht betonte, dass der Streit aus einem Vertrag der gebundenen Vorsorge resultiere und die Zuständigkeitsnorm des Art. 73 BVG zwingend sei und nicht durch das Hinzufügen weiterer Beklagter umgangen werden könne.
3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob die kantonale Instanz zu Recht die Klage gegen die Versicherungsgesellschaft als unzulässig erklärt hatte, weil sie in die Zuständigkeit der Vorsorgegerichte gemäss Art. 73 Abs. 1 BVG fällt.
3.1. Die Zuständigkeitsnorm des Art. 73 Abs. 1 BVG
- Grundsatz: Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BVG sieht vor, dass jeder Kanton ein Gericht bezeichnet, das als letzte kantonale Instanz über Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet.
- Doppelte Begrenzung der Zuständigkeit (gemäss Rechtsprechung):
- Natur des Rechtsstreits: Die Streitigkeit muss spezifische Fragen der beruflichen Vorsorge betreffen, sei es im engeren oder weiteren Sinne (v.a. Versicherungsleistungen, Freizügigkeitsleistungen, Beiträge). Auch Rückforderungsansprüche von Vorsorgeleistungen, die früher (mangels statutarischer oder reglementarischer Grundlage) auf Art. 62 ff. OR gestützt werden mussten, fallen unter diese Zuständigkeit (Querverweis auf ATF 133 V 205 E. 2.1 und 3; 128 V 50 E. 1a und 3a). Die Zuständigkeit ist hingegen nicht gegeben, wenn der Rechtsgrund der Streitigkeit nicht im Recht der beruflichen Vorsorge liegt, selbst wenn sich die Streitigkeit auf Vorsorgeleistungen auswirken könnte (Querverweis auf ATF 141 V 170 E. 3; 130 V 103 E. 1.1; 128 V 254 E. 2a). Entscheidend für die Abgrenzung ist der Rechtsgrund der Klage, wie er sich aus dem Klagebegehren und den zur Begründung angeführten Sachverhalten ergibt.
- Parteienkreis: Ursprünglich waren nur Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgeber und Anspruchsberechtigte erfasst.
- Erweiterung durch Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG (seit 2005): Seit dem 1. Januar 2005 erstreckt sich die Zuständigkeit des kantonalen Letztinstanzgerichts auch auf Streitigkeiten mit Einrichtungen, die sich aus der Anwendung von Art. 82 Abs. 2 BVG ergeben. Dazu gehören insbesondere Streitigkeiten betreffend Verträge der gebundenen Vorsorge (Säule 3a). Das sind Spezialverträge über Kapital- und Rentenversicherungen auf den Todes- oder Erwerbsunfähigkeitsfall, die mit Versicherungsgesellschaften oder öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen abgeschlossen werden und ausschliesslich und unwiderruflich der Vorsorge dienen (Art. 82 Abs. 2 BVG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung über die steuerliche Abzugsfähigkeit der Beiträge an anerkannte Formen der Vorsorge [BVV 3]).
- Botschaft des Bundesrates: Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dieser Erweiterung eine Vereinheitlichung der materiellen Zuständigkeit für sämtliche Streitigkeiten im Bereich der beruflichen Vorsorge, einschliesslich der Freizügigkeit und der individuellen gebundenen Vorsorge (Querverweis auf Botschaft vom 1. März 2000 zur 1. BVG-Revision, BBl 2000 2540 Ziff. 2.9.5).
- Rechtsprechung zur Säule 3a: Obwohl Verträge der gebundenen Vorsorge materiell dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und dem Obligationenrecht (OR) unterliegen, fallen Streitigkeiten, die aus deren Anwendung resultieren und zwischen Anspruchsberechtigten und Versicherungs- oder Bankeinrichtungen bestehen, in die materielle Zuständigkeit der Vorsorgegerichte (Querverweis auf ATF 141 V 439 E. 1.1 und weitere Urteile).
- Zwingender Charakter: Die Zuständigkeitsregeln des Art. 73 BVG sind zwingend; eine Abweichung ist nicht zulässig (Querverweis auf ATF 132 V 404 E. 4.3).
3.2. Anwendung der Regeln auf den vorliegenden Fall
Das Bundesgericht prüfte die Argumente des Rekurrenten, die gegen die Zuständigkeit des Vorsorgegerichts sprachen:
- Rückerstattung von Prämien vs. Leistungsanspruch: Der Rekurrent forderte die Rückerstattung zu viel bezahlter Prämien (ungerechtfertigte Bereicherung) und nicht etwa die Auszahlung einer Rente oder eines Kapitals. Das Bundesgericht stellt klar, dass dies unerheblich ist. In beiden Fällen liegt das ursächliche Ereignis der Forderung im gebundenen Vorsorgevertrag. Der Ausgang des Rechtsstreits hängt von der Gültigkeit bzw. Ungültigkeit dieses Rechtsgrundes (des Vertrags oder des Nachtrags) ab. Es wäre widersprüchlich, diese beiden Aspekte unterschiedlich zu behandeln. Die Klage "resultiert" aus dem gebundenen Vorsorgevertrag, wie es Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG verlangt.
- Analoge Rechtsprechung: Das Bundesgericht hat bereits in früheren Urteilen (Querverweis auf Urteile 9C_380/2018 vom 14. November 2018 und 9C_557/2008 vom 3. April 2009, publ. in ATF 135 III 289) implizit die Zuständigkeit der Vorsorgegerichte für Rückforderungsansprüche von Prämien der individuellen gebundenen Vorsorge anerkannt. Dies ist auch konform mit der Rechtsprechung zur 2. Säule vor der BVG-Revision, wonach Rückforderungsansprüche aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung unter die Zuständigkeit fielen.
- Materiellrechtliche Unterstellung unter VVG/OR: Der Rekurrent argumentierte, der Vertrag unterstehe dem VVG und OR. Das Bundesgericht bekräftigt, dass dies für die Frage der Zuständigkeit nach Art. 73 BVG irrelevant ist. Die Erweiterung der Zuständigkeit auf die Säule 3a gerade wegen des Vereinheitlichungsziels wurde vom Gesetzgeber bewusst vorgenommen.
- Rechtsform der Versicherungsgesellschaft (AG): Der Rekurrent machte geltend, die Beklagte sei eine Aktiengesellschaft und falle daher nicht unter die Definition einer Vorsorgeeinrichtung gemäss Art. 48 Abs. 2 und 73 Abs. 1 BVG. Das Bundesgericht weist dieses Argument zurück. Art. 7 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), auf das Art. 1 Abs. 2 BVV 3 verweist, schreibt für Versicherungsunternehmen die Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder Genossenschaft vor. Die Beklagte erfüllt somit die Anforderungen und fällt als Versicherungsgesellschaft klar unter die von Art. 73 BVG erfassten «Institutionen».
- Präsenz weiterer Beklagter (Makler etc.): Das Bundesgericht bekräftigt die Argumentation des kantonalen Gerichts, dass die Hinzufügung weiterer Beklagter, die nicht unter Art. 73 BVG fallen, die zwingende Zuständigkeit des Vorsorgegerichts für die Klage gegen die Versicherungsgesellschaft nicht aufhebt oder eine Attraktion der Zuständigkeit zum Zivilgericht bewirkt.
4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts
Basierend auf diesen Erwägungen kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die kantonalen Richter kein Bundesrecht verletzt haben, indem sie die vorliegende Streitigkeit als unter Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG fallend beurteilten. Die Klage des Rekurrenten gegen die Versicherungsgesellschaft wurde daher zu Recht als unzulässig erklärt.
5. Urteil
Der Rekurs wurde abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden dem Rekurrenten auferlegt, und dieser wurde zur Zahlung einer Parteientschädigung an die Intimierte verpflichtet.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigte, dass Streitigkeiten aus Verträgen der gebundenen Vorsorge (Säule 3a) zwingend in die Zuständigkeit der kantonalen Vorsorgegerichte gemäss Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG fallen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Klage auf die Auszahlung von Leistungen oder auf die Rückerstattung von Prämien (z.B. wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder Willensmangel) abzielt, da der Rechtsgrund der Forderung stets im Vorsorgevertrag liegt. Weder die materiellrechtliche Unterstellung des Vertrags unter VVG/OR noch die Rechtsform der beklagten Versicherungsgesellschaft (AG) sind für die Zuständigkeitsfrage relevant. Ziel der Norm ist die Vereinheitlichung der Zuständigkeit für alle Bereiche der beruflichen Vorsorge im weiteren Sinne.