Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_863/2024 vom 25. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (6B_863/2024 vom 25. Juni 2025)

Parteien und Gegenstand: Das vorliegende Urteil betrifft die Beschwerde in Strafsachen von A.__ (Beschwerdeführer) gegen das Obergericht des Kantons Aargau. Streitgegenstand ist der Vorwurf der Fälschung amtlicher Wertzeichen gemäss Art. 245 Ziff. 1 StGB, verbunden mit Rügen des Anklagegrundsatzes und der Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und der Beurteilung des subjektiven Tatbestandes.

Sachverhalt (kurzgefasst): Der Beschwerdeführer wurde vom Bezirksgericht Rheinfelden vom Vorwurf der Fälschung amtlicher Wertzeichen freigesprochen. Das Obergericht des Kantons Aargau hob dieses Urteil auf und sprach A.__ der Fälschung amtlicher Wertzeichen schuldig. Dem Schuldspruch lag der Sachverhalt zugrunde, dass sich die für das Jahr 2022 gültige Autobahnvignette des Beschwerdeführers von selbst von der Frontscheibe seines Fahrzeugs gelöst hatte. Er präparierte die Vignette daraufhin zunächst mit einer doppelseitigen Klebefolie und später mit einem "Permanent-Kleber", um sie wieder an der Frontscheibe anzubringen. Bei einer Kontrolle liess sich die Vignette problemlos von Hand von der Scheibe lösen.

Rügen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte primär eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, da der Strafbefehl weder die konkret anwendbare Gesetzesnorm (Art. 7 Abs. 4 lit. a NSAG) noch hinreichende Ausführungen zum subjektiven Tatbestand enthalten habe. Ferner bestritt er die Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestandes der Fälschung amtlicher Wertzeichen und machte einen Irrtum über die Entwertung der Vignette geltend. Schliesslich rügte er eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren aufgrund suggestiver Fragestellung der Vorinstanz.

Massgebende Rechtsgrundlagen und Erwägungen des Bundesgerichts:

1. Zum Anklagegrundsatz (Art. 9 und 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 und 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK): Das Bundesgericht hält fest, dass der Anklagegrundsatz eine Umgrenzungs- und Informationsfunktion hat. Die Anklageschrift muss den der beschuldigten Person vorgeworfenen Sachverhalt präzise in objektiver und subjektiver Hinsicht umschreiben, damit sie ihre Verteidigungsrechte angemessen ausüben kann. Das Gericht ist an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an die rechtliche Würdigung (Art. 350 Abs. 1 StPO). Geringfügige Abweichungen des gerichtlich festgestellten Sachverhalts vom Anklagesachverhalt sind zulässig, sofern sie für die rechtliche Qualifikation nicht ausschlaggebend sind und die beschuldigte Person Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.

  • Anwendung auf den vorliegenden Fall:
    • Abweichung der Norm: Der Strafbefehl nannte Art. 7 Abs. 4 lit. b NSAG (Vignette nicht direkt aufgeklebt), während die Vorinstanz Art. 7 Abs. 4 lit. a NSAG (Vignette nach korrekter Befestigung entfernt) anwandte. Das Bundesgericht erachtete diese Abweichung als unschädlich. Der Kernvorwurf der stofflichen Manipulation der Klebefläche zur Wiederverwendung sei klar im Strafbefehl umschrieben gewesen. Dem Beschwerdeführer sei von Anfang an klar gewesen, wogegen er sich zu verteidigen hatte. Die Nichterwähnung der spezifischen Litera sei unbedeutend, da Art. 245 Ziff. 1 StGB die Tatbestandselemente selbstständig umschreibt.
    • Umschreibung des subjektiven Tatbestandes: Die Rüge der ungenügenden Umschreibung des subjektiven Tatbestandes wies das Bundesgericht ebenfalls ab. Die Formulierung im Strafbefehl, der Beschwerdeführer habe "wissentlich und willentlich den Schein erweckt", genüge den Anforderungen. Auch wenn die Formulierung auf eine Absicht der Abgabeumgehung hindeute, die die Vorinstanz dem Beschwerdeführer nicht vorwerfe, sei die Manipulation einer abgefallenen Vignette zur Wiederverwendung vom Tatvorwurf umfasst.

2. Zum objektiven Tatbestand der Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245 Ziff. 1 StGB): Art. 245 StGB schützt amtliche Wertzeichen, wozu auch Autobahnvignetten zählen (BGE 141 IV 336 E. 2.2.2). Tatbestandsmässig handelt, wer amtliche Wertzeichen fälscht oder verfälscht oder entwerteten amtlichen Wertzeichen den Schein gültiger gibt (Art. 245 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Eine Autobahnvignette gilt gemäss Art. 7 Abs. 4 NSAG als entwertet, wenn sie nach korrekter Befestigung vom Fahrzeug entfernt oder zerstört wird. Das NSAG und die NSAV verbieten Manipulationen des Originalklebstoffs oder das Anbringen mit anderem Klebstoff, die eine Mehrfachverwendung ermöglichen. Solche Manipulationen stellen ein Vergehen nach Art. 245 StGB dar (Art. 14 Abs. 3 NSAG; BGE 141 IV 336 E. 2.3.2).

  • Anwendung auf den vorliegenden Fall:
    • Das Bundesgericht bestätigte, dass die Vignette als entwertet gilt, sobald sie sich – auch selbständig – von der Frontscheibe löst.
    • Durch die nachträgliche stoffliche Veränderung der Vignette mittels doppelseitiger Klebefolie und "Permanent-Kleber" gab der Beschwerdeführer der entwerteten Vignette den Anschein der Gültigkeit, die sie nicht mehr besass. Dies erfüllt objektiv den Tatbestand der Fälschung amtlicher Wertzeichen im Sinne von Art. 245 Ziff. 1 StGB. Der genaue Zweck der Verwendung ist für die objektive Tatbestandsmässigkeit unerheblich. Die vorinstanzliche Bejahung des objektiven Tatbestandes wurde vom Bundesgericht somit nicht beanstandet.

3. Zum subjektiven Tatbestand (Vorsatz) und Irrtum (Art. 12 Abs. 2 StGB): Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Tat mit Wissen und Willen ausführt oder die Verwirklichung für möglich hält und in Kauf nimmt (Eventualvorsatz). Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, ist eine Tatfrage und wird vom Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür überprüft. Rechtsfrage ist hingegen, ob gestützt auf die festgestellten Tatsachen Vorsatz vorliegt. Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung liegt vor, wenn der Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder in klarem Widerspruch zur tatsächlichen Situation steht.

  • Rüge der suggestiven Fragestellung: Der Beschwerdeführer rügte, die Vorinstanz habe sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Das Bundesgericht hielt fest, dass unzulässige oder suggestive Fragen zwar Ordnungswidrigkeiten darstellen können, aber keinen Verstoss gegen Art. 140 Abs. 1 StPO bedeuten und im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind. Der Beschwerdeführer konnte nicht darlegen, inwiefern die beanstandete Fragestellung entscheidende Auswirkungen auf das Beweisergebnis hatte. Diese Rüge wurde daher abgewiesen.
  • Beurteilung des Vorsatzes durch die Vorinstanz: Die Vorinstanz bejahte den Vorsatz, indem sie vom Allgemeinwissen eines durchschnittlichen Autofahrers ausging, dass eine abgelöste Vignette nicht einfach wieder angebracht werden dürfe. Sie stützte sich auf die mediale Berichterstattung über präparierte Vignetten und die stoffliche Beschaffenheit der Vignette. Sie qualifizierte gegenteilige Aussagen des Beschwerdeführers als Schutzbehauptungen und verneinte einen Rechts- oder Sachverhaltsirrtum.
  • Kritik des Bundesgerichts an der vorinstanzlichen Begründung: Das Bundesgericht rügte, dass die Vorinstanz ihre Schlussfolgerung bezüglich des für den Vorsatz notwendigen Wissens des Beschwerdeführers ausschliesslich auf "Allgemeinwissen" und "mediale Berichterstattung" stützte, ohne die konkreten Aussagen des Beschwerdeführers wiederzugeben und zu würdigen. Insbesondere habe die Vorinstanz das Vorliegen eines Rechts- oder Sachverhaltsirrtums "ohne weitere Begründung" verneint. Das Bundesgericht verweist auf Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG, wonach Entscheide die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten müssen, und auf den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), der verlangt, dass sich die Behörde mit den wesentlichen Punkten auseinandersetzt. Die vorinstanzliche Begründung sei mangels Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers und Prüfung eines Irrtums nicht nachvollziehbar überprüfbar. Dies stelle eine Verletzung von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG sowie des rechtlichen Gehörs dar und führe zu einem willkürlichen Entscheid.

Entscheid des Bundesgerichts: Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 3. September 2024 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Die Vorinstanz muss die nötigen zusätzlichen Sachverhaltsfeststellungen treffen, um gestützt darauf eine neue bzw. vollständige rechtliche Würdigung vorzunehmen, insbesondere hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes (Vorsatz) und eines allfälligen Irrtums des Beschwerdeführers. Es werden keine Gerichtskosten erhoben, und der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Faktische Manipulation: Der Beschwerdeführer hatte eine sich selbst gelöste Autobahnvignette mittels Klebefolie und Permanent-Kleber wieder befestigt.
  • Objektiver Tatbestand erfüllt: Das Bundesgericht bestätigte, dass eine Vignette, die sich einmal gelöst hat, als entwertet gilt. Die Wiederanbringung mit Fremdklebstoff erfüllt objektiv den Tatbestand der Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245 Ziff. 1 StGB), da der entwerteten Vignette der Anschein der Gültigkeit verliehen wird.
  • Mangelhafte Begründung des Vorsatzes: Der Schuldspruch wurde aufgehoben, weil die Vorinstanz den Vorsatz des Beschwerdeführers (d.h. sein Wissen um die Entwertung und die Absicht, die entwertete Vignette als gültig zu verwenden) nicht ausreichend begründet hatte. Sie stützte sich pauschal auf "Allgemeinwissen" und "Medienberichte", ohne die konkreten Aussagen des Beschwerdeführers zum subjektiven Tatbestand und einem möglichen Irrtum zu würdigen.
  • Verletzung des rechtlichen Gehörs und Willkür: Diese mangelhafte Begründung verletzte das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers und führte zu einem willkürlichen Entscheid im Sinne von Art. 9 BV, da die richterliche Schlussfolgerung nicht nachvollziehbar war.
  • Rückweisung: Das Bundesgericht wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück, damit diese die notwendigen zusätzlichen Sachverhaltsfeststellungen trifft und eine vollständige rechtliche Würdigung des subjektiven Tatbestandes vornimmt.