Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_537/2024 vom 26. Juni 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (8C_537/2024 vom 26. Juni 2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_537/2024 vom 26. Juni 2025

1. Parteien und Gegenstand Das Urteil betrifft die Beschwerdeführerin A.__ gegen die IV-Stelle Schwyz. Gegenstand des Verfahrens vor Bundesgericht ist ein Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 8. Juli 2024, welcher die Aufhebung der Invalidenrente und Hilflosenentschädigung sowie die Rückforderung von Leistungen bestätigte. Konkret geht es um die Frage der Leistungseinstellung (Invalidenrente, Hilflosenentschädigung) und der Rückerstattung zu Unrecht bezogener Leistungen der Invalidenversicherung.

2. Sachverhalt (Vorgeschichte) Die 1981 geborene Beschwerdeführerin A._ bezog seit dem 1. Februar 2006 eine ganze Invalidenrente und eine Hilflosenentschädigung leichten Grades aufgrund eines angeblichen 100%igen Invaliditätsgrades (Verfügungen der IV-Stelle Luzern vom 9. Oktober 2006). Diese Leistungen wurden in den Jahren 2009 und 2012 bestätigt. Am 1. Juni 2017 leitete die IV-Stelle von Amtes wegen ein Revisionsverfahren ein, nachdem Inkonsistenzen in den Akten und Hinweise im Internet aufgetaucht waren. Zwischen Dezember 2020 und Februar 2021 wurde die Beschwerdeführerin observiert. Eine daraufhin bei der SMAB AG Bern (Swiss Medical Assessment- and Business-Center) veranlasste Begutachtung musste abgebrochen werden, da sich A._ in einem "augenscheinlich stuporösen Zustandsbild mutmasslich vor dem Hintergrund eines akuten psychotischen Geschehens" präsentierte. Nach einer Mahn- und Bedenkzeit, in der die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht zur Klärung der psychotischen Störung nicht nachkam, stellte die IV-Stelle die Leistungen vorsorglich per sofort ein (30. September 2021). Erst nach einem weiteren Vorbescheid unterzog sich A.__ einer stationären Behandlung (Dezember 2022 bis Januar 2023). Anschliessend wurde ein interdisziplinäres Gutachten bei der SMAB eingeholt (18. Juli 2023). Gestützt auf dieses Gutachten und die Erkenntnisse aus der Observation hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 29. September 2023 die ursprünglichen leistungszusprechenden Verfügungen vom 9. Oktober 2006 (unter Berufung auf Art. 53 Abs. 1 ATSG) auf und verpflichtete die Beschwerdeführerin am 12. Oktober 2023 zur Rückerstattung von Fr. 122'645.- für den Zeitraum vom 1. September 2018 bis 30. September 2021. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz vereinigte die Beschwerden gegen diese beiden Verfügungen und wies sie am 8. Juli 2024 ab. Dagegen legte die Beschwerdeführerin Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht ein.

3. Rechtliche Grundlagen Das Bundesgericht prüft Rechtsverletzungen (Art. 95 f. BGG) und wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz sind für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG), ausser sie sind offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder beruhen auf einer Rechtsverletzung (Art. 97 Abs. 1 BGG).

Die massgebenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen sind: * Art. 53 Abs. 1 ATSG (Revisionsgrund): Ermöglicht die Revision formell rechtskräftiger Verfügungen bei Vorliegen eines Verbrechens oder Vergehens. * Art. 53 Abs. 2 ATSG (Wiedererwägung): Ermöglicht die Wiedererwägung einer formell rechtskräftigen Verfügung bei zweifelloser Unrichtigkeit, wenn die Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. * Art. 25 Abs. 1 und 2 ATSG: Regelt die Pflicht zur Rückerstattung von unrechtmässig bezogenen Leistungen. * Art. 43a ATSG: Regelt die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Observationsmaterial bei Verdacht auf unrechtmässigen Leistungsbezug. * Art. 85 Abs. 2 IVV i.V.m. Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV: Spezifische IV-Bestimmungen für die rückwirkende Herabsetzung oder Aufhebung von Renten, Hilflosenentschädigungen und Assistenzbeiträgen, insbesondere wenn der Bezüger die Leistung zu Unrecht erwirkt hat oder die Meldepflicht nicht nachgekommen ist.

4. Erwägungen des Bundesgerichts

4.1. Zum Rückkommenstitel und der Leistungseinstellung

  • Motivsubstitution durch die Vorinstanz: Die IV-Stelle hatte die ursprünglichen Verfügungen gestützt auf Art. 53 Abs. 1 ATSG (prozessuale Revision wegen Verdacht auf Verbrechen/Vergehen) aufgehoben. Das kantonale Gericht hat jedoch eine zulässige Motivsubstitution vorgenommen und die Aufhebung gestützt auf Art. 53 Abs. 2 ATSG (Wiedererwägung wegen zweifelloser Unrichtigkeit) geschützt. Dies, weil eine abschliessende Beurteilung des strafrechtlich relevanten Verhaltens nicht notwendig war.
  • Zweifellose Unrichtigkeit aufgrund unvollständiger Sachverhaltsabklärung (Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes):
    • Das Bundesgericht bekräftigt, dass eine zweifellose Unrichtigkeit im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG auch bei einer unrichtigen Sachverhaltsfeststellung gegeben sein kann, insbesondere wenn der Untersuchungsgrundsatz klar verletzt wurde. Dies ist eine Frage der Rechtsanwendung, die das Bundesgericht frei prüft.
    • Die Vorinstanz hat willkürfrei festgestellt, dass bei den behandelnden Fachpersonen zum Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenzusprache (2006) ein hoher Unsicherheitsgrad bei der Diagnosestellung bestand. Die Ärzte hätten übereinstimmend betont, dass Anamnese und Befunderhebung aus sprachlichen Gründen sowie wegen fehlender Auskunft und Kooperation der Beschwerdeführerin schwierig gewesen seien. Dies stehe im Widerspruch zu den Angaben des früheren Hausarztes, der einen problemlosen Zugang hatte und keine psychischen Auffälligkeiten feststellte. Eine Hospitalisation zur Klärung der Befunde wurde damals von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann abgelehnt.
    • Das Bundesgericht schliesst sich der Vorinstanz an: Angesichts der damals nicht fundiert abgeklärten Diagnosen, der Zweifel in den Arztberichten, offener Widersprüche und des auffälligen Verhaltens der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes basierten die ursprünglichen Verfügungen vom 9. Oktober 2006 auf einer anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung im Sinne einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes. Sie waren somit zweifellos unrichtig und deren Berichtigung von erheblicher Bedeutung.
  • Verwertbarkeit der Observation:
    • Die Beschwerdeführerin beanstandete die Verwertbarkeit der Observation mit der Begründung, es hätten keine konkreten Anhaltspunkte für einen unrechtmässigen Leistungsbezug bestanden und die Observation sei nicht "ultima ratio" gewesen.
    • Das Bundesgericht weist diese Argumente zurück. Der Notfallbericht des Spitals D.__ vom 25. Juni 2019, in dem die Beschwerdeführerin allseits orientiert und klar äussernd beschrieben wurde, während sie sich bei anderen Gelegenheiten (Arztkonsultationen, Haushaltsabklärungen) als nicht ansprechbar oder stuporös präsentierte, stellte einen konkreten Hinweis auf einen unrechtmässigen Leistungsbezug im Sinne von Art. 43a Abs. 1 lit. a ATSG dar.
    • Mit Blick auf die ansonsten von der Beschwerdeführerin präsentierte Teilnahmslosigkeit bei Arztbesuchen wäre eine Begutachtung vor der Observation offensichtlich aussichtslos gewesen (Erfüllung der Voraussetzung von Art. 43a Abs. 1 lit. b ATSG). Die Observation war daher zulässig und verwertbar.
  • Beweiswert des SMAB-Gutachtens:
    • Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen das SMAB-Gutachten vom 18. Juli 2023, das keine Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit feststellte, gingen ins Leere. Die Vorinstanz hat gestützt auf das Gutachten und den RAD-Bericht willkürfrei festgestellt, dass nie eine Hilflosigkeit oder ein die Arbeitsfähigkeit einschränkender Gesundheitsschaden bestanden hat.
    • Argumente des Hausarztes, die von "Minderintelligenz" und "Vorspielen von Beschwerden" sprachen, wurden vom Bundesgericht als nicht stichhaltig abgetan, da die psychiatrische Behandlung oft frühzeitig abgebrochen wurde und die präsentierte "Teilnahmslosigkeit" auf kurze Zeiträume begrenzt war, während im Rahmen der Hospitalisation in der Privatklinik B.__ ein stuporöses Zustandsbild nicht beobachtet wurde.
  • Fazit Leistungseinstellung: Da aufgrund der anfänglich unvollständigen Sachverhaltsabklärung eine zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügungen vorlag, ist die wiedererwägungsweise Aufhebung der Renten- und Hilflosenentschädigungsansprüche nicht zu beanstanden. Aufgrund der Ergebnisse der Observation und des SMAB-Gutachtens steht fest, dass die Beschwerdeführerin weder invalid noch hilflos ist, weshalb sie ex nunc et pro futuro (ab jetzt und für die Zukunft) keinen Anspruch auf Leistungen mehr hat. Die Leistungseinstellung wird somit bestätigt.

4.2. Zur Rückforderung der Leistungen

  • Anwendung spezialgesetzlicher Bestimmungen für Rückforderung:
    • Die Vorinstanz hatte die Rückerstattungsforderung für den Zeitraum vom 1. September 2018 bis 30. September 2021 als nicht verwirkt bestätigt, da die IV-Stelle erst mit dem SMAB-Gutachten die gesicherten Kenntnisse zur Erkennung der Unrechtmässigkeit der Leistungen hatte.
    • Das Bundesgericht weist darauf hin, dass die Rückforderung im Invalidenversicherungsrecht (nach einer Wiedererwägung wegen zweifelloser Unrichtigkeit) nicht allein nach Art. 25 ATSG beurteilt wird. Vielmehr greifen die spezialgesetzlichen Bestimmungen von Art. 85 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV. Diese Bestimmungen regeln, wann eine Herabsetzung oder Aufhebung von Renten rückwirkend erfolgen kann.
    • Eine rückwirkende Leistungsaufhebung ist demnach nur möglich, wenn der Bezüger die Leistung zu Unrecht erwirkt hat oder der ihm nach Art. 77 IVV zumutbaren Meldepflicht nicht nachgekommen ist. Dies gilt seit der Novellierung des Absatzes auf den 1. Januar 2015 unabhängig davon, ob die Verletzung der Meldepflicht oder die unrechtmässige Erwirkung ein Grund für die Weiterausrichtung der Leistung war.
  • Rückweisung an die Vorinstanz:
    • Das Bundesgericht stellt fest, dass das kantonale Gericht die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Rente und Hilflosenentschädigung bzw. der entsprechenden Leistungsrückforderung gemäss Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV nicht explizit geprüft hat.
    • Daher muss die Vorinstanz im Rahmen einer Rückweisung unter Wahrung der Gehörsrechte prüfen, ob die Beschwerdeführerin die Leistungen im Sinne von Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV unrechtmässig erwirkt hat. Dabei können auch Erkenntnisse aus dem zwischenzeitlich eingeleiteten Strafverfahren (Verdacht auf gewerbsmässigen Betrug) einbezogen werden.
    • Die Sache wird folglich zur Neubeurteilung der Rechtmässigkeit der Rückforderungsverfügung an das kantonale Gericht zurückgewiesen.

5. Kosten und Parteientschädigung Die Gerichtskosten werden je hälftig der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin auferlegt (Fr. 800.-), da die Beschwerdeführerin bezüglich der Leistungseinstellung unterliegt, aber bezüglich der Rückforderung obsiegt (Rückweisung an Vorinstanz gilt als Obsiegen). Die IV-Stelle hat der Beschwerdeführerin eine hälftige Parteientschädigung von Fr. 1'500.- für das bundesgerichtliche Verfahren zu bezahlen.

Kurzzusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Leistungseinstellung (Rente und Hilflosenentschädigung): Das Bundesgericht bestätigt die Einstellung der Leistungen ex nunc et pro futuro.
    • Der ursprüngliche Rentenentscheid von 2006 basierte auf einer zweifellosen Unrichtigkeit aufgrund einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes. Damalige Abklärungen waren unvollständig und wiesen klare Widersprüche auf.
    • Die Observation war zulässig und verwertbar, da konkrete Anhaltspunkte für unrechtmässigen Leistungsbezug bestanden (Widerspruch zum Spitalbericht).
    • Das aktuelle SMAB-Gutachten wird als beweiskräftig erachtet, welches das Fehlen eines die Arbeitsfähigkeit einschränkenden Gesundheitsschadens bestätigt.
  • Rückforderung der Leistungen: Die Rückforderung wird nicht abschliessend beurteilt.
    • Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, um zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin die Leistungen "zu Unrecht erwirkt" hat, was nach den spezifischen Bestimmungen von Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV für eine rückwirkende Leistungsaufhebung erforderlich ist. Die Vorinstanz hatte dies bisher nicht explizit geprüft.