Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_177/2025 vom 3. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts (5A_177/2025 vom 3. Juni 2025) befasst sich mit der Zulässigkeit einer Zustellung des Zahlungsbefehls auf dem Wege der Publikation (sog. Publikationszustellung) und der damit zusammenhängenden Frage der Wiederherstellung der Oppositionsfrist. Das Bundesgericht hatte zu beurteilen, ob die Vorinstanz, die Chambre de surveillance des Offices des poursuites et faillites de la Cour de justice du canton de Genève, die Beschwerde der Schuldnerin A.A.__ gegen die Betreibung und ihr Gesuch um Wiederherstellung der Oppositionsfrist zu Recht abgewiesen hatte.

I. Sachverhalt und Verfahrensablauf

Die Beschwerdeführerin, A.A._, und ihr Ehemann C.A._ waren Solidarschuldner für Architektenhonorare gegenüber der Gläubigerin B.__ SA. Gegen beide wurde eine Betreibung eingeleitet, und am 19. Dezember 2023 wurden die Zahlungsbefehle ausgestellt.

Während der Zahlungsbefehl für C.A._ nach mehreren erfolglosen Zustellversuchen schliesslich an ihn persönlich bei den Schaltern des Betreibungsamtes übergeben und von ihm umgehend angefochten wurde, gestaltete sich die Zustellung für A.A._ als komplexer: * 19. Dezember 2023: Übergabe des Zahlungsbefehls an die Post zur Zustellung. * 4. Januar 2024: Erster erfolgloser Zustellversuch durch PostMail. Eine Abholeinladung mit einer Frist bis zum 11. Januar 2024 wurde im Briefkasten deponiert. * Die Beschwerdeführerin holte den Zahlungsbefehl nicht ab. * 25. Januar – 31. Januar 2024: Mehrere erfolglose Zustellversuche durch PostLogistics. * 5. Februar 2024: Rücksendung des unzustellbaren Zahlungsbefehls an das Betreibungsamt. * 15. Februar 2024: Das Betreibungsamt verschickt eine Aufforderung per A+-Post an die Schuldnerin, einen Betreibungsakt an den Schaltern abzuholen. Zustellung am 17. Februar 2024. * 4. März 2024: Der Ehemann C.A._ versuchte, den Zahlungsbefehl für seine Frau abzuholen, was das Betreibungsamt ohne Vollmacht verweigerte. Eine interne Notiz des Amtes vermerkte "attend l'externe au domicile" (es wird auf den externen Dienst am Wohnsitz gewartet). * 18. März 2024: Ein Gerichtsvollzieher des Amtes versuchte eine erneute Zustellung am Wohnsitz, traf niemanden an und hinterliess eine Mitteilung über die Weiterleitung des Aktes an die Gemeinde V._ (GE). * 26. März 2024: Übergabe an die Gemeinde. * 5., 13. und 16. April 2024: Erfolglos Versuche durch Gemeindebeamte, wobei festgestellt wurde, dass der Briefkasten "voll mit eingeschriebenen Briefen" war und das Tor geschlossen war. * 19. April 2024: Das Betreibungsamt beschloss die Zustellung per Publikation, die am 6. Mai 2024 erfolgte. * Da kein Widerspruch erfolgte, verlangte die Gläubigerin am 5. Juni 2024 die Fortsetzung der Betreibung. * A.A._ gab an, erst durch ein Schlichtungsgesuch der Gläubigerin vom 13. Mai 2024 (ihr zugestellt am 7. Juni 2024), das die Publikation als Beilage enthielt, Kenntnis vom Zahlungsbefehl erlangt zu haben. Am 20. Juni 2024 beantragte sie die Wiederherstellung der Oppositionsfrist und erklärte ihren Widerspruch. * Die Chambre de surveillance wies die Beschwerde und das Gesuch um Wiederherstellung der Oppositionsfrist am 20. Februar 2025 ab. Dagegen reichte A.A._ Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht ein.

II. Massgebende rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüft die Beschwerde in Zivilsachen nach den üblichen Kriterien, insbesondere der Bindung an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG), ausser bei willkürlicher Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV). Eine zentrale Rolle spielt dabei die Rügepflicht gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG sowie die Regel, dass bei mehreren unabhängigen, den Ausgang des Verfahrens tragenden Begründungen alle angefochten werden müssen (Art. 150 I 39 E. 4.3).

1. Zur Zustellung per Publikation (Art. 64 Abs. 1 und 66 Abs. 4 Ziff. 2 SchKG)

Das Bundesgericht erläutert detailliert die rechtlichen Anforderungen an die Zustellung von Betreibungsakten: * Grundsätze der Zustellung: Ein Zahlungsbefehl ist ein Betreibungsakt, der in qualifizierter Form zuzustellen ist (Art. 72 SchKG). Dies erfordert die effektive Übergabe des Aktes an den Betreibten oder eine vom Gesetz bestimmte Ersatzperson (Art. 64, 65, 66 SchKG). Mehrere Zustellversuche sind dazu erforderlich. * Hierarchie der Zustellungsarten: * Direkte Zustellung (Art. 64 Abs. 1 SchKG): Zuerst muss das Betreibungsamt selbst – oder über Hilfsorgane wie die Post – versuchen, den Akt an den Betreibten oder eine Empfangsberechtigte Person an dessen Wohnsitz oder am Ort der gewöhnlichen Berufsausübung zu übergeben. Eine Aufforderung an den Schuldner, den Akt am Schalter abzuholen, ist lediglich eine Information und begründet keine Abholpflicht (ATF 150 III 223 E. 3.2.3; 138 III 25 E. 2.1; 136 III 155 E. 3.1). * Zustellung durch Gemeinde-/Polizeibeamten (Art. 64 Abs. 2 SchKG): Kann der Schuldner oder eine Ersatzperson nicht erreicht werden, ist der Akt einem Gemeinde- oder Polizeibeamten zu übergeben, der ihn zustellen soll. * Publikationszustellung als "ultima ratio" (Art. 66 Abs. 4 Ziff. 2 SchKG): Die Zustellung per Publikation ist nur zulässig, wenn der Schuldner sich der Zustellung "hartnäckig entzieht" (soustraction obstinée), was ein vorsätzliches Verhalten voraussetzt. Aufgrund des hohen Risikos, dass der Schuldner vom Akt keine Kenntnis nimmt, und der potenziellen Rufschädigung ist die Publikationszustellung nur als letztes Mittel erlaubt. Dies setzt voraus, dass die Haupt- und Hilfszustellungsarten gemäss Art. 64 Abs. 1 und 2 SchKG erfolglos versucht wurden und die Zustellhindernisse nicht auf Zufall oder Fahrlässigkeit beruhen (vgl. auch JAQUES, BlSchK 2011 S. 186; ANGST/RODRIGUEZ in Basler Kommentar SchKG I, Art. 66 N. 22). * Folgen fehlerhafter Zustellung: Ein Mangel bei der Zustellung führt zur Nichtigkeit, wenn der Akt nicht zur Kenntnis des Schuldners gelangt ist (ATF 110 III 9 E. 2). Hat der Schuldner trotz des Mangels Kenntnis erlangt, ist die Zustellung nur auf Beschwerde hin anfechtbar. Die Beschwerdefrist (Art. 17 Abs. 2 SchKG) bzw. die Oppositionsfrist beginnt dann mit dieser Kenntnisnahme zu laufen (ATF 128 III 101 E. 2). Die Publikationszustellung kann angefochten werden, wenn sie nicht den Anforderungen von Art. 66 Abs. 4 SchKG genügte (ATF 136 III 571 E. 6.1).

2. Anwendung auf den vorliegenden Fall

Das Bundesgericht weist die Rügen der Beschwerdeführerin gegen die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz zurück: * Willkürliche Sachverhaltsfeststellung: Das Bundesgericht erachtet die Feststellung der Vorinstanz, wonach der Ehemann der Beschwerdeführerin am 4. März 2024 am Schalter des Betreibungsamtes darüber informiert wurde, dass ein Gerichtsvollzieher einen erneuten Zustellversuch am Wohnsitz unternehmen würde, nicht als willkürlich. Auch die tatsächlichen Versuche des Gerichtsvollziehers am 18. März 2024 und der Gemeindebeamten wurden als ausreichend belegt angesehen. Insbesondere wies das Bundesgericht Rügen als unzulässig ab, wenn die Beschwerdeführerin nicht alle selbstständigen Begründungen der Vorinstanz angriff (z.B. bzgl. der Besuchszeiten der Gemeindebeamten). * Zustellung am Arbeitsplatz: Die Beschwerdeführerin rügte, das Betreibungsamt hätte versuchen müssen, den Zahlungsbefehl an ihrem Arbeitsplatz zuzustellen. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Vorinstanz hierfür mehrere unabhängige Begründungen lieferte: erstens sei dies von der Gläubigerin nicht beantragt worden, zweitens sei es nicht gerechtfertigt gewesen, da die Beschwerdeführerin selbst eingeräumt habe, dass ihr die Post normalerweise an ihrem Wohnsitz zugestellt werde, und drittens sei es übermässig und gar missbräuchlich gewesen, dies zu verlangen, da der Ehemann der Beschwerdeführerin über die Betreibung und die Zustellschwierigkeiten informiert war und die Beschwerdeführerin nichts unternahm, um die Zustellung zu erleichtern. Da die Beschwerdeführerin die letzten beiden Begründungen nicht substanziiert angriff, war ihre Rüge unzulässig. Das Bundesgericht erinnerte zudem daran, dass es keine Hierarchie zwischen Wohnsitz und Arbeitsplatz als Zustellort gebe (ATF 91 III 41 E. 3). * Hartnäckige Entziehung: Das Bundesgericht bejahte das Vorliegen einer hartnäckigen Entziehung. Es verwies auf die unangefochtenen Feststellungen der Vorinstanz, wonach die Beschwerdeführerin nicht bestritten hatte, dass ihr die Post regelmässig zugestellt werde und sie alle deponierten Avisen erhalten hatte. Ihr Ehemann war zudem vollumfänglich über die Betreibung und den Zahlungsbefehl informiert, und es gab keine Anhaltspunkte für eine gestörte Kommunikation zwischen den Ehegatten. Unter diesen Umständen habe die Vorinstanz zu Recht angenommen, dass die Beschwerdeführerin nicht missbräuchlich behaupten könne, die Existenz der Betreibung zu ignorieren, und dass sie sich der Zustellung hartnäckig entzogen habe. Folglich war die Publikationszustellung gerechtfertigt.

3. Zur Wiederherstellung der Frist (Art. 33 Abs. 4 SchKG)

Die Beschwerdeführerin machte geltend, die Vorinstanz habe die Möglichkeiten der Fristwiederherstellung zu Unrecht auf Fälle körperlicher Verhinderung (Krankheit, Militärdienst) beschränkt. Sie habe die Zustellung per Publikation nicht erwarten können, weshalb sie unverschuldet gehindert gewesen sei, Widerspruch zu erheben. * Grundlagen: Art. 33 Abs. 4 SchKG erlaubt die Wiederherstellung einer Frist, wenn jemand ohne sein Verschulden an der Vornahme einer Handlung gehindert war. Als "unverschuldet" gelten nicht nur objektive Unmöglichkeiten (höhere Gewalt), sondern auch subjektive Unmöglichkeiten aufgrund persönlicher Umstände oder eines entschuldbaren Irrtums. Es wird der Massstab eines sorgfältigen Prozessierenden angelegt; bereits leichte Fahrlässigkeit schliesst die Fristwiederherstellung aus (anders als Art. 148 ZPO). Beispiele für unverschuldete Verhinderung sind plötzliche Urteilsunfähigkeit, schwere Krankheit oder Unfall. Nicht als unverschuldet gelten hingegen Rechtsunkenntnis, falsche Fristberechnung, vorübergehende Abwesenheit oder Arbeitsüberlastung. * Anwendung auf den Fall: Das Bundesgericht widersprach der Behauptung der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe die Fristwiederherstellung zu eng ausgelegt; deren Auslegung entsprach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Da die Rügen der Beschwerdeführerin bezüglich der Zustellung und ihrer hartnäckigen Entziehung abgewiesen wurden, konnte sie die Existenz der Betreibung nicht ignorieren. Der geltend gemachte Verhinderungsgrund – sie habe die Publikationszustellung nicht erwarten können – erfüllte die Voraussetzungen von Art. 33 Abs. 4 SchKG offensichtlich nicht.

III. Schlussfolgerung

Das Bundesgericht wies die Beschwerde in Zivilsachen, soweit sie zulässig war, ab. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.

IV. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht bestätigte die Rechtmässigkeit der Publikationszustellung eines Zahlungsbefehls an die Schuldnerin. Es hielt fest, dass diese Zustellungsart als ultima ratio zulässig ist, wenn sich der Schuldner der Zustellung hartnäckig und vorsätzlich entzieht, nachdem alle anderen zumutbaren Zustellversuche gescheitert sind. Die Beschwerdeführerin konnte sich nicht erfolgreich auf willkürliche Sachverhaltsfeststellungen berufen, da die Vorinstanz eine sorgfältige und mehrfach begründete Prüfung der Zustellversuche vorgenommen hatte. Insbesondere wurden die Rügen der Beschwerdeführerin, das Betreibungsamt hätte eine Zustellung am Arbeitsplatz versuchen müssen oder sie habe sich nicht vorsätzlich entzogen, aufgrund der unangefochtenen Sachverhaltsfeststellungen zur Kenntnis der Betreibung durch den Ehemann und der Nichtkooperation der Schuldnerin abgewiesen. Die Wiederherstellung der Oppositionsfrist gemäss Art. 33 Abs. 4 SchKG wurde ebenfalls verneint, da die Verhinderung der Schuldnerin nicht als unverschuldet im Sinne der Rechtsprechung galt, sondern Ausdruck ihrer hartnäckigen Entziehung war. Das Urteil unterstreicht die strengen Voraussetzungen für die Publikationszustellung und die Wiederherstellung von Fristen im Betreibungsrecht.