Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_166/2025 vom 10. Juni 2025

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Das Urteil 6B_166/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 10. Juni 2025 befasst sich mit der Beschwerde eines nordmazedonischen Staatsangehörigen gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich. Kernpunkte der Beschwerde sind die Strafzumessung der Freiheitsstrafe, der bedingte Strafvollzug und die angeordnete Landesverweisung.

1. Sachverhalt und Vorinstanzen

Der Beschwerdeführer A.__ wurde vom Bezirksgericht Zürich am 15. Mai 2023 der Vergewaltigung (aArt. 190 Abs. 1 StGB), der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, der mehrfachen Beschimpfung, der Hinderung einer Amtshandlung sowie des Vergehens gegen das Waffengesetz schuldig gesprochen. Vom Vorwurf des Angriffs sprach ihn das Bezirksgericht frei. Es verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 22 Monaten und einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe, sah jedoch von einer Landesverweisung ab.

Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin sprach das Obergericht des Kantons Zürich am 25. November 2024 A._ zusätzlich des Angriffs schuldig. Es verurteilte ihn zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 46 Monaten sowie zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe und ordnete eine Landesverweisung für fünf Jahre an. Gegen dieses Urteil reichte A._ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht ein, mit dem Antrag, die Freiheitsstrafe auf 24 Monate bedingt zu reduzieren und von einer Landesverweisung abzusehen.

2. Strafzumessung (Erw. 1)

Das Bundesgericht prüft die Strafzumessung unter Berücksichtigung des Art. 47 Abs. 1 StGB (objektives und subjektives Verschulden, Täterkomponenten) und des Asperationsprinzips (Art. 49 StGB). Es betont den weiten Ermessensspielraum des Sachgerichts und greift nur ein, wenn der gesetzliche Strafrahmen über- oder unterschritten, rechtlich nicht massgebende Kriterien angewendet oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. falsch gewichtet wurden (BGE 150 IV 481 E. 2.3).

  • Obergerichtliche Begründung der Strafzumessung für die Vergewaltigung:

    • Objektive Tatschwere: Das Obergericht setzte die Einsatzstrafe für die Vergewaltigung auf 40 Monate fest. Es hob hervor, dass der Beschwerdeführer das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Opfers massiv verletzt habe. Er habe die körperliche Unterlegenheit, die Angetrunkenheit und die Zwangslage im fahrenden Auto (mit zwei seiner Kollegen anwesend) schamlos ausgenutzt. Die Tatsache, dass er trotz unmissverständlichen "Nein" des Opfers und dessen Abwehrhandlungen weitergemacht habe, sowie die Abwesenheit eines Kondoms, wurden als schwerwiegend erachtet. Die Anwesenheit der Kollegen führte zu zusätzlicher Demütigung. Obwohl die Tat nicht von langer Hand geplant war, wurde ein Minimum an Planung durch den von ihm initiierten Platzwechsel konstatiert. Das Obergericht stufte das objektive Verschulden als "keineswegs mehr leicht" ein, wenngleich die Tat im Vergleich zu denkbaren Extremfällen noch "eher in der unteren Hälfte" des Strafrahmens liege (was nicht als Widerspruch gewertet wurde, da es schwerere Fälle innerhalb der unteren Hälfte nicht ausschliesst; vgl. BGE 136 IV 55 E. 5.9).
    • Subjektive Tatschwere: Der Beschwerdeführer habe mit direktem Vorsatz gehandelt, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, und sich bewusst über den klar erkennbaren Willen des Opfers hinweggesetzt. Eine leichte Alkoholisierung des Täters wurde zu seinen Gunsten berücksichtigt, beeinflusste die Einsatzstrafe jedoch nicht weiter.
    • Täterkomponenten: Persönliche Verhältnisse wurden als neutral bewertet. Die erneute Delinquenz während laufender Strafuntersuchungen (z.B. nach dem Angriff 2019, obwohl die Verurteilung erst später erfolgte) wurde als straferhöhender Umstand mit zwei Monaten gewichtet. Der zusätzliche Schuldspruch wegen Angriffs führte zu einer Erhöhung der Strafe um weitere vier Monate nach dem Asperationsprinzip. Dies führte zu einer Gesamtstrafe von 46 Monaten.
  • Bundesgerichtliche Prüfung der Beschwerdeführer-Rügen:

    • Widerspruch bei der Tatschwere: Das Bundesgericht wies die Rüge des Widerspruchs zwischen "noch eher in der unteren Hälfte" und "keineswegs mehr leicht" zurück, da dies eine zulässige Nuancierung sei, die die Schwere der Tat anerkennt, aber Raum für noch schwerere Fälle innerhalb des Rahmens lässt.
    • Verletzung der Begründungspflicht (Art. 50 StGB): Die Rüge, die Vorinstanz habe nicht ausreichend begründet, warum die Strafe von 22 auf 40 Monate erhöht wurde, wurde abgewiesen. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Vorinstanz als Berufungsinstanz (Art. 408 StPO) ein neues Urteil zu fällen habe und sich dabei nicht an der erstinstanzlichen Strafzumessung orientieren müsse. Eine Abweichung von der ersten Instanz muss nicht explizit begründet werden, solange die eigene Strafzumessung nachvollziehbar ist (Urteile 6B_1239/2023, 6B_77/2024).
    • Abweichende Sachverhaltsfeststellung: Die Behauptung, die Vorinstanz habe ohne ausreichende Beweisgrundlage neue Tatsachen (Demütigung durch Anwesenheit der Kollegen, minimales Mass an Planung) berücksichtigt, wurde verworfen. Das Bundesgericht präzisierte, dass im Rahmen einer Beschränkung der Berufung auf die Strafzumessung das Berufungsgericht befugt ist, straferhöhende oder strafmindernde Umstände, die eng mit der Strafhöhe zusammenhängen, zu überprüfen und zu werten (Urteile 6B_77/2024, 6B_1332/2021).
    • Doppelverwertungsverbot: Die Rüge der doppelten Verwertung des Triebbefriedigungsmotivs wurde als unbegründet erachtet, da das Obergericht dieses Motiv neutral gewichtet hatte.
    • Bedingter Strafvollzug: Da die Freiheitsstrafe von 46 Monaten bestätigt wurde, ist ein bedingter oder teilbedingter Strafvollzug gemäss Art. 42 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 StGB von vornherein ausgeschlossen.

3. Landesverweisung (Erw. 2)

Die obligatorische Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. b und h StGB ist für Verurteilungen wegen Angriffs und Vergewaltigung vorgesehen. Der Beschwerdeführer ist nordmazedonischer Staatsangehöriger und wurde wegen beider Delikte schuldig gesprochen, weshalb die Grundvoraussetzungen erfüllt sind.

  • Härtefallprüfung (Art. 66a Abs. 2 StGB):

    • Das Bundesgericht bestätigte die Einschätzung des Obergerichts, dass eine Landesverweisung für den Beschwerdeführer einen schweren persönlichen Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB darstellen würde. Dies wurde mit seiner Geburt und seinem Aufwachsen in der Schweiz, seiner wirtschaftlichen und sozialen Integration, seiner Berufsausbildung und seinen familiären Bindungen begründet. Diese Einschätzung war unbestritten.
  • Interessenabwägung (Öffentliches Interesse vs. Privates Interesse):

    • Bei Bejahung eines schweren Härtefalls ist eine Interessenabwägung gemäss dem Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 8 Ziff. 2 EMRK) vorzunehmen. Massgebend sind die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tat, die Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose (Urteile 6B_536/2024, 6B_143/2025). Die Härtefallklausel ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2).
    • Öffentliches Interesse (Obergericht und Bundesgericht): Dieses wurde als hoch beurteilt. Die Vorinstanz hob die Vielzahl und Schwere der begangenen Delikte über einen Zeitraum von rund zwei Jahren hervor (Waffengesetzverstoss, Angriff, Gewalt gegen Beamte, Vergewaltigung). Besonders ins Gewicht fiel, dass der Beschwerdeführer trotz Kenntnis der möglichen Landesverweisung nach dem Angriff 2019 weitere, schwerwiegende Delikte beging, einschliesslich der Vergewaltigung. Sein aggressives Verhalten gegenüber der Polizei zeigte eine ablehnende Haltung gegenüber der Staatsgewalt. Die zunehmende Gewaltbereitschaft und die erhebliche kriminelle Energie, die in der Vergewaltigung zum Ausdruck kam, begründeten die Befürchtung weiterer Gewaltdelikte. Das Argument, die Beziehung zu seiner Freundin habe sein Leben stabilisiert, wurde als unglaubwürdig erachtet, da diese Beziehung bereits zum Zeitpunkt der Vergewaltigung bestand.
    • Privates Interesse (Obergericht und Bundesgericht): Dieses wurde als weniger hoch eingestuft. Obwohl die Landesverweisung eine erhebliche Härte darstelle, wurde berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer die Sprache Nordmazedoniens spricht, das Land regelmässig besucht hatte und als junger, gesunder Mann mit einer in der Schweiz erworbenen Berufsausbildung beruflich und sozial Fuss fassen könne.
  • Bundesgerichtliche Prüfung der Beschwerdeführer-Rügen zur Landesverweisung:

    • Leichtes Tatverschulden beim Angriff: Die Rüge, das Obergericht habe das leichte Verschulden beim Angriff nicht ausreichend berücksichtigt, wurde zurückgewiesen. Das Bundesgericht stellte fest, dass der zusätzliche Schuldspruch wegen Angriffs das Gesamtverschulden erhöht und somit zu einem höheren öffentlichen Interesse an der Landesverweisung führt, unabhängig von der individuellen Schwere des Angriffs.
    • Ersttäterstatus: Die Behauptung, sein Status als Ersttäter sei zu Unrecht nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt worden, wurde als unbegründet erachtet. Das Bundesgericht betonte, dass der Beschwerdeführer über mehrere Jahre hinweg schwerwiegende Delikte begangen habe und eine Vorstrafenlosigkeit grundsätzlich neutral zu werten sei. Vielmehr zeige erneute Delinquenz während laufender Untersuchungen eine ausgeprägte Einsichtslosigkeit.
    • Verlust des Einkommens und Zahlungsfähigkeit für Genugtuung: Die Rüge, die Landesverweisung würde ihn an der Rückzahlung der Genugtuungsforderungen hindern, wurde abgewiesen. Individualinteressen Dritter (ausserhalb des Art. 8 EMRK-Schutzbereichs) fänden keine Berücksichtigung, und das Obergericht habe willkürfrei angenommen, dass er in Nordmazedonien beruflich Fuss fassen könne.
    • Integration und Beziehung zur Verlobten: Die Rüge, seine Integration und Beziehung zur Verlobten seien nicht hinreichend gewürdigt worden, wurde zurückgewiesen. Das Bundesgericht bestätigte zwar, dass sein Aufwachsen in der Schweiz ein gewichtiges Interesse begründet, sah aber keine "besonders intensive soziale und berufliche Bindung" über die gewöhnliche Integration hinaus. Die Beziehung zur Verlobten sei aufgrund der kurzen Dauer des Zusammenlebens, Kinderlosigkeit und des Verlöbnisses allein nicht als "echte und eheähnliche Gemeinschaft" im Sinne von Art. 8 EMRK einzustufen.
    • Junges Alter: Die Rüge, sein junges Alter (19-21 Jahre bei den Taten) sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, wurde ebenfalls verworfen. Mit 21 Jahren könne nicht mehr uneingeschränkt von einem jugendlichen Alter gesprochen werden. Angesichts der Vielzahl und Schwere der Delikte handele es sich nicht um "episodenhaftes Verhalten" oder "Fehltritte", sondern um eine schwere Straftat mit erheblicher krimineller Energie, die auf eine hohe Rückfallgefahr hindeute.
    • Wohlverhalten: Die Rüge, sein Wohlverhalten in den letzten vier Jahren sei unberücksichtigt geblieben, wurde nicht anerkannt. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass er bereits nach der ersten Straftat auf die Landesverweisung hingewiesen wurde und trotzdem erneut delinquierte. Ein Wohlverhalten seit der Vergewaltigung sei zudem aufgrund des drohenden Strafvollzugs und der Landesverweisung zu relativieren (Urteile 6B_527/2024).
    • "Zweijahresregel": Ergänzend wurde auf die "Zweijahresregel" verwiesen: Bei einer Freiheitsstrafe von 46 Monaten (deutlich über zwei Jahren) bedarf es ausserordentlicher Umstände, damit das private Interesse des Betroffenen das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung überwiegt. Solche ausserordentlichen Umstände wurden nicht festgestellt.

4. Ergebnis

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Es bestätigte die Strafzumessung von 46 Monaten Freiheitsstrafe sowie die Anordnung der Landesverweisung. Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Gerichtskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigt das obergerichtliche Urteil in Bezug auf die Strafzumessung und die Landesverweisung. Die 46-monatige Freiheitsstrafe für die Vergewaltigung und weitere Delikte wird als verhältnismässig erachtet, da das Obergericht sein Ermessen nicht missbraucht und die objektive sowie subjektive Tatschwere korrekt gewichtet hat. Die Anordnung der Landesverweisung ist trotz des anerkannten persönlichen Härtefalls gerechtfertigt, da das hohe öffentliche Interesse an der Sicherheit, begründet durch die Schwere und Vielzahl der Taten sowie die fehlende Einsicht des Täters trotz früherer Warnungen und laufender Verfahren, das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz überwiegt. Insbesondere greift die "Zweijahresregel", welche bei einer so hohen Strafe ausserordentliche Umstände für einen Verzicht auf die Landesverweisung voraussetzen würde, die hier nicht gegeben sind.