Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
Die vorliegende Zusammenfassung beleuchtet das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (BGer) vom 16. Juni 2025 (Az. 7B_1298/2024) im Strafrecht. Das Urteil befasst sich hauptsächlich mit der Qualifikation als versuchter Mord, der Frage des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit Beweisanträgen und der Motivation von Strafzumessung und Genugtuungszuspruch.
1. Sachverhalt und VorinstanzenDer Beschwerdeführer A._ wurde vom Tribunal correctionnel de l'arrondissement de l'Est vaudois wegen versuchten Mordes, qualifizierter einfacher Körperverletzung, Beschimpfung, Drohung sowie Widerhandlungen gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und weiteren Strafen verurteilt. Er wurde zudem solidarisch mit seinem Sohn F._ zur Zahlung von Genugtuungsbeträgen an die Geschädigten B._ (CHF 15'000) und C._ (CHF 8'000) verpflichtet.
Die Cour d'appel pénale des Tribunal cantonal du canton de Vaud bestätigte im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil, reformierte es lediglich hinsichtlich der Drohungen zu versuchter Drohung.
Dem Urteil liegen folgende wesentlichen Sachverhalte zugrunde: Zwischen den Familien A._ und G._ bestand seit Jahren ein Konflikt. Dieser eskalierte ab dem 9. Juni 2021 durch gegenseitige Provokationen und Bedrohungen, einschliesslich der Veröffentlichung von Videos, in denen A._ ein Revolver und ein Messer zeigte und Tötungsdrohungen aussprach ("nächste Mal schneide ich euch die Köpfe ab"). Am 13. Juni 2021 begaben sich A._ und F._, bewaffnet mit einem Revolver (A._) und einem unbestimmten Gegenstand (F._), auf einen Parkplatz, um Mitglieder der Familie G._ zu treffen. A._ stieg aus dem Fahrzeug, zielte mit dem Revolver auf den unbewaffneten C._ und schoss ihn in den Hals. Unmittelbar danach schoss er aus kurzer Distanz (2.30 bis 3.30 m) mehrfach auf den ebenfalls unbewaffneten B._, wobei dieser im Genitalbereich und an den Beinen getroffen wurde. Beim Wegfahren schoss A._ nochmals aus dem Fahrzeugfenster auf D.__, die an den Unterschenkeln getroffen wurde.
Der verwendete Revolver konnte nicht gefunden werden. C._ erlitt Hautabschürfungen und -krusten am Hals; drei Metallprojektile (Schrot) wurden aus seinem Körper, darunter im Nackenbereich, entfernt. B._ wurde ins Spital eingeliefert, musste mehrfach operiert werden und litt an multiplen Wunden durch Metallsplitter im Skrotum und den unteren Gliedmassen. Es wurden Bleivergiftungsanzeichen festgestellt, und rund 200 Projektile verblieben in seinem Körper, mit möglichen künftigen Herz- oder Nierenfunktionsstörungen.
2. Rügen des BeschwerdeführersA._ reichte Beschwerde beim Bundesgericht ein und beantragte primär eine Herabqualifikation von versuchtem Mord zu versuchter schwerer Körperverletzung, eine Reduktion der Freiheitsstrafe auf maximal 3 Jahre (mit teilweisem bedingtem Vollzug) sowie eine Reduktion der Genugtuungsbeträge an B._ (CHF 9'000) und C.__ (CHF 5'000).
Er rügte insbesondere: * Die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 389 Abs. 3 StPO) und des Anspruchs auf Beweismittel (Art. 107 StPO) durch die Ablehnung eines Gutachtens zur Gefährlichkeit der Waffe. * Die ungenügende Motivation der Strafzumessung, insbesondere hinsichtlich seines angeblich aufrichtigen Reuebekenntnisses. * Die ungenügende Motivation der Ablehnung einer Reduktion der Genugtuungssummen wegen eines angeblichen Mitverschuldens der Geschädigten. * Die falsche rechtliche Qualifikation als versuchter Mord, stattdessen sei nur versuchte schwere Körperverletzung anzunehmen, da er den Tod der Opfer nicht beabsichtigt oder in Kauf genommen habe. * Eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung hinsichtlich der Unmittelbarkeit der Schussabgabe.
3. Erwägungen des BundesgerichtsDas Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, soweit sie zulässig war. Es prüfte die Rügen des Beschwerdeführers detailliert:
3.1. Rechtliches Gehör und BeweiswürdigungAblehnung eines Waffengutachtens (Rüge 2.3): Der Beschwerdeführer forderte ein Gutachten zur Gefährlichkeit (Letalität, Schussleistung, Streuung, Geschossgrösse) des Revolvers. Die Vorinstanz lehnte dies ab, da die Waffe nicht gefunden wurde und der Beschwerdeführer sie "opportunément perdue" habe, wodurch ein Gutachten nur "zufällige" (aléatoires) Schlüsse liefern könnte. Die Vorinstanz stützte sich auf vorhandene Informationen wie Fotos der Waffe aus dem Telefon des Beschwerdeführers, Geschossreste und medizinische Berichte, die zeigten, dass die Munition zur Nahdistanz-Bekämpfung von Schädlingen verwendet wird. Das Bundesgericht befand die Rüge als unbegründet und teilweise unzulässig, da der Beschwerdeführer die Willkür der antizipierten Beweiswürdigung nicht substanziiert darlegte (Art. 42 Abs. 2, 106 Abs. 2 BGG). Die Vorinstanz durfte annehmen, dass ein Gutachten ohne die Originalwaffe unsicher wäre. Die Polizei konnte das genaue Kaliber und die Lauflänge des Revolvers nicht bestimmen, sondern nur eine Ähnlichkeit mit bestimmten Astra-Modellen feststellen. Die Vorinstanz stützte sich zudem nicht nur auf polizeiliche Angaben, sondern auch auf die medizinischen Berichte über die Verletzungen der Geschädigten.
Motivation der Strafzumessung (Rüge 2.4): Der Beschwerdeführer rügte eine ungenügende Motivation bezüglich seines angeblich aufrichtigen Reuebekenntnisses. Die Vorinstanz hatte seine Bemühungen (Entschuldigungsschreiben, Rückzug eigener Klage, Kostenübernahme, Mediationsangebot) zwar erwähnt, aber die Reue als "vorgeschoben" ("de façade") und prozessbedingt beurteilt, da er die schwerwiegendsten Fakten weiterhin leugnete und keine Einsicht zeigte. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Motivation der Vorinstanz ausreichend war. Die Gründe, warum seine Reue nicht als aufrichtig angesehen wurde, waren klar dargelegt und ermöglichten dem Beschwerdeführer, die Argumentation der Vorinstanz nachzuvollziehen und gegebenenfalls zu kritisieren. Die Vorinstanz habe die relevanten Elemente gemäss Art. 47 und Art. 49 StGB berücksichtigt.
Motivation der Genugtuung (Rüge 2.5): Der Beschwerdeführer monierte die ungenügende Begründung der Ablehnung einer Reduktion der Genugtuung wegen Mitverschuldens der Geschädigten. Die Vorinstanz habe lediglich festgestellt, dass die Geschädigten keine Verantwortung dafür trügen, dass auf sie geschossen wurde. Das Bundesgericht befand die Motivation als ausreichend. Die Vorinstanz habe die rechtlichen Bestimmungen zum Mitverschulden (Art. 44 Abs. 1 OR) berücksichtigt und sei zum Schluss gekommen, dass das Verhalten der Opfer, auch wenn sie im Vorfeld möglicherweise Provokationen ausgestossen hätten, keinen Einfluss auf das Verhalten des Beschwerdeführers gehabt habe, da sie ihn nicht physisch angegriffen oder vorgängig gewarnt hatten. Die Motivation war ausreichend, um dem Beschwerdeführer eine sachgerechte Anfechtung zu ermöglichen.
3.2. Qualifikation als versuchter Mord (Art. 12 Abs. 2, 111 StGB)Rechtliche Grundlagen (3.2.3 - 3.2.5): * Versuch: Der Versuch (Art. 22 Abs. 1 StGB) liegt vor, wenn der Täter alle subjektiven Merkmale der Tat erfüllt hat und seinen Tatentschluss manifestiert hat, die objektiven Merkmale aber ganz oder teilweise fehlen. Der Versuch setzt stets Vorsatz (Willentlichkeit) voraus, wobei Eventualvorsatz (dol éventuel) genügt. Für den versuchten Mord ist es nicht erforderlich, dass das Opfer tatsächlich verletzt oder dessen Leben in Gefahr gebracht wurde. * Eventualvorsatz: Gemäss Art. 12 Abs. 2 StGB handelt eventualvorsätzlich, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt. Das bedeutet, der Täter hält den Erfolg für möglich und handelt trotzdem, weil er diesen Erfolg für den Fall seines Eintritts hinnimmt und sich damit abfindet, auch wenn er ihn als unerwünscht ansieht. Die innere Einstellung des Täters muss vom Gericht aus äusseren Indizien und Erfahrungssätzen abgeleitet werden. Dazu gehören die dem Täter bekannte Grösse des Risikos, die Schwere seiner Sorgfaltspflichtverletzung, seine Motive und seine Vorgehensweise. Je höher die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung, desto eher kann auf eine Inkaufnahme des Schadenserfolgs geschlossen werden. Auch wenn der strafbare Erfolg nicht sehr wahrscheinlich, sondern nur möglich war, kann Eventualvorsatz vorliegen, dann bedarf es aber weiterer Umstände. * Tatsachen- und Rechtsfrage: Was eine Person wusste, wollte, in Betracht zog oder in Kauf nahm, ist eine innere Tatsache (Art. 105 Abs. 1 BGG), die das Bundesgericht nur bei Willkür prüft (Art. 9 BGG). Die Frage, ob das Gericht den Begriff des Eventualvorsatzes richtig angewendet hat, ist hingegen eine Rechtsfrage.
Anwendung auf den Fall (3.4 - 3.5): Das Bundesgericht bestätigte die Qualifikation als versuchter Mord: * Unmittelbarkeit der Schussabgabe (3.4): Die Vorinstanz hielt fest, dass A._ unmittelbar und ohne Diskussion schoss. Der Beschwerdeführer bestritt dies und sprach von einem "kurzen Austausch". Das Bundesgericht sah hierin keine Willkür. Die Videoüberwachung zeigte, dass zwischen dem Aussteigen aus dem Auto und dem Wegfahren nur etwas mehr als eine Minute verging. Dies liess keinen Raum für ernsthafte Diskussionen, und die Schüsse erfolgten in mehreren Phasen in dieser kurzen Zeit. Eine "Unmittelbarkeit" wurde daher nicht willkürlich festgestellt. * Eventualvorsatz beim Schiessen (3.5): * Entschlossenheit und Vorgehensweise: A._ stieg bewaffnet aus dem Fahrzeug, während die Gegner unbewaffnet waren und aus Distanz standen. Er war nicht bedrängt, entschied sich aber zum Schiessen. Er zielte auf C._ und traf diesen am Hals, einer vitalen und empfindlichen Körperregion, auch wenn der Abstand 20 Meter betrug und nur wenige Geschosse trafen. Dann schoss er mehrfach aus nächster Nähe auf B._ im Unterleib und an den Beinen. Die Geschädigten waren unbewaffnet und konnten sich nicht verteidigen. * Waffengefährlichkeit und Täterkenntnis: A._ wusste, dass der Revolver Schrotmunition (3 mm Bleikugeln) verschoss, die streute. Er wusste, dass die Waffe ernsthafte Verletzungen verursachen konnte, da er sich in der Vergangenheit selbst versehentlich in den Fuss geschossen hatte (zwar mit Schuhen, was aber zeigt, dass er die potentielle Wucht kannte). Die Waffe war zudem in der Lage, kleine Tiere wie Ratten oder Maulwürfe auf kurze Distanz zu töten, was auf ein gewisses Tötungspotenzial hinweist. * Verletzungsfolgen: Die Verletzungen waren nicht unerheblich. Projektile durchdrangen Haut und Unterhautgewebe, auch in tieferen Schichten, und verursachten innere Blutungen (B._). Insbesondere die Treffer im Halsbereich (C._) und die grosse Anzahl von Geschossen im Körper von B._ (ca. 200 verbliebene Projektile mit Risiko von Bleiintoxikation und Organfunktionsstörungen) zeigten das erhebliche Penetrations- und Gefährdungspotenzial. * Inkafkaufnahme des Risikos: Das Bundesgericht schloss daraus, dass der Beschwerdeführer durch seine Vorgehensweise das Risiko, den Tod der Opfer zu verursachen, konkret in Kauf nahm und sich mit der Verwirklichung dieses Erfolges abfand, auch wenn er den Tod möglicherweise nicht unmittelbar gewollt hatte. Er war nicht in der Lage, das Risiko seiner Schüsse zu kalkulieren oder zu dosieren. Die Tatsache, dass er sich dem Konflikt mit seinem Sohn alleine, aber bewaffnet, stellte, während die gegnerische Gruppe grösser war, wurde ebenfalls als Indiz für seine Tatabsicht gewertet.
3.3. Strafzumessung (Art. 47 StGB)Der Beschwerdeführer beantragte eine Strafreduktion auf maximal 36 Monate und teilbedingten Vollzug. Seine Argumentation stützte sich jedoch hauptsächlich auf die Annahme, er sei "nur" wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu verurteilen, was das Bundesgericht ablehnte. Seine Reue wurde als nicht aufrichtig beurteilt, da er die schwersten Vorwürfe abstritt. Die Vorinstanz berücksichtigte seine Vorstrafen (2012-2018), die nicht als "alt" galten und für die besondere Rückfälligkeit nach dem Waffengesetz relevant waren. Das Bundesgericht sah keinen Ermessensmissbrauch der Vorinstanz bei der Bemessung der 4-jährigen Freiheitsstrafe, die einen teilbedingten Vollzug (Art. 43 Abs. 1 StGB) ausschliesst.
3.4. Genugtuung (Art. 49 OR)Der Beschwerdeführer verlangte eine Reduktion der Genugtuung wegen Mitverschuldens der Geschädigten, die durch Provokationen, die Anreise zum "Treffen" und das angebliche Führen eines Messers (B.__) zum Geschehen beigetragen hätten. Das Bundesgericht bekräftigte die Vorinstanz: Zwar gab es Provokationen auf beiden Seiten, doch das Verhalten der Geschädigten rechtfertigte in keiner Weise das Schiessen auf sie. Sie waren unbewaffnet, griffen nicht physisch an, und es gab keine Vorwarnung der Schüsse. Es gab keine zumutbaren Massnahmen, die sie hätten ergreifen können, um den eingetretenen Schaden zu vermeiden. Daher wurde ein Mitverschulden im Sinne von Art. 44 Abs. 1 OR und eine Reduktion der Genugtuung abgelehnt.
4. FazitDas Bundesgericht wies die Beschwerde in den zulässigen Teilen ab.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: