Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_109/2024 vom 24. Juni 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (9C_109/2024 vom 24. Juni 2025) I. Einleitung und Streitgegenstand

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts befasst sich mit der Besteuerung eines Grundstückgewinns im Kanton Genf, der im Kontext einer interkantonalen Ersatzbeschaffung (sog. "Remploi") entstanden ist. Im Zentrum des Rechtsstreits steht die korrekte Berechnung des steuerbaren Grundstückgewinns, insbesondere die Bestimmung des Erwerbspreises und die Berücksichtigung von wertvermehrenden Aufwendungen, nachdem die Kette der steueraufschiebenden Ersatzbeschaffungen unterbrochen wurde.

II. Sachverhalt
  1. Erwerb und erste Veräusserung (Kanton Waadt): Die Beschwerdeführer erwarben am 12. Oktober 1998 eine Liegenschaft in U.__ (Kanton Waadt) für CHF 1'450'000. Diese Liegenschaft wurde am 30. November 2012 für CHF 3'875'000 veräussert.
  2. Ersatzbeschaffung (Kanton Genf): Bereits am 18. November 2011 erwarben die Beschwerdeführer eine Ersatzliegenschaft in V.__ (Kanton Genf) für CHF 2'800'000.
  3. Steueraufschub durch Waadt: Mit Veranlagungsverfügung vom 13. Februar 2013 gewährte das Waadtländer Steueramt einen Steueraufschub (Report d'impôt) auf den Grundstückgewinn aus der Veräusserung der Waadtländer Liegenschaft. Der aufgeschobene Grundstückgewinn wurde auf CHF 1'366'520 festgesetzt.
  4. Veräusserung der Ersatzliegenschaft (Kanton Genf): Im August 2021 veräusserten die Beschwerdeführer die Genfer Ersatzliegenschaft für CHF 2'750'000. Bezogen auf ihren Erwerbspreis in Genf entstand hierbei ein Verlust.
  5. Genfer Steuerveranlagung: Die Genfer Steuerverwaltung veranlagte daraufhin den Grundstückgewinn. Sie stützte sich auf den von Waadt festgesetzten aufgeschobenen Gewinn von CHF 1'366'520, setzte den Erwerbspreis der Waadtländer Liegenschaft als massgebend an (unter Einbezug der Besitzdauer seit 1998) und forderte die Steuer für diesen Betrag ein. Die Verwaltung erliess zwei separate Veranlagungsverfügungen: eine, die den Gewinn aus der Veräusserung der Genfer Liegenschaft (unter Berücksichtigung des lokalen Erwerbspreises) mit CHF 0 (aufgrund des Verlusts) festlegte, und eine weitere, die den aufgeschobenen Gewinn aus Waadt besteuerte.
  6. Instanzenzug vor den kantonalen Gerichten:
    • Das Tribunal administratif de première instance (TAPI) gab der Beschwerde der Steuerpflichtigen teilweise statt. Es setzte den steuerbaren Gewinn tiefer an (CHF 1'126'844), indem es u.a. den Verlust aus der Veräusserung der Genfer Ersatzliegenschaft berücksichtigte und die von den Steuerpflichtigen geltend gemachten wertvermehrenden Aufwendungen und Erwerbskosten teilweise anerkannte.
    • Die Cour de justice (kantonales Obergericht) hiess die Beschwerde der Steuerverwaltung gut und stellte deren ursprüngliche Veranlagungen wieder her. Sie vertrat die Auffassung, dass der von Waadt festgesetzte aufgeschobene Gewinn "definitiv" sei und nicht durch einen späteren Verlust auf der Ersatzliegenschaft verrechnet werden könne. Ferner lehnte sie die Anwendung der Genfer Bestimmungen zum Erwerbspreis (insbesondere des 30%-Zuschlags für lange Besitzdauer gemäss Art. 82 Abs. 5 LCP) sowie die Berücksichtigung von Erwerbskosten für die Genfer Ersatzliegenschaft ab, da die Steuerpflichtigen die "Null-Veranlagung" für die Veräusserung der Genfer Liegenschaft nicht direkt angefochten hätten.
III. Rechtliche Grundlagen

Das Bundesgericht rekapituliert die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze:

  1. Harmonisiertes Bundesrecht (LHID):

    • Art. 12 LHID schreibt die Besteuerung von Grundstückgewinnen vor, belässt den Kantonen jedoch einen erheblichen Gestaltungsspielraum bei der Konkretisierung des steuerbaren Gewinns (insbesondere "Erlös", "Investitionskosten" und "Ersatzwert").
    • Art. 12 Abs. 3 lit. e LHID regelt den Steueraufschub bei Ersatzbeschaffung von selbstgenutztem Wohneigentum. Ein solcher Aufschub bedeutet keine Steuerbefreiung, sondern lediglich eine Stundung der Besteuerung bis zur nächsten steuerbaren Veräusserung. Die Wertsteigerung seit der letzten steuerbaren Veräusserung wird erst dann besteuert.
    • Einheitsmethode (Méthode unitaire): Im interkantonalen Verhältnis, insbesondere bei Steueraufschub infolge Ersatzbeschaffung, steht das Besteuerungsrecht für das latente Steuersubstrat (den aufgeschobenen Gewinn) integral und exklusiv dem "Ankunftskanton" (oder dem letzten Ankunftskanton) zu. Dies bedeutet, dass der latente Gewinn aus der ersten Veräusserung und der Gewinn/Verlust aus der letzten Veräusserung in diesem Kanton ein einheitliches Steuerobjekt bilden. Ein isolierter Verlust auf der Ersatzliegenschaft hindert die Anwendung dieser Methode nicht.
  2. Kantonales Genfer Recht (LCP):

    • Art. 82 LCP definiert den steuerbaren Grundstückgewinn als Differenz zwischen Veräusserungs- und Erwerbswert. Der Erwerbswert ist grundsätzlich der gezahlte Kaufpreis, erhöht um wertvermehrende Aufwendungen (Art. 82 Abs. 2 LCP).
    • Art. 82 Abs. 3 LCP hält fest, dass bei Liegenschaften, die durch einen steueraufschiebenden Transfer erworben wurden, der Erwerbspreis jener der letzten steuerbaren Veräusserung ist. Dies ist auch für die Bestimmung der Besitzdauer massgebend.
    • Art. 82 Abs. 5 LCP (30%-Zuschlag): Diese Bestimmung erlaubt dem Steuerpflichtigen, bei einer Besitzdauer von über 10 Jahren den zehn Jahre vor der Veräusserung festgesetzten Steuerwert, erhöht um 30%, als Erwerbswert heranzuziehen (sofern es sich nicht um eine Mietliegenschaft handelt).
    • Art. 85 LCP regelt die Rückerstattung der Steuer bei erneuter Ersatzbeschaffung. Diese Bestimmung ist im vorliegenden Fall, wo die Kette unterbrochen wurde, nicht direkt anwendbar.
IV. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Steuerpflichtigen gut und begründet dies wie folgt:

  1. Das Prinzip des "Gesamtgewinns" und die Einheitsmethode:

    • Das Bundesgericht bestätigt, dass bei der Unterbrechung der Ersatzbeschaffungskette der "Gesamtgewinn" (bénéfice total) zum Gegenstand der Besteuerung wird. Dieser Gesamtgewinn muss gemäss den Modalitäten und Tarifen des Kantons besteuert werden, in dem die Kette unterbrochen wird – hier Genf (Verweis auf ATF 141 II 207 E. 4.2.2).
    • Die Tatsache, dass die Ersatzliegenschaft in Genf isoliert betrachtet einen Verlust generiert hat, steht der Anwendung der Einheitsmethode und der Besteuerung des Gesamtgewinns nicht entgegen (Verweis auf BGer-Urteil 2C_648/2018 E. 6.1).
    • Der von den Waadtländer Behörden festgesetzte aufgeschobene Gewinn ist nicht "definitiv" in dem Sinne, dass er für die Besteuerung des Gesamtgewinns im Ankunftskanton Genf unveränderlich übernommen werden müsste. Das Bundesgericht verweist auf ATF 137 II 419 E. 4, welches festhält, dass die Festsetzung des aufgeschobenen Gewinns durch den Abgangskanton zwar einem aktuellen Rechtsschutzinteresse dienen kann, jedoch spätere Abweichungen bei der effektiven Besteuerung im Ankunftskanton nicht ausschliesst.
  2. Fehlerhafte Anwendung des Genfer Rechts durch die Vorinstanz:

    • Die Cour de justice hat willkürlich gehandelt, indem sie die Anwendung des Art. 82 Abs. 5 LCP (Option des 30%-Zuschlags auf den Erwerbspreis bei langer Besitzdauer) ablehnte. Die Vorinstanz hat fälschlicherweise argumentiert, der Waadtländer "aufgeschobene Gewinn" sei "definitiv" und eine Änderung der diesem zugrunde liegenden Beträge (z.B. durch Anwendung des Genfer 30%-Zuschlags auf den ursprünglichen Waadtländer Erwerbspreis) sei ausgeschlossen.
    • Das Bundesgericht stellt klar, dass es Aufgabe des Kantons Genf ist, den "Gesamtgewinn" gemäss seiner eigenen kantonalen Gesetzgebung (Art. 82 LCP) zu bestimmen, wobei der ursprüngliche Erwerbspreis der Waadtländer Liegenschaft als Basis dient, angepasst nach den Genfer Regeln. Die von der Vorinstanz angenommene "fiktive" Wertsteigerung oder der "fiktive Verkaufspreis" der Waadtländer Liegenschaft ist für die Berechnung des Gesamtgewinns irrelevant.
  3. Berücksichtigung von Erwerbskosten und wertvermehrenden Aufwendungen:

    • Die Cour de justice hat ebenfalls willkürlich gehandelt, indem sie die Prüfung der geltend gemachten Erwerbskosten für die Genfer Ersatzliegenschaft (CHF 112'000) mit der Begründung verweigerte, die Steuerpflichtigen hätten die "Null-Veranlagung" für diese Liegenschaft nicht direkt angefochten. Das TAPI hatte diese Kosten berücksichtigt, und die Steuerpflichtigen hatten sie im weiteren Instanzenzug explizit erneut geltend gemacht.
    • Das Bundesgericht weist die Vorinstanz an, sowohl die geltend gemachten Erwerbskosten von CHF 112'000 für die Genfer Liegenschaft als auch die von Waadt anerkannten wertvermehrenden Aufwendungen von CHF 92'380 gemäss dem anwendbaren kantonalen Genfer Recht zu prüfen und in die Berechnung des steuerbaren Gesamtgewinns einzubeziehen.
V. Bedeutung im Kontext

Das Urteil unterstreicht die konsequente Anwendung der Einheitsmethode bei der Besteuerung von Grundstückgewinnen im Falle einer interkantonalen Ersatzbeschaffung, deren Kette unterbrochen wird. Es präzisiert, dass in einem solchen Fall der "Ankunftskanton" (hier Genf) den gesamten latenten Gewinn nach seiner eigenen kantonalen Gesetzgebung besteuern muss, und zwar als ein einheitliches Steuerobjekt. Die vorherige Festsetzung eines aufgeschobenen Gewinns durch einen anderen Kanton ist dabei nicht als "definitiv" zu verstehen, welche die Anwendung der Regeln des Ankunftskantons ausschliessen würde. Dies ist eine wichtige Klarstellung, die die Autonomie der Kantone bei der Festsetzung der Bemessungsgrundlagen im Rahmen der Harmonisierung der Grundstückgewinnsteuer nach LHID schützt. Die Verweise auf die etablierte Rechtsprechung (insbesondere ATF 141 II 207, 143 II 694 und 137 II 419) bekräftigen die Kohärenz dieser Linie.

VI. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
  • Kernprinzip: Bei Abbruch einer Steueraufschubkette für Grundstückgewinne (Ersatzbeschaffung) besteuert der Kanton, in dem die letzte Veräusserung ohne Wiederanlage stattfindet, den gesamten Gewinn ("bénéfice total").
  • Einheitsmethode: Der ursprüngliche latente Gewinn und der Gewinn/Verlust aus der letzten Veräusserung bilden ein einheitliches Steuerobjekt. Ein Verlust auf der Ersatzliegenschaft verhindert die Besteuerung des Gesamtgewinns nicht.
  • Anwendbares Recht: Die Berechnung des Gesamtgewinns erfolgt ausschliesslich nach dem kantonalen Recht des "Ankunftskantons" (hier Genf), auch wenn die ursprüngliche Veräusserung in einem anderen Kanton (Waadt) erfolgte.
  • Keine Definitivität des Aufschubs: Die Festsetzung eines aufgeschobenen Gewinns durch den Abgangskanton ist für die spätere Besteuerung des Gesamtgewinns im Ankunftskanton nicht "definitiv" und schliesst Abweichungen durch die Anwendung kantonaler Regeln (z.B. 30%-Zuschlag auf den Erwerbspreis, Berücksichtigung aller wertvermehrenden Aufwendungen) nicht aus.
  • Rückweisung: Das Urteil der Vorinstanz (Cour de justice) wurde aufgehoben und zur Neuberechnung an diese zurückgewiesen, um die dargelegten Prinzipien und das Genfer Steuerrecht korrekt anzuwenden.