Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_110/2025 vom 25. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts Datum: 25. Juni 2025 Geschäftsnummer: 6B_110/2025 Gericht: I. Strafrechtliche Abteilung Parteien: A.__ (Beschwerdeführer) gegen Ministère public central du canton de Vaud (Beschwerdegegner) Gegenstand: Haftbedingungen; Strafzumessung (Sexualdelikte mit Kindern, etc.) Angefochtener Entscheid: Urteil der Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud vom 13. November 2024 (PE23.015094-//LGN).

1. Sachverhalt (Relevant für die Begründung des Bundesgerichts)

Der Beschwerdeführer A.__ wurde vom Tribunal criminel de l'arrondissement de La Côte am 11. Juni 2024 wegen schwerwiegender Delikte, darunter sexuelle Handlungen mit Kindern, versuchte sexuelle Handlungen mit Kindern, sexuelle Nötigung, sexuelle Handlungen an Widerstandsunfähigen, Ausnützung der Notlage, sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Bezahlung, versuchte sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Bezahlung, Pornografie, qualifizierte Pornografie, einfache Verletzung der Verkehrsregeln, Fahren in fahrunfähigem Zustand, versuchte Behinderung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrfähigkeit, Fahren ohne Berechtigung, Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Des Weiteren wurde eine ambulante psychiatrische Behandlung angeordnet, ein lebenslanges Tätigkeitsverbot (beruflich und ehrenamtlich mit Minderjährigen) ausgesprochen und eine Probehilfe zur Kontrolle dieses Verbots angeordnet.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 3. März 2023 bis zum 5. Juli 2024, d.h. während 490 Tagen, in der Justizvollzugsanstalt U.__. Die relevanten Haftbedingungen waren wie folgt: * Zellengrösse: Doppelzellen von 13 m² Gesamtfläche, davon 2.58 m² für sanitäre Anlagen (WC, Lavabo, Dusche) abgetrennt. Ab dem 31. Oktober 2023, nach Zuweisung zu einem Arbeitsplatz, Einzelzelle von 10 m². * Belüftung und Licht: Fenster von 70.5 x 100.5 cm, die auf Kipp geöffnet werden konnten. Belüftungsanlage und Ventilator vorhanden. * Hofgang/Freiluft: Die tägliche "Promenade" von 2 Stunden 45 Minuten fand in einem grossen Raum im Turm der Anstalt statt, nicht im Freien. Dieser Raum bot laut Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (CNPT) vom 6. Dezember 2023 keine echte Möglichkeit für gemeinschaftliche und sportliche Betätigung im Freien. * Zugang zur Zelle: Die Zellen waren täglich für 1 Stunde 15 Minuten offen. Ab dem 31. Oktober 2023 (und später im Antizipationsvollzug) galt ein "offene Tür"-Regime von 7:00 bis 18:00 Uhr.

Der Beschwerdeführer beantragte eine Reduktion seiner Freiheitsstrafe um 245 Tage (die Hälfte der 490 Tage rechtswidriger Haft) oder subsidiär eine Entschädigung von CHF 24'500.

2. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

2.1. Grundlagen der Beurteilung von Haftbedingungen (Art. 3 EMRK) Das Bundesgericht erinnert an die strengen Anforderungen von Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Die Gewährleistungen dieser Norm sind nicht umfassender als jene der Bundesverfassung. Eine Behandlung erreicht die Schwelle der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, wenn sie ein Mass an Erniedrigung oder Erniedrigung überschreitet, das die Freiheitsentziehung üblicherweise mit sich bringt. Die Schwere wird anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände beurteilt, insbesondere der Art, des Kontexts und der Dauer der Behandlung. Relevant sind dabei unter anderem die Einhaltung minimaler Anforderungen an Hygiene, Bettzeug, Ernährung, Bodenfläche (mind. 4 m² pro Insasse), Luftvolumen, Beleuchtung, Belüftung und die Möglichkeit, täglich eine Stunde Bewegung an der frischen Luft zu haben (Verweis auf BGE 143 I 241, 140 I 125, sowie ständige Rechtsprechung der CourEDH, z.B. Mursic c. Croatie).

2.2. Abhilfe bei Verletzung von Art. 3 EMRK Die CourEDH hat wiederholt anerkannt, dass eine Strafreduktion, die explizit zur Wiedergutmachung einer Verletzung von Art. 3 EMRK gewährt wird und deren Auswirkungen auf die Dauer der Strafe messbar sind, eine zufriedenstellende Abhilfe darstellen kann (Verweis auf EMRK-Fälle wie Rezmiveș et autres c. Roumanie, Shishanov c. République de Moldova, Stella et autres c. Italie). Eine Reduktion von einem Tag pro zehn Tage rechtswidriger Haft (wie im italienischen Recht) wurde als adäquat betrachtet; ebenso eine Reduktion von ein bis drei Tagen pro zehn Tage (wie in Moldawien). Das Bundesgericht selbst hat in vergleichbaren Fällen Strafreduktionen von einem Drittel bis zur Hälfte der rechtswidrig verbrachten Hafttage zugelassen, wobei der genaue Umfang im konkreten Einzelfall nach richterlichem Ermessen zu bestimmen ist (Verweis auf BGE 142 IV 245, 149 IV 266 und neuere BG-Urteile 6B_2/2025, 6B_846/2024, 6B_284/2020).

2.3. Beurteilung der kantonalen Instanz Die kantonale Instanz räumte ein, dass dem Beschwerdeführer in der JVA U.__ kein ausreichender Zugang zur frischen Luft gewährt wurde, da der Hofgang in einem geschlossenen Raum stattfand. Sie verneinte jedoch, dass die Belüftung oder das natürliche Licht in den Zellen unzureichend gewesen seien, und stützte sich dabei auf einen Bericht der JVA-Direktion. Sie betonte, dass die Zellen Fenster hatten, die auf Kipp geöffnet werden konnten, sowie über Lüftung und Ventilatoren verfügten. Zudem habe der Beschwerdeführer stets über eine Zellfläche von über 4 m² verfügt, eine tägliche Türöffnung von mindestens 1 Stunde 15 Minuten und einen täglichen "Hofgang" von 2 Stunden 45 Minuten gehabt, was die fehlende Freiluft kompensiere. Ab Oktober 2023 habe er zudem einen bezahlten Arbeitsplatz und ein "offene Tür"-Regime von 7:00 bis 18:00 Uhr gehabt. Die kantonale Instanz kam zum Schluss, dass die Haftbedingungen insgesamt den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprächen und Art. 3 EMRK nicht verletzten. Eine Entschädigung oder Strafreduktion wurde daher abgelehnt. Die Vorinstanz erwähnte auch, dass der Beschwerdeführer die Haftbedingungen zuvor nie gerügt oder eine Entschädigung beantragt habe.

2.4. Kritik des Bundesgerichts und eigene Beurteilung Das Bundesgericht korrigiert die Auffassung der kantonalen Instanz in mehreren Punkten fundamental:

  • Verweis auf Präjudizien: Das Bundesgericht verweist explizit auf seine eigenen, kürzlich ergangenen Urteile betreffend die JVA U._ (6B_712/2024 vom 12. März 2025 und 6B_846/2024 vom 3. Februar 2025). In diesen Fällen wurde bereits festgestellt, dass die Haftbedingungen in U._, basierend auf dem Bericht der CNPT vom 6. Dezember 2023, als unmenschlich und erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sind. Die Gründe dafür waren der fehlende Zugang zur frischen Luft, die unzureichende Belüftung der Zellen (trotz Kippfenster und Ventilatoren) und das geringe natürliche Licht (keine direkte Sonneneinstrahlung möglich).
  • Unzureichende Kompensation: Das Bundesgericht hält fest, dass der Umstand, dass die tägliche "Promenade" 2 Stunden 45 Minuten betrug, die fehlende Bewegung im Freien nicht kompensiert und die Haftbedingungen somit nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar macht. Der Bericht der JVA-Direktion kann die Feststellungen der CNPT bezüglich der unzureichenden Belüftung und Beleuchtung nicht entkräften.
  • Relativierung vs. Rechtswidrigkeit: Während die anderen positiven Aspekte (ausreichende Zellfläche, tägliche Türöffnung, "offene Tür"-Regime, Arbeitsplatz) bei der Bemessung des erlittenen Schadens berücksichtigt werden können, heben sie die Rechtswidrigkeit der Haftbedingungen als solche nicht auf. Sie können lediglich das Ausmass des durch die Art. 3 EMRK-Verletzung verursachten Nachteils relativieren.
  • Geltendmachung in erster Instanz: Das Bundesgericht weist das Argument der kantonalen Instanz, der Beschwerdeführer habe seine Haftbedingungen nicht früher gerügt, zurück. Es sei zu unterscheiden zwischen den objektiven Haftbedingungen und dem subjektiven Erleben des Gefangenen. Ist objektiv eine Verletzung von Art. 3 EMRK gegeben, besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Entschädigung, unabhängig davon, ob dies in der Vorinstanz geltend gemacht wurde. Der Zeitpunkt der Geltendmachung kann jedoch das Ausmass der Wiedergutmachung beeinflussen.

2.5. Schlussfolgerung des Bundesgerichts Das Bundesgericht kommt zum Ergebnis, dass die Haftbedingungen des Beschwerdeführers in der JVA U.__ während der 490 Tage seiner Inhaftierung tatsächlich unmenschlich und erniedrigend waren und somit Art. 3 EMRK verletzten. Eine Entschädigung ist daher gerechtfertigt. Das angefochtene Urteil der kantonalen Instanz, das eine solche Entschädigung verneint hat, wird aufgehoben und die Sache an die kantonale Instanz zurückgewiesen. Diese hat festzustellen, dass der Beschwerdeführer unter rechtswidrigen Bedingungen inhaftiert war und ihm eine angemessene Wiedergutmachung in Form einer Strafreduktion oder einer finanziellen Entschädigung zu gewähren.

3. Entscheid des Bundesgerichts Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die kantonale Instanz zurück. Es werden keine Gerichtskosten erhoben, und der Kanton Waadt hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu zahlen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Verletzung von Art. 3 EMRK bestätigt: Das Bundesgericht bekräftigt, dass die Haftbedingungen in der JVA U.__ (insbesondere fehlender Zugang zu Freiluft, unzureichende Belüftung und natürliches Licht) eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen. Dies wurde bereits in früheren Bundesgerichtsentscheiden (6B_712/2024, 6B_846/2024) festgestellt, basierend auf dem Bericht der CNPT.
  • Keine Kompensation durch andere Aspekte: Längere Aufenthalte in einem geschlossenen "Promenaden"-Raum oder andere positive Aspekte der Haft (genügend Zellfläche, "offene Tür"-Regime, Arbeitsplatz) heben die Rechtswidrigkeit der Grundbedingungen nicht auf, können aber das Ausmass des erlittenen Nachteils bei der Entschädigungsbemessung relativieren.
  • Anspruch auf Wiedergutmachung: Dem Beschwerdeführer steht eine Wiedergutmachung für die 490 Tage rechtswidriger Haft zu, entweder in Form einer Strafreduktion oder einer finanziellen Entschädigung.
  • Rückweisung an Vorinstanz: Die Sache wird an die kantonale Instanz zurückgewiesen, damit diese den Umfang der Wiedergutmachung gemäss den Vorgaben des Bundesgerichts festlegt.