Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_643/2024 vom 27. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgerichtsurteil 2C_643/2024 vom 27. Juni 2025

1. Einleitung Das Bundesgericht hatte über den Rekurs von A.__, einem senegalesischen Staatsangehörigen, gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 8. November 2024 zu befinden. Streitgegenstand war die Verweigerung der Zustimmung der Staatssekretariats für Migration (SEM) zur Erteilung einer ordentlichen Aufenthaltsbewilligung nach Art. 50 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG), nachdem seine ursprüngliche Aufenthaltsbewilligung (UE/EFTA-Bewilligung) aufgrund des Scheiterns der Ehe widerrufen worden war.

2. Sachverhalt A._ (geb. 1978, senegalesischer Staatsangehöriger) heiratete am 22. Juni 2015 in Italien B._ (geb. 1967, italienische Staatsangehörige), die seit 2011 in der Schweiz wohnhaft war und eine UE/EFTA-Aufenthaltsbewilligung besass. A._ erhielt am 26. Januar 2016 eine UE/EFTA-Aufenthaltsbewilligung im Rahmen des Familiennachzugs und zog zu seiner Frau. Ab dem 1. Januar 2018 arbeitete er vollzeitlich bei den SBB in Z._.

Im Juni und Oktober 2018 hatte A._ eine aussereheliche Beziehung mit einer Landsfrau, aus der am 13. März 2019 ein Kind hervorging. Bereits am 12. März 2019 teilte A._ den Tessiner Migrationsbehörden mit, dass er seit dem 1. Oktober 2018 aus beruflichen Gründen wochentags in Z._ wohnhaft sei. Am 30. September 2020 äusserten A._ und seine Frau ihre Absicht, die Ehe aufzulösen, und die Trennung wurde am 19. Februar 2021 offiziell.

Im November 2020 ersuchte A._ die kantonale Behörde um Aktualisierung seiner Bewilligung. Dies führte zu einer Untersuchung der ehelichen Verhältnisse. Am 31. Mai 2021 widerrief die kantonale Behörde die UE/EFTA-Aufenthaltsbewilligung von A._, da der ursprüngliche Aufenthaltszweck entfallen sei. Gleichzeitig bot sie ihm an, eine Aufenthaltsbewilligung nach internem Recht (Art. 50 AIG) zu erteilen, sofern die SEM zustimme. Die SEM verweigerte diese Zustimmung am 4. April 2022. Sie begründete dies damit, dass die eheliche Gemeinschaft bereits im Oktober 2018 faktisch beendet gewesen sei, da zu diesem Zeitpunkt – aufgrund der ausserehelichen Beziehung und der getrennten Wohnsitze – kein ernsthafter Wille zur Aufrechterhaltung der Ehe mehr bestanden habe.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Einschätzung am 8. November 2024 und wies den Rekurs ab. Es kam zum Schluss, dass die eheliche Gemeinschaft nicht die für eine Bewilligung nach Art. 50 AIG erforderlichen drei Jahre gedauert habe und auch keine schwerwiegenden persönlichen Gründe für einen weiteren Aufenthalt vorlägen. Zudem sei Art. 8 EMRK nicht verletzt.

3. Massgebende Rechtsgrundlagen und Prüfungsrahmen

  • Zulässigkeit des Rechtsmittels (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG): Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit des Rechtsmittels von Amtes wegen. Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide im Ausländerrecht, die Bewilligungen oder Ermächtigungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen, unzulässig. Im vorliegenden Fall hatte der Rekurrent nach der Scheidung keinen Anspruch mehr auf eine Bewilligung aufgrund des Freizügigkeitsabkommens (FZA). Jedoch besteht grundsätzlich ein potenzieller Anspruch auf Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung nach Art. 50 Abs. 1 AIG. Das Bundesgericht stellt fest, dass die Beschwerde daher nicht unter die Ausnahmeklausel fällt und als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist; die Frage des tatsächlichen Bestehens eines Aufenthaltsrechts ist eine Frage der materiellen Prüfung.
  • Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 1 BGG): Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Eine Abweichung ist nur zulässig, wenn die Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
  • Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG): Eine Verletzung von Grundrechten (einschliesslich willkürlicher Sachverhaltsfeststellung) muss detailliert und umfassend begründet werden. Bloss appellatorische Kritik ist unzulässig. Der Rekurrent muss darlegen, warum die vorinstanzliche Beweiswürdigung unhaltbar ist und inwiefern dies den Ausgang des Verfahrens beeinflusst hätte.

4. Begründung des Bundesgerichts im Detail

4.1. Zur Sachverhaltsfeststellung betreffend das Ende der ehelichen Gemeinschaft Der Rekurrent rügte, entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sei die eheliche Gemeinschaft nicht vor der faktischen Trennung im März 2019 beendet gewesen. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Frage, ob eine tatsächliche eheliche Gemeinschaft besteht oder fortbesteht, eine Sachverhaltsfrage darstellt, die den gegenseitigen Willen der Ehegatten zur Aufrechterhaltung ihrer Gemeinschaft betrifft. Eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt, ein relevantes Beweismittel ohne stichhaltigen Grund nicht berücksichtigt oder daraus unhaltbare Schlüsse gezogen hat.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte seine Schlussfolgerung, dass die eheliche Gemeinschaft bereits 2018 endete, auf folgende Elemente gestützt: * Die aussereheliche Beziehung des Rekurrenten ab Juni 2018, aus der im März 2019 ein Kind hervorging. * Der Umzug des Rekurrenten nach Z.__ im Oktober 2018 aus beruflichen Gründen, wo er fünf Tage pro Woche wohnte. * Die Aussage der Ex-Ehefrau bei der kantonalen Polizei, die September 2018 als den letzten Monat angab, in dem die Ehegatten unter demselben Dach lebten.

Das Bundesgericht befand, dass der Rekurrent sich mit dieser Argumentation nicht auseinandersetzte, sondern lediglich seine eigene Sachverhaltswürdigung an die Stelle der vorinstanzlichen setzte, ohne Willkür im Sinne von Art. 106 Abs. 2 BGG darzulegen. Die Sachverhaltsfeststellung des Bundesverwaltungsgerichts ist somit für das Bundesgericht verbindlich.

4.2. Zur materiellen Prüfung nach Art. 50 AIG (altes Recht) Das Bundesgericht stellte fest, dass die am 1. Januar 2025 in Kraft getretene Änderung von Art. 50 AIG und die Übergangsbestimmung (Art. 126g AIG) im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen, da das angefochtene Urteil vor dieser Änderung ergangen ist.

Art. 50 Abs. 1 AIG sieht zwei kumulative Voraussetzungen vor, unter denen der Ehegatte einer Person mit Aufenthaltsbewilligung das Recht auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung behält, auch wenn die Ehe oder die Familiengemeinschaft aufgelöst wurde: * Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG: Dauer der ehelichen Gemeinschaft und Integration * Diese Bestimmung setzt voraus, dass die eheliche Gemeinschaft mindestens drei Jahre gedauert hat und die Integrationskriterien nach Art. 58a AIG erfüllt sind. * Für die Berechnung der Dauer der ehelichen Gemeinschaft ist der Zeitraum zwischen dem Beginn der tatsächlichen Kohabitation in der Schweiz und der Auflösung der Familiengemeinschaft (in der Regel die Haushaltsgemeinschaft) massgebend. Es ist jedoch zu beachten, dass die Dauer der ehelichen Gemeinschaft auch früher verneint werden kann, wenn klar ersichtlich ist, dass die Ehe nicht mehr gelebt wird und kein gegenseitiger Wille zur Aufrechterhaltung des Ehebandes mehr besteht. Die Dreijahresfrist ist absolut. * Im vorliegenden Fall begann die Kohabitation am 26. Januar 2016. Obwohl die faktische Trennung am 19. März 2019 erfolgte, stellte das Bundesverwaltungsgericht verbindlich fest, dass der Wille zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft bereits im Verlauf des Jahres 2018 fehlte (aufgrund der ausserehelichen Beziehung, des Kindes und des separaten Wohnsitzes sowie der Aussage der Ex-Ehefrau). Der Rekurrent konnte diese Feststellung nicht willkürlich widerlegen. * Da die erste kumulative Voraussetzung (Dauer der Ehe) nicht erfüllt ist, musste das Bundesgericht nicht prüfen, ob die Integrationskriterien erfüllt sind.

  • Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG: Schwerwiegende persönliche Gründe
    • Diese Bestimmung sieht ein Recht auf Verlängerung der Bewilligung nach Auflösung der Ehe vor, wenn schwerwiegende persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz notwendig machen.
    • Das Bundesgericht stellte fest, dass der Rekurrent lediglich eine "allgemeine Rüge" vorbrachte, indem er sich auf bereits früher vorgebrachte Argumente bezog, ohne sich mit der konkreten Begründung des Bundesverwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Dies genügt den Begründungsanforderungen von Art. 42 BGG nicht. Daher wurde diese Rüge nicht materiell geprüft.

4.3. Weitere Rügen Der Rekurrent rügte zudem eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (unter Bezugnahme auf Art. 96 Abs. 1 und 63 Abs. 2 AIG) im Zusammenhang mit dem Widerruf einer (angeblich) Niederlassungsbewilligung, die durch eine Aufenthaltsbewilligung ersetzt worden wäre. Das Bundesgericht hielt fest, dass der Rekurrent nie eine Niederlassungsbewilligung besass. Diese Rüge ist daher unbehelflich, unbegründet und zudem unzulässig, da sie am Streitgegenstand vorbeigeht.

5. Schlussfolgerung Das Bundesgericht befand, dass der Rekurs, soweit er überhaupt zulässig war, unbegründet ist und wies ihn ab. Die Gerichtskosten wurden dem Rekurrenten auferlegt, wobei der Betrag aufgrund der Ablehnung eines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege (da der Rekurs von Anfang an aussichtslos erschien) reduziert wurde. Parteientschädigungen wurden den obsiegenden Behörden nicht zugesprochen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Massgeblicher Zeitpunkt für die Ehedauer: Nicht der Zeitpunkt der formellen oder faktischen Trennung ist entscheidend, sondern der Zeitpunkt, ab dem kein gegenseitiger Wille zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft mehr bestand.
  • 3-Jahres-Frist ist absolut: Für einen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG muss die eheliche Gemeinschaft in der Schweiz (mit Willen zur Fortführung) mindestens drei Jahre gedauert haben. Die Frist ist absolut, selbst wenn nur wenige Tage fehlen.
  • Bindung an Sachverhaltsfeststellung: Das Bundesgericht ist an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden, sofern diese nicht willkürlich erfolgte. Die Rüge der Willkür erfordert eine detaillierte und substanziierte Begründung, die hier nicht erbracht wurde.
  • Ausschluss von schwerwiegenden persönlichen Gründen: Die Rüge, es lägen schwerwiegende persönliche Gründe vor (Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG), wurde mangels ausreichender Begründung als unzulässig erachtet.
  • Kein Anspruch auf Weiterverbleib: Der Rekurrent konnte keinen Anspruch auf ein Verbleiberecht in der Schweiz nach Art. 50 AIG geltend machen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren.