Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_601/2024 vom 2. Mai 2025

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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) befasst sich mit der Frage des Widerrufs einer Baubewilligung, der Anordnung eines Baustopps und der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands von Grundstücken im Kanton Wallis. Die Beschwerdeführer, Eigentümer benachbarter Parzellen, stellten sich gegen die Weigerung der kantonalen Behörden, eine im Jahr 2012 erteilte Baubewilligung für den Bau eines Wohngebäudes mit sieben Wohnungen als nichtig zu erklären oder zu widerrufen und die Einstellung der Bauarbeiten zu verfügen.

I. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte

Im Zentrum des Verfahrens stehen die Parzellen Nr. 1738 und 1747 in der Gemeinde Lens, die in der Bauzone 2A liegen. Für diese Parzellen erteilte der Gemeinderat von Lens am 27. November 2012 eine unbestrittene und in Rechtskraft erwachsene Baubewilligung zum Abbruch eines bestehenden Chalets und zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses.

Bereits im Dezember 2015 ersuchte der Beschwerdeführer A.__, Miteigentümer einer Nachbarparzelle, erfolglos um die Einstellung der Bauarbeiten (Aushub) und den Widerruf der Baubewilligung. Dieses Begehren wurde durch den Walliser Staatsrat, das Kantonsgericht und schliesslich vom Bundesgericht (Urteil 1C_160/2017 vom 3. Oktober 2017) abgewiesen. Das Bundesgericht hatte damals die Frage des Beginns der Bauarbeiten und die Angemessenheit der Begründung des Kantonsgerichts in diesem Punkt bereits als nicht willkürlich beurteilt.

Am 23. November 2021 stellte A._, gefolgt von weiteren Nachbarn (B._, C._ und D._) im April 2023, erneut Gesuche um Widerruf der Baubewilligung und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Die Begründung basierte im Wesentlichen auf drei Punkten: 1. Die betroffenen Parzellen verfügten über keinen ausreichenden Zugang zur öffentlichen Strasse. 2. Die 2015 begonnenen Arbeiten (Aushub) seien nicht als Beginn der Bauausführung zu werten. 3. Das Bauprojekt sei seither aufgegeben worden.

Diese neuen Gesuche wurden von den kommunalen und kantonalen Behörden (Gemeinderat, Staatsrat, Kantonsgericht) ebenfalls abgelehnt, was die Beschwerdeführer zur Einreichung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht veranlasste.

II. Gerichtliche Würdigung und Begründung

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerden ein und vereinigte die beiden Verfahren (1C_601/2024 und 1C_602/2024) aus prozessökonomischen Gründen. Die weiteren Ausführungen konzentrieren sich auf die materiellen und prozessualen Rügen.

A. Verfahrensrechtliche Rügen (Recht auf Gehör)

Die Beschwerdeführer rügten eine Verletzung ihres verfassungsmässigen Rechts auf Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), indem das Kantonsgericht einen Augenschein und die Einholung eines Gutachtens verweigerte. Das Bundesgericht wies diese Rüge als unbegründet ab. Es stellte fest, dass das Kantonsgericht die vorhandenen Pläne und Fotografien im Dossier als ausreichend erachten durfte, um sich eine Überzeugung zu bilden. Die Beschwerdeführer vermochten nicht darzulegen, inwiefern ein Augenschein oder ein Gutachten (zur Lage und Dimension der Anker und des 2015 erstellten Fundamentradiers) zusätzliche entscheidungsrelevante Erkenntnisse erbracht hätte. Das Gericht bestätigte die antizipierte Beweiswürdigung des Kantonsgerichts als nicht willkürlich, da die Angaben des spezialisierten Unternehmens bezüglich der Anker und die Bestätigung der korrekten Platzierung des Radiers durch eine kommunale Begehung als beweiskräftig erachtet werden konnten.

B. Materiellrechtliche Rügen: Grundsätze des Widerrufs von Baubewilligungen

Das Bundesgericht legte zunächst die allgemeinen Grundsätze für den Widerruf oder die Überprüfung einer in Rechtskraft erwachsenen Verwaltungsentscheidung dar. Die Anforderungen an die Rechtssicherheit überwiegen das Interesse an einer korrekten Anwendung des objektiven Rechts in der Regel dann, wenn: * Der Entscheid ein subjektives Recht zugunsten des Betroffenen geschaffen hat. * Der Betroffene von einer erhaltenen Bewilligung bereits Gebrauch gemacht hat. * Der Entscheid das Ergebnis eines Verfahrens ist, in dem die verschiedenen Interessen eingehend geprüft wurden.

Ein Widerruf ist nur in Ausnahmefällen und bei Vorliegen eines besonders wichtigen öffentlichen Interesses möglich, insbesondere wenn erhebliche Investitionen getätigt wurden und der ursprüngliche Zustand nur durch Zerstörung der in gutem Glauben errichteten Bauwerke wiederhergestellt werden kann (BGE 144 III 285 E. 3.5; 137 I 69 E. 2.3). Handelte der Bewilligungsinhaber arglistig oder täuschte er die Behörde, kann der Widerruf grundsätzlich erfolgen, sofern er verhältnismässig ist. Diese Grundsätze sind auch bei der Anwendung kantonaler Widerrufsvorschriften (hier Art. 32 des Walliser Gesetzes über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege, LPJA) zu beachten. Das Bundesgericht prüft die Anwendung kantonalen Rechts nur auf Willkür (Art. 9 BV).

C. Materiellrechtliche Rügen: Mangelnder Zugang zur öffentlichen Strasse

Die Beschwerdeführer behaupteten, die Parzellen 1738 und 1747 hätten keinen ausreichenden Zugang zur öffentlichen Strasse. Das Bundesgericht bestätigte die Feststellung der Vorinstanzen, dass die Parzellen an einen öffentlichen Weg der Bürgergemeinde Lens angrenzen. Der Zugang sei über den südlichen Ast des "Chemin des Devins" möglich und rechtlich durch Dienstbarkeiten an den Parzellen Nr. 246 und 2817 der Bürgergemeinde Lens gesichert. Das Kantonsgericht hatte festgestellt, dass die Erschliessung über den südlichen Wegast auf einer Bewilligung von 2004/2005 beruhe und durch eine Dienstbarkeit zugunsten von Parzelle Nr. 1738 auf Parzelle Nr. 246 gesichert sei.

Die Beschwerdeführer bestritten die rechtliche Garantie des südlichen Zugangs, indem sie eine angebliche Verzichtserklärung der früheren Eigentümer ins Feld führten. Das Bundesgericht wies dies mit der Begründung zurück, dass die Dienstbarkeit seit 2005 bestehe und die Beschwerdeführer keine substantiierten Gründe darlegten, warum der Widerruf der Baubewilligung die damit verbundene Rechtssicherheit überwinden sollte, zumal der Bau fast fertiggestellt sei.

Die Argumentation der Beschwerdeführer, die Dienstbarkeit sei lediglich für Parzelle Nr. 1738 erteilt worden und würde durch die Erschliessung eines sieben Wohneinheiten umfassenden Gebäudes auf zwei Parzellen (1738 und 1747) übermässig verschärft, wurde ebenfalls verworfen. Das Gericht führte aus, dass eine solche allfällige Verschärfung nicht vergleichbar sei mit dem Fall im Urteil 1C_437/2023 vom 30. September 2024 (wo eine Dienstbarkeit für eine 500m2 grosse Parzelle nach einer Vervierfachung der Fläche und Errichtung von zwei Gebäuden mit je sechs Wohnungen als unzureichend erachtet wurde – dieser Fall betraf aber die Erteilung, nicht den Widerruf einer Baubewilligung). Die Beschwerdeführer vermochten nicht aufzuzeigen, dass durch das Bauvorhaben polizeiliche Interessen gefährdet würden, die einen Widerruf oder gar die Nichtigerklärung der Baubewilligung rechtfertigen könnten.

D. Materiellrechtliche Rügen: Erlöschen/Verfall der Baubewilligung und Bauunterbruch

Die Beschwerdeführer argumentierten, die Baubewilligung von 2012 sei kaduziert, da die Eigentümer diese nicht fristgerecht genutzt und die Bauarbeiten aufgegeben hätten.

Das Bundesgericht bestätigte zunächst die Feststellung des Kantonsgerichts, dass die Arbeiten im Herbst 2015 begonnen hatten. Dies hatte die dreijährige gesetzliche Frist unterbrochen. Das Bundesgericht verwies explizit auf sein früheres Urteil 1C_160/2017, in dem diese Frage bereits abschliessend beurteilt und die damalige Begründung des Kantonsgerichts als nicht willkürlich befunden worden war.

Hinsichtlich des mehrjährigen Bauunterbruchs hielt das Gericht fest, dass dieser nach der Walliser Baugesetzgebung (Art. 56 Abs. 2 aOC bzw. Art. 44 Abs. 2 OC) keine automatische Kaduzität der Baubewilligung zur Folge hat. Vielmehr verlangt ein unbegründeter Bauunterbruch eine Reaktion der zuständigen Behörde (Forderung nach Fertigstellung, Anpassung oder Abbruch), führt aber nicht zum automatischen Erlöschen der Bewilligung. Diese Auslegung sei mit dem Wortlaut der Bestimmungen vereinbar und auch bundesrechtlich (insbesondere Art. 22 RPG) nicht zu beanstanden. Das Gericht betonte, dass die Gemeinde Lens in diesem Fall nicht untätig geblieben sei, sondern eine Lösung zwischen den Parteien gesucht und später die Fertigstellung der Arbeiten von den Bauherren gefordert habe. Die Rüge der Beschwerdeführer, die Parzelle sei nicht ausgerüstet, wurde als unbegründet abgewiesen.

III. Schlussfolgerung

Aufgrund der dargelegten Erwägungen wies das Bundesgericht die Beschwerden in den Verfahren 1C_601/2024 und 1C_602/2024 ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Die Beschwerdeführer haben die Gerichtskosten zu tragen und die Intimierte zu entschädigen.

IV. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  1. Recht auf Gehör / Beweiswürdigung: Die Ablehnung von Augenschein und Gutachten durch das Kantonsgericht wurde vom Bundesgericht als nicht willkürlich bestätigt, da das Dossier als ausreichend erachtet wurde (antizipierte Beweiswürdigung).
  2. Widerruf einer Baubewilligung: Eine in Rechtskraft erwachsene Baubewilligung kann grundsätzlich nur bei Vorliegen eines besonders wichtigen öffentlichen Interesses widerrufen werden, insbesondere wenn bereits erhebliche Investitionen in gutem Glauben getätigt wurden. Der blosse Anspruch auf materielle Rechtsrichtigkeit genügt nicht.
  3. Zugang zur Baustelle: Die Erschliessung der Parzellen wurde als rechtlich gesichert durch bestehende Dienstbarkeiten beurteilt. Eine allfällige geringfügige Verschärfung der Dienstbarkeit, die aus der Erschliessung eines Mehrfamilienhauses resultieren könnte, wurde nicht als ausreichend erachtet, um den Widerruf einer Baubewilligung für einen fast fertiggestellten Bau zu rechtfertigen, zumal keine polizeilichen Interessen gefährdet waren.
  4. Kaduzität und Bauunterbruch: Das Bundesgericht bestätigte, dass die Bauarbeiten im Jahr 2015 rechtmässig begonnen hatten (siehe Vorurteil 1C_160/2017). Ein längerer Bauunterbruch führt nach Walliser Recht nicht automatisch zur Kaduzität der Baubewilligung, sondern verpflichtet die Behörde zu einer Reaktion (z.B. Aufforderung zur Fertigstellung).