Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_275/2025 vom 26. Mai 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer 6B_275/2025 vom 26. Mai 2025) befasst sich mit einer Beschwerde in Strafsachen gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich. Im Zentrum stehen die Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Fragen der Beweisverwertung und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung, die Strafzumessung sowie die Anordnung einer Landesverweisung.

1. Sachverhalt und Vorinstanzlicher Entscheid

Dem Beschwerdeführer A._ wurde vorgeworfen, am 23. Juni 2023 in Zürich nach einer verbalen Auseinandersetzung eine Glasflasche zerbrochen und den Privatkläger B._ mit dem abgebrochenen Flaschenhals ins Gesicht geschlagen zu haben. B.__ erlitt dabei Schnittverletzungen im Gesicht, eine Gehirnerschütterung und eine Nasenfraktur. Der Beschwerdeführer habe diese sowie weitaus schwerwiegendere Verletzungen in Kauf genommen.

Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte den Schuldspruch des Bezirksgerichts Zürich wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Es verurteilte A.__ zu 38 Monaten Freiheitsstrafe und verwies ihn für acht Jahre des Landes.

2. Beweisverwertung und angebliche Beeinflussung von Zeugen (Art. 140, 141 StPO)

Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 140 StPO und machte geltend, seine Verurteilung stütze sich vorwiegend auf die unzulässig beeinflusste Zeugenaussage von C.__. Er führte aus, es habe vor der parteiöffentlichen Einvernahme mehrfacher, direkter Kontakt zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Zeugen stattgefunden. Dem Zeugen sei fälschlicherweise suggeriert worden, er könne seine Aussagen nicht vorher einsehen und der Beschwerdeführer werde die Einvernahme nur per Videoübertragung verfolgen, was eine falsche Gefährlichkeit suggeriert und den Zeugen unzulässig beeinflusst habe.

Das Bundesgericht trat auf diese Rüge nur eingeschränkt ein, da sie den qualifizierten Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG nur teilweise genügte. Es hielt fest, dass der Zeuge gerade nicht in seine früheren Aussagen Einsicht nehmen durfte und nicht ersichtlich sei, inwiefern der Hinweis auf eine (fälschlicherweise angekündigte) Videoübertragung zu einer unzulässigen Beeinflussung geführt hätte. Die Erstinstanz, auf die das Obergericht verwies, habe zutreffend festgestellt, dass die Bedenken des Zeugen von ihm selbst kamen und der Zeuge selbst Informationen bei der Staatsanwaltschaft angefragt hatte. Das Bundesgericht verneinte eine Verletzung von Art. 140 StPO und damit die Unverwertbarkeit der Zeugenaussage.

3. Sachverhaltsfeststellung und rechtliche Würdigung der Tat (Art. 9, 97 BGG, Art. 122, 22 StGB)

Der Beschwerdeführer rügte zudem eine offensichtlich unrichtige bzw. willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Er bestritt, dass sein Verhalten als versuchte schwere Körperverletzung zu qualifizieren sei.

Das Bundesgericht legte seinen Urteilen den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es bekräftigte, dass eine Sachverhaltsfeststellung nur dann willkürlich ist, wenn sie schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn sie in klarem Widerspruch zur tatsächlichen Situation steht oder auf einem offenkundigen Fehler beruht (BGE 148 IV 356 E. 2.1). Allein die Möglichkeit einer anderen Lösung genüge nicht. Die Rügen des Beschwerdeführers zur Beweiswürdigung der Zeugenaussagen (insbesondere des Zeugen D._) qualifizierte das Bundesgericht grösstenteils als unzulässige appellatorische Kritik. Soweit die Rügen den Anforderungen genügten, vermochten sie keine Willkür darzulegen. Die Vorinstanz habe die Aussagen des Zeugen D._ umfassend gewürdigt und auch widersprüchliche oder entlastende Punkte berücksichtigt und erklärt, dass diese auf den dynamischen Ablauf der Auseinandersetzung zurückzuführen seien.

Bezüglich der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts (Art. 122 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) genügte die Rüge des Beschwerdeführers der Begründungspflicht nicht. Das Bundesgericht hielt fest, dass ein Schlag mit einem abgebrochenen Flaschenhals ins Gesicht grundsätzlich geeignet ist, schwere Verletzungen zu verursachen (vgl. BGE 135 IV 152 E. 2.3.2.2). Wer eine Flasche zerbricht und mit dem zerbrochenen Flaschenhals gegen das Gesicht des Gegenübers schlägt, muss mit einer schweren Verletzung rechnen. Der subjektive Tatbestand des Eventualvorsatzes sei damit erfüllt. Der Schuldspruch wegen versuchter schwerer Körperverletzung verletze kein Bundesrecht.

4. Strafzumessung (Art. 47 ff., 50 StGB)

Der Beschwerdeführer beanstandete die Strafzumessung und machte unter anderem Ermessensmissbrauch sowie die Verletzung der Begründungspflicht geltend.

Das Bundesgericht verwies auf die Grundsätze der Strafzumessung (BGE 149 IV 217 E. 1.1) und betonte, dass es nur bei Überschreitung des gesetzlichen Strafrahmens, Berücksichtigung nicht massgebender Kriterien oder Missbrauch des Ermessens eingreift. Die Vorinstanz habe bei der Bildung der Einsatzstrafe für das vollendete Delikt die objektive Tatschwere als mittelschwer beurteilt, da der Beschwerdeführer ein gefährliches Tatwerkzeug (zerbrochene Flasche) verwendet und eine unkontrollierbare Schwungbewegung gegen das sehr verletzliche Gesicht des Privatklägers gemacht habe. Die Einsatzstrafe von 48 Monaten liege im weiten Strafrahmen von Art. 122 aStGB (6 Monate bis 10 Jahre) und sei bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

Auch die subjektive Tatschwere sei zutreffend berücksichtigt worden. Der eventualvorsätzliche Alkoholeinfluss (knapp 1.5 Promille) sowie eine Provokation durch den Privatkläger seien als geringfügig strafmindernd berücksichtigt worden, was zu einer Reduktion auf 42 Monate führte. Schliesslich sei dem Umstand, dass es sich um einen Versuch handelte und der Privatkläger keine schweren Verletzungen erlitt, mit einer Reduktion von sechs Monaten ausreichend Rechnung getragen worden. Die Begründung der Vorinstanz zur Strafzumessung sei ausreichend detailliert (Art. 50 StGB). Das Gesamtstrafmass von 38 Monaten Freiheitsstrafe halte sich im Rahmen des sachrichterlichen Ermessens.

5. Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 lit. b, Abs. 2 StGB, FZA Art. 5 Anhang I)

Der Beschwerdeführer wendete sich gegen die Landesverweisung, indem er einen schweren persönlichen Härtefall geltend machte und die Unverhältnismässigkeit unter dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) rügte.

Die Voraussetzungen für eine obligatorische Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB seien grundsätzlich erfüllt, da der Beschwerdeführer als italienischer Staatsangehöriger der versuchten schweren Körperverletzung schuldig gesprochen wurde.

Das Bundesgericht prüfte die Härtefallklausel nach Art. 66a Abs. 2 StGB. Es bestätigte, dass die Vorinstanz (teilweise durch zulässigen Verweis auf die Erstinstanz, Art. 82 Abs. 4 StPO) die Situation des Beschwerdeführers umfassend gewürdigt hatte. Die Vorinstanz verneinte das Vorliegen eines schweren persönlichen Härtefalls, da der Beschwerdeführer erst im Alter von 34 Jahren in die Schweiz gekommen sei, seine prägenden Lebensjahre im Ausland verbracht habe und keine Kernfamilie oder Angehörigen in der Schweiz habe. Der Kontakt zu seiner Tochter, die in Deutschland lebe und nie in der Schweiz gewohnt habe, sei keine "tatsächlich gelebte und gepflegte Beziehung" in der Schweiz. Er könne diesen Kontakt auch von Italien aus pflegen. Auch seine berufliche und soziale Integration sei als durchschnittlich bzw. begrenzt beurteilt worden. Da kein schwerer persönlicher Härtefall vorliegt, erübrigte sich eine Interessenabwägung.

Hinsichtlich der Vereinbarkeit der Landesverweisung mit dem FZA (Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA) bestätigte das Bundesgericht ebenfalls die Beurteilung der Vorinstanz. Diese hatte auf die wiederholte Delinquenz des Beschwerdeführers, die erhebliche Gewaltbereitschaft und die Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in einem öffentlichen Park verwiesen. Die Tat sei während laufender Probezeit begangen worden. Aufgrund der Vorstrafen und des vorliegenden Verbrechens der versuchten schweren Körperverletzung, die eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle, könne dem Beschwerdeführer keine günstige Prognose attestiert werden. Das FZA bilde daher keinen Hinderungsgrund für die Landesverweisung. Auch hier war der Verweis der Vorinstanz auf die ausführlicheren Erwägungen der Erstinstanz zulässig.

6. Weitere Anträge

Die Anträge des Beschwerdeführers betreffend Schadenersatz/Genugtuung für die erlittene Haft, Kostenverteilung und Verzicht auf Rückzahlungspflicht der Kosten der amtlichen Verteidigung wurden abgewiesen, da sie mit dem beantragten Freispruch begründet wurden, welcher nicht erfolgte.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Beweisverwertung: Die Zeugenaussage von C.__ war verwertbar; eine unzulässige Beeinflussung des Zeugen durch die Staatsanwaltschaft wurde verneint.
  • Schuldspruch: Der Sachverhalt wurde willkürfrei festgestellt. Der Schlag mit einem abgebrochenen Flaschenhals ins Gesicht qualifiziert sich als versuchte schwere Körperverletzung (Eventualvorsatz bejaht), da eine derartige Handlung potenziell schwerwiegende Verletzungen verursachen kann.
  • Strafzumessung: Die festgesetzte Freiheitsstrafe von 38 Monaten liegt im sachrichterlichen Ermessen der Vorinstanz. Die Berücksichtigung der objektiven und subjektiven Tatschwere sowie des Versuchscharakters der Tat ist bundesrechtskonform und ausreichend begründet.
  • Landesverweisung: Die obligatorische Landesverweisung für acht Jahre ist zulässig. Ein "schwerer persönlicher Härtefall" wurde verneint, da der Beschwerdeführer erst spät in die Schweiz kam, keine Kernfamilie hier hat und seine Integration als begrenzt beurteilt wurde. Das Freizügigkeitsabkommen (FZA) hindert die Landesverweisung aufgrund der wiederholten Delinquenz und der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht.