Gerne, hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des schweizerischen Bundesgerichts 1C_440/2023 vom 27. Mai 2025.
Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_440/2023 vom 27. Mai 2025
1. Einleitung und Sachverhalt
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts betrifft einen Rekurs im Bereich des öffentlichen Raumplanungsrechts, spezifisch die Genehmigung eines Quartierplans in der Gemeinde Lutry (VD). Beschwerdeführend sind die Organisation Patrimoine Suisse (sowie deren Waadtländer Sektion) und mehrere private Anwohner (A._, B._, C.__), vertreten durch ihre Anwälte. Beschwerdegegner sind der Gemeinderat von Lutry und das Departement für Institutionen, Territorium und Sport des Kantons Waadt.
Gegenstand der Streitigkeit ist der Quartierplan "E.__", der ein 5'707 m² grosses Areal in Lutry umfasst, welches sich bereits innerhalb des Perimeter Compact der Agglomeration Lausanne-Morges (PALM) befindet. Gemäss dem Zonenplan von 1987 war Parzelle Nr. 229 als "Grün- oder Zone öffentlichen Interesses" und die Parzellen Nrn. 230 bis 233 als "Wohnzone II" ausgeschieden. Der neue Quartierplan sieht eine Umnutzung des gesamten Sektors in eine "Ortszentrumszone" vor, mit der Errichtung von fünf- bis sechsgeschossigen, teils aneinandergebauten Gebäuden. Ziel des Projekts ist die Schaffung diversifizierten Wohnraums (auch im Bereich des gemeinnützigen Wohnungsbaus), die Förderung von Mischnutzungen, die Gewährleistung von Wohnqualität und die Schaffung öffentlicher Räume.
Gegen den Quartierplan wurden seitens der Beschwerdeführenden Einsprachen erhoben, die im kommunalen und kantonalen Verfahren abgewiesen wurden. Das Kantonsgericht Waadt (Cour de droit administratif et public, CDAP) bestätigte die Rechtmässigkeit des Quartierplans am 6. Juli 2023, woraufhin die Beschwerdeführenden das Bundesgericht anriefen. Ihre zentralen Rügen betreffen den Lärmschutz, den Biotopschutz und die Interessenabwägung.
2. Massgebende Rechtsgrundlagen und Prüfungsrahmen
Das Bundesgericht prüft die Rechtmässigkeit des Quartierplans anhand verschiedener Bundesgesetze:
- Koordinationsprinzip (Art. 25a RPG): Bei der Genehmigung von Teilnutzungsplänen oder Quartierplänen muss die Planungsbehörde alle relevanten umwelt- und raumplanungsrechtlichen Elemente berücksichtigen. Der Umfang dieser Prüfung hängt vom Präzisionsgrad des Plans ab. Bei einem detaillierten, konkreten Projekt muss die Umweltverträglichkeit umfassend geprüft werden. Bei einem allgemeineren Plan genügt die Gewissheit, dass eine gesetzeskonforme Realisierung – gegebenenfalls mit später zu definierenden Anpassungen – möglich ist. Eine Planung ist jedoch unzulässig, wenn die Realisierung des Vorhabens aus umweltrechtlicher Sicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.
- Lärmschutz (Art. 22 und 24 USG, Art. 31 LSV):
- Immissionsgrenzwerte (VLI): Gemäss Art. 22 Abs. 1 USG dürfen Baubewilligungen für neue Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen nur erteilt werden, wenn die Immissionsgrenzwerte eingehalten sind. Bei Überschreitungen dürfen Bewilligungen erteilt werden, wenn die Räume zweckmässig angeordnet und zusätzliche Lärmschutzmassnahmen getroffen werden (Art. 22 Abs. 2 USG, Art. 31 Abs. 1 LSV). Eine solche Ausnahmeregelung erfordert eine Interessenabwägung.
- Planungswerte (PLW): Art. 23 USG sieht vor, dass der Bundesrat tiefere Planungswerte für die Ausscheidung neuer Bauzonen festlegt. Gemäss Art. 24 Abs. 1 USG dürfen neue Bauzonen für Wohn- oder andere lärmempfindliche Gebäude nur in Gebieten ausgeschieden werden, in denen die Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten oder durch Planungs-, Erschliessungs- oder Baumassnahmen eingehalten werden können. Wichtig ist hierbei der Zusatz: "Die Umnutzung bestehender Bauzonen gilt nicht als Ausscheidung neuer Bauzonen" (Art. 24 Abs. 1 Satz 2 USG). Diese Bestimmung dient der inneren Verdichtung und Vermeidung der Zersiedelung.
- Biotopschutz (Art. 18 ff. NHG): Die Zerstörung einheimischer Tier- und Pflanzenarten ist durch den Erhalt genügend grosser Lebensräume (Biotope) und andere geeignete Massnahmen zu verhindern. Besonders geschützt sind Lebensräume wie Ufer, Schilfgürtel, Moore, seltene Waldgesellschaften, Hecken, Feldgehölze, Trockenwiesen und andere für das natürliche Gleichgewicht wichtige oder besonders günstige Biotope (Art. 18 Abs. 1bis NHG). Unvermeidbare technische Eingriffe in schützenswerte Biotope erfordern besondere Schutz-, Wiederherstellungs- oder Ersatzmassnahmen (Art. 18 Abs. 1ter NHG).
- Interessenabwägung (Art. 3 RPV): Die raumplanenden Behörden verfügen über einen weiten Ermessensspielraum, müssen aber die Ziele und Grundsätze der Raumplanung (Art. 75 BV, Art. 1 und 3 RPG) sowie die Anforderungen des Umweltschutzrechts beachten. Dazu gehören die haushälterische Bodennutzung, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und insbesondere die innere Verdichtung und die Schaffung einer kompakten Siedlungsstruktur.
3. Hauptstreitpunkte und deren Beurteilung durch das Bundesgericht
3.1. Lärmschutz
Die Beschwerdeführenden rügten eine Verletzung der Lärmschutzvorschriften, insbesondere bezüglich der anzuwendenden Grenzwerte, der Qualität der Lärmgutachten und der Konkretisierung der Massnahmen.
- Anwendbarkeit von Planungs- oder Immissionsgrenzwerten (PLW vs. VLI):
Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung des Kantonsgerichts, dass im vorliegenden Fall die Immissionsgrenzwerte (VLI) gemäss Art. 22 USG massgebend seien und nicht die strengeren Planungswerte (PLW) nach Art. 24 USG. Dies, weil die betreffenden Parzellen bereits 1987 als Bauzonen ausgeschieden waren (Parzellen Nrn. 230-233 als "Wohnzone II", Parzelle Nr. 229 als "Grün- oder Zone öffentlichen Interesses"). Auch wenn die Parzelle Nr. 229 heute noch nicht bebaut ist und nur eingeschränkte Baumöglichkeiten bietet, handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um eine Bauzone im Sinne des Gesetzes. Der Quartierplan bewirkt demnach keine "Ausscheidung einer neuen Bauzone", sondern eine Umnutzung einer bereits bestehenden Bauzone im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Satz 2 USG. Das Bundesgericht verwies hierbei auf die bereits erfolgte, weitgehende Überbauung des Sektors und dessen Lage im PALM-Perimeter, was dem raumplanerischen Ziel der inneren Verdichtung entspricht. Es differenzierte den Fall von der in der Beschwerde zitierten Rechtsprechung (BGE 149 II 368), da dort die Neueinzonung von bisher nicht als Bauzone geltenden Flächen strittig war.
- Widersprüchlichkeit der Lärmgutachten:
Die Beschwerdeführenden bemängelten, dass zwei vorliegende akustische Studien (H._ SA und Centre I._) zu unterschiedlichen Überschreitungen der VLI gelangten. Das Bundesgericht stützte sich hier auf die Stellungnahme des Bundesamts für Umwelt (BAFU), welches als spezialisiertes Amt über besondere Fachkenntnisse verfügt. Das BAFU erklärte die Differenzen mit unterschiedlichen Berechnungsmethoden: Die Studie von H._ SA basierte auf effektiven Zählungen, während die Studie von Centre I._ auf Berechnungen des durchschnittlichen Tagesverkehrs beruhte. Beide Methoden seien grundsätzlich zulässig. Das Gericht sah keinen Grund, die Beweiskraft der Gutachten anzuzweifeln. Es stellte fest, dass die vom Kantonsgericht zugrunde gelegten höheren Werte (bis zu 6 dB(A) Überschreitung in der Nacht gemäss H.__ SA) die Realisierung des Projekts nicht von vornherein ausschliessen.
- Umfang der Prüfung im Planungsstadium:
Das Bundesgericht bestätigte, dass der Quartierplan keine derart detaillierte Planung darstellt, die bereits die volle Prüfung der Lärmschutzmassnahmen wie bei einer Baubewilligung erfordert. Der Quartierplan lege lediglich maximale Baugrenzen und -volumen fest, lasse den zukünftigen Bauherren aber noch erheblichen Spielraum bei der genauen Anordnung der Gebäude, der Nutzung (Wohnen oder gemeinnützig), der Höhe und der Geschosszahl. Die konkreten baulichen Massnahmen zur Lärmminderung (z.B. Balkone, Verglasungen, Schikanefenster) sowie die Anordnung lärmempfindlicher Räume (Art. 31 Abs. 1 LSV) sind erst im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens zu prüfen. Da der Quartierplan explizit entsprechende Massnahmen vorsieht (Art. 26 RPQ), sei es plausibel, dass die Anforderungen des Lärmschutzes bei der Realisierung eingehalten werden können.
- Massnahmen zur Lärmreduktion:
Das Bundesgericht bekräftigte, dass die vorgesehenen Massnahmen wie lärmmindernder Belag auf der Route G.__ und Geschwindigkeitsbegrenzungen (50 km/h) zur Reduktion der Lärmbelastung beitragen können und die Überschreitungen (insbesondere an den südlichen Fassaden) dadurch reduziert würden. Die vom Kantonsgericht getroffene Feststellung, dass die Umsetzung eines phonoabsorbierenden Belags auch ohne das ursprünglich geplante kantonale Strassenprojekt möglich sei, wurde vom Bundesgericht als nicht zu beanstanden erachtet. Eine mangelnde Koordination mit anderen Projekten konnte der Gemeinde Lutry in diesem Zusammenhang nicht vorgeworfen werden. Insgesamt gelangte das Gericht zum Schluss, dass die Überschreitungen mit den vorgesehenen Massnahmen nicht als "besonders schwerwiegend" im Sinne von Art. 22 USG einzuschätzen sind und die zukünftige Entwicklung des Quartiers voraussichtlich lärmschutzkonform erfolgen kann.
3.2. Biotopschutz
Die Beschwerdeführenden machten geltend, das Kantonsgericht habe den Wert der Biotope auf den Parzellen nicht ausreichend dokumentiert und analysiert.
- Beurteilung der Biotopqualität:
Der betroffene Sektor E._ liegt zwar in einem "Territoire d'intérêt biologique supérieur" (TIBS) des kantonalen ökologischen Netzwerks (REC-VD). Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass es sich um ein schützenswertes Biotop im Sinne von Art. 18 NHG handelt, sondern erfordert eine Einzelfallprüfung. Das Bundesgericht stellte fest, dass der nahegelegene Bach "Lutrive" zwar einen biologischen Korridor darstellt, aber durch die Strasse F._ vom Planungsgebiet getrennt ist, was einen geringen direkten Einfluss auf den Bach bedeutet. Eine Studie eines Landschaftsarchitekten aus dem Jahr 2014, die die Bäume auf der Parzelle Nr. 229 (Park mit Zypressen, Scheinzypressen und Tulpenbäumen) untersuchte, kam zum Schluss, dass diese (mit Ausnahme einer grossen Schwarzkiefer) keinen besonderen dendrologischen oder ästhetischen Wert aufweisen und auch keine besondere biologische Funktion erfüllen. Auch die vorhandenen Hecken zeigten keine Anzeichen dafür, dass sie eine wichtige Rolle im natürlichen Gleichgewicht spielen oder besonders günstige Bedingungen für Biozönosen bieten würden (Art. 18 Abs. 1bis NHG). Das BAFU bestätigte in seiner Stellungnahme, dass aufgrund des stark befahrenen Strassennetzes und der nicht-heimischen Baumarten die aktuelle Biodiversität eher gering sei und die Existenz eines schützenswerten Biotops unwahrscheinlich sei.
- Kompensationsmassnahmen:
Das Bundesgericht hob hervor, dass Art. 19 des Quartierplanreglements qualitative Kompensationsmassnahmen für den Verlust von Bäumen vorsieht, wie die Anpflanzung von Hecken, Grünflächen und einer Baumgruppe, die eine Verbindung zum Waldstreifen entlang der Lutrive herstellen soll. Diese bereits geplanten Massnahmen, die im Rahmen der Baubewilligung zu konkretisieren sind, tragen zur Sicherstellung einer qualitätsvollen inneren Verdichtung bei. Der Rügepunkt wurde daher abgewiesen.
3.3. Interessenabwägung
Die Beschwerdeführenden behaupteten, das Kantonsgericht habe die von der Planungsbehörde vorgenommene Interessenabwägung nicht ausreichend geprüft.
- Prüfung der Interessenabwägung durch das Kantonsgericht:
Das Bundesgericht bestätigte, dass das Kantonsgericht die verschiedenen Interessen in seiner Beurteilung berücksichtigt hat. Die Tatsache, dass das Kantonsgericht die Lärmschutz-, Biotopschutz- und Denkmalschutzproblematiken (wobei letztere hier nicht im Detail erwähnt wird) in separaten Erwägungen behandelt habe, stelle die Kontrolle der Interessenabwägung nicht in Frage. Als Beschwerdeinstanz sei es die Aufgabe des Kantonsgerichts gewesen, die Rechtmässigkeit der von der Planungsbehörde vorgenommenen Interessenabwägung zu prüfen, insbesondere auch anhand des OAT-Berichts 47, der als Kontrollinstrument diene. Da die Rügen bezüglich Lärmschutz und Biotopschutz bereits inhaltlich als unbegründet abgewiesen wurden, konnte die lokale Behörde im Rahmen ihres weiten Ermessensspielraums dem Interesse an der inneren Verdichtung des bereits bestehenden Siedlungsgebiets ein höheres Gewicht beimessen. Die vom Kantonsgericht bestätigte Interessenabwägung erfüllte somit die Anforderungen von Art. 3 RPV.
4. Fazit
Das Bundesgericht weist die Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist, vollumfänglich ab. Die Beschwerdeführenden tragen die Gerichtskosten.
5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
- Anwendbare Grenzwerte: Das Bundesgericht bestätigte, dass für den Quartierplan "E.__" die Immissionsgrenzwerte (VLI) gemäss USG massgebend sind, da es sich um eine Umnutzung bereits bestehender Bauzonen und nicht um die Ausscheidung neuer Bauzonen handelt (Art. 24 Abs. 1 Satz 2 USG).
- Lärmschutzprüfung im Planungsstadium: Eine detaillierte Prüfung aller Lärmschutzmassnahmen ist im Stadium des Quartierplans nicht erforderlich, da dieser noch genügend Spielraum für konkrete bauliche Anpassungen im Baubewilligungsverfahren lässt. Die Lärmgutachten wurden als plausibel und die vorgesehenen Massnahmen als ausreichend zur Gewährleistung der Lärmschutzkonformität beurteilt.
- Biotopschutz: Trotz der Lage des Sektors in einem Gebiet von höherem biologischem Interesse wurde kein schützenswertes Biotop im Sinne von Art. 18 NHG festgestellt. Kompensationsmassnahmen für den Verlust von Baumbestand sind im Quartierplan vorgesehen.
- Interessenabwägung: Die Planungsbehörde und das Kantonsgericht haben eine rechtmässige Interessenabwägung vorgenommen, indem sie der inneren Verdichtung im bereits stark urbanisierten Gebiet und innerhalb des Agglomerationsperimeters ein überwiegendes Gewicht beigemessen haben.