Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_87/2025 vom 2. Juni 2025

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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGE 7B_87/2025, 7B_88/2025 vom 2. Juni 2025) befasst sich mit der Beschwerde eines Privatklägers (A.__) gegen die Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, welche vom Obergericht des Kantons Zug bestätigt wurde. Der Beschwerdeführer hatte Strafanzeige gegen zwei Polizeibeamte und eine Notfallpsychiaterin erstattet.

I. Sachverhalt und Verfahrensverlauf

A._ erstattete am 12. Januar 2024 Strafanzeige gegen die Polizeibeamten B._ und C._ sowie die Notfallpsychiaterin D._. Er warf den Polizisten vor, bei einem Einsatz unverhältnismässige Zwangsmassnahmen (Alkoholtest, Anlegen von Handschellen) ergriffen und ihn unter Druck gesetzt zu haben, um eine Aussage zu erzwingen. Als er die Mitwirkung verweigerte und eine Entschuldigung für die Demütigungen verlangte, sei zunächst ein erster Notfallpsychiater (E._) hinzugezogen worden, der keine Hand für eine Zwangseinweisung geboten habe. Daraufhin sei die Notfallpsychiaterin D._ beigezogen worden, welche die Drohung mit einer Zwangseinweisung wiederholt und schliesslich eine fürsorgerische Unterbringung (FU) wegen eines angeblichen Stupors angeordnet habe. A.__ sah darin Freiheitsberaubung, Amtsmissbrauch und versuchte Nötigung seitens der Polizisten und der Psychiaterin, sowie zusätzlich ein falsches ärztliches Zeugnis durch die Psychiaterin.

Die Staatsanwaltschaft verfügte am 11. Juli 2024 die Nichtanhandnahme der Strafuntersuchung. Das Obergericht des Kantons Zug wies die hiergegen erhobenen Beschwerden von A._ am 11. Dezember 2024 ab. A._ gelangte daraufhin mit zwei Beschwerden in Strafsachen an das Bundesgericht.

II. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

1. Vereinigung der Verfahren (E. 1) Das Bundesgericht vereinigte die beiden Beschwerdeverfahren (7B_87/2025 und 7B_88/2025) gemäss Art. 71 BGG in sinngemässer Anwendung von Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP, da sie sich teilweise auf denselben Sachverhalt beziehen und inhaltlich übereinstimmen.

2. Zulässigkeit der Beschwerden (E. 2)

2.1 Fristgerechte Einreichung (E. 2.1) Die Beschwerden wurden fristgerecht eingereicht. Nachträgliche Ergänzungen (Nachträge) des Beschwerdeführers, die nach Ablauf der 30-tägigen Beschwerdefrist eingereicht wurden, blieben unbeachtlich.

2.2 Beschwerdelegitimation als Privatkläger (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG) (E. 2.2) Das Bundesgericht prüfte die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers als Privatkläger. * Grundsatz: Die Privatklägerschaft ist zur Beschwerde in Strafsachen nur berechtigt, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche (Schadenersatz, Genugtuung nach Art. 41 ff. OR) auswirken kann. Öffentlich-rechtliche Ansprüche, insbesondere aus Staatshaftungsrecht, zählen nicht zu diesen Zivilansprüchen und können nicht adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden. * Anwendung auf die Polizeibeamten: Da das angelastete Fehlverhalten der Polizeibeamten im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erfolgte, beurteilen sich allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche nach dem Verantwortlichkeitsgesetz des Kantons Zug (§§ 5 ff. BGS 154.11). Dieses Gesetz sieht eine ausschliessliche Staatshaftung vor, sodass der Geschädigte keinen direkten Anspruch gegen den Beamten hat. Die Ansprüche sind demnach öffentlich-rechtlicher Natur. * Anwendung auf die Notfallpsychiaterin: Obwohl die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung (FU) im Zivilgesetzbuch geregelt ist (Art. 454 ZGB), handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Entscheid. Für allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsbegehren im Zusammenhang mit einer FU haftet ebenfalls der Kanton, nicht die handelnde Person. * Fazit zur Privatklägerschaft: Der Beschwerdeführer war mangels zivilrechtlicher Adhäsionsansprüche nicht als Privatkläger legitimiert.

2.3 Beschwerdelegitimation aufgrund eines verfassungsmässigen oder völkerrechtlichen Anspruchs (E. 2.3) * Ausnahme: Eine Privatperson kann sich gegen eine Nichtanhandnahme oder Einstellung eines Verfahrens wehren, wenn ein verfassungsmässiger oder völkerrechtlicher Anspruch auf eine wirksame und vertiefte amtliche Untersuchung besteht. Dies ist der Fall, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise geltend macht, von staatlichen Stellen misshandelt worden zu sein (Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 3 EMRK, Art. 7 UNO-Pakt II, Art. 13 Anti-Folter-Konvention). Eine Behandlung muss hierfür ein "Mindestmass an Schwere" erreichen, um als unmenschlich oder erniedrigend zu gelten. * Anwendung auf den vorliegenden Fall: * Fürsorgerische Unterbringung (FU): Der Beschwerdeführer brachte vor, die Handlungen der Polizisten und der Notfallpsychiaterin seien als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren, da sie darauf abzielten, seinen psychischen Widerstand zu brechen und ihn zu demütigen, und die FU zweckentfremdet eingesetzt worden sei. Das Bundesgericht hielt fest, dass die behaupteten Tatsachen im Zusammenhang mit der Anordnung der FU, sofern sie zutreffen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen könnten. In diesem Punkt war die Beschwerde zulässig. * Alkoholtest und Handschellen: Soweit der Beschwerdeführer im Alkoholtest und dem Anlegen der Handschellen ein strafrechtlich relevantes Verhalten sah, erachtete das Bundesgericht dies als unzulässig. Die Vorwürfe seien nicht von solcher Schwere, dass sie unter Art. 3 EMRK fielen. Zudem habe der Beschwerdeführer die Verletzung von Recht in dieser Hinsicht nicht ausreichend begründet (Art. 42 Abs. 2 BGG).

3. Materielle Prüfung der Nichtanhandnahme (E. 3)

Das Bundesgericht prüfte nur, ob die Nichtanhandnahme der Strafverfahren in Bezug auf die angezeigten Delikte im Zusammenhang mit der Anordnung der fürsorgerischen Unterbringung zu Recht erfolgte.

3.1 Grundsätze der Nichtanhandnahme (E. 3.1) * Hinreichender Tatverdacht (Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO): Die Staatsanwaltschaft eröffnet eine Untersuchung, wenn ein "mittlerer Verdacht" vorliegt, d.h., erhebliche und konkrete Gründe für eine strafbare Handlung. Blosse Gerüchte genügen nicht. * Nichtanhandnahme (Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO): Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf die Eröffnung, wenn die fraglichen Straftatbestände "eindeutig nicht erfüllt" sind oder ein zureichender Verdacht fehlt (z.B. bei unglaubhafter Anzeige). * "In dubio pro duriore": Die Nichtanhandnahme darf nur in sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fällen erfolgen. * Willkürprüfung (Art. 97 Abs. 1 BGG): Das Bundesgericht prüft, ob die Vorinstanz willkürlich von einer klaren Beweislage ausgegangen ist. * Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV): Die Behörde muss die Vorbringen prüfen und begründen. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt; die Begründung muss nur die wesentlichen Punkte enthalten und den Entscheid nachvollziehbar machen.

3.2 Nichtanhandnahme gegen die Polizeibeamten B._ und C._ (E. 3.2) * Vorinstanzliche Begründung: Die Polizisten hätten aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers (plötzliches Schweigen, apathischer Eindruck nach anfänglich offenem Gespräch) auf eine mögliche psychische Beeinträchtigung geschlossen und den Beizug eines Notfallpsychiaters als notwendig erachtet. Dies sei nicht unverhältnismässig; Anhaltspunkte für ein strafrechtliches Verhalten fehlten. * Vorbringen des Beschwerdeführers: Er habe nicht geschwiegen, sondern eine Entschuldigung verlangt, wie auch aus den Notizen der Notfallpsychiaterin hervorgehe. Die vorinstanzliche Feststellung sei aktenwidrig und willkürlich, zudem liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. * Würdigung des Bundesgerichts: Die Feststellungen der Notfallpsychiaterin D.__ (submutistisches Zustandsbild, unbeurteilbare Orientierung/Gedankengänge, motorisch gespannt, Selbst-/Fremdgefährdung nicht auszuschliessen) stützen die vorinstanzliche Annahme, dass der Beschwerdeführer einen apathischen Eindruck hinterliess und die Kommunikation verweigerte, auch wenn er eine Entschuldigung forderte. Die Darlegungen der Psychiaterin seien nicht widersprüchlich. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs lag nicht vor, da sich die Vorinstanz auf die wesentlichen Punkte konzentrierte. * Fazit: Die Nichtanhandnahme gegen die Polizeibeamten war rechtmässig.

3.3 Nichtanhandnahme gegen die Notfallpsychiaterin D.__ (E. 3.3) * Vorinstanzliche Begründung (Zusammenfassung der Staatsanwaltschaft): D._ habe eine Verdachtsdiagnose einer psychischen Krankheit bei submutistischem Zustandsbild gestellt. Sie sei aufgrund der Informationen zum Schluss gekommen, dass eine Fremd- oder Selbstgefährdung nicht hinreichend auszuschliessen sei, weshalb sie die FU angeordnet habe. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass die Diagnose nicht "lege artis" oder die Anordnung der FU nicht pflichtgemäss und rechtmässig erfolgt sei. Eine Drohung mit FU sei nicht ersichtlich; sie habe lediglich auf die Folgen einer verweigerten Kooperation hingewiesen. * Vorbringen des Beschwerdeführers: Die Vorinstanz habe überhöhte Anforderungen an seine Rüge- und Begründungspflicht gestellt und das rechtliche Gehör verletzt. Der Sachverhalt sei nicht klar, da D._'s Diagnose des Stupors mit ihren eigenen Feststellungen widersprüchlich sei. Zudem sei die Erklärung zur Nichtanordnung der FU durch den ersten Psychiater E._ zweifelhaft. Dies begründe einen hinreichenden Tatverdacht. * Würdigung des Bundesgerichts: * Begründungspflicht/Formalismus: Das Bundesgericht wies die Vorwürfe der Gehörsverletzung und des überspitzten Formalismus zurück. Die Vorinstanz habe die Rechtmässigkeit der Nichtanhandnahme geprüft und ihre Überlegungen dargelegt. Ein Verweis auf andere Rechtsschriften genüge den Begründungsanforderungen nicht. * Widersprüchlichkeit der Diagnose: Das Bundesgericht sah keine Widersprüche in den Darlegungen der Notfallpsychiaterin. Ihre Angaben zum Kommunikationsverhalten des Beschwerdeführers und zum submutistischen Zustandsbild seien stimmig und schlössen ihre Diagnose nicht aus. Eine vorsätzliche Fehldiagnose sei nicht plausibel. * Drohung mit FU: Für eine Drohung mit FU gab es keine Anhaltspunkte. * Rolle von Assistenzarzt E.__: Die Frage, ob E._ die FU hätte anordnen dürfen, sei für die Strafbarkeit von D._ irrelevant. Selbst eine andere Bewertung der Situation durch E._ würde keine vorsätzliche Fehldiagnose oder Drohung durch D._ beweisen. Eine Befragung von E._ war daher nicht notwendig. * Fazit: Die Staatsanwaltschaft durfte einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der angezeigten Delikte gegen D.__ verneinen. Die Nichtanhandnahme war auch hier rechtmässig.

III. Schlussfolgerung

Das Bundesgericht wies die Beschwerden ab, soweit darauf eingetreten wurde. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Eingeschränkte Zulässigkeit: Die Beschwerde war nicht aufgrund zivilrechtlicher Adhäsionsansprüche zulässig (Staatshaftung im Kanton Zug und bei FU-Anordnungen). Sie war jedoch zulässig hinsichtlich der geltend gemachten unmenschlichen/erniedrigenden Behandlung durch staatliche Akteure im Sinne von Art. 3 EMRK, speziell bezüglich der fürsorgerischen Unterbringung (FU). Vorwürfe bezüglich des Alkoholtests und des Anlegens der Handschellen waren nicht zulässig, da sie nicht die erforderliche Schwere für Art. 3 EMRK erreichten und unzureichend begründet waren.
  2. Kein hinreichender Tatverdacht gegen Polizeibeamte: Das Bundesgericht bestätigte, dass die Annahme der Vorinstanzen, die Polizisten hätten aufgrund des apathischen Verhaltens des Beschwerdeführers und seines Schweigens zu Recht einen Notfallpsychiater beigezogen, nicht willkürlich war. Die Notizen der Psychiaterin stützten diese Einschätzung. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wurde verneint.
  3. Kein hinreichender Tatverdacht gegen Notfallpsychiaterin: Das Bundesgericht sah keine Widersprüche in den Diagnosestellung der Notfallpsychiaterin D._ und keine Anzeichen für eine vorsätzliche Fehldiagnose oder eine Drohung. Die Begründung der Vorinstanzen genügte den Anforderungen. Die Bewertung der Situation durch den ersten Psychiater E._ war für die Frage der Strafbarkeit von D.__ irrelevant.
  4. "In dubio pro duriore" beachtet: Die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanzen handelten im Einklang mit dem Grundsatz "in dubio pro duriore", da sie die Nichtanhandnahme nur in einem sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fall verfügten, in dem kein hinreichender Tatverdacht begründet werden konnte.