Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_54/2025 vom 4. Juni 2025

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Die vorliegende detaillierte Zusammenfassung des Urteils 6B_54/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 4. Juni 2025 beleuchtet die massgebenden Punkte und rechtlichen Argumente, die zum Entscheid geführt haben.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils 6B_54/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 4. Juni 2025

1. Einleitung und Parteien Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen von A._ (Beschwerdeführer, Eigentümer des abgebrannten Wohnhauses und Privatkläger) gegen das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz vom 2. Dezember 2024 zu befinden. Gegenstand des Verfahrens war die fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst durch B._ (Beschwerdegegnerin 2), welche vom Bezirksgericht Höfe erstinstanzlich verurteilt, vom Kantonsgericht Schwyz jedoch freigesprochen wurde. Die Beschwerde von A.__ richtete sich primär gegen die Durchführung des Berufungsverfahrens im schriftlichen Verfahren durch das Kantonsgericht.

2. Sachverhalt und Vorinstanzliche Beurteilung (Kantonsgericht) * Ausgangslage: Am 18. März 2022 kam es in U._ zum Brand des Wohnhauses des Beschwerdeführers. Der Beschwerdegegnerin 2 wurde vorgeworfen, Asche aus einem Schwedenofen im 1. Stock in einem mit Plastiksack ausgekleideten Metalleimer deponiert zu haben, der zudem Papier mit Glasreinigungsrückständen enthielt. Dieser ungedeckelte Eimer sei im Gästezimmer in ein Holzregal gestellt worden, neben Deosprays. Der Brand sei durch die Restwärme der Asche, die Papier, Plastiksack und schliesslich das Holzregal entzündet habe, verursacht worden. Es entstand ein Sachschaden von ca. Fr. 1.9 Mio. * Vorwurf der Fahrlässigkeit: Die Beschwerdegegnerin 2 habe es pflichtwidrig unterlassen, sich zu vergewissern, ob die Asche tatsächlich abgekühlt war. Sie habe einzig aufgrund einer Sichtkontrolle darauf vertraut, dass die Asche nicht mehr heiss war und keine Gegenstände entzünden würde, obwohl sie hätte damit rechnen müssen, dass der Schwedenofen über Nacht in Betrieb war und die Asche noch Glut enthalten könnte. * Erstinstanzliches Urteil: Das Bezirksgericht Höfe verurteilte B._ wegen fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst. * Berufung vor Kantonsgericht: Die Beschwerdegegnerin 2 erhob Berufung und beantragte einen Freispruch. Das Kantonsgericht Schwyz hiess die Berufung gut und sprach B.__ frei. * Begründung des Kantonsgerichts für den Freispruch: * Das Kantonsgericht stellte fest, dass die Beschwerdegegnerin 2 die Abläufe der Ascheentsorgung zugab, jedoch bestritt, dass die Asche die Brandursache gewesen sei und sie unsorgfältig gehandelt habe. * Kritik an der Brandursachenfeststellung: Die Erstinstanz ging zwar von einem Brandherd im Gästezimmer aus, stützte sich dabei jedoch auf die Angaben der Beschwerdegegnerin 2, die von sich aus die Asche als mögliche, aber nicht sichere Ursache nannte, und auf das Spurenauswertungsprotokoll. Das Kantonsgericht bemängelte, dass die Brandursache im Protokoll nicht eindeutig zu entnehmen sei. Auch die Aussagen der Feuerwehrleute, die grosse Hitze im Gästezimmer feststellten, seien nicht zwingend, da diese Hitze auch durch explodierte Deosprays verursacht worden sein könnte, nachdem der Brand an anderer Stelle im Zimmer entstanden war. * Fehlende Evaluation von Alternativhypothesen: Die Möglichkeit einer Brandverursachung durch alte Strominstallationen sei nicht fachkundig evaluiert worden. Die Erstinstanz verwarf diese Hypothese unzureichend, indem sie lediglich auf eine frühere Überprüfung ohne Probleme verwies. Das Kantonsgericht hielt dem entgegen, dass die elektrischen Installationen im Jahr 2017 nicht mängelfrei gewesen seien und ein unauffälliger Stromverbrauch die Alternativhypothese nicht automatisch unwahrscheinlich mache. * Zweifel am Indizienbeweis: Das Kantonsgericht monierte, dass das Spurenauswertungsprotokoll die Wahrscheinlichkeiten der Brandursachen nicht bewertete und weitere Umstände (Zugang Dritter zum Haus, Anwesenheit einer Katze, geringere Aschemenge da Mieter kein Holz nachgelegt hatten) nicht ausreichend diskutiert wurden. * Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo": Angesichts dieser Unsicherheiten kam das Kantonsgericht zum Schluss, dass der Indizienbeweis, wonach warme Asche im Metalleimer die Brandursache war, bei objektiver Würdigung insgesamt nicht erbracht sei. Es sei nicht erstellt, dass die Asche bei der Entsorgung noch warm gewesen sei und Glut enthalten habe, zumal die Beschwerdegegnerin 2 nach ihrer eigenen Überzeugung die Asche als kalt wahrgenommen hatte. Ihre spätere Selbstreflexion, das Handeln sei fahrlässig gewesen, ändere nichts an der tatsächlichen Überzeugung im Tatzeitpunkt. Folglich sprach es die Beschwerdegegnerin 2 frei.

3. Rechtliche Problematik vor Bundesgericht: Die mündliche Verhandlung Der Beschwerdeführer beanstandete, dass das Kantonsgericht das Berufungsverfahren schriftlich durchgeführt habe, und beantragte die Rückweisung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

  • Legitimation des Beschwerdeführers: Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, obwohl der Beschwerdeführer nicht aufzeigte, inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf seine Zivilansprüche auswirken kann. Es begründete dies mit der sog. "Star-Praxis" (BGE 141 IV 1 E. 1.1), wonach eine Privatklägerschaft zur Geltendmachung rein formeller Rügen (wie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch fehlende mündliche Verhandlung) berechtigt ist, unabhängig von der fehlenden Legitimation in der Sache selbst.
  • Vorgehen der Vorinstanz: Die vorinstanzliche Verfahrensleitung hatte den Parteien mitgeteilt, dass das Verfahren voraussichtlich schriftlich durchgeführt werde und Stillschweigen als Einverständnis gewertet werde. Nach Fristablauf ordnete sie das schriftliche Verfahren an, da keine Anträge gestellt worden waren. Die Vorinstanz begründete dies lediglich mit "Art. 406 StPO".
  • Analyse des Bundesgerichts zu Art. 406 StPO:
    • Art. 406 Abs. 1 StPO (ausschliesslich Rechtsfragen): Das Bundesgericht stellte klar, dass diese Bestimmung von vornherein ausgeschlossen war. Das Kantonsgericht hatte sich nicht auf rein rechtliche Fragen beschränkt, sondern eine umfassende materielle Überprüfung des Sachverhalts vorgenommen und die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verworfen (vgl. E. 2 hiervor).
    • Art. 406 Abs. 2 StPO (Zustimmung der Parteien): Diese Bestimmung erlaubt das schriftliche Verfahren mit dem Einverständnis der Parteien, wenn die Anwesenheit der beschuldigten Person nicht erforderlich ist (lit. a) und Urteile eines Einzelgerichts Gegenstand der Berufung sind (lit. b) und es sich um eine Sache von relativ geringer Bedeutung handelt.
      • Bedeutung der Zustimmung: Das Bundesgericht betonte, dass die Zustimmung der Parteien (auch stillschweigend oder konkludent wie hier) die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO nicht ersetzen kann. Das Berufungsgericht muss von Amtes wegen prüfen, ob diese materiellen Voraussetzungen vorliegen. Liegen sie nicht vor, kann auf eine mündliche Verhandlung nicht gültig verzichtet werden (BGE 147 IV 127 E. 2.2.3).
      • Erforderlichkeit der Anwesenheit der beschuldigten Person: Nach ständiger Rechtsprechung ist die Anwesenheit der beschuldigten Person im Sinne von Art. 406 Abs. 2 lit. a StPO erforderlich, wenn das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwerfen und die beschuldigte Person (in Abänderung eines Freispruchs) schuldig sprechen will (BGE 147 IV 127 E. 3). Diesfalls kann der Sachverhalt nicht lediglich auf Grundlage der Akten festgestellt werden; vielmehr muss die beschuldigte Person zu einer mündlichen Verhandlung vorgeladen werden, damit sie sich persönlich äussern und Umstände zur Klärung des Sachverhalts und ihrer Verteidigung vorbringen kann.
      • Erweiterung des Anwendungsbereichs: Das Bundesgericht stellte klar, dass dasselbe gelten muss, wenn das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwerfen und die beschuldigte Person im Gegensatz zur Erstinstanz freisprechen will. Auch in diesem Fall kann der Sachverhalt nicht bloss aufgrund der Akten festgestellt werden.
  • Anwendung auf den vorliegenden Fall: Die Vorinstanz (Kantonsgericht) gelangte in tatsächlicher Hinsicht zu einem anderen Schluss als die Erstinstanz. Sie verwarf die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere hinsichtlich der Brandursache, und sprach die Beschwerdegegnerin 2 in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils frei. Da das Kantonsgericht die protokollierten Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 selbst würdigte und zu einer gegenteiligen Sachverhaltsfeststellung kam, wäre der persönliche Eindruck von der Beschwerdegegnerin 2 und damit deren Anwesenheit erforderlich gewesen. Das Kantonsgericht durfte den Sachverhalt unter diesen Umständen nicht bloss aufgrund der Akten feststellen, sondern hätte ein mündliches Verfahren durchführen müssen.

4. Ergebnis und Bedeutung Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, hob das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz auf und wies die Sache zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung an dieses zurück. Die Entscheidung unterstreicht die Wichtigkeit des mündlichen Verfahrens im Strafprozess, insbesondere wenn ein Berufungsgericht wesentliche Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz abändert. Dies gilt nicht nur bei einer Verschärfung des Urteils (z.B. Verurteilung nach Freispruch), sondern auch bei einer materiellen Änderung der Faktenbasis, selbst wenn dies zu einem Freispruch führt. Die Notwendigkeit der persönlichen Anhörung und des persönlichen Eindrucks der beschuldigten Person bleibt bestehen, um eine umfassende und faire Sachverhaltsklärung zu gewährleisten, die über die reine Aktenlage hinausgeht. Damit wird das Recht auf ein faires Verfahren und der Anspruch auf rechtliches Gehör in der Berufungsinstanz gestärkt, wenn es zu einer Reevaluation der Tatsachen kommt. Die Rüge des Beschwerdeführers bezüglich der Sorgfaltspflichtverletzung (E. 4) wurde nicht behandelt, da eine mündliche Verhandlung nun ohnehin stattfindet.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
  • Ausgangslage: Erstinstanzliche Verurteilung wegen fahrlässiger Brandstiftung, gefolgt von einem Freispruch durch das Kantonsgericht im schriftlichen Berufungsverfahren.
  • Kernrüge: Der Privatkläger beanstandete die Durchführung des Berufungsverfahrens im schriftlichen Verfahren, da dies sein Recht auf rechtliches Gehör verletze und eine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen wäre.
  • Entscheidende Rechtsfrage: Durfte das Kantonsgericht das Berufungsverfahren schriftlich durchführen, wenn es die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwarf und die beschuldigte Person freisprach?
  • Bundesgerichtliche Begründung:
    • Die Zustimmung der Parteien zum schriftlichen Verfahren ersetzt nicht die materiellen Voraussetzungen des Art. 406 Abs. 2 StPO.
    • Die Anwesenheit der beschuldigten Person ist erforderlich, wenn das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwerfen und den Sachverhalt neu feststellen will.
    • Dies gilt nicht nur, wenn das Gericht die beschuldigte Person (entgegen der Erstinstanz) schuldig sprechen will, sondern auch, wenn es sie (entgegen der Erstinstanz) freisprechen will, da auch in diesem Fall eine Neubeurteilung der Tatsachen, die den persönlichen Eindruck der beschuldigten Person erfordert, stattfindet.
  • Ergebnis: Das Bundesgericht hob das kantonale Urteil auf und wies die Sache zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung an das Kantonsgericht zurück, um eine ordnungsgemässe Sachverhaltsfeststellung unter Einbezug der beschuldigten Person zu ermöglichen.