Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1024/2024 vom 23. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts, Aktenzeichen 6B_1024/2024 und 6B_435/2025, vom 23. Juni 2025, befasst sich mit der Zulässigkeit von Einsprachen gegen Strafbefehle und damit verbundenen Beschwerden, insbesondere im Hinblick auf die Beschwerdelegitimation und die Rüge der formellen Rechtsverweigerung.

A. Sachverhalt und Verfahrensablauf

  1. Ursprung der Verfahren: Die Staatsanwaltschaft des Kantons Genf erliess am 19. Juni 2024 vier separate Strafbefehle gegen A.A._, D._, C._ und B.A._ wegen arglistiger Schädigung der Vermögensinteressen (Art. 151 StGB) und Urkundenfälschung (Art. 251 StGB).
  2. Erste Einsprache und ihre Folgen: A.A.__ erhob am 7. Juli 2024 Einsprache gegen alle vier Strafbefehle. Er begründete dies damit, dass er als "Geschädigter" die Legitimation habe, gegen alle Verfügungen vorzugehen, da die anderen Beschuldigten ungerechtfertigt involviert seien.
  3. Staatsanwaltschaftliche Behandlung der Einsprachen: Am 29. Juli 2024 wies die Staatsanwaltschaft die Einsprachen im Namen von B.A._, D._ und C.__ als unzulässig zurück und überwies die Sache an das Polizeigericht.
  4. Weitere Einspracheversuche und kantonale Entscheide: A.A.__ erhob am 9. August 2024 erneut "Einsprache" gegen diese staatsanwaltschaftlichen Rückweisungsverfügungen. Die Chambre pénale de recours des Genfer Justizhofs erklärte diese Beschwerde am 10. September 2024 als unzulässig, da die betreffenden Verfügungen nicht mittels Einsprache anfechtbar seien. Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht am 3. Dezember 2024 (7B_1106/2024) bestätigt.
  5. Entscheid des Polizeigerichts und erste Bundesgerichtsbeschwerde (6B_1024/2024): Das Polizeigericht stellte am 15. Oktober 2024 in drei separaten Verfügungen die Unzulässigkeit der Einsprachen fest, die A.A._ im Namen seiner Eltern und seiner Ehefrau (B.A._, C._ und D._) erhoben hatte. Begründet wurde dies damit, dass in Genf nur ein Anwalt eine Partei in Strafsachen vertreten dürfe (Art. 127 Abs. 5 StPO). A.A._ erhob daraufhin Beschwerde gegen diese Verfügungen des Polizeigerichts vor der Chambre pénale de recours. Diese erklärte die Beschwerde von A.A._ am 21. November 2024 als unzulässig, da A.A._ nicht Adressat der Verfügungen gewesen sei und somit keine rechtlich geschützte Legitimation (nur ein faktisches Interesse) besitze; zudem sei er kein Anwalt, um für seine Verwandten handeln zu können. Gegen diesen Entscheid vom 21. November 2024 erhoben A.A._, C._ und B.A._ gemeinsam Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht (6B_1024/2024).
  6. Zweite kantonale und Bundesgerichtsbeschwerde (6B_435/2025): Am 9. April 2025 entschied die Chambre pénale de recours erneut, diesmal über die separat eingereichten Beschwerden von C._ und B.A._. Sie hiess deren Beschwerden gegen die Polizeigerichtsverfügungen vom 15. Oktober 2024 gut, hob diese auf und wies die Sache an die Staatsanwaltschaft zurück zur weiteren Verfahrensführung. Gegen diesen für C._ und B.A._ günstigen Rückweisungsentscheid vom 9. April 2025 erhoben A.A._, C._ und B.A.__ erneut gemeinsam Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht (6B_435/2025).

B. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat aufgrund des identischen Sachverhalts und Prozesskomplexes auf die beiden Beschwerden 6B_1024/2024 und 6B_435/2025 ein und vereinigte sie (Art. 71 BGG).

1. Allgemeine Grundsätze zur Beschwerdelegitimation und Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden

  • Beschwerdelegitimation (Art. 81 Abs. 1 BGG): Eine Person ist zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert, wenn sie am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat oder von der Teilnahme ausgeschlossen war (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Ein solches Interesse liegt vor, wenn der Beschwerdeführer direkt und unmittelbar in seinen eigenen Rechten betroffen ist, nicht nur durch einen blossen Reflexeffekt. Ein blosses faktisches Interesse genügt nicht; die angefochtene Entscheidung muss eine Rechtsnorm verletzen, die den Schutz der Interessen des Beschwerdeführers bezweckt und aus der er ein subjektives Recht ableiten kann (vgl. u.a. ATF 150 IV 409 E. 2.5.1, 145 IV 161 E. 3.1, 144 IV 81 E. 2.3.1). Das rechtliche Interesse muss zudem aktuell und praktisch sein (ATF 150 I 154 E. 1.3).
  • Formelle Rechtsverweigerung ("Star-Praxis"): Eine klagende Partei ist ausnahmsweise berechtigt, eine Verletzung ihrer Parteirechte als formelle Rechtsverweigerung zu rügen, selbst wenn dies indirekt materielle Fragen berührt. Dies gilt insbesondere, wenn eine kantonale Beschwerde fälschlicherweise wegen mangelnder Beschwerdelegitimation als unzulässig erklärt wurde (ATF 146 IV 76 E. 2).
  • Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden (Art. 93 BGG): Ein Rückweisungsentscheid stellt grundsätzlich einen Zwischenentscheid dar (ATF 138 I 143 E. 1.2). Gegen solche Entscheide ist die Beschwerde an das Bundesgericht nur unter engen Voraussetzungen zulässig: entweder, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Ein nicht wiedergutzumachender Nachteil ist ein rechtlicher Schaden, der durch einen späteren Endentscheid oder eine andere günstige Entscheidung nicht mehr behoben werden kann. Eine blosse Verlängerung der Verfahrensdauer oder eine Erhöhung der Verfahrenskosten gelten in der Regel nicht als solcher Nachteil (ATF 147 III 159 E. 4.1).

2. Beurteilung der Beschwerde 6B_1024/2024 (betreffend den Entscheid vom 21. November 2024)

  • Legitimation von A.A.__: Das Bundesgericht stellte fest, dass die kantonale Begründung für die fehlende Beschwerdelegitimation von A.A._ (dass er nicht Adressat der Verfügungen vom 15. Oktober 2024 war und lediglich ein faktisches Interesse hatte; zudem nicht als Anwalt für seine Verwandten handeln konnte, vgl. Art. 127 Abs. 5 StPO) nicht zu beanstanden sei und im Beschwerdememorandum auch nicht substanziiert bestritten werde. Somit fehlte A.A._ die Legitimation, sich über eine allenfalls erfolgte Rechtsverweigerung zu beschweren.
  • Obsoletwerden der Rüge der Rechtsverweigerung: Die Beschwerdeführer rügten eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bzw. eine formelle Rechtsverweigerung, da die kantonale Instanz die von C._ und B.A._ selbst unterzeichneten Beschwerden ignoriert habe. Das Bundesgericht hielt jedoch fest, dass die Beschwerden von C._ und B.A._ bereits Gegenstand des separaten Entscheids vom 9. April 2025 (ACPR/282/2025) waren (welcher mit der Beschwerde 6B_435/2025 angefochten wurde). Die Rüge der Rechtsverweigerung in der Beschwerde 6B_1024/2024 ist somit, soweit sie überhaupt zulässig gewesen wäre, aufgrund der parallelen Behandlung in der anderen Sache gegenstandslos geworden.
  • Unzulässigkeit materieller Rügen: Die in der Beschwerde 6B_1024/2024 aufgeworfenen materiellen Fragen zur Unschuld der Beschuldigten sind für die Beurteilung der Zulässigkeit des kantonalen Entscheides vom 21. November 2024 unerheblich und wurden daher als unzulässig erklärt (Art. 80 Abs. 1 BGG).

3. Beurteilung der Beschwerde 6B_435/2025 (betreffend den Entscheid vom 9. April 2025)

  • Legitimation von A.A.__: Auch gegen diesen Entscheid, der C._ und B.A._ begünstigte, fehlte A.A.__ die persönliche Betroffenheit und somit die Beschwerdelegitimation.
  • Natur des angefochtenen Entscheids (Rückweisung): Der kantonale Entscheid vom 9. April 2025, der die Beschwerden von C._ und B.A._ guthiess, die Verfügungen aufhob und die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückwies, stellt einen Zwischenentscheid dar.
  • Fehlen eines irreparablen Nachteils: Die Beschwerdeführer (C._ und B.A._) legten nicht dar, inwiefern ihnen durch diesen für sie günstigen Rückweisungsentscheid ein nicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG entstehen sollte. Eine bloss mögliche Verlängerung des Verfahrens oder erhöhte Kosten stellen keinen solchen Nachteil dar. Da die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen wurde, haben die Beschwerdeführer dort weiterhin die Möglichkeit, ihre Rechte geltend zu machen.
  • Fazit zur Zulässigkeit: Da keine der Voraussetzungen für die Anfechtung eines Zwischenentscheides (Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG) erfüllt ist und die Beschwerdeführer dies auch nicht ausreichend dargelegt haben (Art. 42 Abs. 2 BGG), wurde die Beschwerde 6B_435/2025 als unzulässig erklärt.

C. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Zusammenfassend erklärte das Bundesgericht: * Die Beschwerde 6B_1024/2024 als gegenstandslos, soweit sie zulässig war. * Die Beschwerde 6B_435/2025 als unzulässig.

Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege wurden abgewiesen, da die Beschwerden von vornherein aussichtslos waren. Die Gerichtskosten von 1'200 CHF wurden den Beschwerdeführern solidarisch auferlegt.

Wesentliche Punkte in Kürze:

  1. Fehlende Beschwerdelegitimation: A.A.__ fehlte die Legitimation, Beschwerden im eigenen Namen gegen Verfügungen einzureichen, die nicht an ihn gerichtet waren oder in denen er nur ein faktisches Interesse hatte. Zudem konnte er mangels Anwaltseigenschaft seine Verwandten nicht vertreten.
  2. Obsoletwerden durch paralleles Verfahren: Die Rüge der formellen Rechtsverweigerung in Bezug auf angeblich ignorierte Beschwerden wurde gegenstandslos, da diese Beschwerden in einem parallelen, später vom Bundesgericht beurteilten Verfahren behandelt wurden.
  3. Zwischenentscheid ohne irreparablen Nachteil: Der Rückweisungsentscheid, der für die Beschwerdeführer C._ und B.A._ günstig war, wurde als Zwischenentscheid qualifiziert. Da kein nicht wiedergutzumachender Nachteil dargelegt werden konnte, war die Beschwerde dagegen unzulässig.
  4. Konsequente Anwendung der Prozessvoraussetzungen: Das Bundesgericht wendete die strengen Kriterien für die Beschwerdelegitimation und die Anfechtung von Zwischenentscheiden konsequent an, um nur Fälle mit einem tatsächlichen, rechtlich relevanten Klärungsbedarf zu behandeln.