Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_468/2024 vom 27. Mai 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_468/2024 vom 27. Mai 2025

Parteien: * Beschwerdeführende: A.A._ und B.A._ (Nachbarn) * Beschwerdegegnerschaft: C.C._, D.C._ und E.__ (Bauherrschaft) * Vorinstanz: Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung

Gegenstand: Baubewilligung für den Abbruch eines bestehenden Wohnhauses und den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Einstellhalle in Spiez.

Entscheid des Bundesgerichts: Die Beschwerde wird abgewiesen. Das Urteil der Vorinstanz, welches die Baubewilligung unter Auflagen bestätigte, wird geschützt.

I. Sachverhalt und Verfahrensablauf

Die Bauparzelle Spiez Gbbl. Nr. 3896 liegt in der Wohnzone 2 Strukturerhaltung (W2S) und im Ortsbilderhaltungsgebiet der Gemeinde Spiez. Das bestehende Wohnhaus auf dieser Parzelle beherbergt eine Mauerseglerkolonie mit 75 Nistplätzen. Die Bauherrschaft beantragte den Abbruch dieses Hauses und den Neubau eines Dreifamilienhauses. Die Nachbarn erhoben Einsprache.

Das Bauvorhaben wurde mehrfach durch die Fachberatung Gestaltung der Gemeinde Spiez kritisch beurteilt und daraufhin von der Bauherrschaft angepasst. Zur Abklärung der Naturwerte zog die Bauherrschaft ein spezialisiertes Ökologiebüro bei, das einen Kurzbericht Ökologie erstellte. Dieser empfahl Massnahmen zum Schutz der Mauerseglerkolonie, namentlich das Schaffen von alternativen Brutmöglichkeiten vor Baubeginn (Nistkästen am neuen Gebäude und ein spezieller Mauerseglerturm). Die Schweizerische Vogelwarte bestätigte in einer Stellungnahme die fachliche Korrektheit und Zielgerichtetheit dieser Massnahmen, wies aber auf ein gewisses Risiko hin, dass ein Teil der Vögel abzieht.

Das Jagdinspektorat des Kantons Bern und die Abteilung Naturförderung (ANF) des Kantons Bern erteilten eine Ausnahmebewilligung für die Entfernung der Nistplätze gemäss Art. 20 der Natur- und Heimatschutzverordnung (NHV), verbunden mit Auflagen zur Umsetzung der empfohlenen Schutz- und Ersatzmassnahmen.

Die Planungs-, Umwelt- und Baukommission der EG Spiez bewilligte das Bauvorhaben am 10. Juni 2022 unter Auflagen, die unter anderem die Fassadengestaltung und die vollumfängliche Umsetzung der im Kurzbericht Ökologie empfohlenen Massnahmen für die Mauersegler umfassten. Die von den Nachbarn erhobenen Einsprachen wurden abgewiesen. Sowohl die Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern als auch das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wiesen die Beschwerden der Nachbarn ab, soweit sie darauf eintraten.

II. Massgebende Punkte und rechtliche Argumente des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Rügen der Beschwerdeführenden im Rahmen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG). Es hält fest, dass es die Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten prüft (Art. 95 lit. a, b, c BGG). Bei Grundrechtsverletzungen (Art. 29 BV) gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt wird grundsätzlich übernommen und nur bei Offensichtlicher Unrichtigkeit (Willkür) oder einer Rechtsverletzung korrigiert (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

Die zentralen Streitpunkte und die Argumentation des Bundesgerichts waren:

1. Rechtliche Einordnung des Mauerseglerschutzes: * Argument der Vorinstanz/BAFU: Der Mauersegler ist eine nach Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. a und Art. 5 des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel (JSG) geschützte, nicht jagdbare Tierart. Er ist potenziell gefährdet ("near threatened") und auf Schutzmassnahmen angewiesen (Nationale Priorität 1). Art. 20 Abs. 1 NHG i.V.m. Art. 20 Abs. 2 lit. a NHV verbietet die Zerstörung von Nestern geschützter Vögel, wobei nicht zwischen natürlichen und künstlichen Brutstätten unterschieden wird. Für technische Eingriffe kann eine Ausnahmebewilligung erteilt werden (Art. 20 Abs. 3 lit. b NHV), sofern der Eingriff standortgebunden ist, einem überwiegenden Bedürfnis entspricht und bestmögliche Schutz- oder angemessene Ersatzmassnahmen vorgesehen sind. * Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bejaht diese rechtlichen Grundlagen explizit.

2. Standortgebundenheit und Unvermeidbarkeit des Eingriffs: * Rüge der Beschwerdeführenden: Die Vorinstanz hätte prüfen müssen, ob eine ähnliche Verdichtung auch durch Anbauten an das bestehende Haus hätte erreicht werden können, ohne die Nistplätze zu entfernen. * Argument der Vorinstanz: Die Standortgebundenheit des Neubaus wurde implizit bejaht, da kein alternativer Standort ersichtlich war. Der Eingriff in die Nistplätze sei zur Ermöglichung des Neubaus als nicht vermeidbar zu erachten. * Beurteilung des Bundesgerichts: Die Beschwerdeführenden legen nicht ansatzweise dar, wie die geplante erhebliche Wohnraumerweiterung in einem Ortsbilderhaltungsgebiet ästhetisch befriedigend durch Anbauten am bestehenden Haus hätte erreicht werden können, ohne dessen Dachgeschoss zu verändern. Daher war die Vorinstanz nicht verpflichtet, Abklärungen bezüglich Anbauten vorzunehmen. Die Unvermeidbarkeit des Eingriffs zur Realisierung des beabsichtigten Bauvorhabens wird somit bestätigt.

3. Angemessene Ersatzmassnahmen für die Mauerseglerkolonie: * Rüge der Beschwerdeführenden: Die geplanten Ersatzmassnahmen (Mauerseglerturm, Nistkästen am Neubau) seien unsicher; die Kolonie werde zwangsläufig aussterben, da Mauersegler auf ihre Brutplätze fixiert seien. * Argument der Vorinstanz: Gemäss Art. 20 Abs. 2 lit. b NHV ist ein unvermeidbarer Eingriff hinzunehmen, wenn für angemessenen Ersatz gesorgt ist. Die angefragten Fachstellen (Ökologiebüro, Schweizerische Vogelwarte, Jagdinspektorat, ANF) seien übereinstimmend zum Schluss gekommen, dass die Massnahmen den mittel- und langfristigen Erhalt der Kolonie sicherstellen. * Beurteilung des Bundesgerichts: Die Beschwerdeführenden zeigen nicht auf, inwiefern die vorinstanzliche Feststellung zur Wirksamkeit der Schutz- und Ersatzmassnahmen willkürlich sein soll. Diese Feststellung wird zudem vom BAFU in seiner Vernehmlassung bestätigt. Die Argumentation der Vorinstanz, wonach die Ersatzmassnahmen ausreichend seien, wird damit geschützt.

4. Recht auf Beweisabnahme (Antizipierte Beweiswürdigung): * Rüge der Beschwerdeführenden: Die Vorinstanz habe das Recht auf Beweisabnahme (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, indem sie auf ein beantragtes Gutachten zur Situation der Mauersegler verzichtet habe, da der Sachverhalt unklar sei und die vorliegenden Berichte (Kurzbericht Ökologie, Stellungnahme Vogelwarte) von der Bauherrschaft beauftragt und nicht ausreichend seien. * Argument der Vorinstanz: Der Kurzbericht Ökologie und die Stellungnahme der Vogelwarte bildeten eine ausreichende Grundlage für die behördliche Beurteilung. Die zuständige kantonale Fachstelle für Naturschutz habe diese geprüft und für ausreichend befunden. Aufgrund dieser umfassenden Fachberichte sei kein Anlass für ein weiteres Gutachten bestanden (antizipierte Beweiswürdigung). * Beurteilung des Bundesgerichts: Das Recht auf Beweisabnahme schliesst eine antizipierte Beweiswürdigung nicht aus, wenn ein beantragtes Beweismittel die bereits gewonnene Überzeugung der Behörde nicht erschüttern kann. Das Bundesgericht prüft dies nur unter dem Aspekt der Willkür. Die Beschwerdeführenden legen keine Willkür dar. Die Fachkenntnisse der Schweizerischen Vogelwarte sind unbestritten, und ihr Verfasser hatte die Kolonie mehrfach besucht, was den Einwand des reinen Aktenberichts entkräftet. Auch durften die vorinstanzlichen Gerichte die privaten Berichte grundsätzlich als beweistauglich erachten. Die Annahme der Vorinstanz, ein weiteres Gutachten würde nichts ändern, ist somit nicht willkürlich.

5. Interessenabwägung: * Rüge der Beschwerdeführenden: Die Interessenabwägung verletze das NHG, da die Kolonie aussterben werde und nur private Interessen der Bodenrendite entgegenstünden, ohne relevante öffentliche Interessen an baulicher Verdichtung, da nur ein Dreifamilien- statt Zweifamilienhaus entstehe und die Verdichtung durch Ortsbildschutz begrenzt sei. * Argument der Vorinstanz: Obwohl die Nistplätze wichtig sind, sind Mauersegler nicht als gefährdet eingestuft und ihre Brutgebiete grundsätzlich nicht beschränkt. Die Fachstellen haben dem Eingriff unter Auflagen zugestimmt. Demgegenüber stehen private Interessen an der zonengemässen Nutzung und das erhebliche öffentliche Interesse an der Siedlungsentwicklung nach innen (Art. 1 Abs. 1 und 2 lit. a bis und b RPG) durch bessere Ausnützung und Verdichtung bestehender Siedlungsflächen. Das geplante Dreifamilienhaus (422.9 m² Bruttogeschossfläche auf 862 m² Parzelle) stellt eine intensive, RPG-konforme Nutzung dar. Dieses Interesse überwiegt die Interessen am Erhalt der bisherigen Nistplätze, zumal Ersatzmassnahmen den Eingriff erheblich mildern. * Beurteilung des Bundesgerichts: Die Rüge stützt sich auf Sachverhaltsangaben, die von den willkürfrei festgestellten Tatsachen abweichen (z.B. zur Wirksamkeit der Ersatzmassnahmen). Die Erweiterung um eine Wohneinheit und die wesentlich grössere Nutzfläche des Neubaus führen zu einer erheblichen Erweiterung der Wohnfläche und somit zu einer Verdichtung, welche der zentralen Zielsetzung des Raumplanungsgesetzes (Siedlungsentwicklung nach innen) entspricht. Das entsprechende öffentliche und private Interesse an der Realisierung des Bauvorhabens durfte die Vorinstanz als gewichtiger qualifizieren als die Interessen am Erhalt der bisherigen Nistplätze, zumal der mittel- und langfristige Erhalt der Mauerseglerkolonie durch die auflageweise vorgeschriebenen Schutz- und Ersatzmassnahmen sichergestellt werden kann.

6. Ortsbildschutz: * Rüge der Beschwerdeführenden: Verletzung des Rechts auf Beweisabnahme durch Verzicht auf ein Gutachten der kantonalen Kommission zur Pflege der Orts- und Landschaftsbilder (OLK). Die Fachberatung Gestaltung habe das finale Projekt nicht beurteilt und noch Verbesserungen verlangt. * Argument der Vorinstanz: Gemäss kantonalem Baugesetz (Art. 10 Abs. 5 lit. a BauG BE) wird die OLK nicht beigezogen, wenn eine leistungsfähige örtliche Fachstelle (hier: Fachberatung Gestaltung) bereits begutachtet hat. Der Gesamtbauentscheid hat die letzten Vorgaben der Fachberatung Gestaltung umgesetzt. * Beurteilung des Bundesgerichts: Die Rüge ist unbegründet. Die Fachberatung Gestaltung kritisierte im dritten Bericht im Wesentlichen nur noch die Grösse und Form eines Fensters, was in der Anpassung des Projekts berücksichtigt wurde. Die Beschwerdeführenden rügen selbst nicht, dass dies nicht ausreichend gewesen sei. Die kantonalen Instanzen durften in antizipierter Beweiswürdigung annehmen, dass eine Stellungnahme der OLK nichts mehr an ihrer Beurteilung geändert hätte.

III. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Nachbarn gegen eine Baubewilligung ab, die den Abbruch eines Wohnhauses und den Neubau eines Mehrfamilienhauses vorsieht.

  1. Mauersegler-Schutz: Der Eingriff in die Nistplätze der geschützten Mauerseglerkolonie ist unvermeidbar und zulässig, da effektive und angemessene Ersatzmassnahmen (u.a. Mauerseglerturm, Nistkästen am Neubau) auflageweise vorgeschrieben wurden, deren Wirksamkeit von den Fachstellen bestätigt wird. Die Rügen der Beschwerdeführenden bezüglich der Ungewissheit der Ersatzmassnahmen und der Notwendigkeit weiterer Gutachten wurden als unbegründet oder willkürfrei abgewiesen.
  2. Interessenabwägung: Das öffentliche Interesse an der inneren baulichen Verdichtung gemäss Raumplanungsgesetz (RPG) und das private Bauinteresse überwiegen die Interessen am Erhalt der ursprünglichen Nistplätze. Die erhebliche Wohnraumerweiterung durch den Neubau entspricht der RPG-Zielsetzung.
  3. Ortsbildschutz: Die Eingliederung des Neubaus in das Ortsbild wird als ausreichend beurteilt. Die Vorinstanzen durften auf weitere Gutachten verzichten, da bereits umfassende Beurteilungen durch die lokale Fachberatung Gestaltung vorlagen und deren Kritikpunkte im Projekt umgesetzt wurden.
  4. Beweisrecht: Das Bundesgericht bestätigt die Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung der Vorinstanzen; es wurde kein Verstoss gegen das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) festgestellt. Die von den Beschwerdeführenden beantragten zusätzlichen Gutachten versprachen keine neuen Erkenntnisse.