Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_199/2025 vom 18. Juli 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (2C_199/2025 vom 18. Juli 2025) detailliert zusammen:

1. Parteien und Streitgegenstand

  • Rekurrent: A.__, geboren 1981, angeblich Staatsangehöriger von Sierra Leone. Vertreten durch Rechtsanwältin Me Dina Bazarbachi.
  • Intimierter: Commissaire de police du canton de Genève, Service des Commissaires de Police.
  • Streitgegenstand: Die Rechtmässigkeit einer durch den Polizeikommissär des Kantons Genf angeordneten territorialen Zuweisung (interdiction de quitter le territoire d'une commune, im Wesentlichen eine Residenzzuweisung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 lit. a und b des Ausländer- und Integrationsgesetzes, AIG) und insbesondere die Folgen einer Überschreitung der kantonalrechtlich vorgesehenen richterlichen Überprüfungsfrist.
  • Vorinstanzlicher Entscheid: Das Bundesgericht befasste sich mit einem Entscheid der Cour de justice der Republik und des Kantons Genf, Chambre administrative, vom 3. März 2025, welcher den Rekurs des A.__ gegen das Urteil des Tribunal administratif de première instance vom 18. Februar 2025 abwies. Die erste Instanz hatte die Residenzzuweisung in ihrer Dauer zwar von zwölf auf sechs Monate reduziert, die Massnahme aber im Grundsatz bestätigt.

2. Sachverhalt

A.__, der sich als sierra-leonischer Staatsangehöriger bezeichnet, hatte in der Schweiz zwei erfolglose Asylgesuche (1999 und 2011) gestellt, die zu Nichteintretens- und Wegweisungsentscheiden des Staatssekretariats für Migration (SEM) führten. Zudem wurde ihm 2016 ein bis 2019 gültiges Einreiseverbot auferlegt.

Zwischen 2014 und 2022 wurde A.__ sechs Mal verurteilt, unter anderem wegen illegalen Aufenthalts, unbewilligter Erwerbstätigkeit, Widerstands gegen Behördenakte, Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz (LStup) und Fahnenflucht. Besonders hervorzuheben sind eine Verurteilung von 2016 zu 80 Tagen Freiheitsstrafe wegen Betäubungsmitteldelikten und eine Verurteilung von 2019 zu 18 Monaten Freiheitsstrafe mit einer obligatorischen Landesverweisung von zehn Jahren, ebenfalls wegen schwerwiegender Betäubungsmitteldelikte.

Im März 2020 wurde A.__ an portugiesische Behörden ausgeliefert, kehrte aber zu einem unbekannten Zeitpunkt in die Schweiz zurück. Am 15. Februar 2024 wurde er in Genf festgenommen, wobei er angab, keinen festen Wohnsitz zu haben. Am 28. Mai 2024 wurde er wegen Fahnenflucht und Verhinderung einer Amtshandlung zu einer Geldstrafe verurteilt. Am selben Tag ordnete der Polizeikommissär seine Administrativhaft an, die bis zum 28. Januar 2025 verlängert wurde. Während der Haft fanden Delegationsbesuche zur Identitätsklärung statt: Eine Delegation aus Sierra Leone gab an, den Fall "prüfen" zu müssen, während eine malische Delegation ihn nicht als Staatsangehörigen anerkannte und einen Termin mit einer Delegation aus Guinea-Conakry vorschlug, welcher im ersten Halbjahr 2025 stattfand.

Am 28. Januar 2025, 12:40 Uhr, wurde A._ eine territoriale Zuweisung notifiziert, die ihm für zwölf Monate das Verlassen des Gebiets der Gemeinde U._ untersagte. Gegen diesen Entscheid erhob A.__ am 7. Februar 2025 (Eingang 11. Februar 2025, 8:40 Uhr) bei der ersten Instanz (Tribunal administratif de première instance) Einsprache. Am 18. Februar 2025 fand eine Anhörung statt, worauf das Tribunal am selben Tag die Einsprache teilweise guthiess und die Dauer der Zuweisung aus Proportionalitätsgründen auf sechs Monate reduzierte.

A.__ rekurrierte daraufhin bei der Cour de justice und rügte eine Verletzung der im kantonalen Recht (Art. 9 Abs. 1 lit. a des Genfer Gesetzes zur Anwendung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer, LaLEtr) vorgesehenen 96-Stunden-Frist für den erstinstanzlichen Entscheid über die Rechtmässigkeit der Massnahme. Die Cour de justice wies diesen Rekurs am 3. März 2025 ab.

3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

A. Zulässigkeit des Rechtsmittels (Rz. 1) Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit des Rechtsmittels. Der Rekurrent reichte sowohl eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (recours en matière de droit public) als auch eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein. Da die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen kantonale Massnahmen des Freiheitsentzugs grundsätzlich offensteht und die Voraussetzungen (Endentscheid, letzte kantonale Instanz, Frist, Form, Schutzwürdiges Interesse) erfüllt sind, war sie zulässig. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde war folglich unzulässig. Feststellungsbegehren des Rekurrenten (z.B. Feststellung der Willkürlichkeit oder Nichtigkeit) wies das Bundesgericht als unzulässig ab, da sie subsidiären Charakter haben oder die vorinstanzliche Entscheidung aufgrund der devolutiven Wirkung des Rechtsmittels die ursprüngliche Anordnung ersetzt.

B. Kognition des Bundesgerichts (Rz. 2) Das Bundesgericht prüft Bundesrecht, einschliesslich Verfassungsrecht, frei. Eine Verletzung von kantonalem Recht kann nur gerügt werden, wenn sie eine Verletzung von Bundesrecht (insbesondere Willkür gemäss Art. 9 BV) darstellt. Eine solche Rüge muss gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG klar und präzise begründet werden. Der Sachverhalt, wie er von der Vorinstanz festgestellt wurde, ist für das Bundesgericht grundsätzlich bindend (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, er wurde offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder unter Verletzung von Bundesrecht festgestellt. Eine vom Rekurrenten geltend gemachte Tatsache (mangelnde Wegweisungsbemühungen der Behörden), die dem Sachverhalt der Vorinstanz widersprach, wurde vom Bundesgericht als nicht willkürlich festgestellt und damit als bindend erachtet.

C. Materielle Voraussetzungen der Residenzzuweisung (Rz. 3) Der Streit drehte sich nicht um die materiellen Voraussetzungen der Massnahme, sondern um die formellen Konsequenzen der Fristüberschreitung. Die Residenzzuweisung kann gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. a AIG angeordnet werden, wenn ein Ausländer keinen kurzfristigen, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt und die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet (z.B. zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels). Gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b AIG kann sie auch angeordnet werden, wenn eine rechtskräftige Wegweisungsverfügung vorliegt und konkrete Anhaltspunkte befürchten lassen, dass der Ausländer die Schweiz nicht fristgerecht verlassen wird oder die Frist bereits missachtet hat. In diesem Fall dient die Massnahme dazu, den Aufenthaltsort zu kontrollieren und die Verfügbarkeit für die Vorbereitung und Durchführung der Wegweisung sicherzustellen. Das Bundesrecht (AIG) sieht im Gegensatz zur Administrativhaft (Art. 78 Abs. 4 und Art. 80 Abs. 2 AIG) keine Frist vor, innerhalb derer der Richter über die Rechtmässigkeit und Angemessenheit einer Residenzzuweisung zu entscheiden hat. Der Kanton Genf hat jedoch in Art. 9 Abs. 1 lit. a LaLEtr eine solche Frist von 96 Stunden nach Anrufung des Gerichts für die Überprüfung einer Residenzzuweisung vorgesehen.

D. Folgen der Fristüberschreitung (Willkürrüge, Rz. 4) Der Rekurrent rügte Willkür (Art. 9 BV) in der Anwendung des kantonalen Rechts, da die Nichteinhaltung der 96-Stunden-Frist seiner Ansicht nach zur Aufhebung der Massnahme führen müsse. Er berief sich zudem auf Art. 5 Abs. 3, Art. 29 Abs. 1 und 2, Art. 29a und Art. 30 BV sowie auf die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Beschleunigung und des Vertrauensschutzes.

  • Standard der Willkürprüfung: Das Bundesgericht weicht von der kantonalen Rechtsanwendung nur ab, wenn diese offensichtlich unhaltbar ist, eine klare und unbestrittene Rechtsnorm oder einen Rechtsgrundsatz schwerwiegend missachtet oder das Gerechtigkeitsempfinden in krasser Weise verletzt. Nicht nur die Begründung, sondern auch das Ergebnis der Entscheidung muss willkürlich sein.

  • Begründung der Cour de justice: Die Cour de justice stellte fest, dass die erste Instanz die 96-Stunden-Frist um 3,5 Tage überschritten hatte. Für die Beurteilung der Konsequenzen dieser Verletzung bezog sich die Cour de justice auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Administrativhaft (insbesondere Art. 80 Abs. 2 AIG) und wandte deren Grundsätze sinngemäss (mutatis mutandis) an. Gemäss dieser Rechtsprechung führt nicht jede Verletzung von Verfahrensregeln, einschliesslich zwingender Fristen, zwingend zur Freilassung des Betroffenen. Es ist eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, insbesondere der Bedeutung der verletzten Regel für die Rechte des Betroffenen und des öffentlichen Interesses an einer effektiven Wegweisung. Letzteres Gewicht ist besonders gross, wenn der Ausländer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Nur bei Verletzung wesentlicher Verfahrensgarantien muss der Betroffene freigelassen werden, es sei denn, es liegen hinreichende Anhaltspunkte für eine ernsthafte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor.

  • Anwendung durch die Cour de justice im konkreten Fall: Die Cour de justice hielt fest, dass die kantonale Frist von 96 Stunden zwingend sei und die Verletzung der Verfahrensrechte des Rekurrenten als schwerwiegend einzustufen sei. Der Rekurrent habe jedoch keinen wesentlichen Nachteil aus dieser Verletzung erlitten. Die Massnahme beschränke seine Bewegungsfreiheit auf eine Genfer Gemeinde mit über 37'000 Einwohnern und einer Fläche von über 7 km2, die alle Annehmlichkeiten biete, was nicht mit einer einschneidenderen Massnahme wie der Administrativhaft vergleichbar sei. Zudem habe der Anwalt des Rekurrenten an der Anhörung angegeben, dass sein Mandant an einer Grippe leide und das Heim, in dem er wohnte, nicht verlassen konnte. Aus Sicht des öffentlichen Interesses betonte die Cour de justice die strafrechtliche Vorgeschichte des Rekurrenten (insbesondere die Verurteilung von 2019 zu 18 Monaten Freiheitsstrafe), die ein gewisses Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Es bestehe auch ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Fortsetzung des Wegweisungsverfahrens des Rekurrenten, da dieser sich weigere, die Schweiz zu verlassen, und nur unvollkommen an der Identitätsklärung seines Herkunftslandes mitarbeite. Eine Aufhebung der Residenzzuweisung würde die Massnahmen zur Vollstreckung seiner Wegweisung erschweren. Daher sei die Massnahme trotz Fristüberschreitung gerechtfertigt.

  • Beurteilung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht befand, es sei nicht willkürlich, die Grundsätze der Administrativhaft sinngemäss auf die Residenzzuweisung anzuwenden. Da die Residenzzuweisung weniger einschneidend sei als die Administrativhaft, sei es umso mehr gerechtfertigt, überwiegende öffentliche Interessen bei der Beurteilung der Folgen einer Fristverletzung zu berücksichtigen. Das Bundesgericht bestätigte die Einschätzung der Cour de justice, dass die Fristüberschreitung von 3,5 Tagen zwar erheblich sei, der Rekurrent daraus aber keinen konkreten Nachteil erlitten habe. Angesichts der strafrechtlichen Verurteilungen im Bereich der Betäubungsmittel und der laufenden Bemühungen zur Identifizierung und Wegweisung des Rekurrenten habe die Cour de justice willkürfrei befunden, dass die öffentlichen Interessen überwiegen und die Beibehaltung der Massnahme trotz Fristüberschreitung rechtfertigen. Die Argumente des Rekurrenten, die Massnahme diene nur der Wegweisung und die Frist würde ausgehöhlt, wies das Bundesgericht ab, da die Residenzzuweisung gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. a AIG auch dem Schutz der öffentlichen Sicherheit diene und die Cour de justice keine generelle "Carte Blanche" für Fristverletzungen erteilt habe. Auch die Behauptung der Dringlichkeit konnte den festgestellten Sachverhalt, dass kein konkreter Nachteil entstand, nicht widerlegen.

  • Weitere Verfassungsrügen: Die weiteren Verfassungsrügen (Art. 5 Abs. 3, 29 Abs. 1 und 2, 29a und 30 BV) wurden vom Bundesgericht nicht geprüft, da der Rekurrent sie lediglich erwähnt, aber nicht substantiiert darlegt hatte, inwiefern sie unabhängig von der Willkürrüge verletzt worden seien (mangelnde Begründung gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG).

4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab, soweit sie zulässig war, und erklärte die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Da die Rechtsmittel von vornherein aussichtslos waren, wurde das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgelehnt. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Residenzzuweisung des Rekurrenten, obwohl die kantonale Gerichtsinstanz die gesetzliche 96-Stunden-Frist für die Überprüfung der Massnahme um 3,5 Tage überschritten hatte. Es hielt fest, dass nicht jede Verfahrensverletzung zwingend zur Aufhebung einer solchen Massnahme führen muss. Vielmehr ist eine Interessenabwägung zwischen den Rechten des Betroffenen und den öffentlichen Interessen vorzunehmen. Da die Residenzzuweisung weniger einschneidend ist als die Administrativhaft und der Rekurrent aus der Fristüberschreitung keinen konkreten Nachteil erlitten hat, während gleichzeitig ein erhebliches öffentliches Interesse an seiner Wegweisung und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit aufgrund seiner Vorstrafen (insbesondere Betäubungsmitteldelikte) bestand, durften die kantonalen Gerichte die Massnahme willkürfrei aufrechterhalten. Die vom Rekurrenten geltend gemachten weiteren Verfassungsrügen wurden mangels Begründung nicht geprüft.