Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (9C_260/2025 vom 4. Juli 2025) befasst sich mit den Rechtsmitteln eines Steuerpflichtigen gegen Bussen wegen versuchter Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der direkten Bundessteuer (DBSt) sowie den kantonalen und kommunalen Steuern (K+G-Steuern) für die Steuerperioden 2011 bis 2014.
I. Sachverhalt und Vorverfahren
Der Beschwerdeführer, A.A._, war Verwaltungsrat, Präsident und Mehrheitsaktionär der Gesellschaft C._ SA. Die kantonalen Steuerbehörden hatten in den Steuerperioden 2011 bis 2014 bei ihm und seiner Ehefrau diverse Leistungen als "prestations appréciables en argent" (verdeckte Gewinnausschüttungen) aus der Gesellschaft dem steuerbaren Einkommen zugerechnet. Diese Nachveranlagungen wurden durch ein Urteil des Kantonsgerichts Waadt vom 21. November 2024 (FI.2024.0067) rechtskräftig. Gestützt auf diese definitiven Veranlagungen erliess die Steuerverwaltung am 19. Mai 2022 eine Busse wegen versuchter Steuerhinterziehung für die genannten Perioden, welche nach einer Einsprache am 21. März 2024 in der Höhe von CHF 54'350 für die K+G-Steuern und CHF 17'550 für die DBSt festgesetzt wurde. Das Kantonsgericht Waadt erklärte die Beschwerde bezüglich der DBSt als unzulässig und wies sie bezüglich der K+G-Steuern ab.
II. Massgebende Rechtsfragen und Argumente
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Zur direkten Bundessteuer (DBSt): Fristenwiederherstellung und Gerichtsferien
Das Kantonsgericht hatte die Beschwerde des Steuerpflichtigen bezüglich der DBSt als unzulässig erklärt, da sie nach Ablauf der 30-tägigen Beschwerdefrist eingereicht worden war. Die Frist war am 22. April 2024 abgelaufen, die Beschwerde aber erst am 6. Mai 2024 eingereicht worden.
- Argumente des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer machte geltend, dass die Gerichtsferien auch für DBSt-Verfahren auf kantonaler Ebene gelten müssten und dass die Krankheit seines Anwalts eine Fristenwiederherstellung gemäss Art. 133 Abs. 3 DBG rechtfertige.
- Begründung des Bundesgerichts:
- Gerichtsferien: Das Bundesgericht bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, wonach die Fristen im DBSt-Verfahren vor den kantonalen Behörden nicht während der Gerichtsferien stillstehen (vgl. BGE 142 II 293 E. 1.2; Urteil 9C_685/2023 vom 23. April 2024 E. 2.2.3.2; 2C_89/2015 vom 23. Oktober 2015 E. 6.3). Die Regelungen in Art. 133 und 140 DBG seien abschliessend. Eine "umgekehrte Harmonisierung" sei nicht zulässig. Die Argumentation des Beschwerdeführers, diese Rechtsprechung sei "saugrenue" oder "willkürlich", reicht nicht aus, um von der etablierten Praxis abzuweichen.
- Fristenwiederherstellung: Auch die Krankheit des Rechtsbeistands des Beschwerdeführers rechtfertigt keine Fristenwiederherstellung. Gemäss Art. 133 Abs. 3 DBG ist eine Wiederherstellung nur möglich, wenn der Steuerpflichtige ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten, und die Handlung innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses vornimmt. Das Bundesgericht hält fest, dass die blosse Behauptung der Krankheit nicht ausreicht. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen sein Rechtsvertreter nicht in der Lage gewesen wäre, eine dritte Person mit der fristgerechten Einreichung der Beschwerde zu beauftragen (vgl. Urteil 2C_183/2022 vom 31. Mai 2022 E. 3.2).
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Zu den kantonalen und kommunalen Steuern (ICC): Versuch der Steuerhinterziehung
Das Kantonsgericht hatte die Bussen wegen versuchter Steuerhinterziehung für die K+G-Steuern bestätigt.
- Argumente des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) aufgrund unzureichender Begründung, bestritt das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung und berief sich auf Verjährung. Er behauptete, er habe sich lediglich "über die Art und Weise der Deklaration" geirrt und nie die Absicht gehabt, "etwas zu verstecken". Das Vertrauen auf ein "penibles und minutiöses" Treuhandunternehmen sei zu berücksichtigen.
- Begründung des Bundesgerichts:
- Verjährung: Das Bundesgericht bestätigt, dass die Verjährung der Verfolgung des Steuerhinterziehungsversuchs für die fraglichen Perioden (2011-2014) nicht eingetreten ist. Gemäss Art. 58 Abs. 1 StHG (neues Recht, lex mitior) beträgt die Verjährungsfrist sechs Jahre. Die Frist beginnt mit dem rechtskräftigen Abschluss des Veranlagungsverfahrens, in dem die versuchte Hinterziehung begangen wurde. Dies war im vorliegenden Fall das Urteil des Kantonsgerichts vom 21. November 2024 (FI.2024.0067), welches rechtskräftig geworden ist.
- Recht auf rechtliches Gehör (Begründungspflicht): Die Rüge des Beschwerdeführers wegen angeblich unzureichender Begründung des Kantonsgerichts wird als "an die Frechheit grenzend" bezeichnet. Das Kantonsgericht hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale sowie die Schuld des Beschwerdeführers über mehrere Seiten detailliert dargelegt und begründet.
- Objektive Tatbestandsmerkmale: Das Bundesgericht verweist auf die definitiven Feststellungen des Kantonsgerichts. Die der Steuerhinterziehung zugrunde liegenden Beträge sind rechtskräftig als "prestations appréciables en argent" (verdeckte Gewinnausschüttungen) qualifiziert und besteuert worden. Diese umfassten die Überlassung einer Wohnung durch die Gesellschaft, private Anteile an Fahrzeugkosten sowie Reise- und Repräsentationsspesen, die dem Beschwerdeführer zugeflossen waren, ohne angemessen deklariert zu werden. Da das zugrunde liegende Veranlagungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, sind die Höhe und Art der zugerechneten Leistungen unbestritten.
- Subjektive Tatbestandsmerkmale (Vorsatz/Eventualvorsatz): Das Bundesgericht bestätigt die Einschätzung des Kantonsgerichts, dass der Beschwerdeführer die Steuerhinterziehung zumindest mit Eventualvorsatz begangen hat.
- Rolle des Beschwerdeführers: Als Verwaltungsratspräsident und Mehrheitsaktionär der Gesellschaft konnte er nicht ignorieren, dass er Gelder unrechtmässig aus der Gesellschaft entnahm und die Gesellschaftskonten mit nicht geschäftsmässig begründeten Kosten belastete.
- Persönliche Unterzeichnung: Er unterzeichnete die Steuererklärungen persönlich. Angesichts der erheblichen Differenz zwischen den deklarierten und den später rechtskräftig festgesetzten Einnahmen (Zusatzsteuer von CHF 54'350 für die ICC) war es ihm unmöglich, dies nicht zu bemerken.
- Vorsatzvermutung: Das Bundesgericht bekräftigt die Rechtsprechung, wonach, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige sich der Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der gemachten Angaben bewusst war, davon auszugehen ist, dass er die Steuerbehörden freiwillig täuschen wollte oder zumindest mit Eventualvorsatz handelte, um eine tiefere Veranlagung zu erzielen (vgl. Urteil 9C_257/2024 vom 24. Juni 2024 E. 7.3).
- Vertrauen auf Treuhänder: Das Argument, er habe sich auf ein "penibles und minutiöses" Treuhandunternehmen verlassen, entbindet den Beschwerdeführer nicht von seiner strafrechtlichen Verantwortung. Bei der gebotenen Sorgfalt hätte er die Fehlerhaftigkeit der Steuererklärung erkennen können.
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Strafzumessung
Das Bundesgericht verweist auf die detaillierte Begründung des Kantonsgerichts zur Strafzumessung. Das Kantonsgericht berücksichtigte sowohl mildernde (Zeitablauf) als auch erschwerende Umstände (Vielzahl der Steuerperioden, in denen versucht wurde, Steuern zu hinterziehen, und die Höhe der nachbelasteten Beträge von über CHF 300'000).
III. Fazit
Das Bundesgericht weist die Beschwerden des Steuerpflichtigen sowohl bezüglich der direkten Bundessteuer (DBSt) als auch der kantonalen und kommunalen Steuern (ICC) ab, soweit diese überhaupt zulässig waren. Die Rügen des Beschwerdeführers, insbesondere die fehlenden Gerichtsferien im DBSt-Verfahren und die Voraussetzungen für eine Fristenwiederherstellung sowie die materiellen und prozessualen Aspekte des Steuerhinterziehungsversuchs bei den K+G-Steuern, werden als unbegründet erachtet.
IV. Wesentliche Punkte zusammenfassend:
- Keine Gerichtsferien im DBSt-Verfahren auf kantonaler Ebene: Das Bundesgericht hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die Fristen im Verfahren der direkten Bundessteuer vor kantonalen Instanzen nicht während der Gerichtsferien stillstehen.
- Strenge Anforderungen an Fristenwiederherstellung: Die Krankheit eines Rechtsbeistands rechtfertigt eine Fristenwiederherstellung nur, wenn die absolute Unmöglichkeit, einen Dritten zur Fristeinhaltung einzuschalten, dargelegt werden kann.
- Verjährung bei Steuerhinterziehung: Die Verfolgungsverjährung für Steuerhinterziehungsversuche beginnt erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Veranlagungsverfahrens, in dem die hinterzogenen Beträge endgültig festgesetzt werden.
- Vorsatz bei Steuerhinterziehung: Der Steuerpflichtige handelt bei bewusster Falschdeklaration zumindest mit Eventualvorsatz, wenn er die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Angaben kennt. Die Berufung auf einen Treuhänder entbindet nicht von der persönlichen strafrechtlichen Verantwortung, wenn die Fehlerhaftigkeit der Steuererklärung bei gebotener Sorgfalt erkennbar gewesen wäre.
- Objektive Tatbestandsmerkmale als rechtskräftig verifiziert: Die der Busse zugrunde liegenden verdeckten Gewinnausschüttungen sind durch das vorangegangene Veranlagungsverfahren bereits rechtskräftig festgestellt worden und daher im Bussenverfahren nicht mehr strittig.