Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_138/2024 vom 8. Juli 2025 befasst sich mit der zentralen Frage der Anrechnung eines Konkubinatsbeitrags im Rahmen der wirtschaftlichen Sozialhilfe, insbesondere wenn der nicht unterstützte Konkubinatspartner Ergänzungsleistungen (EL) zur Invalidenversicherung (IV) bezieht.
1. Sachverhalt und Streitgegenstand
Der Beschwerdeführer A._ (geb. 1990) lebt mit seiner Partnerin B._ (geb. 1994) und zwei gemeinsamen Kindern (geb. 2018 und 2019) in einem stabilen Konkubinat. Die Partnerin bezieht eine IV-Rente, IV-Kinderrenten und Ergänzungsleistungen. A._ erhält wirtschaftliche Sozialhilfe von der Gemeinde Volketswil. Die Sozialbehörde und die Vorinstanz (Verwaltungsgericht des Kantons Zürich) haben im Unterstützungsbudget von A._ einen Konkubinatsbeitrag der Partnerin angerechnet, was zu einer Reduktion seiner Sozialhilfeleistungen führte.
Der Streitgegenstand ist die Frage, ob die Anrechnung dieses Konkubinatsbeitrags im Unterstützungsbudget des sozialhilfeabhängigen Partners A._ bundesrechts- bzw. verfassungskonform ist, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Partnerin B._ Ergänzungsleistungen bezieht. Unbestritten ist das Vorliegen eines stabilen Konkubinats und dass nur der Beschwerdeführer sozialhilferechtlich unterstützt wird, während seine Partnerin und die Kinder Leistungen der Invalidenversicherung und Ergänzungsleistungen erhalten.
2. Rechtliche Grundlagen und Prinzipien
Das Bundesgericht rekapituliert die massgebenden rechtlichen Grundlagen:
* Kantonales Sozialhilferecht (Zürich): Gemäss § 1 Abs. 1 SHG/ZH sind die Gemeinden für die notwendige Hilfe in Notlagen zuständig. Die Hilfe bemisst sich nach den Bedürfnissen des Einzelfalls (§ 2 Abs. 1 SHG/ZH) und soll das soziale Existenzminimum gewährleisten (§ 15 Abs. 1 SHG/ZH). Die Bemessung erfolgt nach den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien; § 17 Abs. 1 Satz 2 SHV/ZH). Zu den eigenen Mitteln zählen gemäss § 16 Abs. 2 SHV/ZH alle Einkünfte und Vermögen der hilfesuchenden Personen und der mit ihnen zusammenlebenden Ehegatten bzw. eingetragenen Partner.
* Subsidiaritätsprinzip: Die Sozialhilfe wird vom Subsidiaritätsprinzip beherrscht (BGE 141 I 153 E. 4.2). Dies bedeutet, dass Sozialhilfe nur gewährt wird, soweit der Einzelne keinen Zugang zu einer anderweitigen, zumutbaren Hilfsquelle hat. Es ist Ausdruck der in Art. 6 BV verankerten Pflicht zur Mitverantwortung und Solidarität. Andere gesetzliche Leistungen und Leistungen Dritter sind bei der Bemessung der Sozialhilfe zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 2 SHG/ZH).
* Konkubinat im Sozialhilferecht: Bei Personen, die in einer familienähnlichen Wohn- und Lebensgemeinschaft (stabiles Konkubinat) zusammenleben und nur eine Person Sozialhilfe bezieht, dürfen Einkommen und Vermögen des nicht unterstützten Konkubinatspartners im Unterstützungsbudget des anderen Partners angemessen berücksichtigt werden (SKOS-Richtlinien, Kapitel D.4.4 Abs. 1; BGE 141 I 153 E. 4.3). Ein Konkubinat gilt als stabil, wenn es mindestens zwei Jahre dauert oder die Partner mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben.
3. Begründung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in allen Punkten ab und bestätigt die Anrechnung des Konkubinatsbeitrags.
3.1. Grundsätzliche Anrechnung des Konkubinatsbeitrags
- Legalitätsprinzip: Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung des Legalitätsprinzips, da der Verweis auf die SKOS-Richtlinien in § 17 SHV/ZH keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine so weitreichende Massnahme darstelle und ein Gesetz im formellen Sinn erforderlich sei. Das Bundesgericht hält fest, dass im Bereich der Leistungsverwaltung, zu der die Sozialhilfe gehört, die Anforderungen an die Bestimmtheit des Rechtssatzes und die Gesetzesform weniger streng gehandhabt werden (BGE 150 I 1 E. 4.4.2). Es genüge, wenn die Grundlinien des staatlichen Eingriffs im Gesetz festgelegt sind und die konkreten Modalitäten in einer Verordnung geregelt werden können. Die Rechtsprechung anerkennt, dass ein Verweis auf die SKOS-Richtlinien in der kantonalen sozialhilferechtlichen Gesetzgebung diese verbindlich macht (BGE 136 I 129 E. 8.1). Die Aufzählung der zu berücksichtigenden Personen in § 16 Abs. 2 SHV/ZH sei nicht abschliessend, was die Vorinstanz willkürfrei dargelegt habe.
- Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot (Art. 8 BV, Art. 14 EMRK) sowie persönliche Freiheit und Recht auf Familie (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK): Der Beschwerdeführer machte geltend, die Anrechnung verletze diese Grundrechte aufgrund der gewichtigen rechtlichen Unterschiede zwischen Ehe und Konkubinat (fehlende gegenseitige Beistands- und Unterstützungspflicht, keine sozialversicherungsrechtliche Absicherung). Das Bundesgericht entgegnet, dass trotz dieser juristischen Unterschiede im Recht der Sozialhilfe die Berücksichtigung eines stabilen Konkubinats in der Bedarfsrechnung zulässig, ja sogar geboten und nicht willkürlich ist. Die Frage der wirtschaftlichen Not des um Hilfe ersuchenden Partners kann nicht unabhängig von den finanziellen Verhältnissen des nicht sozialhilfeabhängigen Partners beurteilt werden; vielmehr drängt es sich auf, die Einkünfte beider Partner zu berücksichtigen (BGE 136 I 129 E. 6.2). Diese "wirtschaftliche Betrachtungsweise" basiert auf der tatsächlich gelebten Solidarität in einem gefestigten Konkubinat. Eine Nichtberücksichtigung würde den Gedanken der Solidarität und des gemeinsamen Wirtschaftens in den beiden Gemeinschaften (Ehe und Konkubinat) ohne hinreichenden Grund ungleich behandeln. Gleichzeitig werden im Sozialhilferecht gewisse Grenzen gezogen, indem dem nicht unterstützten Partner ein erweitertes SKOS-Budget zugestanden wird, das u.a. Unterhaltszahlungen, Steuern oder Schuldentilgung berücksichtigt (BGE 136 I 129 E. 6.2).
- Öffentliches Interesse: Die Anrechnung eines Konkubinatsbeitrags liege nicht im öffentlichen Interesse und laufe den sozialpolitischen Interessen zuwider, so der Beschwerdeführer. Das Bundesgericht hält fest, dass der sparsame Umgang mit staatlichen Mitteln ein legitimes öffentliches Interesse darstellt, insbesondere wenn eine Massnahme der Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips der Sozialhilfe dienen soll.
- Tatsächlich erbrachte Leistungen: Der Beschwerdeführer argumentierte, nur tatsächlich erbrachte Leistungen dürften der wirtschaftlichen Hilfe vorgehen. Das Gericht weist dies zurück: Die Anrechnung des Konkubinatsbeitrags hängt nicht davon ab, ob die nicht unterstützte Partnerin diesen ausdrücklich leisten will oder nicht. Eine gegenteilige Haltung würde dem Subsidiaritätsprinzip und der wirtschaftlichen Betrachtungsweise widersprechen, da der nicht bedürftige Partner sonst weniger beitragen würde (BGE 141 I 153 E. 6.2.1).
- Offenlegungspflicht und Eigentumsfreiheit: Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente betreffend die Offenlegungspflicht der finanziellen Verhältnisse und eine indirekte Einschränkung der Eigentumsfreiheit der Partnerin werden vom Bundesgericht nicht materiell geprüft, da der Beschwerdeführer nicht dargelegt habe, dass diese Aspekte im vorliegenden Fall streitig und zu prüfen wären.
3.2. Anrechnung bei EL-Bezug der Partnerin
Der Kernpunkt der Beschwerde war, ob die Anrechnung auch dann zulässig ist, wenn die nicht von der Sozialhilfe unterstützte Person Ergänzungsleistungen bezieht.
- Vorrang des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) und Natur der Ergänzungsleistungen: Der Beschwerdeführer argumentierte, die Anrechnung des Konkubinatsbeitrags greife in den bundesrechtlich geschützten Anspruch der Partnerin und der Kinder auf Deckung des ergänzungsleistungsrechtlichen Existenzminimums (Art. 112a Abs. 1 BV, Art. 2 Abs. 1 ELG) ein und missachte den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts. Das Bundesgericht stellt klar, dass Ergänzungsleistungen zwar zur Sicherung des sozialversicherungsrechtlichen Existenzminimums dienen, welches über das Sozialhilfeminimum hinausgeht. Sie sind jedoch als Sozialversicherungsleistungen mit eigenen Bemessungsregeln ausgestaltet und stellen keine Sozialhilfe dar, deren Regelung in der Kompetenz der Kantone verbleibt (Art. 115 BV). Obwohl EL steuerfrei und unpfändbar sind, verschafft das ELG dem Bezüger von Ergänzungsleistungen kein vor jeglichen öffentlich- oder privatrechtlichen Ansprüchen garantiertes Einkommen. Die Berücksichtigung der Ergänzungsleistungen im Rahmen der kantonalen Sozialhilfebemessung ist daher nicht ausgeschlossen.
- Berücksichtigung aller Einkommen: Die Rechtsprechung besagt, dass zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der nicht unterstützten Konkubinatspartnerin nicht nur das Erwerbseinkommen, sondern auch sämtliche Ersatzeinkommen wie AHV-/IV-Renten und Ergänzungsleistungen anzurechnen sind (BGE 142 V 513 E. 5.2.1). Diese konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und der Eigenverantwortung, wonach alle anderen Möglichkeiten auszuschöpfen sind, rechtfertigt die Einbeziehung der Einkünfte der Konkubinatspartnerin ungeachtet ihrer Herkunft. Mit Blick auf die Rechtsgleichheit würde eine Nichtberücksichtigung der EL-Bezüger gegenüber betroffenen Lohnempfängern wesentlich besser stellen, da sie sich über den ihnen zugestandenen Bedarf gemäss dem erweiterten SKOS-Budget hinaus auf den ergänzungsleistungsrechtlichen Existenzbedarf berufen könnten (BGE 142 V 513 E. 5.2.1). Die Berücksichtigung der EL verstösst im Ergebnis nicht gegen Bundesrecht und erweist sich auch nicht als unverhältismässig.
- Hypothetischer Vergleich Ehe vs. Konkubinat: Der Beschwerdeführer versuchte mit eigenen Berechnungen aufzuzeigen, dass die Anrechnung rein rechnerisch zu einer "krassen Schlechterstellung" im Vergleich zu einem Ehepaar führe, das Anspruch auf markant höhere EL hätte. Das Bundesgericht bezeichnet diese Berechnungen als theoretischer Natur. Sie liessen den Ermessensspielraum der EL-Behörde und den Umstand ausser Acht, dass gegebenenfalls ein hypothetisches Einkommen des Beschwerdeführers als Ehegatten anzurechnen wäre (Art. 11a Abs. 1 ELG; BGE 150 V 105 E. 6.4.4), was die EL wiederum reduzieren könnte.
- Verletzung von Art. 7, 8 und 12 BV: Der Beschwerdeführer behauptete, die Anrechnung des Konkubinatsbeitrags verunmögliche ihm und seiner Familie eine menschenwürdige Existenz. Das Bundesgericht hält dem entgegen, dass die Richtwerte der Sozialhilfe zwar tiefer sind als jene der Ergänzungsleistungen, aber deutlich über dem Bedarf der reinen Nothilfe nach Art. 12 BV liegen (BGE 142 I 1 E. 7.2.1). Eine Verletzung dieser Grundrechte wird verneint.
4. Fazit
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Es bestätigt seine ständige Rechtsprechung, wonach die Anrechnung eines Konkubinatsbeitrags im Budget einer sozialhilfeempfangenden Person grundsätzlich vor Bundesrecht standhält, auch wenn der nicht unterstützte Partner Ergänzungsleistungen bezieht. Das Gericht betont die Geltung des Subsidiaritätsprinzips und der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in der Sozialhilfe. Die Berücksichtigung aller Einkommen des nicht unterstützten Konkubinatspartners, einschliesslich der Ergänzungsleistungen, dient der Rechtsgleichheit und dem sparsamen Umgang mit staatlichen Mitteln und verletzt weder das Legalitätsprinzip noch die Grundrechte auf Gleichbehandlung, persönliche Freiheit oder das Existenzminimum.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Die Anrechnung eines Konkubinatsbeitrags im Rahmen der Sozialhilfe ist grundsätzlich zulässig und bundesrechtskonform, auch wenn der nicht unterstützte Partner Ergänzungsleistungen bezieht.
- Das Legalitätsprinzip wird durch den Verweis auf die SKOS-Richtlinien im kantonalen Sozialhilferecht nicht verletzt, da die Anforderungen an die Gesetzesform in der Leistungsverwaltung weniger streng sind und die Grundzüge der Regelung im Gesetz enthalten sind.
- Die Berücksichtigung der Einkommen im stabilen Konkubinat ist Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips und der tatsächlich gelebten Solidarität. Sie verletzt weder das Gleichbehandlungsgebot noch das Diskriminierungsverbot, da eine Nichtberücksichtigung Konkubinate gegenüber Ehen ohne ausreichenden Grund ungleich behandeln würde.
- Ergänzungsleistungen sind trotz ihrer Natur als Sozialversicherungsleistungen und ihrer Zweckbestimmung zur Sicherung des sozialversicherungsrechtlichen Existenzminimums im Rahmen der kantonalen Sozialhilfebemessung als Einkommen des nicht unterstützten Partners zu berücksichtigen. Andernfalls würden EL-Bezüger gegenüber Lohnempfängern ungerechtfertigt bessergestellt.
- Die Anrechnung des Konkubinatsbeitrags führt nicht zu einer unzulässigen Unterschreitung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums oder einer Verletzung des Rechts auf eine menschenwürdige Existenz.