Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_113/2024 vom 16. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (1C_113/2024 vom 16. Juni 2025) befasst sich mit der Beschwerde der Gemeinde Perly-Certoux gegen die Baubewilligung für eine Mobilfunkanlage von Swisscom (Suisse) SA. Im Kern ging es um die rechtliche Beurteilung der von adaptiven Antennen erzeugten nichtionisierenden Strahlung und die Einhaltung des Vorsorgeprinzips.

I. Sachverhalt

Die A.__ SA ist Eigentümerin einer Parzelle in der Gemeinde Perly-Certoux. Swisscom (Suisse) SA beantragte am 31. Januar 2022 eine Baubewilligung für eine neue Mobilfunkanlage (3G-4G-5G) auf dem Dach eines Gebäudes an der Route de Certoux 29. Die Anlage besteht aus neun Antennen auf einem Mast, wobei drei dieser Antennen als adaptiv (mit 16 Unter-Arrays) geplant sind. Die von Swisscom erstellte standortspezifische Datenblatt (Fiche spécifique) enthielt die Rubriken "adaptiver Modus" (mit Ja/Nein-Antwort) und "Anzahl Unter-Arrays".

Nach positiven Vorabklärungen verschiedener Ämter, einschliesslich des Dienstes für Luft, Lärm und nichtionisierende Strahlung (SABRA) unter Auflagen, erteilte das Departement für Raumentwicklung des Kantons Genf am 7. Juni 2022 die Bewilligung. Die Gemeinde Perly-Certoux hatte sich im Vorfeld negativ geäussert, insbesondere wegen eines als "sehr/zu gross" empfundenen visuellen Impacts und der Unangepasstheit an den Kontext des Dorfes.

Zwei Beschwerden gegen die Bewilligung, eine von der Gemeinde und eine von Privatpersonen, wurden vom Tribunal administratif de première instance (TAPI) am 16. März 2023 abgewiesen. Das Kantonsgericht Genf (Cour de justice) bestätigte diese Abweisung am 9. Januar 2024. Es vertrat die Auffassung, die streitige Bewilligung sei im "Worst-Case-Szenario" für konventionelle Antennen erteilt worden.

Die Gemeinde gelangte daraufhin mit Beschwerde an das Bundesgericht, um die Aufhebung der Baubewilligung zu erwirken.

II. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde der Gemeinde ein, da diese als Behörde gemäss Art. 57 des Umweltschutzgesetzes (USG) beschwerdebefugt ist, sofern sie von der Entscheidung betroffen ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat, was hier hinsichtlich der Umweltauswirkungen auf ihrem Territorium bejaht wurde.

Die zentralen rechtlichen Auseinandersetzungen drehten sich um die Anwendung des Vorsorgeprinzips und die Bestimmung der Immissionen von adaptiven Antennen gemäss dem Umweltschutzgesetz (USG) und der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV).

1. Allgemeine Grundsätze des NIS-Schutzes (Art. 11 Abs. 2 USG, Art. 4, 11 Abs. 2 Bst. b, 12 Abs. 2 NISV, Anhang 1 NISV)

Das Bundesgericht führte aus, dass der Schutz vor Immissionen bundesrechtlich durch das USG und die darauf basierenden Verordnungen geregelt ist. Gemäss dem Vorsorgeprinzip (Art. 11 Abs. 2 USG) müssen Emissionen im Rahmen des technisch und betrieblich Machbaren sowie wirtschaftlich Tragbaren begrenzt werden. Die NISV legt hierfür Immissionsgrenzwerte fest, die überall dort einzuhalten sind, wo sich Menschen aufhalten können (Art. 13 Abs. 1 NISV). Mobilfunkanlagen müssen zusätzlich die Anlagegrenzwerte (AGW) an Orten mit empfindlicher Nutzung (OEN) einhalten (Ziff. 15, 64 und 65 Anhang 1 NISV). AGW sind niedriger als Immissionsgrenzwerte und dienen der Konkretisierung des Vorsorgeprinzips, ohne direkten Bezug zu bewiesenen oder vermuteten Gesundheitsgefahren. Sie stellen einen Sicherheitsabstand zu nachgewiesenen Gesundheitsrisiken dar (vgl. hierzu BGer 1C_307/2023 vom 9. Dezember 2024, zur Publikation vorgesehen, und dort zitierte Urteile).

2. Adaptive Antennen und der KAA-Korrekturfaktor

Das Gericht erläuterte die Funktionsweise adaptiver Antennen, die im Gegensatz zu konventionellen Antennen das Signal fokussieren und in andere Richtungen reduzieren können (Strahlenformung, beamforming). Zur Berücksichtigung dieser Technologie wurde die NISV am 17. April 2019 angepasst. Ziff. 62 Abs. 6 Anhang 1 NISV definiert adaptive Antennen als "Sendeantennen, die so betrieben werden, dass ihre Abstrahlrichtung oder ihr Antennendiagramm periodisch automatisch angepasst wird".

Seit dem 1. Januar 2022 ist Ziff. 63 Abs. 2 Anhang 1 NISV in Kraft, welche vorsieht, dass bei adaptiven Sendeantennen mit mindestens acht einzeln steuerbaren Antennenelementen (Unter-Arrays) ein Korrekturfaktor KAA auf die maximale effektive Strahlungsleistung (ERP) angewendet werden kann, sofern die Antennen mit einer automatischen Leistungsbegrenzung ausgestattet sind. Diese Begrenzung muss gewährleisten, dass die mittlere ERP über sechs Minuten die korrigierte ERP nicht überschreitet. Dies bedeutet, dass temporär höhere Leistungen ausgestrahlt werden dürfen, solange der Sechs-Minuten-Mittelwert den zulässigen Wert nicht überschreitet, wodurch rechnerisch keine Überschreitung des Anlagegrenzwertes resultiert (vgl. BGer 1C_307/2023 vom 9. Dezember 2024, zur Publikation vorgesehen).

3. Prüfung der Rügen der Beschwerdeführerin

Die Gemeinde Perly-Certoux brachte im Wesentlichen drei Hauptargumente vor:

3.1. Falsche Anwendung des "Worst-Case"-Szenarios: Die Beschwerdeführerin rügte, das Kantonsgericht habe die Strahlung der adaptiven Antennen fälschlicherweise nach dem "Worst-Case"-Szenario für konventionelle Antennen beurteilt, obwohl der Bauantrag nach Inkrafttreten der NISV-Änderungen vom 1. Januar 2022 erfolgte. Das Bundesgericht korrigierte die Auffassung des Kantonsgerichts: Die Anwendung eines KAA-Korrekturfaktors war bereits ab dem 8. Juli 2021 möglich, mit der Veröffentlichung des BAFU-Ergänzungsdokuments 2021 ("Ergänzung zur Vollzugsempfehlung NISV für Mobilfunk- und WLL-Basisstationen") und dem Validierungsbericht des BAKOM. Diese Dokumente definierten bereits umfassend die Bedingungen für die Anwendung des KAA-Faktors und dessen Maximalwerte in Abhängigkeit von der Anzahl der Unter-Arrays. Die NISV-Revision vom 1. Januar 2022 brachte keine materiellen Änderungen, sondern sollte lediglich die Rechtssicherheit durch Verankerung der Regeln in der Verordnung erhöhen. Es sei nicht erforderlich, den KAA-Faktor oder die maximale ERP auf dem standortspezifischen Datenblatt anzugeben; die Angabe der Anzahl der Unter-Arrays definiere den maximal anwendbaren Korrekturfaktor automatisch. Da das von Swisscom eingereichte Datenblatt dem vom BAFU für adaptive Antennen veröffentlichten Modell entsprach, lag diesbezüglich keine Verletzung von USG oder NISV vor.

3.2. Fehlende Messmethode für adaptive Antennen: Die Beschwerdeführerin behauptete, es gebe keine Möglichkeit, adaptive Antennen im adaptiven Modus zu messen, was eine Verletzung von Art. 12 Abs. 2 NISV darstelle. Das Bundesgericht verwies auf den Bericht des Eidgenössischen Instituts für Metrologie (METAS) vom 18. Februar 2020 ("Messmethode für 5G NR-Basisstationen bis 6 GHz") und dessen Ergänzung sowie auf Erläuterungen des BAFU vom 30. Juni 2020. Diese Dokumente beschreiben anerkannte Messmethoden, für die Messunternehmen vom Schweizer Akkreditierungsdienst (SAS) akkreditiert werden können. Die Messungen erfolgen in zwei Schritten: Zunächst werden Synchronisationskanäle gemessen, die ein konstantes Referenzsignal liefern, und dann wird das Ergebnis für die gesamte zugelassene Strahlung extrapoliert. Die einzige Neuerung bei 5G- und adaptiven Antennen sei, dass Synchronisations- und Verkehrskanäle unterschiedliche, aber bekannte Antennendiagramme aufweisen können, was bei der Extrapolation berücksichtigt wird. Das Bundesgericht hat diese Messmethoden in zahlreichen früheren Urteilen bereits als geeignet bestätigt (u.a. BGer 1C_134/2024 vom 19. März 2025; 1C_314/2022 vom 24. April 2024; 1C_45/2023 vom 16. Januar 2024; 1C_45/2022 vom 9. Oktober 2023; 1C_527/2021 vom 13. Juli 2023; 1C_101/2021 vom 13. Juli 2023; 1C_100/2021 vom 14. Februar 2023) und sah keinen Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

3.3. Überprüfung des Systems zur automatischen Leistungsbegrenzung: Die Beschwerdeführerin forderte, SABRA hätte die Konformität des Systems zur automatischen Leistungsbegrenzung überprüfen müssen, insbesondere ob es von einer unabhängigen externen Kontrollstelle bewertet wurde. Sie behauptete zudem, der BAKOM-Validierungsbericht sei anfechtbar, da gemessene elektrische Felder und die abgestrahlte Leistung angeblich voneinander abwichen. Das Bundesgericht erklärte, dass die automatische Leistungsbegrenzung (eine Softwareanwendung) sicherstellt, dass die mittlere Strahlungsleistung über sechs Minuten die korrigierte ERP nicht überschreitet, auch wenn es kurzzeitig zu Spitzenwerten kommen kann. Dieses System ist Teil des Qualitätssicherungssystems (QS), das von einem externen Auditgeber zertifiziert wurde (im Fall von Swisscom, vgl. BAFU-Website und BGer 1C_307/2023, zur Publikation vorgesehen). Das BAKOM hat zudem eine eigene Messkampagne durchgeführt und Validierungsberichte für alle drei Betreiber erstellt (vom 8. Juli 2021), die bestätigen, dass die automatische Leistungsbegrenzung ordnungsgemäss funktioniert. Die von der Beschwerdeführerin angeführte angebliche Inkonsistenz – Abweichungen zwischen gemessener Feldstärke und abgestrahlter Leistung – wurde vom BAKOM in seinem Bericht erläutert: Mobilfunkstationen optimieren kontinuierlich ihre Einstellungen, um die bestmögliche Übertragungsqualität zu erzielen, was zu variablen Empfangswerten führen kann, obwohl die Sendeleistung gleich bleibt. Dies widerspricht nicht den Erkenntnissen des BAKOM, sondern illustriert die Komplexität moderner adaptiver Netzwerke und deutet nicht zwingend auf eine Überschreitung der Grenzwerte hin. Bezüglich allgemeiner Bedenken zur Genauigkeit von QS-Systemen (nach früheren Stichprobenkontrollen im Kanton Schwyz) wies das Bundesgericht darauf hin, dass ein vom BAFU initiiertes Pilotprojekt zwar erste Ergebnisse geliefert hat, diese aber die aktuelle Rechtsprechung nicht grundlegend in Frage stellen. Endgültige Ergebnisse stehen noch aus, doch zum jetzigen Zeitpunkt besteht kein Anlass, die ordnungsgemässe Funktion der Qualitätssicherungssysteme in Frage zu stellen (vgl. BGer 1C_307/2023, zur Publikation vorgesehen; 1C_279/2023 vom 6. Februar 2025; 1C_459/2023 vom 12. August 2024).

4. Fazit zur Rechtmässigkeit der Anlage Zusammenfassend konnte die Beschwerdeführerin nicht nachweisen, dass die streitige Anlage den Anforderungen der NISV nicht genügt oder dem Vorsorgeprinzip des USG widerspricht.

5. Rüge der Verletzung von Art. 29a BV (Rechtsweggarantie) Die Gemeinde rügte ferner eine Verletzung von Art. 29a BV, da das Kantonsgericht fälschlicherweise angenommen habe, die Antenne sei nicht von Anfang an im adaptiven Modus mit KAA-Faktor zugelassen worden. Da das Bundesgericht in seinen Ausführungen (Punkt 3.3) bereits festgestellt hat, dass die Antenne von Beginn an mit adaptiven Antennen im adaptiven Modus und unter Anwendung des KAA-Korrekturfaktors zugelassen wurde, waren die Argumente der Beschwerdeführerin zur zukünftigen Anwendung eines solchen Faktors irrelevant. Die Rüge wurde daher abgewiesen.

III. Entscheid

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab. Gerichtskosten wurden keine erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG), jedoch wurde die Gemeinde Perly-Certoux zur Zahlung einer Parteientschädigung von CHF 3'000.00 an Swisscom (Suisse) SA verpflichtet (Art. 68 Abs. 1 BGG).

IV. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  1. Anwendung des KAA-Korrekturfaktors: Das Bundesgericht stellte klar, dass der KAA-Korrekturfaktor für adaptive Antennen bereits seit dem 8. Juli 2021 angewendet werden konnte und die NISV-Revision vom 1. Januar 2022 lediglich eine Verankerung bestehender Regeln darstellte, nicht aber eine materielle Änderung. Die standortspezifischen Datenblätter waren korrekt ausgefüllt.
  2. Messmethoden: Die vom METAS und BAFU entwickelten Messmethoden für adaptive Antennen wurden vom Bundesgericht in zahlreichen Urteilen bestätigt und sind als geeignet befunden worden. Die Rüge einer fehlenden oder unzureichenden Messmethode wurde abgewiesen.
  3. Qualitätssicherung und automatische Leistungsbegrenzung: Das System der automatischen Leistungsbegrenzung, das die Einhaltung der mittleren Strahlungsleistung über sechs Minuten gewährleistet, ist durch externe Audits und BAKOM-Validierungsberichte als funktionstüchtig bestätigt. Beobachtete Schwankungen der Feldstärke widersprechen nicht der Funktionsweise, sondern sind Ausdruck der Komplexität adaptiver Netzwerke.
  4. Vorsorgeprinzip: Die Beschwerdeführerin konnte nicht beweisen, dass die Anlage den Vorgaben der NISV oder dem Vorsorgeprinzip des USG nicht entspricht.