Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_553/2024 vom 16. Juni 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (1C_553/2024)

Datum des Urteils: 16. Juni 2025 Gericht: Bundesgericht, 1. öffentlich-rechtliche Abteilung Parteien: * Beschwerdeführer: A._, B._, C.C._ und D.C._ * Beschwerdegegnerin: Sunrise Sàrl * Weitere Beteiligte: Municipalité de Founex, Direction générale de l'environnement (DGE) des Kantons Waadt, Bundesamt für Umwelt (BAFU)

Gegenstand: Baubewilligung für eine neue Mobilfunkanlage

I. Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Gemeinde Founex ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 1054, einem ca. 100x7m grossen Streifen Land, der als Parkfläche für Nutzer des Gemeindehafens dient und westlich an eine Kantonsstrasse angrenzt. Gemäss dem kommunalen Planungs- und Polizeireglement von 1991 (RPGA) war dieser Parzelle keine besondere Zonenzuweisung zugeordnet.

Am 5. April 2021 reichte die Gemeinde im Auftrag von Sunrise Sàrl ein Baugesuch für eine Mobilfunkanlage ein. Das Projekt umfasste einen 20 Meter hohen Mast mit 9 Sendeantennen und einem am Boden stehenden Elektro-Schaltschrank. Mehrere Anwohner, darunter die Beschwerdeführer, erhoben Einsprache.

Im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens passte Sunrise das Projekt an und legte am 9. Juni 2022 ein revidiertes Standortdatenblatt vor. Dieses präzisierte, dass drei der Antennen als adaptive Antennen ("sub arrays") mit einem Korrekturfaktor Kaa kleiner als 1 betrieben werden sollten. Gestützt auf dieses Datenblatt erteilte die kantonale Direktion für Umwelt (DGE), Abteilung Luft, Klima und Technologierisiken, eine Spezialbewilligung unter Auflagen (u.a. Kontrollmessung und Qualitätssicherungssystem).

Mit Entscheid vom 4. Dezember 2023 hob die Gemeinde Founex die Einsprachen auf und erteilte die Baubewilligung. Die dagegen erhobene Beschwerde der Anwohner beim Waadtländer Kantonsgericht, Cour de droit administratif et public (CDAP), wurde mit Urteil vom 29. Juli 2024 abgewiesen.

Gegen dieses kantonale Urteil erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Sie beantragten primär die Aufhebung der Baubewilligung und der Spezialbewilligung der DGE. Das Bundesgericht gewährte superprovisorisch die aufschiebende Wirkung.

II. Rügen der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer machten im Wesentlichen folgende Rügen geltend: 1. Verletzung des Vorsorgeprinzips und der NISV: Sie stellten die Berechnung der Immissionen adaptiver Antennen in Frage und monierten, dass der Korrekturfaktor Kaa nicht hätte angewendet werden dürfen, da die besondere Konstellation der Liegenschaften eine Konzentration der Strahlungskeulen in ihrem Bereich erlaube. Dies führe zu schädlichen Strahlungen, die über den Anlagengrenzwerten lägen. Zudem rügten sie eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Verletzung ihres Anhörungsrechts, da ihren Beweisanträgen (insbesondere einem Gutachten) nicht stattgegeben worden sei. 2. Zonenwidrigkeit gemäss Raumplanungsgesetz (RPG): Sie argumentierten, die Parzelle Nr. 1054 sei eine Zone öffentlichen Interesses für Strasseninfrastruktur und nicht für Mobilfunkanlagen. Eine Spezialplanung wäre erforderlich gewesen. 3. Mangelnde Integration und Ästhetik: Sie kritisierten die ästhetische Integration der Anlage und rügten in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Verletzung ihres Anhörungsrechts (keine Ortsbesichtigung, unzureichende Würdigung einer privaten Expertise).

III. Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, da die Beschwerdeführer als im Schutzbereich gemäss Rechtsprechung wohnhafte Personen hinreichend betroffen sind.

1. Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NIS) und Vorsorgeprinzip (Art. 1 Abs. 2, 11 Abs. 2 USG; NISV)

Das Gericht rekapitulierte die einschlägigen bundesrechtlichen Bestimmungen des Umweltschutzgesetzes (USG) und der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV). Es hielt fest, dass die NISV Immissionsgrenzwerte (IGW) für alle Aufenthaltsorte von Personen (Art. 13 Abs. 1 NISV) sowie Anlagengrenzwerte (AGW) für ortsfeste Anlagen an Orten mit empfindlicher Nutzung (OEMN) vorsieht (Art. 65 Anhang 1 NISV). Die AGW sind tiefer als die IGW und konkretisieren das Vorsorgeprinzip gemäss USG, indem sie eine Sicherheitsmarge ohne direkten Bezug zu bewiesenen Gesundheitsgefahren vorsehen (vgl. Urteil 1A.134/2003, BGE 128 II 378 E. 6.2.2). Die Einhaltung der AGW in OEMN gilt als Gewährleistung des Vorsorgeprinzips (BGE 126 II 399 E. 3c).

Adaptive Antennen und Korrekturfaktor Kaa: Das Gericht erläuterte die Besonderheit adaptiver Antennen, die Signale gezielt bündeln können (Beamforming). Die 2019 und 2021 angepasste NISV (Anhang 1 Ziff. 62 Abs. 6, 63 Abs. 2 und 3) berücksichtigt dies durch Korrekturfaktoren (Kaa). Ziel ist, adaptive Antennen weder zu be- noch zu benachteiligen und das Schutzniveau beizubehalten.

  • Berechnung nach dem "Worst-Case-Szenario": Das Bundesgericht stellte fest, dass die Messung und Bewertung von adaptiven Antennen gemäss Empfehlung des BAFU und konstanter Rechtsprechung weiterhin nach dem "Worst-Case-Szenario" erfolgt. Dies bedeutet, dass die maximal mögliche Sendeleistung simultan in alle möglichen Richtungen ("einhüllendes Antennendiagramm") angenommen wird, um eine sichere Bewertung für die Bevölkerung zu gewährleisten (vgl. Urteil 1C_100/2021 vom 14. Februar 2023 E. 6.2.2; 1C_94/2023 vom 12. November 2024 E. 8.2). Die DGE und das BAFU bestätigten, dass die Überschneidung der Strahlung mehrerer Antennen in der Berechnung berücksichtigt wurde.
  • Anwendung des Korrekturfaktors Kaa: Das Bundesgericht führte aus, dass der Korrekturfaktor Kaa angewendet wird, weil die Worst-Case-Berechnungen die tatsächliche Strahlung erheblich überschätzen. Dieser Faktor ist statistisch so festgelegt, dass die effektive Sendeleistung in 95% der Fälle unter dem erlaubten Wert liegt. Kurzfristige Spitzen (max. Faktor 3.16 für die Feldstärke) sind möglich, aber die automatische Leistungsbegrenzung der Anlage stellt sicher, dass die über sechs Minuten gemittelte Leistung die korrigierte Sendeleistung nicht überschreitet und die AGW eingehalten werden (vgl. Urteil 1C_506/2023 vom 23. April 2024 E. 3.6). Die These der Beschwerdeführer von einer längeren und systematischen Konzentration der Strahlen auf einen einzigen OEMN sei unwahrscheinlich, da die Anwohner nicht auf einen geografisch engen Sektor beschränkt seien.
  • Beweiswürdigung: Das Gericht sah keinen Grund, von der Einschätzung der spezialisierten Behörden (DGE, BAFU) abzuweichen, insbesondere angesichts der technischen Komplexität der Materie. Die Vorinstanzen durften die Beweisanträge der Beschwerdeführer (insbesondere ein Gutachten) im Rahmen einer antizipierten Beweiswürdigung ablehnen, da sie alle notwendigen Informationen hatten. Dies ist nicht willkürlich (vgl. BGE 146 III 73 E. 5.2.2; 145 I 167 E. 4.1).

Die Rüge der Verletzung des Vorsorgeprinzips und der NISV wurde somit als unbegründet abgewiesen.

2. Zonennutzung und Raumplanung (Art. 14, 22 RPG)

Das Bundesgericht bekräftigte seine Rechtsprechung, wonach Mobilfunkanlagen innerhalb von Bauzonen zonenkonform sind, sofern sie einen direkten funktionalen Bezug zum Standort haben und im Wesentlichen Bauzonen abdecken (BGE 142 I 26 E. 4.2; 141 II 245 E. 2.1). Im Gegensatz zu Anlagen in der Landwirtschaftszone (Art. 24 RPG) ist in Bauzonen kein objektiv festgestellter Deckungsbedarf erforderlich. Die Standortwahl obliegt den Anbietern, basierend auf Marktüberlegungen (Urteil 1C_547/2022 vom 19. März 2024 E. 4.4).

  • Zonenkonformität der Parzelle: Das Gericht stellte fest, dass die Parzelle Nr. 1054, obwohl ein schmaler Landstreifen entlang einer Kantonsstrasse und Teil des öffentlichen Bereichs, bereits als Parkfläche genutzt und somit baulich erschlossen ist. Die kantonale Behörde hatte die Parzelle in eine "zone de desserte 15 LAT" eingeordnet. Das Bundesgericht befand, dass es nicht entscheidend sei, ob die Parzelle spezifisch für Strassenbauten vorgesehen sei. Massgeblich sei der enge funktionale Bezug zur Abdeckung der relevanten Zone. Da die Anlage zur Verbesserung der Netzabdeckung in einem unzureichend versorgten Sektor der Bauzone diene, sei der funktionale Bezug gegeben.
  • Keine besondere Planpflicht: Mobilfunkanlagen unterliegen grundsätzlich keiner besonderen Planpflicht im Sinne des RPG (BGE 142 I 26 E. 4.2). Es obliegt den Betreibern, ihr Netz zu planen und die erforderlichen Antennenstandorte zu bestimmen. Das ordentliche Baubewilligungsverfahren ist daher zulässig. Die kantonsrechtliche Einschätzung, dass es sich um ein Bauvorhaben von geringer Bedeutung handle (Art. 13 Abs. 2 kantonales Strassengesetz), sei nicht willkürlich. Auch sei keine kantonale Vorschrift nachgewiesen worden, die den Bau von Mobilfunkantennen in Strassennähe grundsätzlich verbieten würde, was ohnehin mit dem bundesrechtlichen Versorgungsauftrag kollidieren könnte (Art. 92 Abs. 1 BV, Art. 1 Abs. 2 FMG).

Die Rüge der Zonenwidrigkeit wurde somit als unbegründet abgewiesen.

3. Integration und Ästhetik (Art. 86 LATC; Art. 39 RPGA)

Das Gericht wies darauf hin, dass Mobilfunkanlagen kantonalen oder kommunalen Ästhetik- und Integrationsbestimmungen unterliegen, die jedoch im Rahmen des übergeordneten Bundesrechts (Umweltschutz- und Fernmelderecht) anzuwenden sind. Diese Bestimmungen dürfen die Erfüllung des Versorgungsauftrags der Betreiber nicht unmöglich machen oder übermässig erschweren (BGE 141 II 245 E. 7.1; 138 II 173 E. 6.3). Das Bundesgericht überprüft die Anwendung solcher Normen nur auf Willkür (Art. 106 Abs. 2 BGG).

  • Ästhetische Beurteilung des Standorts: Der betroffene Standort (Parkfläche am Hafen) unterliegt keiner besonderen Schutzmassnahme. Das Bundesgericht befand, dass die Errichtung einer Antenne die ästhetischen Qualitäten des Quartiers nicht zwangsläufig beeinträchtige. Die CDAP konnte sich aufgrund der Aktenlage und frei zugänglicher Informationen (Geoportale, vgl. Urteil 1C_38/2020 vom 7. Oktober 2020 E. 4.2) davon überzeugen, ohne eine Ortsbesichtigung durchführen zu müssen. Die private Expertise aus dem Jahr 2021, die den Standort als "günstig" für eine Antenne einstufte, lag den Behörden vor und wurde entsprechend berücksichtigt. Die Ablehnung weiterer Beweisanträge durch die Vorinstanzen war nicht willkürlich.
  • Anwendung von Art. 39 RPGA (Verbergen der Antennen): Das Gericht stellte fest, dass die Vorinstanzen Art. 39 des kommunalen Reglements (RPGA), der das Verbergen von Antennen vorsieht, implizit geprüft hatten. Angesichts der "fehlenden besonderen Schönheit des betreffenden Quartiers" und der Zurückhaltung des Bundesgerichts in ästhetischen Fragen war es für die kommunale und kantonale Behörde nicht schockierend, auf die Forderung nach einer Verdeckung der Antenne zu verzichten. Ausserdem liegt das Projekt ausserhalb des Perimeters des Kantonalen Richtplans für die Waadtländer Seeufer des Genfersees.

Die Rüge der mangelnden Integration und Ästhetik wurde somit als unbegründet abgewiesen.

IV. Ergebnis

Aufgrund der vorgenannten Erwägungen wies das Bundesgericht die Beschwerde vollumfänglich ab. Die Gerichtskosten und eine Parteientschädigung zugunsten von Sunrise Sàrl wurden den Beschwerdeführern auferlegt.

V. Zusammenfassende Kernpunkte
  • Mobilfunkanlagen und NISV: Die Genehmigung von Mobilfunkanlagen, insbesondere mit adaptiven Antennen, erfolgt nach dem "Worst-Case-Szenario" unter Verwendung eines "einhüllenden Antennendiagramms". Der Korrekturfaktor Kaa wird angewendet, um die theoretische Überschätzung der Strahlung auszugleichen, wobei eine automatische Leistungsbegrenzung die Einhaltung der Anlagengrenzwerte (AGW) im Durchschnitt über 6 Minuten sicherstellt. Das Vorsorgeprinzip gilt als gewahrt, wenn die AGW eingehalten werden.
  • Zonenkonformität in Bauzonen: Mobilfunkanlagen sind in Bauzonen zonenkonform, wenn sie einen direkten funktionalen Bezug zum abgedeckten Gebiet haben. Eine besondere Planpflicht ist für Mobilfunkanlagen in Bauzonen nicht erforderlich; das ordentliche Baubewilligungsverfahren ist anwendbar.
  • Ästhetik und Integration: Kantonale und kommunale Ästhetikvorschriften müssen im Rahmen des übergeordneten Bundesrechts (insbesondere des Versorgungsauftrags im Fernmelderecht) angewendet werden und dürfen die Realisierung von Mobilfunkanlagen nicht übermässig erschweren. Die Gerichte prüfen die Anwendung solcher Normen nur auf Willkür. Eine Ortsbesichtigung ist nicht zwingend erforderlich, wenn die Aktenlage und öffentlich zugängliche Informationen ausreichen.