Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) befasst sich mit der Rechtmässigkeit des Abschusses eines schadenstiftenden Wolfs aus einem Wolfspaar im Kanton St. Gallen. Die Beschwerde wurde von Pro Natura – Schweizerischer Bund für Naturschutz, Sektion St. Gallen-Appenzell (nachfolgend Pro Natura), gegen einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen eingereicht, welcher die Abschussbewilligung des kantonalen Amts für Natur, Jagd und Fischerei (ANJF) bestätigt hatte.
1. Ausgangslage und SachverhaltIm Herbst 2023 kam es auf der Alp "A._" im Schilstal und auf der Heimweide "B._" im Weisstannental zu Wolfsangriffen auf Schafe. Im Schilstal wurden im August und September 2023 insgesamt vier Schafe gerissen, wobei einer der Risse der Wolfsfähe F35 des Wolfspaares M111 und F35 zugeordnet werden konnte. Zum Schutz der Herde waren dort Herdenschutzhunde eingesetzt. Im Weisstannental wurden am 11. November 2023 acht Schafe gerissen, wobei die DNA-Proben keinem Wolf zugeordnet werden konnten. Auf dieser Heimweide wurden Elektrozäune eingesetzt.
Das Schils- und Weisstannental ist Streifgebiet des Wolfspaares M111/F35 (ohne Jungtiere) und des Calfeisental-Rudels (bestehend aus zwei Elterntieren und sechs Jungwölfen). Die Streifgebiete überschneiden sich.
Mit Verfügung vom 16. November 2023 ordnete das ANJF den Abschuss eines der beiden Tiere aus dem Wolfspaar an und entzog einem allfälligen Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigte diesen Abschuss mit Urteil vom 11. März 2024, nachdem es zunächst superprovisorisch die aufschiebende Wirkung gewährt, diese dann aber wieder entzogen hatte. Pro Natura erhob daraufhin Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.
2. Zulässigkeit der Beschwerde (Kurzfassung)Das Bundesgericht prüfte die Eintretensvoraussetzungen und bejahte die Beschwerdebefugnis von Pro Natura als gesamtschweizerisch tätige Umweltschutzorganisation gemäss Art. 12 NHG i.V.m. Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG, da der Wolf eine geschützte Tierart ist (Art. 79 BV). Obwohl die Gültigkeit der Abschussverfügung (bis 19. Januar 2024) zum Zeitpunkt des Urteils abgelaufen war und Pro Natura kein aktuelles Rechtsschutzinteresse mehr hatte, verzichtete das Bundesgericht ausnahmsweise auf dieses Erfordernis. Es begründete dies mit dem öffentlichen Interesse an der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, deren grundsätzlicher Bedeutung und der Tatsache, dass sich solche Fragen aufgrund der befristeten Abschussverfügungen immer wieder stellen und eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (vgl. BGE 147 I 478 E. 2.2). Auf die Beschwerde gegen die vorsorgliche Massnahme des Entzugs der aufschiebenden Wirkung vom 15. Januar 2024 trat das Bundesgericht jedoch nicht ein, da deren Wirkung mit dem Endentscheid dahinfällt.
3. Massgebende Rechtsgrundlagen und PrinzipienDer Wolf ist gemäss Schweizerischem Jagdgesetz (JSG) und der Berner Konvention eine (streng) geschützte Tierart und darf grundsätzlich nicht gejagt werden (Art. 2 lit. b, Art. 5, Art. 7 Abs. 1 JSG). Art. 12 Abs. 2 JSG erlaubt den Kantonen zwar, Massnahmen gegen einzelne geschützte Tiere anzuordnen, die erheblichen Schaden anrichten. Dies ist jedoch subsidiär zu präventiven Verhütungsmassnahmen (Art. 12 Abs. 1 JSG).
Die Jagdverordnung (JSV) konkretisiert diese Bestimmungen: * Kompetenz: Der Kanton ist nur zum Abschuss eines Wolfs in alleiniger Kompetenz befugt, wenn der Schaden von einem einzelnen Wolf verursacht wurde. Stammt der Wolf aus einem Rudel, ist die Zustimmung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) erforderlich (Art. 4 Abs. 1 JSV). * Einzelwolfabschuss (Art. 9bis JSV): Ein Abschuss kann bewilligt werden, wenn ein einzelner Wolf erheblichen Schaden an Nutztieren anrichtet. Ein solcher Schaden liegt vor, wenn im Streifgebiet des Wolfs innerhalb von vier Monaten mindestens 6 Nutztiere getötet werden, nachdem bereits früher Schäden aufgetreten sind (Art. 9bis Abs. 2 lit. c JSV). * Voraussetzung der Schutzmassnahmen: Nutztiere, die in einem Gebiet getötet wurden, in dem trotz früherer Schäden keine zumutbaren Schutzmassnahmen ergriffen worden sind, bleiben bei der Beurteilung des Schadens unberücksichtigt (Art. 9bis Abs. 4 JSV). Dies unterstreicht den präventiven Charakter des Herdenschutzes als Voraussetzung für einen Abschuss. * Zumutbare Schutzmassnahmen: Für Schafe sind dies namentlich Elektrozäune, die vor Grossraubtieren schützen (Art. 10quinquies Abs. 1 lit. a JSV). Die Details werden durch das "Konzept Wolf Schweiz" des BAFU (insbesondere die "Vollzugshilfe Herdenschutz") präzisiert, welches elektrifizierte Weidenetze (0.9 m Höhe, 3000 Volt Spannung, guter Bodenschluss, tägliche Kontrolle) als fachgerecht definiert. * Beurteilung der Schutzmassnahmen: Die Vollzugshilfe Herdenschutz (eine Verwaltungsverordnung, die für Gerichte zwar unverbindlich, aber in der Praxis massgebend ist, sofern sie eine sachgerechte Auslegung ermöglicht und eine überzeugende Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben enthält) sieht ein dreistufiges Vorgehen vor: 1. Beschreibung des IST-Zustands durch eine kantonale Fachperson (Herdenschutzbeauftragter). 2. Beurteilung der Wirksamkeit der Massnahmen durch das kantonale Landwirtschaftsamt. 3. Gesamtfazit und Anrechenbarkeit des Risses durch die kantonale Jagdverwaltung. Alle Schritte müssen sorgfältig, nachvollziehbar und gerichtlich überprüfbar erfolgen.
Das Bundesgericht hält fest, dass der Abschuss eines Wolfes als ultima ratio zu betrachten ist und nur verfügt werden darf, wenn trotz der Ergreifung zumutbarer Schutzmassnahmen Schäden durch den Wolf zu verzeichnen sind (vgl. BGE 136 II 101 E. 5.1, E. 5.5).
4. Hauptstreitpunkt und Rügen von Pro NaturaDer zentrale Streitpunkt war die Rechtmässigkeit der Abschussbewilligung für einen einzelnen Wolf aus dem Wolfspaar. Pro Natura rügte, dass die Bewilligung erteilt wurde, ohne vorab sorgfältig zu prüfen und festzustellen, ob wirksame Schutzmassnahmen ergriffen wurden und ob der Schaden tatsächlich einem Wolf aus dem Wolfspaar und nicht dem Wolfsrudel zuzuordnen war. Pro Natura machte dabei eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV) geltend. Das BAFU unterstützte diese Argumentation.
5. Detaillierte Analyse und Begründung des BundesgerichtsDas Bundesgericht prüfte die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anhand der Rügen von Pro Natura und BAFU.
5.1. HerdenschutzmassnahmenDas Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz es unterlassen hatte, wesentliche Vorbringen von Pro Natura (z.B. die Relevanz des Schnees, die mögliche Beteiligung des Rudels, das unterschiedliche Jagdverhalten des Wolfspaars im Vergleich zu früheren Rissen) zu berücksichtigen und entsprechende Sachverhaltsabklärungen vorzunehmen. Indem das Verwaltungsgericht auf diese für den Verfahrensausgang wesentlichen Vorbringen nicht einmal implizit einging, verletzte es den Anspruch auf rechtliches Gehör.
6. Schlussfolgerung des BundesgerichtsDas Bundesgericht kam zum Ergebnis, dass der Sachverhalt offensichtlich unvollständig und in rechtsverletzender Weise (Verstoss gegen Art. 9 BV und Art. 29 Abs. 2 BV) festgestellt wurde. Aufgrund dieser lückenhaften Abklärung konnte weder festgestellt werden, ob wirksame Herdenschutzmassnahmen ergriffen wurden, noch welchem Wolf die Risse zuzuordnen waren. Ohne diese Feststellungen erweist sich die Bewilligung des Einzelabschusses als nicht erforderlich und nicht geeignet, damit als unverhältnismässig und verletzt Art. 12 Abs. 2 JSG (i.V.m. Art. 9bis Abs. 4 JSV). Der Abschuss eines Wolfes als ultima ratio erfordert eine solide Tatsachengrundlage, die hier nicht gegeben war, zumal die Abschussbewilligung bereits erlassen wurde, bevor die Herdenschutzmassnahmen überhaupt überprüft worden waren.
Die Beschwerde von Pro Natura wurde daher gutgeheissen, und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen wurde aufgehoben. Weitere Vorbringen (z.B. mildere Massnahmen, Abschussperimeter) erübrigten sich. Pro Natura erhielt eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche und das vorinstanzliche Verfahren.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: