Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_517/2024 vom 8. Juli 2025

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Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts (9C_517/2024, 9C_520/2024 vom 8. Juli 2025) befasst sich mit der Frage der kommunalen Steuerhoheit für die Gemeindesteuern des Kantons Zürich betreffend die Steuerperioden 2011 bis 2020. Im Zentrum steht der Konflikt um das primäre Steuerdomizil der C._ AG zwischen der Gemeinde V._ (Sitz gemäss Handelsregister) und der Stadt U.__ (Ort der tatsächlichen Verwaltung).

I. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte

Die C._ AG ist eine Generalunternehmerin in der Immobilienbranche mit Sitz an der Strasse xxx in V._, dem privaten Wohnsitz ihres Alleineigentümers und Verwaltungsratspräsidenten E._. E._ führt zudem das Einzelunternehmen H._ in U._, wo er mehrere Angestellte beschäftigt. Die Stadt U._ informierte im Oktober 2021 die C._ AG und die Gemeinde V._ über ihre Auffassung, dass sich die tatsächliche Verwaltung der C._ AG in U._ befinde und beanspruchte mit Verfügung vom 10. Dezember 2021 die kommunale Steuerhoheit ab dem 1. Januar 2011. Die Gemeinde V._ und die C._ AG erhoben Einsprache. Das Steuerrekursgericht des Kantons Zürich hiess die Rekurse teilweise gut: Es hob den Einspracheentscheid der Stadt U._ für die Steuerperioden 2011-2018 auf, anerkannte jedoch die Steuerhoheit der Stadt U._ für 2019-2020. Die Stadt U._ habe ihren Steueranspruch für die Perioden bis 2018 verwirkt. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich vereinigte die Beschwerden der Parteien. Es wies die Beschwerden der Gemeinde V._ und der C._ AG ab, soweit es darauf eintrat. Die Beschwerde der Stadt U._ hiess es teilweise gut und stellte fest, dass die C._ AG für die Steuerperioden 2014-2020 der Steuerhoheit der Stadt U._ untersteht. Das Recht der Stadt U._ zur Inanspruchnahme der Steuerhoheit für die Steuerperioden 2011-2013 wurde als verwirkt erachtet.

II. Verfahren vor Bundesgericht

Sowohl die Stadt U._ (bzgl. 2011-2013) als auch die C._ AG (bzgl. 2014-2020) erhoben Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht.

A. Prozessuales: Beschwerdelegitimation der Stadt U.__

Das Bundesgericht prüfte zunächst die Beschwerdelegitimation der Stadt U.__ von Amtes wegen.

  1. Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG (Gemeindeautonomie): Eine Gemeinde ist beschwerdeberechtigt, wenn sie die Verletzung von Garantien rügt, die ihr die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt, insbesondere die Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV). Die Gemeindeautonomie besteht dort, wo das kantonale Recht den Gemeinden einen eigenen Handlungsspielraum überlässt. Im Kanton Zürich verweist das Steuergesetz (§ 189 Abs. 1 StG/ZH) für die Gemeindesteuern auf die Bestimmungen der Staatssteuern, einschliesslich der Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit (§ 55 StG/ZH). Die speziellen Bestimmungen für Gemeindesteuern (§§ 191 ff. StG/ZH) sind vorwiegend verfahrensrechtlicher Natur. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Rüge der blossen Verwirkung des Besteuerungsrechts für bestimmte Perioden nicht ausreicht, um eine Verletzung der Gemeindeautonomie glaubhaft zu machen. Folglich wurde die Legitimation gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG verneint.

  2. Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 73 Abs. 2 StHG (Spezielle gesetzliche Ermächtigung): Gemäss Art. 73 Abs. 2 StHG sind die Steuerpflichtigen, die nach kantonalem Recht zuständige Behörde und die Eidgenössische Steuerverwaltung beschwerdelegitimiert. Zwar sieht das Zürcher Steuergesetz (§ 196 i.V.m. § 154 Abs. 1 StG/ZH) explizit eine Beschwerdelegitimation für Gemeinden vor. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 136 II 274 E. 3.4) verlangt jedoch, dass der Gemeinde neben der kantonalen Ermächtigung auch besondere Kompetenzen bzw. ein eigener Anwendungsspielraum zukommen muss. Dies wurde beispielsweise bei der kantonalen Grundstückgewinnsteuer im Kanton Zürich bejaht, da die Gemeinden diese Steuer selbst erheben und die Einschätzung vorbereiten (§ 205, § 209 Abs. 1 StG/ZH). Im vorliegenden Fall der Gewinnsteuer wirken die Gemeindesteuerämter bei der Einschätzung lediglich mit; die Einschätzung erfolgt durch das kantonale Steueramt (§ 107 Abs. 1 StG/ZH). Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der Gemeinde in Bezug auf die Gewinnsteuer im Kanton Zürich kein eigener Anwendungsspielraum zukommt, der eine Beschwerdelegitimation nach Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 73 Abs. 2 StHG begründen würde.

  3. Art. 89 Abs. 1 BGG (Allgemeine Legitimation für Gemeinwesen): Ein Gemeinwesen ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert, wenn es in hoheitlichen Befugnissen berührt ist und zentrale öffentliche Interessen auf dem Spiel stehen, wie etwa erhebliche vermögensrechtliche oder finanzielle Auswirkungen (z.B. interkommunaler Finanzausgleich). Das Bundesgericht wendet diese Bestimmung für Gemeinwesen in Steuerangelegenheiten restriktiv an. Das blosse Interesse an der Optimierung des Steuerertrags oder das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung genügen nicht. Die Stadt U.__ legte keine erheblichen vermögensrechtlichen Auswirkungen oder eine Betroffenheit des interkommunalen Finanzausgleichs dar. Daher wurde auch die Legitimation nach Art. 89 Abs. 1 BGG verneint.

Ergebnis zur Legitimation: Auf die Beschwerde der Stadt U._ wurde nicht eingetreten. Die Beschwerde der C._ AG war hingegen zulässig.

B. Materielle Prüfung: Kommunale Steuerhoheit der C.__ AG

Der Streitgegenstand vor Bundesgericht beschränkte sich auf die von der C.__ AG gerügten Steuerperioden 2014-2020.

  1. Verwirkung der Inanspruchnahme der Steuerhoheit (Periode 2011-2014): Die Vorinstanz hatte die Verwirkung der Steuerhoheit der Stadt U._ für die Steuerperioden 2011-2013 aufgrund der zehnjährigen Verwirkungsfrist nach § 161 Abs. 1 StG/ZH (i.V.m. Ziff. 6 und 8 des Merkblatts des Kantonalen Steueramts Zürich, ZStB Nr. 3.1) festgestellt. Das Bundesgericht bestätigte diese Auslegung und stellte zusätzlich fest, dass auch die Steuerperiode 2014 als verwirkt anzusehen ist. Die C._ AG konnte keine Willkür in dieser Anwendung der kantonalen Verjährungs-/Verwirkungsfristen aufzeigen.

  2. Verwirkung des Besteuerungsrechts (Periode 2015-2019): Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Verwirkung des Besteuerungsrechts im interkantonalen Doppelbesteuerungsrecht (BGE 149 II 354, 147 I 325) kann sinngemäss auf interkommunale Fälle angewendet werden. Demnach verwirkt ein Gemeinwesen sein Besteuerungsrecht, wenn es die für die Steuerpflicht massgebenden Tatsachen kennt oder kennen müsste, ungebührlich lange zuwartet und wenn die Gutheissung des nachträglich erhobenen Anspruchs ein anderes Gemeinwesen zur Rückerstattung von Steuern verpflichten würde, die dieses gutgläubig bezogen hat. Ein entscheidender Punkt ist jedoch, dass die Einrede der Verwirkung gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 139 I 64) nur durch den anderen Kanton (bzw. die andere Gemeinde) und nicht durch die steuerpflichtige Person geltend gemacht werden kann. Da die C._ AG als Steuerpflichtige die Verwirkungseinrede erhob und auf die Beschwerde der Gemeinde V._ (welche die Einrede erheben könnte) nicht eingetreten wurde, konnte die Verwirkung der Stadt U.__ für die Perioden 2015-2019 nicht entgegengehalten werden.

  3. Ort der tatsächlichen Verwaltung (Periode 2015-2020): Gemäss harmonisiertem kantonalen Steuerrecht (Art. 20 Abs. 1 StHG) sind juristische Personen unbeschränkt steuerpflichtig, wenn sich ihr Sitz oder ihre tatsächliche Verwaltung im Kanton befindet. Für innerkantonale Doppelbesteuerungskonflikte sind die Kantone in der Wahl des Anknüpfungspunktes frei; das Zürcher Steuergesetz (§ 55 i.V.m. § 189 Abs. 1 StG/ZH) knüpft ebenfalls an Sitz oder tatsächliche Verwaltung an. Die "tatsächliche Verwaltung" einer juristischen Person liegt am Ort, wo die Fäden der Geschäftsführung zusammenlaufen, die wesentlichen Unternehmensentscheide fallen und die Gesellschaft den wirklichen Mittelpunkt ihrer ökonomischen Existenz hat (BGE 150 II 321). Bei der Anwendung kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht die Auslegung nur auf Willkür, es sei denn, Bundesrecht wurde verletzt. Die Vorinstanz hatte gestützt auf verschiedene Indizien (Gegenüberstellung der Büroräumlichkeiten, Erscheinung nach aussen, Frequentierung durch Geschäftsleitung, Internetauftritt) festgestellt, dass die wesentlichen geschäftsleitenden Entscheidungen von E._ für die C._ AG hauptsächlich in U._ getroffen wurden, da seine Einzelfirma H._ in U._ eng mit der C._ AG verknüpft sei. Der C._ AG sei der Gegenbeweis, dass die tatsächliche Verwaltung in V._ liege, nicht gelungen. Die C._ AG konnte mit ihren Argumenten, wonach die Angestellten in U._ nur administrative Aufgaben hätten und die geschäftsrelevanten Besprechungen anderswo stattfänden, keine Willkür in der Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz aufzeigen. Insbesondere wies das Bundesgericht die Argumentation der C._ AG zurück, wonach der Ort der tatsächlichen Verwaltung nur bei "Briefkastendomizilen" eine Rolle spiele. Die Vorinstanz habe willkürfrei festgestellt, dass sich die Geschäftsführung der Pflichtigen überwiegend in U._ befinde. Folglich wurde das vorinstanzliche Ergebnis zur Verortung der tatsächlichen Verwaltung in U.__ für die Steuerperioden 2015-2020 bestätigt.

III. Verfahrensausgang, Kosten und Entschädigungen

  1. Ergebnis:

    • Auf die Beschwerde der Stadt U.__ wird nicht eingetreten.
    • Die Inanspruchnahme der Steuerhoheit durch die Stadt U.__ für die Steuerperioden 2011 bis und mit 2014 ist verwirkt.
    • Für die Steuerperioden 2015 bis 2020 untersteht die C._ AG kraft persönlicher Zugehörigkeit (Ort der tatsächlichen Verwaltung) der Steuerhoheit der Stadt U._.
    • Die Beschwerde der C.__ AG wird im Kostenpunkt teilweise gutgeheissen, im Übrigen abgewiesen.
  2. Kosten und Entschädigungen:

    • Die Kosten des Verfahrens 9C_517/2024 werden der Stadt U._ auferlegt, welche die C._ AG zu entschädigen hat.
    • Die C._ AG rügte die vorinstanzliche Streitwertberechnung für die Verfahrenskosten. Das Bundesgericht gab der C._ AG Recht: Als Streitwert ist nicht die gesamte Steuerbelastung, sondern lediglich die sich aus dem angefochtenen Entscheid ergebende Mehrsteuer zu berücksichtigen. Da das Verwaltungsgericht dies nicht beachtet hatte, wird die Sache zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
    • Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens 9C_520/2024 trägt die C.__ AG aufgrund ihres Unterliegens.

Wesentliche Punkte zusammenfassend:

  • Beschwerdelegitimation von Gemeinden: Das Bundesgericht lehnt die Beschwerdelegitimation der Stadt U.__ ab, da weder eine Verletzung der Gemeindeautonomie glaubhaft gemacht wurde, noch die besonderen Voraussetzungen für eine spezifische gesetzliche Ermächtigung im Steuerharmonisierungsgesetz für die Gewinnsteuer erfüllt sind, noch zentrale öffentliche Interessen im Sinne der allgemeinen Legitimation hinreichend dargelegt wurden.
  • Verwirkung des Besteuerungsrechts: Die zehnjährige Verwirkungsfrist nach kantonalem Recht führt zur Verwirkung der Steuerhoheit der Stadt U.__ für die Jahre 2011 bis 2014. Die Verwirkungseinrede für die Jahre 2015-2019 kann jedoch nicht von der Steuerpflichtigen selbst geltend gemacht werden, sondern nur von der konkurrierenden Gemeinde.
  • Ort der tatsächlichen Verwaltung: Für die Steuerperioden 2015-2020 bestätigt das Bundesgericht, dass der Ort der tatsächlichen Verwaltung der C._ AG in U._ liegt. Dies wurde vom Verwaltungsgericht willkürfrei aufgrund der Analyse des Schwerpunkts der Geschäftsführung des Alleineigentümers festgestellt, und die Steuerpflichtige konnte keinen Gegenbeweis erbringen. Die Argumentation, der Ort der tatsächlichen Verwaltung spiele nur bei Briefkastendomizilen eine Rolle, wurde explizit zurückgewiesen.
  • Kostenberechnung im kantonalen Verfahren: Das Bundesgericht stellt klar, dass der massgebliche Streitwert für die Kostenberechnung die aus dem Entscheid resultierende Mehrsteuerbelastung und nicht die gesamte mutmassliche Steuerbelastung ist, und weist die Sache zur Neuberechnung der kantonalen Kosten zurück.