Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_977/2024 vom 11. Juli 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgericht, Urteil 7B_977/2024 vom 11. Juli 2025

1. Einleitung Der vorliegende Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts (Urteil 7B_977/2024 vom 11. Juli 2025) betrifft die Beschwerde von A.__, einer Assistentin in Gesundheits- und Gemeinschaftspflege (assistante en soins et santé communautaire), gegen die Mitteilung der Eröffnung einer Strafuntersuchung an die Disziplinarbehörde, das kantonale Gesundheits- und Sozialdepartement (DSAS). Streitgegenstand ist die Zulässigkeit dieser Mitteilung im Lichte des Verhältnismässigkeitsprinzips und des Schutzes der Persönlichkeitsrechte.

2. Sachverhalt A._ war Gegenstand zweier Strafuntersuchungen im Kanton Waadt: * PE23.xxx: Eröffnet vom Ministère public des Bezirks Nordwaadt aufgrund einer Klage ihres Lebenspartners wegen einfacher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Drohung im Zeitraum Januar bis April 2023. Der Partner zog seine Anzeige am 25. Mai 2023 zurück. * PE23.yyy: Eröffnet vom waadtländischen Ministère public Strada wegen einfacher Verletzung der Strassenverkehrsregeln, qualifizierter Trunkenheit am Steuer und Fahrens unter Medikamenteneinfluss, Behinderung von Feststellungen zur Fahrunfähigkeit, Verletzung der Pflichten bei einem Unfall und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Vorwürfe beziehen sich auf einen Vorfall vom 15. Dezember 2023, bei dem A._ unter Einfluss von Medikamenten und Alkohol ein stehendes Fahrzeug kollidierte, die Unfallstelle verliess und danach ein entgegenkommendes Fahrzeug rammte.

Die Verfahren PE23.yyy und PE23.xxx wurden am 11. Januar 2024 vom Ministère public zusammengelegt. A._ räumte bei ihrer Einvernahme am 27. Mai 2024 Kokainkonsum ein, gab jedoch an, diesen seit Juli 2023 eingestellt zu haben. Ein Analysebericht vom 20. Dezember 2023 bestätigte indes positive Kokainspuren nach den Entnahmen vom 15. Dezember 2023. Ausserdem geht aus den Akten hervor, dass A._ am 16. April und 13. Dezember 2023 die Notaufnahme eines Spitals aufsuchte und dort Prellungen und Bissspuren aufwies. Diese Konsultationen erklärte sie mit wiederholten Gewalthandlungen ihres Lebenspartners.

3. Vorinstanzliche Verfahren Am 17. Juni 2024 informierte der Ministère public den Generalstaatsanwalt des Kantons Waadt über die Eröffnung der Strafuntersuchung gegen A._ und ihre Opposition gegen eine Mitteilung an ihre Disziplinarbehörde. Mit Anordnung vom 21. Juni 2024 ordnete der Generalstaatsanwalt die Mitteilung der Eröffnung der Strafuntersuchung an das Departement für Gesundheit und Soziales (DSAS) an. Er begründete dies damit, dass die Vorwürfe „sozial inadäquates und problematisches Verhalten“ aufzeigten, das das Vertrauen in ihre berufliche Tätigkeit als Assistentin in Gesundheits- und Gemeinschaftspflege gefährden könnte. Diese Tätigkeit beinhaltet die Begleitung von Menschen jeden Alters, oft mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen. Der Generalstaatsanwalt sah in den Verhaltensweisen Anlass zur Besorgnis hinsichtlich A.__s Fähigkeit, in Konflikt- oder Stresssituationen die Fassung zu bewahren, und beurteilte, dass das öffentliche Interesse die privaten Interessen der Beschwerdeführerin überwiege. Die Chambre des recours pénale des Kantonsgerichts Waadt bestätigte diese Anordnung mit Entscheid vom 15. Juli 2024 und wies die Beschwerde von A._ ab. Sie hielt fest, dass der Rückzug einer Anzeige unerheblich sei, solange die Verfahren nicht formell eingestellt seien, und dass die Vorfälle ein hohes Rückfallrisiko implizierten, welches die Eignung der Beschwerdeführerin in ihrem Beruf in Frage stelle.

4. Rechtliche Grundlagen Das Bundesgericht prüfte die Mitteilungsanordnung gestützt auf folgende Bestimmungen: * Art. 75 Abs. 4 StPO: Erlaubt Bund und Kantonen, Strafverfolgungsbehörden zu weiteren Mitteilungen an andere Behörden zu verpflichten oder zu ermächtigen, sofern eine formelle gesetzliche Grundlage besteht. * Art. 19 Abs. 1 des waadtländischen Einführungsgesetzes zur StPO (LVCPP/VD): Bildet die formelle gesetzliche Grundlage. Erlaubt Mitteilungen an andere Behörden, wenn das öffentliche Interesse an der Informationsweitergabe das Interesse der Parteien an der Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte überwiegt. Dies erfordert eine Interessenabwägung und die Einhaltung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Eignung, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit). * Directive n° 2.8 des Generalstaatsanwalts: Konkretisiert die Mitteilungspflicht für Gesundheitsberufe (zu denen A.__ als Assistentin in Gesundheits- und Gemeinschaftspflege zählt) bei Verbrechen und Vergehen sowie bestimmten Strassenverkehrsdelikten (insbesondere Art. 90 Abs. 3, 91 Abs. 2, 91a und 92 Abs. 2 SVG). * Art. 13 BV und Art. 8 EMRK: Schützen die Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie gewährleisten, dass Individuen grundsätzlich die Kontrolle über ihre persönlichen Daten behalten.

5. Rüge der Beschwerdeführerin Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips. Sie argumentierte, dass die Mitteilung bezüglich der Ereignisse vom April 2023 unzulässig sei, da die Anzeige zurückgezogen wurde und somit keine "laufende" Strafprozedur mehr vorliege. Für die Vorfälle vom Dezember 2023 fehle eine ausreichende Begründung. Sie bestritt zudem die Existenz eines erwiesenen oder dokumentierten Rückfallrisikos und beanstandete, dass ihr eigener Gesundheitszustand im Sachverhalt nicht berücksichtigt worden sei.

6. Erwägungen des Bundesgerichts

6.1. Zulässigkeit der Beschwerde Das Bundesgericht bejahte die Zulässigkeit der Beschwerde als Zwischenentscheid, da die Mitteilung an das DSAS einen irreparablen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG darstelle. Eine einmal erfolgte Kommunikation sei praktisch nicht mehr rückgängig zu machen und könne „ernsthafte Probleme in ihrer Karriere“ verursachen.

6.2. Materielle Prüfung (Verhältnismässigkeitsprinzip) Das Bundesgericht ging auf die Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips ein: * Fortdauer des Verfahrens trotz Anzeige-Rückzugs: Das Bundesgericht stellte klar, dass der Rückzug einer Strafanzeige die strafrechtliche Prozedur formell nicht beendete, solange keine Einstellungsverfügung (ordonnance de classement) ergangen war. Daher konnte die Vorinstanz die Faktenlage der ersten Untersuchung weiterhin berücksichtigen. Eine Gesamtbetrachtung beider Verfahren war zulässig. * Potenzielles Risiko für den Beruf: Die kumulierten Vorfälle vom April und Dezember 2023, einschliesslich Gewalthandlungen im privaten Bereich, Vorfällen im Strassenverkehr unter Alkohol- und Medikamenteneinfluss sowie dem festgestellten Kokainkonsum, können grundsätzlich Fragen hinsichtlich A.__s Fähigkeit aufwerfen, mit Stress und Konflikten umzugehen, insbesondere in ihrem Beruf, wo sie schutzbedürftige Personen betreut. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe seit Juli 2023 kein Kokain mehr konsumiert, konnte angesichts des positiven Analyseberichts vom 20. Dezember 2023 nicht einfach als hinreichend zur Eliminierung eines Rückfallrisikos akzeptiert werden. * Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips durch fehlende Kontextualisierung: Dies war der entscheidende Punkt der bundesgerichtlichen Beurteilung. Das Bundesgericht rügte, dass die Vorinstanz wesentliche Aspekte des Kontextes der inkriminierten Handlungen ausser Acht gelassen hatte. Die Beschwerdeführerin hatte sowohl am 16. April als auch am 13. Dezember 2023 (also während derselben Zeiträume, in denen ihr die vorgeworfenen Handlungen angelastet werden) die Notaufnahme eines Spitals aufgesucht, wobei sie angab, Opfer wiederholter Gewalt durch ihren Lebenspartner gewesen zu sein. Diese Umstände, einschliesslich ihrer eigenen Strafanzeige gegen den Partner (die sie später zurückzog), waren für die Beurteilung des Kontextes ihrer Handlungen und des Rückfallrisikos von erheblicher Relevanz. Das Bundesgericht bemängelte, dass die Vorinstanz die Handlungen der Beschwerdeführerin isoliert betrachtet hatte, ohne den potenziellen Einfluss ihres Gesundheitszustandes, insbesondere psychischer Art, oder eines bestehenden medizinischen Supports zu berücksichtigen. Obwohl die Vorinstanz selbst festhielt, die Beschwerdeführerin zeige „eine Form des Ungleichgewichts und langfristiger Fragilität“, anerkannte sie gleichzeitig die Notwendigkeit einer vertieften Untersuchung dieser Problematik, ohne diese jedoch selbst vorzunehmen. Angesichts der Schwere des Eingriffs in die Privatsphäre durch die Kommunikation und der Tatsache, dass die Mitteilungsentscheidung nicht unmittelbar nach den Vorfällen erfolgte (sondern sechs Monate nach dem Dezember-Ereignis), war es für die Vorinstanz zwingend erforderlich, sich über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zu informieren. Da dies unterblieb, fehlten der Vorinstanz die notwendigen Elemente für eine umfassende Interessenabwägung, was zu einer Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips führte und die Mitteilung als vorzeitig erscheinen liess.

7. Entscheid und Begründung Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut. Es hob den vorinstanzlichen Entscheid der Chambre des recours pénale des Kantonsgerichts Waadt vom 15. Juli 2024 auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an diese Behörde zurück. Das Kantonsgericht muss nun die Problematik des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin, einschliesslich der ihr zugrunde liegenden häuslichen Gewalt, vertieft instruieren und erst danach eine neue Entscheidung über die Mitteilung an das DSAS treffen. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben; die Beschwerdeführerin erhielt eine Parteientschädigung.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Rechtliche Grundlage: Die Mitteilung von Informationen aus Strafverfahren an Disziplinarbehörden ist in der Schweiz gestützt auf Art. 75 Abs. 4 StPO und kantonale Gesetze (hier Art. 19 Abs. 1 LVCPP/VD) zulässig, erfordert jedoch eine sorgfältige Interessenabwägung unter Einhaltung des Verhältnismässigkeitsprinzips.
  2. Umfassende Prüfung der Umstände: Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer solchen Mitteilung müssen alle relevanten Umstände, einschliesslich des psychischen Gesundheitszustandes der betroffenen Person und des Kontexts der vorgeworfenen Handlungen (z.B. Opfer von häuslicher Gewalt), berücksichtigt werden.
  3. Fehlende Kontextualisierung: Die Vorinstanz hat das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt, indem sie die Mitteilung anordnete, ohne den komplexen Hintergrund der vorgeworfenen Handlungen, insbesondere die vom Opferstatus der Beschwerdeführerin herrührenden Umstände und ihren Gesundheitszustand, ausreichend zu instruieren und in die Interessenabwägung miteinzubeziehen.
  4. Vorzeitige Mitteilung: Die Mitteilung erschien als vorzeitig, da der Vorinstanz die notwendigen Informationen für eine vollständige und abgewogene Entscheidung fehlten.
  5. Folge: Das Bundesgericht hob den Entscheid auf und wies die Sache zur vertieften Instruktion und Neubeurteilung an die kantonale Instanz zurück.