Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_517/2024 vom 2. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgericht, Urteil 4A_517/2024 vom 2. Juni 2025

1. Parteien und Streitgegenstand Die Beschwerdeführerin A._ SA (vormals G._ SA, die Versicherungsgesellschaft) ficht ein Urteil des II. Sozialversicherungsgerichts des Kantonsgerichts Freiburg an. Streitgegenstand sind Taggeldleistungen aus einer Krankentaggeld-Kollektivversicherung, die die F._ SA (als Arbeitgeberin) zugunsten ihres Personals, einschliesslich des Beschwerdegegners B._ (Arbeitnehmer), mit der Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hatte. Der Beschwerdegegner macht Taggeldansprüche wegen Arbeitsunfähigkeit geltend, während die Beschwerdeführerin Leistungsfreiheit aufgrund angeblichen Versicherungsbetrugs geltend macht.

2. Sachverhaltliche Grundlagen * Historie der Gesellschaften: B._, geboren 1959, war Maler und Verwaltungsrat der C._ SA (Malerbetrieb), die am 14. November 2019 in Konkurs ging. Zugleich war er zusammen mit seinen Söhnen Verwaltungsrat der F._ SA (Immobilienbetrieb, gegründet am 30. Mai 2017), die ihren Sitz an derselben Adresse wie die C._ SA hatte. B._ war bis zum 28. Februar 2019 Direktor der C._ SA. Ab dem 1. März 2019 bezog er ein monatliches Netto-Gehalt von 7'219.70 CHF (zuzüglich Spesen) von der F._ SA. Seine Eintragung als Verwaltungsrat der F._ SA wurde am 19. September 2019 gelöscht. * Abschluss der Versicherung: Am 5. Februar 2019 beantragte und am 12. Februar 2019 schloss die F._ SA mit der Versicherungsgesellschaft eine Kollektiv-Krankentaggeldversicherung mit Wirkung ab 1. März 2019 für ihr Personal. Die Versicherung sah Taggelder von 80% des versicherten Lohns für 730 Tage nach einer Wartefrist von 30 Tagen vor. * Eintritt des Versicherungsfalls: B._ war ab dem 6. September 2019 arbeitsunfähig. Die Versicherungsgesellschaft wurde am 11. Oktober 2019 informiert. Ein Arzt attestierte ab dem 6. September 2019 eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer reaktiven Angst-Depression. * Leistungszahlungen und Streitigkeiten: Die Versicherungsgesellschaft zahlte Taggelder für den Zeitraum vom 6. September 2019 bis 31. Mai 2020. Ab dem 18. Februar 2020 mahnte die Versicherungsgesellschaft die F._ SA wegen ausstehender Prämienzahlungen für 2020 und drohte mit Leistungsaufschub. Am 19. Mai 2020 forderte sie die Rückzahlung bereits erbrachter Taggelder für März bis Mai 2020. Nach Begleichung der Prämien wurden weitere Taggelder anerkannt, jedoch mit der Rückforderung verrechnet. Am 14. September 2020 sistierte die Versicherungsgesellschaft die Taggelder erneut und annullierte den Vertrag schliesslich am 9. September 2021 rückwirkend auf den 5. September 2019. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Vertrag zur Absicherung von Mitarbeitern der überschuldeten C._ SA geschlossen worden sei und die gestellten Forderungen betrügerisch im Sinne von Art. 40 VVG seien.

3. Entscheid der Vorinstanz Das Kantonsgericht Freiburg verurteilte die Versicherungsgesellschaft zur Zahlung weiterer Taggelder in Höhe von 111'817 CHF an B.__ und wies die Widerklage der Versicherungsgesellschaft auf Rückzahlung bereits erbrachter Leistungen ab. Es hielt fest, dass der Vertrag gültig sei und keine betrügerische Forderung vorliege.

4. Rechtliche Argumente und Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Beschwerde der Versicherungsgesellschaft, die sich auf eine Reihe von Gründen stützte, um die Leistungsfreiheit geltend zu machen:

4.1. Verletzung der Anzeigepflicht (Reticenz gemäss Art. 6 aVVG) * Argument der Beschwerdeführerin: Die Versicherungsgesellschaft rügte, die Vorinstanz habe willkürlich einen Sachverhalt festgestellt, indem sie die Gründung einer H._ Sàrl (angeblich als Ersatz für die insolvenzgefährdete C._ SA) ausser Acht gelassen habe. Dies hätte gezeigt, dass B._ bereits gesundheitlich angeschlagen gewesen sei. Ferner hätte B._ bei der Gesundheitsfrage 4b im Antragsformular mit "Ja" antworten müssen, und ein psychiatrisches Gutachten habe eine Verschlechterung seines Zustandes bereits Ende 2018 (vor Vertragsabschluss) ausgewiesen. * Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies diese Rügen als unzulässig zurück. * Die Kritik bezüglich der H.__ Sàrl genügte nicht den Anforderungen an eine Willkürrüge (Art. 106 Abs. 2 BGG), und es war kein relevanter Zusammenhang zur angeblichen Täuschung ersichtlich. * Die Behauptungen bezüglich der Gesundheitsfragen und des psychiatrischen Gutachtens stellten neue, im kantonalen Urteil nicht festgestellte Fakten dar. Die Beschwerdeführerin hatte weder Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung noch eine formgerechte Sachverhaltsergänzung beantragt (Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 2, 106 Abs. 2 BGG). Daher konnten diese Fakten nicht berücksichtigt werden. * Selbst wenn eine Anzeigepflichtverletzung vorläge, bestritt die Beschwerdeführerin nicht, dass ihr Schreiben vom 9. September 2021 nicht die formalen Anforderungen einer Kündigung gemäss Art. 6 aVVG erfüllte, die für die Geltendmachung einer Reticenz erforderlich wäre (ATF 129 III 713 E. 2.1). * Ergebnis: Die Rügen betreffend die Reticenz wurden als unbegründet bzw. unzulässig abgewiesen.

4.2. Absichtliche Täuschung (Dolus gemäss Art. 28 OR) * Argument der Beschwerdeführerin: Die Versicherungsgesellschaft bestritt, ihren Willen, den Vertrag nicht aufrechtzuerhalten, rechtzeitig erklärt zu haben (Art. 31 OR). Sie rügte jedoch, die Feststellung der Vorinstanz, B._ sei tatsächlich Lohnempfänger der F._ SA gewesen, sei "reduzierend" und hätte eine detailliertere Analyse der Buchhaltung der F._ SA erfordert, die gezeigt hätte, dass B.__s Tätigkeit der C._ SA verrechnet wurde. * Begründung des Bundesgerichts: * Das Bundesgericht bestätigte, dass die Versicherungsgesellschaft die rechtzeitige Erklärung der Nicht-Aufrechterhaltung des Vertrags gemäss Art. 31 OR nicht bestritten hatte, was bereits die Gültigkeit des Vertrages unter dem Aspekt des Dolus sicherstellte. * Die Vorinstanz hatte die tatsächliche Erwerbstätigkeit B._s bei der F._ SA aufgrund verschiedener Beweismittel (Lohnabrechnungen, Zahlungsbelege, Rechnungen für Subunternehmerleistungen, Zeugenaussagen) festgestellt. Diese Beweiswürdigung war nicht willkürlich (Art. 9 BV). Die Beschwerdeführerin konnte nicht darlegen, dass die vollständige Buchhaltung diametral entgegengesetzte Ergebnisse geliefert hätte. * Ergebnis: Die Rügen betreffend Dolus wurden abgewiesen.

4.3. Betrügerische Forderung (gemäss Art. 40 VVG) * Argument der Beschwerdeführerin: Die Forderung sei betrügerisch, da B._ nie tatsächlich Angestellter der F._ SA gewesen sei. Zudem habe B._ im Oktober 2020 die Einsicht in die Buchhaltung der F._ SA verweigert, was eine Verletzung der Auskunftspflicht gemäss Art. 39 VVG darstelle und für sich allein schon zur Leistungsverweigerung berechtige. * Begründung des Bundesgerichts: * Das Bundesgericht hielt fest, dass B._s Arbeitsunfähigkeit unbestritten war. Die Vorinstanz hatte willkürfrei festgestellt, dass B._ zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Versicherung und des Eintritts des Schadenfalls tatsächlich als Arbeitnehmer für die F._ SA tätig war. Es gab keine Anzeichen für eine Statusänderung. * Zur Verletzung der Auskunftspflicht gemäss Art. 39 VVG: B._ war als Angestellter im Rahmen einer Kollektivversicherung anspruchsberechtigt. In dieser Rolle hatte er keine Pflicht, die Buchhaltung der F.__ SA, deren Organ er auch war, der Versicherungsgesellschaft vorzulegen. Die Pflicht zur Offenlegung der Buchhaltung ist nur relevant, wenn der Anspruchsteller selbständig ist. * Ergebnis: Die Rügen betreffend betrügerische Forderung wurden abgewiesen.

4.4. Umfang der Leistungen

4.4.1. Leistungsaufschub wegen Prämienverzug (gemäss Art. 20 aVVG) * Argument der Beschwerdeführerin: Die Vorinstanz habe Art. 20 aVVG verletzt, indem sie einen Leistungsaufschub für die Periode vom 4. März bis 14. Juni 2020 verneinte. Sie argumentierte, Prämienverzug führe immer zur Suspendierung, unabhängig vom Schadenzeitpunkt. Zudem sähen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) des Vertrages eine entsprechende Suspendierung ausdrücklich vor. * Begründung des Bundesgerichts: * Das Bundesgericht bekräftigte seine ständige Rechtsprechung zu Art. 20 Abs. 3 aVVG: Die Verpflichtung des Versicherers wird nur für Schäden suspendiert, die nach Ablauf der gesetzlichen Mahnfrist eintreten (ATF 142 III 671 E. 2.3). Da die Arbeitsunfähigkeit B._s bereits am 6. September 2019 eingetreten war, d.h. vor dem Prämienverzug der F._ SA (Mahnung erfolgte am 18. Februar 2020), war die Leistungspflicht der Versicherungsgesellschaft für diesen Schaden nicht suspendiert. * Die Rüge bezüglich der AVB wurde nicht berücksichtigt, da deren Inhalt nicht aus dem Sachverhalt des kantonalen Urteils hervorging und die Beschwerdeführerin keine formgerechte Sachverhaltsergänzung beantragt hatte (Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 2 BGG). * Ergebnis: Die Rügen betreffend Leistungsaufschub wurden abgewiesen.

4.4.2. Überentschädigung (IV-Rente) * Argument der Beschwerdeführerin: Das kantonale Urteil führe zu einer Überentschädigung, da es die IV-Rente, die B.__ ab dem 1. September 2020 rückwirkend zugesprochen wurde (Entscheid vom 4. Januar 2022, vom Beschwerdegegner selbst eingereicht), nicht von den Taggeldern abgezogen habe. * Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Versicherungsgesellschaft diese Rüge der Überentschädigung nicht fristgerecht in ihrer Duplik/Replik auf die Widerklage erhoben hatte, obwohl der IV-Entscheid bereits im Verfahren bekannt war. Auch wenn das Verfahren der sozialen Untersuchungsmaxime unterliegt (Art. 247 Abs. 2 lit. a ZPO), muss eine Partei den Sachverhaltsrahmen selbst darlegen. Der Richter ist nicht verpflichtet, von sich aus in den Akten nach entlastenden Argumenten zu suchen (ATF 141 III 569 E. 2.3.1). * Ergebnis: Die Rüge betreffend Überentschädigung wurde abgewiesen.

5. Schlussfolgerung des Bundesgerichts Das Bundesgericht wies die Beschwerde der A.__ SA, soweit sie überhaupt zulässig war, vollumfänglich ab. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt, und sie wurde zur Zahlung einer Parteientschädigung an den Beschwerdegegner verurteilt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: Das Bundesgericht bestätigte das Urteil der Vorinstanz, wonach der Beschwerdegegner Taggeldleistungen aus der Krankentaggeld-Kollektivversicherung beanspruchen kann. Die Rügen der Versicherungsgesellschaft betreffend Anzeigepflichtverletzung (Reticenz), absichtliche Täuschung (Dolus) und betrügerische Forderung (Art. 40 VVG) wurden abgewiesen. Dies primär, weil die Versicherungsgesellschaft die Anforderungen an die Sachverhaltsrüge nicht erfüllte (keine willkürliche Feststellung, keine zulässige Sachverhaltsergänzung) und da das Bundesgericht die Feststellung der Vorinstanz, wonach B._ zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und des Schadenfalls tatsächlich als Arbeitnehmer für die F._ SA tätig war, als willkürfrei erachtete. Die Verweigerung der Einsicht in die Buchhaltung der F._ SA durch B._ wurde nicht als Verletzung der Auskunftspflicht im Sinne von Art. 39 VVG gewertet, da B.__ seine Ansprüche als Angestellter geltend machte. Auch die Rügen zur Leistungsdauer (keine Suspendierung der Leistungspflicht bei Prämienverzug, da der Schaden vor dem Verzug eintrat) und zur Überentschädigung (nicht rechtzeitig gerügt) wurden abgewiesen. Das Urteil betont die Bedeutung der präzisen Einhaltung der prozessualen Rügepflichten im bundesgerichtlichen Verfahren.