Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_677/2024 vom 6. Juni 2025

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Nachfolgend wird das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (1C_677/2024 vom 6. Juni 2025) detailliert zusammengefasst.

Einleitung Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu entscheiden, die sich gegen einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern richtete. Gegenstand des Verfahrens war eine Baubewilligung für den Neubau von vier Doppeleinfamilienhäusern und einem Dreifamilienhaus in der Gemeinde Sigriswil. Die Beschwerdeführenden, Eigentümer angrenzender Grundstücke, wehrten sich gegen das Bauvorhaben, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Ortsbildschutzes und der Einhaltung von Bauvorschriften.

Sachverhalt Die Baugesellschaft D._ (bestehend aus E._ AG, F._ AG und G._ AG) reichte im November 2021 ein Baugesuch für die Wohnüberbauung "Endorfhohle" ein. Das Vorhaben umfasste den Neubau eines Dreifamilienhauses (Haus B) auf Parzelle Nr. 4440 über einer bereits bestehenden Einstellhalle sowie vier Doppeleinfamilienhäuser (Häuser C-F) hangaufwärts auf weiteren Parzellen. Die Erschliessung sollte über einen unterirdischen Zugang und eine Liftanlage erfolgen. Die Bauparzellen liegen in der Wohnzone W1 und im Perimeter der Überbauungsordnung «Endorfhohle» (ÜO) vom 1. Dezember 2003, die im Mai 2021 und April 2022 geändert und im Mai 2022 genehmigt wurde. Gegen das Bauvorhaben erhoben die Beschwerdeführenden Einsprache. Die Regierungsstatthalterin des Verwaltungskreises Thun bewilligte das Vorhaben im Oktober 2022 und wies die Einsprachen ab. Die hiergegen erhobenen Beschwerden an die Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern (März 2023) und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Oktober 2024) blieben erfolglos. Die Beschwerdeführenden gelangten daraufhin an das Bundesgericht. Von zentraler Bedeutung für den Fall war die Nachbarschaft zu einem schützenswerten Wohnhaus aus dem Jahr 1792 (Gebäude Nr. 19, «Weibelsheimet»), das im Bauinventar verzeichnet ist.

Rechtliche Würdigung und Argumentation des Bundesgerichts

  1. Nichtigkeit der Überbauungsordnung (ÜO)

    • Argument der Beschwerdeführenden: Die 2022 erfolgte Änderung der ÜO sei nichtig, da die kantonale Denkmalpflege (KDP) entgegen Art. 10c des Berner Baugesetzes (BauG/BE) nicht konsultiert worden sei. Dies habe zur Folge, dass denkmalpflegerische Interessen nicht berücksichtigt wurden, was einen schwerwiegenden Verfahrensfehler darstelle.
    • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, wonach eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vorliege, da das Verwaltungsgericht die Nichtigkeit der ÜO begründet verneint habe. In der Sache selbst führte das Gericht aus, dass Nichtigkeit nur bei besonders schwerwiegenden, offenkundigen oder leicht erkennbaren Rechtsfehlern anzunehmen sei, die zudem die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährden dürften. Hier handelte es sich um eine geringfügige Änderung der ÜO gemäss Art. 122 Abs. 7 der Berner Bauverordnung (BauV/BE). Entscheidend war, dass die Baufelder der an das schützenswerte Gebäude angrenzenden Häuser E und F im Zuge der Änderung sogar verkleinert wurden. Obwohl das Baufeld für Haus B vergrössert wurde, sei nicht dargelegt worden, inwiefern dies von besonderer denkmalpflegerischer Bedeutung sei. Der fehlende Einbezug der KDP wurde daher nicht als derart schwerwiegend und offensichtlich erachtet, dass er die Nichtigkeit der ÜO begründen könnte.
  2. Akzessorische Überprüfung der Überbauungsordnung

    • Argument der Beschwerdeführenden: Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine vorfrageweise Überprüfung der ÜO abgelehnt. Die ÜO sei über 20 Jahre alt (2004) und die seither erfolgte Anpassung des kantonalen Baurechts (Beitritt zur IVHB, Erlass BMBV, Anpassung GBR der Gemeinde) habe zu Änderungen geführt (z.B. Hangzuschlag, Kniestockhöhe), die faktisch viergeschossige Bauten in der W1 ermöglichten und 2004 nicht vorhersehbar gewesen seien. Zudem hätten sie keine Möglichkeit gehabt, die Änderung der ÜO anzufechten, da das Baugesuch vor Inkrafttreten der geänderten ÜO eingereicht worden sei.
    • Begründung des Bundesgerichts: Nutzungspläne können nur ausnahmsweise akzessorisch überprüft werden, wenn die Tragweite der Eigentumsbeschränkung im Zeitpunkt des Erlasses oder der Änderung nicht erkennbar war, keine Möglichkeit zur Wahrung der Interessen bestand oder sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (unter Verweis auf BGE 131 II 103 E. 2.4.1 und 148 II 417 E. 3.3). Vorliegend wurde die ÜO erst kürzlich (2022) geändert. Dieses Verfahren habe die Berücksichtigung der seit 2004 erfolgten Änderungen der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse ermöglicht. Der Einwand, die Änderung der ÜO sei nicht anfechtbar gewesen, wurde zurückgewiesen. Das Bundesgericht hielt fest, dass aus dem öffentlich aufgelegten Erläuterungsbericht klar hervorgegangen sei, dass die Anpassung der ÜO im Hinblick auf das geplante Bauvorhaben erfolgte und somit die angepasste ÜO der Baubewilligung zugrunde gelegt werden sollte. Eine willkürliche Anwendung des kantonalen Baurechts sei nicht ersichtlich. Eine akzessorische Überprüfung der ÜO war demnach nicht geboten.
  3. Gebäudehöhe und Hangzuschlag

    • Argument der Beschwerdeführenden: Die projektierten Gebäude überschreiten mit 9.85 bis 10.04 m die gemäss Art. 212 Abs. 1 GBR zulässige Gesamthöhe von 9.5 m. Der gemäss Art. 212 Abs. 3 GBR gewährte Hangzuschlag von 1.0 m sei nicht auf die Gesamthöhe anwendbar. Das Verwaltungsgericht habe sich hierbei zu Unrecht Zurückhaltung bei der Prüfung auferlegt.
    • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies die Rüge einer formellen Rechtsverweigerung zurück. Die Gemeinde habe ihre Auffassung zur Anwendbarkeit des Hangzuschlags auf die Gebäudehöhe begründet. Das Verwaltungsgericht habe diese Auslegung nicht nur als vertretbar, sondern als "sachlogisch" und damit als einzig richtige erachtet, da die Bestimmung sonst sinnlos wäre. Damit habe sich das Verwaltungsgericht keine Zurückhaltung auferlegt. Die weiteren Argumente der Beschwerdeführenden, die lediglich die Unerwünschtheit eines Hangzuschlags auf die Gebäudehöhe darlegten, begründeten keine Willkür in der Rechtsanwendung.
  4. Berechnung der Hangneigung und Geschosszahl

    • Argument der Beschwerdeführenden: Die Berechnung der für den Hangzuschlag erforderlichen Hangneigung von mindestens 10 % für Gebäude B sei willkürlich. Das Gelände sei bei der Errichtung der Einstellhalle erheblich aufgeschüttet worden, das natürlich gewachsene Terrain liege tiefer und verlaufe flacher. Zudem sei die zulässige Geschosszahl für Haus B überschritten.
    • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht folgte den Vorinstanzen, die auf die Pläne aus dem Jahr 2006 abstellten. Die von den Beschwerdeführenden neu eingereichten Fotos seien wenig aussagekräftig und könnten den Geländeverlauf nicht schlüssig belegen. Das Verwaltungsgericht sei auf die Argumente der Beschwerdeführenden eingegangen und habe dargelegt, weshalb es diesen nicht folge. Die Beweiswürdigung der Vorinstanz wurde nicht als willkürlich beanstandet. Die Rüge der Überschreitung der Geschosszahl wurde als gegenstandslos erachtet, da sie auf der von den Beschwerdeführenden für richtig erachteten, aber vom Gericht nicht bestätigten Sachverhaltsdarstellung des natürlichen Geländeverlaufs basierte.
  5. Würdigung des Fachberichts der kantonalen Denkmalpflege (KDP)

    • Argument der Beschwerdeführenden: Der Fachbericht der KDP vom 7. Juli 2022 sei offensichtlich widersprüchlich, da die KDP zwar die Bewilligung des Bauvorhabens beantrage, gleichzeitig aber die Nähe der Gebäude E und F zum Baudenkmal als Beeinträchtigung würdige. Zur Klärung dieses Widerspruchs hätte die kantonale Kommission zur Pflege der Orts- und Landschaftsbilder (OLK) beigezogen und ein Augenschein durchgeführt werden müssen.
    • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht teilte die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass kein Grund bestehe, vom Fachbericht der KDP abzuweichen. Die Beurteilung der KDP sei nicht widersprüchlich, sondern als nuanciert zu verstehen: Die Beeinträchtigung des Baudenkmals sei nicht schwerwiegend genug, um eine Verweigerung der Bewilligung zu rechtfertigen, gleichwohl seien punktuelle Verbesserungen wünschenswert. Die BVD habe bereits geprüft, ob Bedingungen oder Auflagen zur Schonung des Baudenkmals möglich seien, sei aber zum Schluss gekommen, dass aufgrund der Nutzungsplanung und örtlichen Gegebenheiten kein Spielraum für eine andere Platzierung der Häuser E und F oder eine andere Gestaltung des Fusswegs bestehe. Dies sei vom Verwaltungsgericht bestätigt worden und von den Beschwerdeführenden nicht als willkürlich gerügt worden.

Entscheid des Bundesgerichts Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte Das Bundesgericht bestätigte die Baubewilligung für die Wohnüberbauung in Sigriswil. Es wies die Rügen der Beschwerdeführenden ab, insbesondere: 1. Nichtigkeit der ÜO: Die fehlende Konsultation der KDP bei der geringfügigen Änderung der ÜO führte aufgrund der Umstände (z.B. Verkleinerung angrenzender Baufelder) nicht zur Nichtigkeit. 2. Akzessorische Überprüfung der ÜO: Eine solche war nicht geboten, da die ÜO kürzlich geändert wurde und diese Änderung das streitige Bauvorhaben explizit berücksichtigte. 3. Hangzuschlag: Die Auslegung des Gemeindebaureglements, wonach der Hangzuschlag von 1.0 m auf die Gesamthöhe anwendbar ist, wurde als sachlogisch und nicht willkürlich bestätigt. 4. Hangneigung und Geschosszahl: Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz bezüglich des natürlichen Geländeverlaufs und der Berechnung der Hangneigung wurde als nicht willkürlich erachtet. Die Rüge der Überschreitung der Geschosszahl war hinfällig. 5. KDP-Fachbericht: Der Bericht der Denkmalpflege wurde als nuanciert und nicht als widersprüchlich gewertet; eine Beeinträchtigung wurde zwar festgestellt, aber als nicht so schwerwiegend erachtet, dass sie eine Bewilligungsverweigerung rechtfertigen würde.