Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGE 6B_248/2025 vom 7. Juli 2025) befasst sich mit der obligatorischen Landesverweisung gemäss Art. 66a des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) und den Anforderungen an die Begründung kantonaler Urteile nach Art. 112 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG).
1. Sachverhalt und Vorinstanzen
Der Beschuldigte A.__, geboren 1986 in Angola, ist 1993 im Alter von sieben Jahren in die Schweiz eingereist und hat seither hier gelebt. Er litt unter Verhaltensstörungen und einer leichten geistigen Retardierung. Seit 2002 wurde er wiederholt straffällig und war sowohl als Jugendlicher als auch als Erwachsener mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Sein Strafregister weist zahlreiche Einträge auf, darunter Verurteilungen wegen versuchter Vergewaltigung (2008, 18 Monate Freiheitsstrafe und stationäre Massnahme), einfacher Körperverletzung (2020), Betrug (wiederholt, auch gewerbsmässig), Urkundenfälschung und Drogendelikten. Er ist Vater zweier in der Schweiz lebender Kinder, zu denen er jedoch nur eingeschränkten Kontakt pflegt und keine Unterhaltsbeiträge leistet. Seit 2017 steht er unter einer umfassenden Beistandschaft aufgrund seiner psychischen Problematik. Zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils war er arbeitslos und bezog Sozialhilfe, hatte aber eine Kochlehre in der Schweiz abgeschlossen.
Das Tribunal correctionnel de l'arrondissement de Lausanne hatte A.__ am 24. Januar 2024 wegen gewerbsmässigen Betrugs, Beschimpfung und Drohung zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt und zusätzlich seine Landesverweisung für sieben Jahre angeordnet.
Die Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal vaudois (kantonale Instanz) hob dieses Urteil am 4. Oktober 2024 teilweise auf und verzichtete auf die Anordnung der Landesverweisung. Sie begründete dies damit, dass ein schwerwiegender persönlicher Härtefall gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB vorliege, der das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiege. Als massgebliche Faktoren führte sie an: die frühe Einreise im Alter von sieben Jahren, fehlende Bezüge zum Herkunftsland Angola, psychische Störungen (Verhaltensstörungen, leichte geistige Retardierung), eine bestehende Beistandschaft in der Schweiz mit unsicheren Schutzmassnahmen in Angola, berufliche Ausbildung und frühere Tätigkeiten in der Schweiz, zwei in der Schweiz lebende minderjährige Kinder (trotz eingeschränktem Kontakt) und weitere Familienangehörige in der Schweiz.
2. Rügen des Beschwerdeführers (Ministère public)
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt rügte vor Bundesgericht Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und eine unzureichende Interessenabwägung. Sie beanstandete insbesondere die Annahme der kantonalen Instanz, der Intimierte habe keine Bindungen zu seinem Herkunftsland Angola, obwohl seine leibliche Mutter und Teile seiner Familie dort leben und er selbst Kontakte pflege. Auch die Einschätzung der Unsicherheit bezüglich Schutzmassnahmen in Angola sei unbegründet. Ausserdem sei das öffentliche Interesse an der Landesverweisung des Intimierten aufgrund seiner umfangreichen und schwerwiegenden Vorstrafen (u.a. versuchte Vergewaltigung, einfache Körperverletzung, mehrfacher Betrug) sowie seiner fehlenden Respektierung der Schweizer Rechtsordnung bei Weitem höher zu gewichten als sein privates Interesse am Verbleib in der Schweiz. Eine Landesverweisung würde den Kontakt zu den Kindern nicht fundamental ändern, und seine psychischen Probleme hätten ihn nicht an Ausbildung und Arbeit gehindert.
3. Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht erinnerte zunächst an die Grundsätze der obligatorischen Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 StGB. Ein Abweichen von der Landesverweisung ist nur möglich, wenn ein schwerwiegender persönlicher Härtefall gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB vorliegt und die Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen am Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt (vgl. BGE 149 IV 231 E. 2.1, 146 IV 105 E. 3.4.2, 144 IV 332 E. 3.3.1).
Diese Abwägung muss dem Verhältnismässigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV) und Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) genügen (vgl. BGE 139 I 145 E. 2.4; 139 I 31 E. 2.3.3 sowie die Rechtsprechung des EGMR). Relevante Kriterien sind die Art und Schwere der Straftat, die Aufenthaltsdauer, der seither vergangene Zeitraum, das Verhalten des Betroffenen und die Stärke der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Herkunftsland.
Zentraler Punkt der bundesgerichtlichen Beurteilung war die Begründungspflicht der kantonalen Instanz gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG. Eine kantonale Entscheidung muss die massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe klar darlegen, damit das Bundesgericht die Anwendung des Bundesrechts überprüfen kann (vgl. BGE 146 IV 231 E. 2.6.1, 141 IV 244 E. 1.2.1). Eine mangelhafte Begründung, die nicht die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen für die Prüfung des Bundesrechts enthält, führt zur Aufhebung oder Rückweisung des Urteils (Art. 112 Abs. 3 BGG). Das Bundesgericht betonte, dass es der Vorinstanz nicht obliegt, die richterliche Pflicht zu ersetzen, wenn diese ihrer Begründungspflicht nicht vollumfänglich nachgekommen ist (vgl. BGE 141 IV 244 E. 1.2.1).
Im vorliegenden Fall rügte das Bundesgericht, dass die kantonale Instanz, anders als die erste Instanz, pauschal und ohne weitere Begründung festgestellt habe, der Intimierte habe keine Bindungen zu seinem Herkunftsland Angola. Dies stehe im Widerspruch zu den erstinstanzlichen Feststellungen und einem Protokoll, das auf Kontakte zur Mutter in Angola hinweist. Ebenso wenig begründet sei die Behauptung, die Aussichten auf Schutzmassnahmen in Angola seien ungewiss. Hinsichtlich der Interessenabwägung habe sich die Vorinstanz darauf beschränkt, festzustellen, dass das private Interesse des Intimierten "ausreichend" sei, das öffentliche Interesse zu "konterbalancieren", obschon sie selbst die zahlreichen und teilweise schwerwiegenden Vorstrafen (versuchte Vergewaltigung, gewerbsmässiger Betrug, einfache Körperverletzung) sowie die schlechte berufliche Integration des Intimierten anerkannt habe. Diese pauschale Formulierung erfülle die Begründungspflicht nach Art. 112 BGG nicht, da sie keine detaillierte Abwägung der jeweiligen Interessen zulasse.
Ein vom Intimierten nach dem angefochtenen Urteil eingereichtes Dokument betreffend eine erweiterte Besuchsrechtsregelung wurde als unzulässiges neues Beweismittel gemäss Art. 9 Abs. 1 BGG gewertet und nicht berücksichtigt.
4. Entscheid des Bundesgerichts
Infolgedessen hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die kantonale Instanz zurück. Die kantonale Instanz muss nun den Sachverhalt vervollständigen und ihre Begründung, insbesondere hinsichtlich der Frage eines Härtefalls und der Interessenabwägung im Rahmen der Landesverweisung, gemäss den Anforderungen von Art. 112 BGG ergänzen, um eine Überprüfung der korrekten Anwendung des Bundesrechts zu ermöglichen.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht hob das kantonale Urteil zur obligatorischen Landesverweisung auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück. Massgeblich war, dass die kantonale Instanz die Feststellung eines Härtefalls und die Interessenabwägung bei der Landesverweisung gemäss Art. 66a StGB nicht hinreichend begründet hatte. Insbesondere wurden die Bindungen des Beschuldigten zum Herkunftsland und die Auswirkungen einer Ausweisung auf seine Schutzbedürftigkeit ungenügend dargelegt. Die mangelhafte Begründung verhinderte eine Überprüfung der korrekten Anwendung des Bundesrechts, was einen Verstoss gegen die Begründungspflicht nach Art. 112 BGG darstellt.