Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_407/2024 vom 18. Juli 2025

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Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) 2C_407/2024 vom 18. Juli 2025 befasst sich mit der Frage der Erfassung und Zuteilung von Emissionsrechten für sogenannte geogene CO2-Emissionen innerhalb des Emissionshandelssystems (EHS) gemäss dem Bundesgesetz über die Reduktion der CO2-Emissionen (CO2-Gesetz; SR 641.71).

I. Sachverhalt und Streitgegenstand

Die Beschwerdeführerin, A.__ AG, ein im Papiersektor tätiges Unternehmen, ist zur Teilnahme am Schweizer EHS verpflichtet. Sie betreibt einen Wirbelschichtofen (Rückstandverbrennungsanlage, RüVA), in dem ein Gemisch aus Bioschlamm und Deinking-Schlamm (DIP-Schlamm), das bei ihrer Papierproduktion anfällt, unter Zufuhr von Altholz verbrannt wird, um Dampf für den Produktionsprozess zu erzeugen. Bei diesem Prozess kommt es zur Zersetzung von im Mischschlamm enthaltenen Karbonaten, wodurch CO2-Emissionen freigesetzt werden, die die Beschwerdeführerin als "geogene CO2-Emissionen" bezeichnet, da sie nicht aus der energetischen Nutzung fossiler Energieträger stammen.

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) teilte der A.__ AG mit Verfügung vom 10. Mai 2023 für das Jahr 2022 Emissionsrechte kostenlos zu, verweigerte jedoch eine zusätzliche Zuteilung für die durch die Verbrennung des Mischschlamms in der RüVA verursachten geogenen CO2-Emissionen (Dispositivziffer 3). Gleichzeitig verpflichtete das BAFU die Beschwerdeführerin, diese Emissionen ab 2022 im jährlichen Monitoring zu erfassen und dafür Emissionsrechte abzugeben (Dispositivziffer 4).

Gegen diese Verfügung erhob die A._ AG Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer), welches diese am 24. Juni 2024 abwies. Die A._ AG beantragte vor Bundesgericht primär die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Feststellung, dass für diese geogenen CO2-Emissionen keine Emissionsrechte abzugeben und diese nicht im jährlichen Monitoring zu erfassen seien. Eventualiter verlangte sie die Zuteilung zusätzlicher kostenloser Emissionsrechte für diese Emissionen.

II. Rechtliche Grundlagen des EHS in der Schweiz

Das Bundesgericht rekapituliert die Funktionsweise des Schweizer EHS: * Zweck (Art. 1 Abs. 1 CO2-G): Das CO2-Gesetz bezweckt die Verminderung von Treibhausgasen, insbesondere, aber nicht ausschliesslich, der CO2-Emissionen aus der energetischen Nutzung fossiler Energieträger. * Systematik ("cap-and-trade"): Eine jährlich sinkende Menge an Emissionsrechten (cap) wird bereitgestellt, teils kostenlos zugeteilt, teils versteigert. Unternehmen müssen Emissionsrechte im Umfang ihrer Emissionen abgeben. EHS-Teilnehmer erhalten dafür die CO2-Abgabe zurückerstattet (Art. 17 CO2-G). * Pflicht zur Teilnahme (Art. 16 Abs. 1 CO2-G i.V.m. Art. 40 Abs. 1 und Anhang 6 CO2-V): Für Betreiber von Anlagen, die hohe Treibhausgasemissionen verursachen und bestimmte Kategorien erfüllen, ist die Teilnahme obligatorisch. Die A.__ AG fällt unter diese Pflicht. * Kostenlose Zuteilung (Art. 19 Abs. 3 CO2-G i.V.m. Art. 46 Abs. 1 und Anhang 9 CO2-V): Die Menge der kostenlos zugeteilten Emissionsrechte bemisst sich nach der Treibhausgaseffizienz von Referenzanlagen, basierend auf Produkt- oder anderen Benchmarks. Gemäss Art. 46 Abs. 1 CO2-V hat das BAFU dabei die Vorschriften der Europäischen Union (EU) zu berücksichtigen. * Monitoring und Abgabepflicht (Art. 20 f. CO2-G): EHS-Unternehmen müssen jährlich über ihre Treibhausgasemissionen Bericht erstatten (Monitoring) und für nicht gedeckte Emissionen Emissionsrechte abgeben oder einen Betrag entrichten.

III. Begründung des Bundesgerichts

1. Einbezug der geogenen CO2-Emissionen ins EHS (Hauptantrag)

Die A.__ AG machte geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt qualifiziert unrichtig festgestellt, da die geogenen CO2-Emissionen aus der Zersetzung von Karbonaten in der RüVA nicht aus einer energetischen Nutzung stammten, sondern aus einem endothermen chemischen Prozess im Rahmen der Abfallbehandlung, der unvermeidbar sei. Sie argumentierte, dass gemäss der EU-Delegierten Verordnung (EU) 2019/331 (Anhang I), die "interne Abfallbehandlung" von den Systemgrenzen der Produktbenchmarks ausgenommen sei und daher nicht in die Berechnung einbezogen werden dürfe. Art. 46 Abs. 1 CO2-V, wonach die EU-Vorschriften zu berücksichtigen seien, gebiete eine solche Differenzierung.

Das Bundesgericht wies diese Argumentation zurück: * Umfassender Anwendungsbereich des CO2-Gesetzes: Das BGer bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass der Zweck des CO2-Gesetzes (Art. 1 CO2-G) die generelle Verminderung aller Treibhausgasemissionen ist, nicht nur jener aus der energetischen Nutzung fossiler Energieträger. Art. 1 Abs. 1 lit. a CO2-V unterscheide ebenfalls nicht nach der Herkunft der Emissionen. Die geogenen CO2-Emissionen fallen daher grundsätzlich unter den Geltungsbereich des Gesetzes und sind als relevante Emissionen gemäss Art. 16 Abs. 2 CO2-G zu qualifizieren. * Unterschiede im Schweizer und EU-Recht: Das BGer stellte fest, dass der Anhang 9 Ziff. 1.1 CO2-Verordnung, der die anwendbaren Produktbenchmarks für die Schweiz festlegt, im Gegensatz zu Anhang I der delegierten Verordnung (EU) 2019/331 keine "Systemgrenzen" vorsieht, die eine "interne Abfallbehandlung" ausschliessen würden. Zwar kennt das Schweizer Recht spezifische Ausnahmen für die Entsorgung von Sonderabfällen oder Siedlungsabfällen (Art. 43 Abs. 2 lit. b CO2-V, Anhang 6 Ziff. 1 CO2-V), jedoch keine generelle Ausnahme für die "interne Abfallbehandlung" im Sinne der EU-Regulierung. * Grenzen der EU-Vorschriften-Berücksichtigung: Art. 46 Abs. 1 CO2-Verordnung, der das BAFU zur Berücksichtigung der EU-Vorschriften bei der Berechnung der kostenlosen Zuteilung anhält, rechtfertigt nach Ansicht des Bundesgerichts keine Abweichung von den durch den Bundesrat in der CO2-Verordnung (insbesondere Anhang 9) rechtsatzmässig vorgegebenen Benchmarks und deren Anwendungsbereich. Dem BAFU verbleibe diesbezüglich kein Ermessensspielraum, um von der klaren Schweizer Regelung abzuweichen. * Integration der RüVA in den Produktionsprozess: Das BGer bekräftigte die vorinstanzliche Feststellung, dass die RüVA vollständig in den Produktionsprozess der Beschwerdeführerin eingebunden ist. Die dort gewonnene Energie wird für die Papierproduktion verwendet. Damit handelt es sich nicht um eine "reine" Abfallentsorgung, sondern um einen der Papierproduktion dienenden Vorgang. Dies untermauere, dass die Emissionen dieser Anlage unter die massgeblichen Produktbenchmarks fallen. * EHS-Abkommen: Das Abkommen zwischen der Schweiz und der EU zur Verknüpfung ihrer EHS (EHS-Abkommen) ziele lediglich auf die Verknüpfung und gegenseitige Anerkennung ab, nicht aber auf eine umfassende Harmonisierung sämtlicher Vorschriften. Die Abweichung des Schweizer Rechts in Bezug auf die Systemgrenzen sei zulässig und entspreche den Mindeststandards des Abkommens.

2. Anspruch auf zusätzliche kostenlose Emissionsrechte (Eventualantrag)

Die Beschwerdeführerin forderte eventualiter zusätzliche kostenlose Emissionsrechte für die geogenen CO2-Emissionen, da die anwendbaren Produktbenchmarks diese nicht abdeckten und es sich um einen unvermeidbaren Prozess handle. Sie könne die Treibhausgaseffizienz in Bezug auf diese Emissionen nicht erhöhen.

Das Bundesgericht wies auch diesen Antrag ab: * Hierarchie der Benchmarks: Gemäss Anhang 9 Ziff. 1.2 CO2-Verordnung erfolgt die kostenlose Zuteilung grundsätzlich anhand von Produktbenchmarks. Andere Berechnungs- und Zuteilungsmodi (Wärme-, Brennstoff- oder Prozess-Benchmarks) greifen nur dann, wenn kein Produktbenchmark anwendbar ist. * Anwendbarkeit der Produktbenchmarks: Im vorliegenden Fall sind unbestrittenermassen Produktbenchmarks für die Papierproduktion der Beschwerdeführerin anwendbar. Entgegen der Beschwerdeführerin erfassen diese Produktbenchmarks die Prozesse in der RüVA, da diese in den Produktionsprozess integriert sind und zur Energiegewinnung für die Papierproduktion dienen. * Keine doppelte Berücksichtigung: Eine zusätzliche kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten für diese Emissionen würde zu einer nicht vorgesehenen doppelten Berücksichtigung desselben Produktionsvorgangs führen, da die erzeugte Wärme bereits im Rahmen der Produktbenchmarks berücksichtigt wird.

IV. Fazit

Das Bundesgericht bestätigt die Sichtweise des BAFU und des Bundesverwaltungsgerichts. Die geogenen CO2-Emissionen aus der Zersetzung von Karbonaten in der Rückstandverbrennungsanlage der A.__ AG fallen unter den Anwendungsbereich des Schweizer CO2-Gesetzes und sind im Monitoring zu erfassen, wofür Emissionsrechte abzugeben sind. Ein Anspruch auf zusätzliche kostenlose Emissionsrechte für diese Emissionen besteht nicht, da sie bereits von den anwendbaren Produktbenchmarks erfasst werden, weil die RüVA vollständig in den Produktionsprozess integriert ist. Die Abweichung des Schweizer Rechts von den Systemgrenzen der EU-Vorschriften ist zulässig, da das EHS-Abkommen keine vollständige Harmonisierung vorsieht.

Zusammenfassende Kernpunkte:

  1. Umfassender Geltungsbereich des CO2-Gesetzes: Das Schweizer CO2-Gesetz erfasst grundsätzlich alle Treibhausgasemissionen, auch jene nicht-energetischer oder "geogener" Herkunft, sofern sie von EHS-pflichtigen Anlagen verursacht werden.
  2. Kein Ausschluss der "internen Abfallbehandlung": Das Schweizer Recht (CO2-Verordnung, Anhang 9) enthält im Gegensatz zur delegierten Verordnung (EU) 2019/331 keine generelle Ausnahme für Emissionen aus der "internen Abfallbehandlung" von den massgeblichen Produktbenchmarks.
  3. Integration des Prozesses: Die Rückstandverbrennungsanlage der Beschwerdeführerin gilt als integraler Bestandteil des Papierproduktionsprozesses, da die dort erzeugte Energie für die Produktion genutzt wird.
  4. Keine vollständige Harmonisierung mit EU-Recht: Das EHS-Abkommen zwischen der Schweiz und der EU bezweckt lediglich die Verknüpfung der Systeme, nicht jedoch eine umfassende Harmonisierung sämtlicher Vorschriften. Abweichungen im nationalen Recht sind daher zulässig, sofern sie die Mindestanforderungen des Abkommens erfüllen.
  5. Kein Anspruch auf zusätzliche kostenlose Zuteilung: Da die Emissionen der RüVA bereits im Rahmen der anwendbaren Produktbenchmarks berücksichtigt werden – auch wenn die Zersetzung der Karbonate dabei stattfindet – und eine Integration in den Produktionsprozess vorliegt, besteht kein Grund, zusätzliche kostenlose Emissionsrechte zuzuteilen oder auf eine andere Benchmark-Kategorie auszuweichen.