Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_546/2024 vom 12. Juni 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (2C_546/2024 vom 12. Juni 2025) befasst sich mit dem Widerruf einer Niederlassungsbewilligung und der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (sog. Rückstufung) eines kosovarischen Staatsangehörigen.

1. Gegenstand und Verfahrensgeschichte Streitgegenstand war die Rechtmässigkeit der durch das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau angeordneten Rückstufung der Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) des Beschwerdeführers A._ zu einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B). Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau hatte die Beschwerde des A._ gegen diese Massnahme abgewiesen. Zuvor hatte das Bundesgericht in einem früheren Verfahren (Urteil 2C_988/2022 vom 7. November 2023) lediglich die Frage der Fristwahrung im kantonalen Verfahren geklärt und die Sache zur materiellen Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.

2. Sachverhaltliche Ausgangslage A.__, geboren 1988, kosovarischer Staatsangehöriger, erhielt 1999 im Rahmen des Familiennachzugs eine Niederlassungsbewilligung. Seine ausländerrechtliche Akte war jedoch von wiederholter Straffälligkeit und massiver Überschuldung geprägt: * Strafrechtliche Auffälligkeit: Seit 2006 wurde er 24-mal strafrechtlich verurteilt, wovon 6 Delikte nach dem 1. Januar 2019 (dem Inkrafttreten des neuen Ausländer- und Integrationsgesetzes, AIG) begangen wurden. Die Verurteilungen umfassten Delikte wie einfache Körperverletzung, Verstösse gegen das Strassenverkehrs- und Transportgesetz (Fahren ohne Führerausweis, Schwarzfahren, Geschwindigkeitsüberschreitungen), Widerhandlungen gegen das Waffengesetz, aber auch schwerwiegendere Taten wie betrügerischer Konkurs und Pfändungsbetrug (Verheimlichung von Vermögenswerten) sowie wiederholten Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren. Bereits 2007 erhielt er eine ausländerrechtliche Verwarnung. Die Gesamtstrafe belief sich auf 580 Tagessätze und Fr. 5'720.-- Bussen. * Wirtschaftliche Situation: Der Beschwerdeführer war chronisch überschuldet. Per September 2021 beliefen sich die Betreibungen und Verlustscheine auf rund Fr. 240'000.--. Obwohl sich die offenen Betreibungen und Verlustscheine per Mai 2024 auf rund Fr. 122'500.-- reduziert hatten (massgeblich infolge einer Lohnpfändung), verzeichnete er weiterhin neue Schulden (Krankenkassenbeiträge, Steuerforderungen, Staatsanwaltschaft, Konsumgüterkäufe auf Rechnung).

3. Rechtliche Grundlagen und Prinzipien der Rückstufung Das Bundesgericht legte die massgebenden rechtlichen Bestimmungen und die hierzu ergangene Rechtsprechung dar: * Grundlage der Rückstufung: Nach Art. 63 Abs. 2 AIG kann eine Niederlassungsbewilligung widerrufen und durch eine Aufenthaltsbewilligung ersetzt werden, wenn die Integrationskriterien nach Art. 58a AIG nicht erfüllt sind. Diese umfassen u.a. die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie die Teilnahme am Wirtschaftsleben (Art. 58a Abs. 1 lit. a und d AIG). Die Art. 77a ff. VZAE konkretisieren diese Kriterien (E. 3.1). * Zweck der Rückstufung: Die Rückstufung ist ein eigenständiges Instrument, das darauf abzielt, mangelhaft integrierte Personen präventiv an ihre Integrationsverpflichtungen zu erinnern und ein ernsthaftes Integrationsdefizit zu beseitigen. Sie ist keine aufenthaltsbeendende Massnahme, sondern soll eine Verhaltensänderung herbeiführen (BGE 148 II 1 E. 2.3.3, 2.4; E. 3.2). * Rückstufung altrechtlicher Bewilligungen: Bei vor dem 1. Januar 2019 erteilten Niederlassungsbewilligungen muss die Rückstufung aufgrund des Vertrauensschutzes an ein nach dem 1. Januar 2019 aktualisiertes, hinreichend gewichtiges Integrationsdefizit anknüpfen. Ältere Sachverhaltselemente können zur Würdigung der Gesamtsituation herangezogen werden, die Rückstufung muss sich aber im Wesentlichen auf Sachverhalte abstützen, die sich nach diesem Stichtag zugetragen haben oder andauern (BGE 148 II 1 E. 5.3; E. 3.3, 3.4). * Verhältnismässigkeitsprinzip: Die Rückstufung muss stets verhältnismässig sein (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit) und im Einzelfall geprüft und begründet werden (Art. 96 Abs. 2 AIG; BGE 148 II 1 E. 2.6; E. 3.5). Eine Verwarnung kann, falls angezeigt, eine mildere Alternative sein.

4. Prüfung der Integrationsdefizite im vorliegenden Fall

Das Bundesgericht bejahte das Vorliegen von Integrationsdefiziten sowohl im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als auch der wirtschaftlichen Integration.

4.1. Nichteinhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Art. 58a Abs. 1 lit. a AIG) * Rechtliche Würdigung: Wiederholte Straffälligkeit, auch bei geringfügigen Delikten, kann ein Integrationsdefizit begründen (Art. 77a Abs. 1 lit. a VZAE). Entscheidend ist nicht zwingend die Schwere der Einzeldelikte, sondern deren Häufung, die auf ein unbelehrbares Verhalten hindeuten kann (BGE 148 II 1 E. 4.3.4; E. 4.1.1). * Anwendung auf den Fall: Das Gericht bestätigte die vorinstanzliche Feststellung eines aktuellen und gewichtigen Integrationsdefizits. Die Vielzahl von 24 strafrechtlichen Verurteilungen seit 2006, von denen 6 nach dem 1. Januar 2019 erfolgten (drei betreibungsrechtliche Straftaten und drei Strassenverkehrsdelikte, darunter ein Vergehen), dokumentiere ein "unbelehrbares und migrationsrechtlich vorwerfbares Verhalten". Die Häufigkeit der Verurteilungen sei konstant geblieben. Insbesondere die wiederholten betreibungsrechtlichen Straftaten, einschliesslich Pfändungsbetrug, nach 2019 seien schwerwiegend, da der Beschwerdeführer hierdurch die Eintreibung seiner Schulden erschwert habe (E. 4.1.2 f.).

4.2. Mangelnde wirtschaftliche Integration (Art. 58a Abs. 1 lit. d AIG) * Rechtliche Würdigung: Eine mangelnde wirtschaftliche Integration liegt vor, wenn eine Person ihre finanziellen Verpflichtungen vernachlässigt und nachhaltig sowie vorwerfbar (mutwillig) Schulden erwirtschaftet (E. 4.2.1, 4.3.1). Mutwilligkeit setzt Absicht, Böswilligkeit, Liederlichkeit oder Leichtfertigkeit voraus. Hinweise auf mutwilliges Verhalten genügen. * Anwendung auf den Fall – Höhe der Verschuldung: Die festgestellte Verschuldung von rund Fr. 122'500.-- per Mai 2024 (offene Betreibungen und Verlustscheine) deutet auf ein erhebliches Integrationsdefizit hin (E. 4.2.2). Die Rüge des Beschwerdeführers bezüglich doppelter oder veralteter Forderungen wurde zurückgewiesen, da er trotz Aufforderung keine Belege zur Entlastung eingereicht und somit seine Mitwirkungspflicht (Art. 90 AIG) verletzt habe. Die Zusammensetzung der Schuldenlast bleibe damit zu seinen Lasten offen (E. 4.2.3 f., mit Verweis auf Urteil 2C_227/2024 vom 14. April 2025). * Anwendung auf den Fall – Mutwilligkeit: Das Gericht bejahte die Mutwilligkeit der Verschuldung. Obwohl sich die Schuldenlast durch Lohnpfändung halbiert habe, sei der Beschwerdeführer auch nach Oktober 2021 weiterhin für Krankenkassenbeiträge, Steuerforderungen, Staatsanwaltschaftsforderungen und Konsumgüterkäufe (Migros, Landi auf Rechnung) betrieben worden. Wenn der Beschwerdeführer bei laufender Lohnpfändung Konsumgüter erwerbe, die nicht aus dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum gedeckt werden können, verhalte er sich mutwillig. Die Nichtbezahlung von Krankenkassenprämien sei ebenfalls vorwerfbar, da diese im Existenzminimum berücksichtigt würden und somit aus dem pfändungsfreien Einkommen zu begleichen gewesen wären (E. 4.3.2 f.).

5. Verhältnismässigkeitsprüfung Das Gericht erachtete die Rückstufung als verhältnismässig: * Geeignetheit: Die Rückstufung sei geeignet, den Beschwerdeführer angesichts seiner wiederholten Verurteilungen und Schuldenwirtschaft an seine Integrationspflichten zu erinnern (E. 5.2). * Erforderlichkeit: Eine weitere Verwarnung sei nicht erforderlich. Bereits 2007 habe eine ausländerrechtliche Verwarnung keine nachhaltige Wirkung gezeigt. Auch die drohende Rückstufung habe nach der erstinstanzlichen Anordnung keine grundlegende Verhaltensänderung bewirkt, da er danach erneut straffällig geworden sei (E. 5.3). * Zumutbarkeit: Obwohl der Beschwerdeführer seit Kindheit in der Schweiz lebt und über 25 Jahre eine Niederlassungsbewilligung besitzt, seien seine privaten Interessen nicht schwerwiegender als die öffentlichen Interessen an der Rückstufung. Er arbeite und beziehe keine Sozialhilfe, doch sei die Stabilisierung seiner Schuldensituation hauptsächlich der Lohnpfändung zuzuschreiben. Sein Verhalten zeige weiterhin, dass er über seine Verhältnisse lebe und sich strafrechtlich nicht von weiteren Delikten abhalten lasse. Mit der Aufenthaltsbewilligung habe er weiterhin die unbeschränkte Möglichkeit, einer Arbeitstätigkeit nachzugehen. Die Rückstufung sei zudem keine aufenthaltsbeendende Massnahme; eine umfassende Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK und Art. 96 AIG erfolge erst bei einer allfälligen Nichtverlängerung oder einem Widerruf der Aufenthaltsbewilligung (E. 5.4).

6. Schlussfolgerung Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und bestätigte die Rückstufung der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers zu einer Aufenthaltsbewilligung.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Rückstufungsgrund: Die Rückstufung der Niederlassungsbewilligung zu einer Aufenthaltsbewilligung erfolgte zu Recht aufgrund gravierender Integrationsdefizite gemäss Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 58a AIG.
  • Doppeltes Integrationsdefizit: Das Gericht bestätigte sowohl eine Nichtbeachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (wiederholte, unbelehrbare Straffälligkeit, insbesondere betreibungsrechtliche Delikte und Pfändungsbetrug auch nach 2019) als auch eine mangelnde wirtschaftliche Integration (massive, mutwillige Schuldenwirtschaft durch Konsumgüterkäufe ohne Mittel und Nichtbezahlung von Krankenkassenprämien).
  • Massgebliche Zeitperiode: Für die Rückstufung einer altrechtlich erteilten Niederlassungsbewilligung sind primär die nach dem 1. Januar 2019 eingetretenen oder andauernden Sachverhalte massgebend. Ältere Vorkommnisse dienen der Würdigung der Gesamtsituation und der Kontinuität des Fehlverhaltens.
  • Verhältnismässigkeit: Die Massnahme wurde als verhältnismässig beurteilt. Eine erneute Verwarnung wurde als unzureichend erachtet, da frühere Verwarnungen und selbst die Androhung der Rückstufung keine Verhaltensänderung bewirkten. Die privaten Interessen des langjährig ansässigen Beschwerdeführers wogen die öffentlichen Interessen an seiner Integration nicht auf, zumal die Rückstufung keine aufenthaltsbeendende Massnahme darstellt.
  • Mitwirkungspflicht: Die Verletzung der Mitwirkungspflicht (Art. 90 AIG) des Beschwerdeführers bei der Klärung seiner finanziellen Situation wirkte sich zu seinen Lasten aus.