Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_361/2024 vom 18. Juni 2025

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Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (4A_361/2024 und 4A_363/2024) vom 18. Juni 2025

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts befasst sich mit der Haftung einer Bank gegenüber ihren Kunden im Rahmen eines Vermögensverwaltungs- und Kreditverhältnisses. Es handelt sich um zwei zusammengelegte Verfahren, in denen sowohl die Kunden als auch die Banken (E._ SA, später von F._ SA übernommen) gegen ein Urteil des Genfer Obergerichts Berufung eingelegt haben. Die Kunden forderten Schadenersatz wegen Nichterfüllung vertraglicher Pflichten (garantierte Rendite, volle Investition des Kreditrahmens, zu Unrecht erhobene Gebühren und Kapitalverlust), während die Banken jede Haftung bestritten.

I. Sachverhalt und Streitgegenstand

Die Parteien nahmen im Juni 2010 Geschäftsbeziehungen auf. Ziel war die Beleihung von Aktien zur Erlangung von Liquidität und Krediten für Investitionen. Im November 2010 unterzeichnete A.__ (im Namen der Kunden) ein Dokument namens «Indicative Credit Facility Agreement» (im Folgenden: «Indicative»), das ein garantiertes jährliches Investitionsertrag von 5 % sowie die Investition des Kapitals in ein kapitalgeschütztes Produkt vorsah. Zudem wurde festgehalten, dass der Kreditrahmen für Investitionen zu 68 % des Wertes der verpfändeten Aktien vollumfänglich zu nutzen sei. Klein gedruckt am Ende des Dokuments stand, dass alle Zinssätze und Renditen "indikativ" seien.

Im Juli 2011 monierten die Kunden, dass die tatsächliche Rendite unter den garantierten 5 % lag. Die Bank (vertreten durch J.__) begann daraufhin zu behaupten, die 5 % seien nur "indikativ" gewesen. Im April 2012 unterzeichneten die Kunden weitere Dokumente, darunter «Asset Management Mandates» (mit moderatem Risikoprofil, das auch strukturierte Produkte ohne Kapitalgarantie für Aktien vorsah) und neue «Credit Facility Agreements». Die Kunden behaupteten, diese Dokumente hätten die ursprünglichen Vereinbarungen nicht abgeändert oder ersetzt.

Im Verlauf der Geschäftsbeziehung forderten die Kunden wiederholt fehlende Kontoauszüge und Portefeuilleübersichten an, die teilweise erst 2014 und 2015 vollständig geliefert wurden. Die Kunden beanstandeten die Verrechnung von Gebühren sowie die Berechnung des Kreditrahmens und die daraus resultierenden Nachschussforderungen der Bank. Trotz wiederholter Proteste zahlten die Kunden im Januar 2016 eine Nachschussforderung unter Vorbehalt. Im Februar/Juni 2016 machten die Kunden ihre Forderungen gegenüber der Bank formell geltend, woraufhin die Bank ihre ursprüngliche Position beibehielt. Die Geschäftsbeziehung wurde Ende 2016 beendet. Eine andere Bank, F._ SA, hatte zwischenzeitlich die Verbindlichkeiten von E._ SA übernommen.

Die Kunden klagten auf Zahlung von Schadenersatz in vier Positionen: 1. Zu Unrecht erhobene Gebühren. 2. Minderleistung der Investitionen (Differenz zwischen 5 % garantierter und effektiver Rendite). 3. Gewinnentgang durch nicht getätigte Anlagen (Nichtausschöpfung des Investitionskreditrahmens). 4. Kapitalverlust aus verkauften Anlagen (Nichtinvestition in kapitalgeschützte Produkte).

Das erstinstanzliche Gericht hiess alle Forderungen der Kunden gut. Das Genfer Obergericht bestätigte die Haftung der Bank für die Positionen 1 bis 3, wies jedoch die Forderung bezüglich Kapitalverlust (Position 4) ab.

II. Rechtsmittel der Banken (4A_363/2024)

Die Banken fochten die Verurteilung bezüglich der Positionen 1 bis 3 an und rügten im Wesentlichen eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung, eine Verletzung der Vertragsauslegungsregeln (Art. 18 OR), einen Rechtsmissbrauch (Art. 2 ZGB) sowie eine unrichtige Anwendung der Beweislastregeln (Art. 8 ZGB, 42 OR).

  1. Vertragsauslegung (Art. 18 OR): Garantierte Rendite von 5 % Die Banken bestritten, eine Rendite von 5 % garantiert zu haben, und verwiesen auf den klein gedruckten Hinweis im «Indicative», wonach die Renditen "indikativ" seien. Das Bundesgericht bestätigte die Auslegung des Obergerichts, wonach eine subjektive (tatsächliche) Willensübereinstimmung der Parteien hinsichtlich der Renditegarantie vorlag. Das Obergericht habe nicht willkürlich festgestellt, dass die Bank die Rendite in den Verhandlungen erhöht habe, um den Wünschen der Kunden entgegenzukommen. Der klein gedruckte Hinweis wurde von den Verhandlungen überlagert. Das Bundesgericht betonte, dass die nachträglichen Äusserungen der Bank (J._) über die "indikative" Natur der Rendite nicht massgebend seien, da das Obergericht die tatsächliche Willensübereinstimmung bereits festgestellt hatte. Die Aussage des Bankdirektors K._, eine Bank könne keine Mindestrendite garantieren, sei unerheblich, da er weder das «Indicative» gekannt noch an den Verhandlungen teilgenommen habe.

  2. Verpflichtung zur maximalen Investition des Kreditrahmens Die Banken rügten die Feststellung, dass sie sich verpflichtet hätten, den maximal verfügbaren Kreditbetrag zu investieren. Das Bundesgericht wies dies zurück. Das Obergericht hatte festgestellt, dass das «Indicative» eine Übereinstimmung von «advance amount» und «invested amount» vorsah und J.__ dies in einem E-Mail vom 5. Juli 2013 bestätigt hatte. Auch die von den Kunden regelmässig angeführten Verhältnisse (68 % für Investitionskredite, 61,20 % für Liquiditätskredite im Verhältnis zu den verpfändeten Aktien) wurden durch ein E-Mail der Bank bestätigt und später nicht klar widerlegt. Die Argumentation der Bank stellte lediglich eine eigene Einschätzung dar und zeigte keine Willkür auf.

  3. Präkontraktuelle Haftung Dieser subsidiär vom Obergericht geprüfte Punkt wurde vom Bundesgericht als gegenstandslos erachtet. Da das Obergericht (und vom Bundesgericht bestätigt) eine tatsächliche Willensübereinstimmung und somit einen verbindlichen Vertrag («Indicative») festgestellt hatte, kam eine Haftung aus culpa in contrahendo nicht zur Anwendung.

  4. Vertragsänderungen durch die Dokumente vom 16. April 2012 Die Banken machten geltend, die von den Kunden am 16. April 2012 unterzeichneten «Credit Facility Agreements» und «Asset Management Mandates» hätten die ursprünglichen Vereinbarungen abgeändert oder ersetzt.

    • Credit Facility Agreements: Das Bundesgericht bestätigte die Feststellung des Obergerichts, dass die Seiten 2 und 3 dieser Dokumente den Kunden nicht ausgehändigt oder von ihnen akzeptiert wurden und dass der Inhalt der Seiten 1 und 4 dem «Indicative» nicht widersprach. Es wurde keine Willensübereinstimmung zur Vertragsänderung festgestellt. Die späteren Proteste der Kunden und die Zahlung unter Vorbehalt untermauerten dies.
    • Asset Management Mandates: Das Bundesgericht folgte dem Obergericht, dass diese Mandate keine widersprüchlichen Bestimmungen enthielten, die eine 5 %-Renditegarantie auf das Gesamtportfolio aufheben würden. Die Möglichkeit, in strukturierte Produkte ohne Kapitalgarantie für Aktien zu investieren, bedeute nicht, dass die Bank ihre übergeordnete Verpflichtung zur gesamten Portfolio-Renditegarantie aufgehoben hätte. Auch der Rechtsmissbrauchseinwand der Bank bezüglich der Pflicht zur Konkretisierung von Einwänden wurde zurückgewiesen. Der Einwand der Bank, die Beweislastverteilung gemäss Art. 8 ZGB sei verletzt, wurde als gegenstandslos erachtet, da das Obergericht vom Vorliegen der Fakten überzeugt war.
  5. Verwirkungseinrede (Art. 2 ZGB, Rügepflicht) Die Banken beriefen sich auf Art. 2 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), der eine Rügepflicht innerhalb eines Monats nach Erhalt der Bankdokumente vorsah. Das Bundesgericht bestätigte das Obergericht, dass die Bank durch die Geltendmachung dieser Klausel Rechtsmissbrauch beging. Die Argumentation des Bundesgerichts stützt sich auf folgende Punkte:

    • 5 % Renditegarantie: Da die Rendite auf Jahresbasis geschuldet war und erst eine detaillierte Analyse aller Kontoauszüge die Minderleistung zeigte, konnte von den Kunden keine monatliche Rüge verlangt werden, zumal die Bank die Auszüge erst verspätet und in grosser Menge lieferte. Die Bank wusste zudem seit Juli 2011 um die Unzufriedenheit der Kunden bezüglich der Rendite.
    • Kreditrahmen-Nutzung: Die Kunden hatten die Berechnungsmethode der Bank für den Kreditrahmen bereits zwischen 2012 und 2015 regelmässig beanstandet.
    • Gebühren: Die Bank lieferte die vollständigen Kontoauszüge, auf denen die Gebühren ersichtlich waren, erst Anfang 2014. Die Analyse einer solch grossen Menge von Dokumenten (über drei Jahre) konnte nicht innerhalb eines Monats erwartet werden. Die Kunden reklamierten die Gebühren nach Erhalt der vollständigen Dokumentation. Das Bundesgericht hob hervor, dass die Bank selbst die Unterlagen verspätet zur Verfügung stellte.
    • Fazit: Angesichts der besonderen Umstände (Bank lieferte Dokumente verspätet und nach wiederholten Mahnungen, Bank wusste um die Unzufriedenheit der Kunden) war es der Bank verwehrt, sich auf die Rügepflicht gemäss Art. 2 AGB zu berufen.
  6. Schadensberechnung und Beweislast (Art. 8 ZGB, 42 OR) Die Banken rügten, die Kunden hätten ihren Schaden nicht korrekt dargelegt und bewiesen. Das Bundesgericht bestätigte die Feststellungen des Obergerichts.

    • Allgemeine Punkte: Die Kunden hatten sehr präzise und detaillierte Schadensberechnungen vorgelegt, die durch ein privates Gutachten (arithmetische Korrektheit, Übereinstimmung mit Bankdaten) bestätigt wurden. Die Bank hatte diese Berechnungen nur allgemein und unzureichend bestritten, ohne die konkreten Auswirkungen ihrer angeblichen Fehler zu beziffern.
    • Minderleistung der 5 % Rendite: Die Kunden hatten detaillierte Tabellen vorgelegt. Die Einwände der Bank, insbesondere bezüglich interner Transfer ohne Gegenleistung, waren zu vage und unsubstantiiert. Die Bank hätte die genauen Beträge und Übertragungen benennen müssen, anstatt vom Gericht oder den Kunden zu erwarten, dies aus Tausenden von Seiten zu ermitteln.
    • Nichtausschöpfung des Kreditrahmens: Die Kunden hatten die Berechnung auf externen Daten (U.__ Stock Exchange) und der von der Bank selbst bestätigten Methodik (68 %-Verhältnis) aufgebaut. Die Einwände der Bank, auch jene zu «bonus shares» oder angeblichen Rechenfehlern, waren nicht ausreichend substantiiert, um die präzisen Berechnungen der Kunden zu widerlegen.

III. Rechtsmittel der Kunden (4A_361/2024)

Die Kunden fochten die Abweisung ihrer Forderung nach Kapitalverlust (Position 4) an und rügten hauptsächlich eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Verletzung des Zivilrechts. Sie bestritten zudem die Kostenverteilung durch das Obergericht.

  1. Haftung für Kapitalverlust bei nicht kapitalgeschützten Produkten (Anspruchsziffer 4) Die Kunden machten geltend, die Bank habe ihre Verpflichtung verletzt, die Gelder vollumfänglich in kapitalgeschützte Produkte zu investieren. Sie argumentierten, ein kapitalgeschütztes Produkt bedeute eine integrale Kapitalgarantie und schliesse den Verkauf mit Verlust aus. Das Bundesgericht bestätigte die Auslegung des Obergerichts:

    • Keine integrale Kapitalgarantie: Das Obergericht habe nicht willkürlich festgestellt, dass «kapitalgeschütztes Produkt» keine integrale Kapitalgarantie bedeute. Die Schutzebene hänge vielmehr von einem initial festgelegten Schwellenwert ab. Die Kunden hatten weder eine solche integrale Garantie noch ein Verkaufsverbot mit Verlust vereinbart oder bewiesen.
    • Ungenügende Substantiierung: Die Kunden hatten nicht dargelegt oder bewiesen, welche der von der Bank getätigten Investitionen in nicht kapitalgeschützte Produkte Verluste verursacht hätten. Sie hatten lediglich einen globalen Kapitalverlust über alle Investitionen hinweg ausgewiesen, ohne einen direkten Kausalzusammenhang zu einer spezifischen Vertragsverletzung (wie z.B. das Fehlen einer integralen Kapitalgarantie) nachzuweisen. Die Argumentation der Kunden, die Konten seien so unübersichtlich gewesen, dass eine Einzelanalyse unverhältnismässig gewesen wäre, wurde zurückgewiesen, da sie auf der falschen Prämisse einer integralen Kapitalgarantie basierte.
  2. Kostenverteilung (Art. 106 ZPO) Die Kunden rügten, die vom Obergericht vorgenommene hälftige Kostenverteilung sei angesichts ihres globalen Prozesserfolgs von 57.03 % (anstatt 50 %) unrichtig. Das Bundesgericht verwies auf den weiten Ermessensspielraum des Richters bei der Kostenverteilung. Eine Differenz von 7.03 % des Prozesserfolgs rechtfertige keine Korrektur der hälftigen Kostenverteilung, die im Bereich des richterlichen Ermessens liege.

IV. Ergebnis

Das Bundesgericht wies sowohl die Beschwerde der Banken (4A_363/2024) als auch die Beschwerde der Kunden (4A_361/2024) ab, soweit diese zulässig waren. Das Urteil des Genfer Obergerichts, welches die Haftung der Banken für die Positionen 1 bis 3 bestätigte, jedoch die Forderung bezüglich Kapitalverlust (Position 4) abwies, bleibt somit bestehen. Die Gerichtskosten wurden beiden Parteien anteilig auferlegt, und es erfolgte eine Verrechnung der Parteikosten.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Vertragsbindung und Renditegarantie: Das Bundesgericht bestätigte, dass das zwischen den Parteien ausgehandelte «Indicative Credit Facility Agreement» ein verbindlicher Vertrag war, der der Bank eine jährliche Rendite von 5 % auf die Investitionen garantierte. Hinweise auf "indikative" Zinssätze wurden aufgrund der konkreten Verhandlungen als unbeachtlich erachtet.
  • Keine Vertragsänderung: Die später unterzeichneten «Credit Facility Agreements» und «Asset Management Mandates» ersetzten oder änderten die ursprünglichen Verpflichtungen der Bank aus dem «Indicative» nicht.
  • Rechtsmissbräuchliche Rügepflicht: Die Bank konnte sich nicht auf ihre AGB-Klausel zur 1-monatigen Rügepflicht berufen (Art. 2 ZGB). Das Gericht anerkannte, dass die Bank selbst die Dokumente verspätet und unvollständig lieferte und die Kunden ihre Unzufriedenheit wiederholt kundgetan hatten.
  • Schaden und Beweislast: Die präzisen und detaillierten Schadensberechnungen der Kunden (Minderleistung bei der Renditegarantie und Gewinnentgang durch nicht voll ausgeschöpften Kreditrahmen), gestützt durch ein privates Gutachten, wurden als ausreichend substantiiert und bewiesen angesehen. Die allgemeinen und unsubstantiierten Einwände der Bank wurden als ungenügend zurückgewiesen.
  • Kapitalverlust (Position 4 abgewiesen): Die Kunden scheiterten mit ihrer Forderung nach Ersatz von Kapitalverlusten. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vereinbarung über «kapitalgeschützte Produkte» keine integrale Kapitalgarantie oder ein Verkaufsverbot mit Verlust implizierte, sondern von einem festgelegten Schwellenwert abhängt. Die Kunden konnten keine spezifischen Verstösse gegen die Pflicht zur Anlage in kapitalgeschützte Produkte nachweisen, die einen Kausalzusammenhang mit den geltend gemachten globalen Verlusten hätten.
  • Kostenverteilung: Die hälftige Kostenverteilung durch die Vorinstanz wurde als im Ermessensspielraum liegend bestätigt.